In der französischen Zeitung „Voyage & Gastronomie“, Ausgabe März/April 2019 finden sich u.a. mehrere Rezepte des französischen Starkochs Yannick Alléno aus dem Programm seines Drei Sterne-Restaurants „Pavillon Ledoyen“. Zu meiner großen Verwunderung findet sich in der Zutatenliste eines Gerichtes die Angabe „5 cl de sauce Maggi“ und zwar als Bestandteil einer Vinaigrette zu seinem „Pain charcutier, vinaigrette truffée“. Die weiter Zutaten der Vinaigrette sind Balsamessig, Olivenöl, Traubenkernöl, Trüffelparüren und weißer Pfeffer. Was passiert hier? Bedient sich jetzt schon ein französischer Drei Sterne-Koch bei industriellen Aromen, die mit ihrer oft vernichtenden Dichte und Würzstärke schließlich dafür sorgen, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung ein Essen ohne „die volle Dröhnung“ nicht mehr vorstellen kann? Ist die Verwendung von Maggi nicht ein ganz schlechtes Beispiel?
Alléno ist nicht der Einzige
Gerade in Frankreich sieht man die Verwendung industrieller Würzmittel auch in der Spitzenküche offensichtlich nicht so eng. Ein weiteres Fundstück findet sich zum Beispiel im Buch über Paul Bocuse aus der von Alain Ducasse herausgegebenen Serie „best of“. Dort wird in mehreren Rezepten die Verwendung von „tablettes de bouillon de poule“ (oder auch Kalb), also Tabletten mit Hühnerbrühe angegeben. In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht auch noch einmal an den „Glutamat-Skandal“ rund um Jean-Claude Bourgueil vom „Schiffchen“ in Düsseldorf im Jahre 2002 erinnern, der bei uns eine emsige Diskussion über die Verwendung von industriellen Geschmacksverstärkern in der Küche auslöste, die sich aber im Laufe der Jahre weitgehend in Luft auflöste.
Es wurde aber klar, dass vor allem ältere, von der französischen Küche noch stark beeinflusste Köche, die teilweise auch während ihrer Ausbildung längere Jahre in Frankreich gearbeitet haben, die Verwendung von Glutamat kennen und nutzen. Die – was vorkommt – regelmäßige Verwendung von Glutamat ist am ehesten dann zu vermuten, wenn sich z.B. die Saucen in einem Menü in der Würzintensität auffällig stark gleichen, nicht unbedingt nach Salz oder Pfeffer oder einer starken Fondreduktion schmecken und man immer das Gefühl hat, sie seien stark konzentriert.
Das Thema ist nicht ausdiskutiert – wofür es gute Gründe gibt
Natürlich gibt es auch Wissenschaftler, die keinerlei gesundheitliche Gefahren rund um Glutamat und Co. sehen. Natürlich gibt es auch Stimmen, die – wie ich das immer wieder und schon vor vielen Jahren getan habe – das Ganze für ein weiter greifendes Phänomen halten, bei der es mehr um die Würzintensität und mögliche entstehende Abhängigkeiten davon geht. Wer nur überwürzte Speisen kennt, kann kaum noch positiv auf ein wirkliches Naturprodukt reagieren. Und es gibt die Position, die auf natürlich vorkommendes Umami setzt und Intensität und Geschmack eher rund um den regelmäßigen Gebrauch von Produkten ansiedelt, die man nicht weiter „verstärken“ muß.
Warum die Diskussion auch von den besten Köchen eher zurückhaltend geführt wird, hat seinen Grund darin, dass man bei konsequentem Verzicht auf geschmacksverstärkende Mittel schnell auch beim Verzicht auf den regelmäßigen Gebrauch von Salz und Pfeffer und Fonds in jedem Detail eines Gerichtes auskommen müßte. Der Verzicht auf den Dauergebrauch würde nicht bedeuten, kein Salz oder Pfeffer oder Fonds zu benutzen. Aber er würde ihnen nur noch eine Rolle als echtes Gewürz zuordnen, das man sinnvoll und wegen konkreter Zusammenhänge einsetzt – nicht aber als automatische aromatische Dauerberieselung. Eine solche, dann wirklich produktnahe Küche können sich die meisten Köche bisher noch nicht einmal vorstellen. Harald Wohlfahrt etwa hat immer wieder gesagt, dass es ohne gute Fonds keine gute Küche gibt. – Es ist insofern verständlich, dass die Diskussionen nicht wirklich konsequent geführt werden und damit dann natürlich auch allen möglichen Formen von geboostetem Geschmack weiterhin Tür und Tor geöffnet sind. Alléno und sein Maggi oder Bocuse und seine industriellen Brühe-Tabletten sind nur eine gewisse Spitze eines in meinen Augen nach wie vor ungeklärten Problems in der Küche.
