Anlässlich dieser Ausstellung muss man wieder einmal an ein paar Zusammenhänge erinnern. Die Kochkunst und was damit zu tun hat, hat in Deutschland keine „natürliche“, wissenschaftlich-forschende Heimat. Eine solche natürliche Heimat wäre zum Beispiel eine „Deutsche Hochschule für Kochkunst“ (wie ich sie hier schon einmal entworfen habe), der dann auch eine entsprechende Sammlung und Ausstellungsräume angegliedert wären. Die diversen kleineren Museen in Deutschland, die sich Einzelaspekten wie etwa der Tafelkultur widmen, sind alle schön und gut, erfüllen aber vor allem nicht die Funktionen, die eine zentrale Sammlung (und vor allem Forschungsstelle) haben könnte und müsste. Und so richten sich die Blicke vor allem auf Einrichtungen, bei denen aus verschiedenen Grünen eine Reihe von Dingen zusammenkommt – zum Beispiel das bayerische Kompetenzzentrum Ernährung (KERN) in Kulmbach, wo sich u.a. ein Gewürzmuseum, eine Bibliothek, ein Vortragssaal mit Kochzeile und Video-Installationen, eine Kochschule und – etwas außerhalb von Kulmbach – in einem alten Bauernhof auch ein Treffpunkt für vertiefende, praktisch-theoretisch orientierte Zusammenkünfte befinden.
Mit der „Küchenwunder“-Ausstellung richtet sich die Aufmerksamkeit nun auf die „Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden“ (kurz: SLUB genannt), die in den letzten Jahren aufgrund einiger traditioneller Verbindung zur Kulturgeschichte des Essens in den Besitz von markanten Sammlungen gekommen ist. Zudem gibt es mit Professor Dr. Josef Matzerath, dem Kurator der aktuellen Ausstellung, dort einen Historiker, der schon durch verschiedene kulinarische Veröffentlichungen auf sich aufmerksam gemacht hat. Historiker – das nur als kurze Erläuterung – sind natürlich insofern auch für kulinarische Forschungen prädestiniert, weil sie über das wissenschaftliche Instrumentarium verfügen, mit dem man Quellen sichtet, ordnet, bewertet oder kritisch hinterfragt. Und weil in der Kochkunst in den letzten Jahrzehnten sehr markante Ereignisse sehr markante Szenerien erzeugt haben, kann man auch jetzt schon, mit dem Abstand von wenigen Jahrzehnten, kompakte thematische Blöcke bearbeiten.
In der SLUB haben sich u.a. drei hochinteressante Sammlungen eingefunden. Das ist einmal die Kochbuchsammlung von Walter Putz, ehemaliger Oberkellner in „Brenner’s Parkhotel“ in Baden-Baden mit vielen historischen Kochbüchern vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Sie kam im Jahre 2005 nach Dresden. Im Jahr 2015 folgte die sagenumwobene, gigantische Speisekartensammlung von Ernst Birsner, der neben rund 11.000 Büchern vor allem eben rund 20.000 Menü- und Speisekarten gesammelt hatte. Im Jahr 2018 kam dann der Nachlass von Wolfram Siebeck hinzu, der – typisch für das Gewerbe – ja immer aus allen möglichen Papieren besteht, also Büchern, Speisekarten, Briefen, diversen Publikationen, Sammlungen der eigenen Arbeiten usw. usf. Aus diesen Materialien und Quellen, die ja oft auch Dinge enthalten, die der Öffentlichkeit nicht unbedingt bekannt sind, lassen sich natürlich vorzüglich üppige Ausstellungen kondensieren.
Und das ist jetzt in Dresden passiert, und zwar mit einer aufwendig mit vielen Dokumenten und multimedial erstellten Online-Ausstellung (die natürlich auch im Netz bleiben soll) zum Thema „Wolfram Siebeck und das Deutsche Küchenwunder“, mit dem vor allem die Entwicklung in Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren gemeint ist, also der Zeit, in der die französische Nouvelle Cuisine einen dominanten Einfluss auf die deutsche Küche bekommen hat und in der Siebeck mit einigen anderen Kritikern eine einflussreiche Position bekommen hat. Wie einflussreich das damals war, hat mir übrigens nicht Siebeck, sondern Gert von Paczensky einmal erzählt. Zu einer Zeit, als es kaum TV-Konkurrenz bei Essen und Trinken gab und die Auflagen der Zeitungen und Zeitschriften ein Vielfaches von heute betrugen, „schrieb ich über ein Restaurant und dort war am nächsten Tag der Teufel los. Entweder rannten ihnen die Leute die Bude ein, wenn die Kritik gut war, oder das Restaurant bekam große Probleme, wenn ich einen Verriss geschrieben hatte.“ Nun also Wolfram Siebeck und die bekanntesten Köche der 1970er und 1980er Jahre in einer Online-Ausstellung mit dem Link:
https://slubdd.de/kuechenwunder