Zweimal – so stark! Andreas Rieger und Felix Schneider haben ein Menü zusammen entwickelt.

Am 14. September 2019 trafen sich Andreas Rieger (ex-einsunternull, Berlin) und Zwei-Sterne-Koch Felix Schneider vom Sosein zu einem Kreativgipfel der besonderen Art in den Räumen des Restaurants in Heroldsberg. Das 22-gängige Menü soll hier wegen seiner kreativen Potenz komplett dokumentiert werden. Ich danke den beiden Köchen für Detailangaben, vor allem aber Uwe Spitzmüller von www.highfoodality.de, der diesen denkwürdigen Abend im Bild festgehalten hat.

Man sollte vielleicht wissen, dass Rieger und Schneider die Gerichte so gestaltet haben, dass 22 Gänge eine machbare „Strecke“ sind – also in etwa im Umfang der Degustationsmenüs im Noma etc. Dabei ging und geht es beiden Köchen nach wie vor darum, möglichst klare, eindeutige Gerichte ohne viel Zutaten zu schaffen, sich also ganz auf den Produktgeschmack zu konzentrieren. Der Minimalismus mancher Gänge im Menü ist also nie ein demonstrativer, sondern immer ein genuin kulinarisch begründeter – wie übrigens bei vielen Köchen, die sich in diesem kreativen Bereich betätigen. Sie realisieren im Grunde das, was in der Kochkunst schon immer gefordert, meist aber nur behauptet wurde. Mittlerweile hat sich bei den besten Kreativen schon so etwas wie eine eigene aromatische Formensprache entwickelt, die durchaus variantenreich ist und sich keineswegs öfter auf ähnliche Geschmacksbilder konzentriert, wie das in der konventionelleren Spitzenküche der Fall ist. Die besten Köche ihrer Art – von denen hier zwei am Start sind – haben längst neue geschmackliche Stufen erreicht, die nach jahrelanger Beschäftigung mit dieser neuen Geschmackswelt für virtuose und oft auch im allgemeinen Verständnis gut schmeckende Gerichte sorgt. Dass Felix Schneider mittlerweile zwei Michelinsterne besitzt, ist auch dieser erheblich gesteigerten geschmacklichen Verständlichkeit geschuldet.

Hier kommt das Menü:

1.
Stör und Auster. Die Blätter des Austernkrautes sind im Garten gezogen. Zwischen ihnen findet sich Kaviar vom heimischen Stör. Es geht um einen klaren Biss in eine jodig-maritime Salzigkeit.

 

 
2.
Zwiebel und Haselnuss. Ein Gericht in einem Bereich, der von Andreas Rieger schon in Berlin intensiv erforscht wurde. Es ist ein Auszug von gerösteten und geräucherten, süßen Cevennenzwiebeln. Sie entwickeln mit viel Zeit einen fleischigen Charakter, der aber vor allem recht neuartig schmeckt. Der fertige Sud wird mit etwas schwarzem Knoblauch aufgebrüht und mit einem gerösteten Haselnussöl kombiniert.

 
3.
Grüne Tomate der Sorte „Tante Rubys grüne Deutsche“ aus dem Garten von Felix Schneider. Sie bleibt roh, bekommt etwas Rapsöl und Salz und wird mit Kräutern aus der unmittelbaren Umgebung des „Sosein“ angerichtet: Eisbegonienblüte, Dillblüte, Puffbohnenkeimblätter, mexikanische Tagetes, peruanischer Koriander, Schildampfer und Sauerklee.

 
4.
Hahnenkamm und Getreide. Der Hahnenkamm ist mit Zitronenmyrthe und Koriandersamen sanft gegart und mit einem Sud aus Knollensellerie, Wasser und Salz glasiert. Dazu gibt es Reis und Emmer aus einem Ansatz von weißer Shoyu und Vogelmiere.

 

 
5.
Bauch vom Zander und Wasabi. Der Fisch ist lokal. Er wurde zehn Tage gereift und in dünne Scheiben geschnitten. Dazu gibt es Wasabiblätter und ein Shoyu aus Emmer.

 

 
6.
Brot und Butter. Das berühmte Sauerteigbrot im Sosein. Mit eigener Butter und Mangalitza-Schinken. Butter und Schinken werden mit Koji behandelt.

 

 
7.
Salat von Krause Glucke-Pilzen. Mit Birne und Mandeln. Die Pilze sind zur Erhaltung der Textur nur kurz gedämpft. Der Birnenessig und das Walnussöl stammen – wie quasi alle Materialien zum Marinieren – aus hauseigener Produktion im Sosein. Ihr komplett unindustrielles Aroma, das sich auch von vielen der üblichen Spitzenküchen-Zutaten deutlich unterscheidet, trägt ganz wesentlich zu den Geschmacksbildern im Sosein bei. Es zeigt sich also, dass Kreativität oft die Durchdringung aller Aspekte notwendig macht. Eine Kreativität, die nur mal irgendein Bestandteil neu kombiniert, aber bei der Verwendung aller Zutaten von Salz über Pfeffer bis zu Kräutern und Fonds im Standard verharrt (also das, was an anderer Stelle oft unter „Kreativität“ verstanden wird, schafft kein wirklich neues, interessantes Geschmacksbild.