Manche Köche haben da ein Sucht-Problem
Man kann für die Verwendung von immer mehr und immer komplexerer Würze auch einen ganz praktischen Zusammenhang finden. Wer jahrzehntelang Tag für Tag in der Küche steht und die Würze von Gerichten einstellt („abschmecken“…die Niederländer haben da einen ganz verräterischen Ausdruck: er lautet „auf Geschmack bringen“), kommt schnell in eine Spirale, die zu immer mehr Würze führt. Die „abgrundtiefe“ Würze von Saucen wird nach wie vor gelobt – auch wenn sie möglicherweise nur Folge von Gewöhnungs- und Abstumpfungsprozessen ist. Viele Köche essen ihre eigenen Gerichte nicht komplett wie ein Esser im Restaurant und können sich manchmal gar nicht vorstellen, wie sich die Würze von Einzelelementen zu einem Bild summieren kann, das deutlich gegen den Produktgeschmack geht. Wer sich als Privatkoch langsam aber sicher eine gute Saucenqualität erarbeiten will, wird den Punkt kennen, an dem er darüber nachdenkt, ob die Sauce nun schon gut ist, oder ob ihr vielleicht noch etwas fehlt. Je länger man so etwas macht und dabei nicht an Zusammenhänge denkt, desto kräftiger wird man würzen.
Zum Schluß ein Geständnis: Auch ich benutze Maggi
Ja, wir haben Maggi im Haus und benutzen es auch. Meine Frau zum Beispiel ist mit Maggi regelrecht groß geworden. Wenn sie – ganz selten – einmal die uralte Linsensuppe mit Mettwürstchen macht – zieht es auch mich zum Einsatz von Maggi für ein Geschmacksbild, das definitiv aus der Kindheit kommt.
Aber auch in einem moderneren Bereich setze ich Maggi ein, und zwar für ein Gurkencoulis, das ich im Invers-Verfahren gewinne (erst pürieren, dann erwärmen, das erhält viel mehr des rohen Aromas als umgekehrt), und das insofern eigentlich sehr natürlich ist. Ich benutze dann ein wenig Maggi, um der „Sauce“ einen Hauch von traditionellem Geschmack zu geben.
In meinem Lehrbetrieb (Top-Hotel knapp unter Stern) anfang der 80er Jahre hatten wir noch den Eimer Glutamat am Entremetier. Zugegeben, Kartoffelpü und ähnliches schmeckt schon geiler, trotzdem dachte ich immer, diese Zeiten seien vorbei, insbesondere, weil ja die Diskussion über Zusammenhänge mit Neuronalen Erkrankungen wir z. B. Parkinson noch andauern. Umami – und dabei handelt es sich ja – lässt sich heutzutage auch einfach mit natürlichen Zutaten herstellen.
Ich kenne einen Kollegen, der während seiner Wanderjahre in Spitzenrestaurants in Asien gearbeitet hat. Er sagt, er kenne alle Arten von Sojasoßen, gut und schlechte, aber nichts geht über die Magnumpulle von Maggi …..
Sehr verehrter Herr Dollase,
ich muss sagen, dass einige Kollegen, die hier ebenfalls Kommentare abgegeben haben, mir aus der Seele sprechen. Die Dosierung macht’s. Würzen mit Verstand sowie mit Maß und Ziel! So haben wir es doch alle mal gelernt (zumindest die Kollegen, die einen guten Lehrmeister hatten). Dass diese Pülverchen und die Maggiflasche nicht überall dazu gehören, sollte klar sein. Auch bei mir zu Hause steht Maggi im Schrank. Allerdings wird dieses „saarländische Rauschmittel mit 5 Buchstaben“ bei mir so sparsam benutzt, dass, wenn es jeder so täte, Maggi schon längst insolvent wäre.
Henrik Engel
Ich war ein Wochenende anlässlich eine Kochseminars in der Küche eine mit zwei Sternen bewerteten Restaurants
zu dem auch Herr Dollase eine besondere Beziehung hat.
Verwendet wurde „Mumpe“ = gekörnte Brühe.
Auf die Dosis kommt es an.
Ein Selleriepürree gewinnt durchneine Prise Glutamat.