8.
Flusskrebs. Eine Produktdegustation mit kurz überbrühtem Flusskrebs, Purpur Perilla und Gelee und Garum von Flusskrebsen.

 

 
9.
Eierfrüchte, Chili und Spargel. Die unterschiedlichen Sorten Eierfrüchte werden in einer Pfanne gegrillt und mit einer fruchtigen Reduktion von entsaftetem Spargel und Chili Ferment mariniert. Den Abschluss bilden Blätter von Szechuan-Pfeffer und Agastache.
 

 
10.
Grüne Reneclauden. Quasi pur belassen. Es ist lediglich der Stein entfernt und durch eine eingelegte Holunderblüte ersetzt. Die Frucht wird auf Eis serviert, was sensorisch natürlich eine Bedeutung hat. Eine solche Produktdegustation im Menü halte ich grundsätzlich für eine sehr gute Sache. Die Gäste können auf diese Weise in einem Restaurant auch Produktqualitäten kennenlernen, mit denen sie sonst nicht in Berührung kommen.

 
11.
Ungekochtes Rehgulasch. Ein Gang aus dem letzten Programm des einsunternull. Rieger sagt dazu, dass dieser Gang „einer maximalen Reduktion am nächsten kommt“. Die Stücke sind in geräucherter schwarzer Wacholderbutter lediglich erwärmt. Die Beilage besteht aus stark konzentrierter Paprika und Preiselbeere. Die Konzentration auf den quasi reinen Fleischgeschmack ist radikal, aber im Grunde – siehe oben – sehr kulinarisch.

 
12.
Alte Beeren. Der leicht provokante Titel bezieht sich auf eingelegte, getrocknete und fermentierte Kirschen, Erdbeeren, Himbeeren und Moosbeeren. Unter den Beeren findet sich ein Himbeerstrauch-Sorbet und ein Buchweizenporridge. Gewürzt wird mit einem dreifach angesetzten Essig aus Süss- und Sauerkirschen und gebranntem Kirschholz. Die Nova-Regio-Analyse von Produkten ergibt an jedem Ort der Welt einen riesigen Fundus von Materialien. Wer im Moment ein wenig in der Gegend herumspaziert, wird feststellen, wie viele Leute z.B. ihre Obstbäume nicht mehr abernten – von den vielen Früchten in Hecken und Büschen einmal ganz abgesehen…

13.
Hahn, Leber und Morcheln. Basis ist ein sieben Monate alter Hahn der Sorte „Bleu de gauloises“, der einige Tage gereift wurde. Er wurde im ganzen bei 58 Grad gedämpft. Die Sauce kommt von der Leber und getrockneten und frittierten Morcheln.
 

 
14.
Tomatillo und grüner Apfel. Frische pur nach einigen etwas schwereren Gängen. Angereichert durch grüne Samenkapseln und Blüten von Dill.

 

 
15.
Steinpilzbrot, Kartoffel und Zwiebelgewächse. Andreas Rieger präsentiert hier einen seiner schon berühmten Klassiker aus dem winsunternull in einer leicht abgewandelten Form. Das aromatische Backup kommt von Kartoffelschaum mit Kartoffelmiso und Gänseschmalz, dazu eingelegte und frische Blüten von verschiedenen Zwiebelgewächsen. Das Finish kommt von rohen Steinpilzen.

 
16.
Zander, Speck und Wirsing. Ein Stück von einem nach Ike-Jime-Technik getöteten lokalen Zander, gegrillt, mit Wirsingmiso bestrichen und mit dem Sosein-Speck hauchdünn umwickelt. Die Fischgerichte im Sosein sind mittlerweile eine ganz besondere Spezialität, weil sie abermals zeigen, dass man die Produkte einfach anders und sensibler begreifen und zubereiten kann.
 
 
17.
Geeiste Tagetesblüte. Das Gericht ist ein Teil des aktuellen Menüs im Sosein mit Namen „Alle Farben“. Das Granité stammt aus der Hand von Patissier Stefan Frank.

 

 
18.
Tomatenpaprika „Szegediner“. Die Schoten werden in der Flamme geröstet, die Haut abgezogen, und das Fleisch wird mit einer Gewürzmischung für vegetarischen Szegediner-Gulasch eingerieben. Vor dem Servieren wird die Schote mit milchsaurem Rotkohl und Schmand gefüllt und kurz erhitzt. Dazu kommt eine Sauce vom Schwein.
 

 
19.
Nadelbrand, gesäuerte Fichte und Rauch. Angeregt vom Duft von verbranntem Nadelholz. Verbrannte und gesäuerte Fichten-Meringue, geräuchertes Fichtennadelsorbet, Douglasienöl.

 

 
20.
Kapstachelbeere und Sauerrahm. Ein Dessert, das von klassischen eingelegten Pfirsichen mit Vanilleeis inspiriert wurde. Hier kommen die Kapstachelbeeren mit reduziertem Saft von sehr reifen russischen Einlegegurken der Sorte „Große Gelbe“ plus Weinraute in Berührung. Am Tisch gibt es obenauf noch Sauerrahmeis und Tagetes.
 

 
21. und 22.
Nürnberger Knieküchle. Der Klassiker in der optimierten Version von Felix Schneider, plus ein spontan vergorener Holunderblütenlikör auf einem Eiswürfel von gesäuerten Holunderblüten.

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