Moin, Herr Dollase, schöner Artikel, denkwürdige Diskussion. Aus meiner Zeit in der Küche eines auch preislich gehobenen Restaurants in Hamburg ist mir der große rote Plastik-Eimer „Goldhuhn Classic“ in Erinnerung. (der 12 kg-Eimer für 203,- Euro netto, Einsatz 16 Gramm pro Kilo Ware, Dr. Oetker professional, gesehen bei Metro). Das gelbe Pulver wurde vom Chef de cuisine routinemäßig Schmorgerichten, selbstgezogenen Saucen und Kurzgebratenem, vom Entremetier aber auch Gemüse, Kartoffeln, Reis, Nudeln und Suppen beigefügt.
Und, bei aller Skepsis: das Labor-Zeug kann was. Alles schmeckt intensiver, wertiger, tiefer.
Zuhause benutze ich Nam Pla, Soja Sauce plus Spielarten wie Ketjap Benteng Manis, Austernsauce und Hoisin, Worcestershire, Guerande-Salz, flüssigen Rauch, Heinz-Ketchup, aber durchaus auch Maggi flüssig. Die Dosis macht das Gift.
Die Zunge des Gastes ist korrumpiert von industriell geschöntem Geschmack. Dagegen muss ein Koch erstmal anstinken, denn er lebt vom Verkaufen, nicht vom Missionieren. Klar schmeckt eine aromatische Tomatensorte auch pur, aber mit etwas Zucker und Meersalz ist eben „mehr drin“.
Alle paar Jahre gönne ich mir ein, zwei Gläschen Babynahrung und stelle erschrocken fest, wie weit sich meine Zunge bereits vom – vermutlich – ungewürzten Geschmack naturbelassener Zuchtsorten entfernt hat. Kompositionen wie „Huhn mit Reis und Möhre“ oder „Kalb mit Kartoffel und Erbse“ schmecken flach, nach nichts. Durchaus denkbar, dass manch treusorgende Mutter mit einem Spritzer Maggi nachhilft …
Ich finde die Diskussion schwierig. Zum einem kann der Geschmack ja auch ohne Industriemittelchen durch Liebstöckel erreicht werden.
Zum anderen gehts mir aber haar genau so wie beschrieben: Wenn ich Gerichte wie Linsensuppe oder Gulasch mache und da Maggi reinspritze,kommt direkt der Gedanke „wow, Kindheit“ hoch………
Mahlzeit die Damen und Herren,
Ich finde die ganze Hysterie bezüglich Maggi und Cubitos de Sopa 😉 immer etwas zwiegespalten.
Zuhause geht es genau um die Kindheitserinnerungen. Es gibt Speisen, die ohne das Tröpfchen gewisses Etwas nicht gehen, auch wenn Du nach allen Regeln der Kunst zu kochen versuchst. Ich als Oberösterreicher denke da sofort an Fleckerlspeis. Selbst hartgesottene Gegner der „braunen Brühe“ schlagen hier zu.
Ob es in die Sterneküche gehört? Keine Ahnung, da ich diese Art zu kochen meide, weil ich der Meinung bin, dass kaum jemand nachvollziehen kann was der Koch mit der drölf Geschmackskomponenten ausdrücken will, geschweige fähig ist das wirklich zu erschmecken.
Hmmm … ja, gute Gedanken zu diesem Thema, auch wenn ich persönlich Maggi und dergleichen meide, wie der Teufel das Weihwasser. Sojasaucen hingegen setze ich gerne und oft ein. In vielen asiatischen Küchen ist MSG ein Eckpfeiler, allerdings zumeist nur sehr sparsam eingesetzt. Das „Chinarestaurant-Syndrom“ ist eine Erscheinung, die eher bei asiatischen Restaurants in nicht-asiatischen Ländern auftritt. Sogar Anthony Bourdain hat es in seinem (sehr persönlichen) Kochbuch „Appetites“ in einigen Rezepten als „optional“ gekennzeichnete Zutat drin. Mir macht das Zeug nur Durst.
Hallo Herr Dollase,
super Artikel.
Maggi habe ich auch in der Küche, allerdings eine 1Literflasche, schön ca.3Jahre alt.
Die geht nur zum Persoessen.
Wir benutzen auch Worcestershiresauce, Herbadox, Soyasoßen und alle möglichen Garums. In Maßen klug eingesetzt halte ich den Einsatz dieser Hilfsmittel für sinnvoll.
Eine offene Diskussion fände ich sehr interessant.
Mit sonnigen Grüßen aus Odenthal
Christopher Wilbrand
Lieber verehrter Jürgen Dollase! Sauguter Ehrlicher Artikel . Genau so Ist es! Chapeau . HPW