Die Nachricht, dass Harald Wohlfahrt Ende Juni die „Schwarzwaldstube“ im Hotel „Traube Tonbach“ in Baiersbronn verlässt, hat nicht wirklich überrascht. Als akribisch denkender Profi hat er selber dafür gesorgt, dass sein „Lebenswerk“ (Wohlfahrt) eine optimal vorbereitete Fortsetzung findet. Nachfolger Torsten Michel arbeitet schon seit über zehn Jahren an seiner Seite und hat die Qualitäten des Meisters komplett verinnerlicht.
Könnte Wohlfahrt nicht wenigstens Patron bleiben?
Es gibt eine ganze Reihe von berühmten Küchen, in denen der verantwortliche Chefkoch eher selten oder überhaupt nicht mehr Hand anlegt. Hätte man nicht die „Schwarzwaldstube“ zu seinen Ehren zum „Restaurant Harald Wohlfahrt“ umbenennen und ihn als Gallionsfigur behalten können? Nein, wohl kaum, weil es sich nicht mit Wohlfahrts Arbeitsethos vereinbaren lässt. Seit 2016 waren er und Michel gemeinsam Küchenchefs, das konnte er vertreten. Wenn er geht, muss der Nachfolger die Verantwortung allein übernehmen, und das auch aus einem künstlerischen Grund: Wohlfahrt ist immer ein Stück mit der Zeit gegangen und hat seine Küche immer dezent modernisiert. Torsten Michel wird sicherlich einige Klassiker beibehalten, aber ansonsten selbstverständlich und ganz im Sinne seines Lehrers auch seine eigenen Ausdrucksformen finden. Was überzeugt, wird integriert. Aber einen Meister vom Schlage Wohlfahrts von neuen Dingen zu überzeugen, war nie leicht.
Wohlfahrt und die Entwicklung der Spitzenküche: ein schwieriges Thema
So zufrieden Wohlfahrt mit seinem sensationell erfolgreich und effektiv verlaufenden Arbeitsleben sein kann (und ist), so eindeutig geht ihm auch die ein oder andere Entwicklung gegen den Strich. Natürlich hat er mitbekommen, dass sich eine junge Generation von Köchen weniger an ihm als handwerklichem Vorbild, sondern eher an den jeweils weltweit angesagten Kochstilen orientiert. Zwischen einem klassisch fundierten Koch, für den aufwändig erzeugte Fonds und hochkomplexe Saucen zur Grundlage des guten Geschmacks gehören, und Köchen, die statt dessen mit Gemüsesäften und wilden Beeren arbeiten, liegen Welten. Das konnte ihm nicht gefallen – nicht zuletzt wegen der Sorge, hochqualifizierten Nachwuchs für seine eigene Küche, ihre adäquate Wertschätzung und Verbreitung zu finden. Es gibt internationale Rankings, in denen er gut dasteht (etwa die französische „La Liste“), es gibt aber auch die Top 50, aus denen er im Laufe der Jahre verschwand, was ihn nicht erfreute. Muss man von vielleicht Götterdämmerung reden?
Wohlfahrt bleibt!
Die Diversifizierung der Kochstile und das Aufkommen unterschiedlicher kulinarischer Schwerpunkte (wie etwa in der Nova-Regio-Küche) bedeuten nicht, dass Altes durch Neues abgelöst wird. Denken wir an die Musik. Die Szene rund um die klassische Musik ist weder unmodern, noch hat sie an Qualität eingebüßt. Sie überzeugt mit grandiosen Spitzenleistungen und erlebt nach wie vor eine beträchtliche Globalisierung. Wohlfahrt ist erst einmal ein professionelles Vorbild, das mit seinem Engagement und der Konsequenz nach wie vor in der allerersten Reihe steht. Seine Wirkung lässt sich bei seinen überaus vielen, teilweise ebenfalls mit drei Sternen ausgezeichneten Schülern ablesen, und sie wird sich über deren Schüler weiter fortsetzen. Und dann kommt das, was in den leider oft eher oberflächlichen Betrachtungen seiner Arbeit gerne übersehen wird. Wohlfahrt hat Struktur in die Küche gebracht. Er ist – auch international – einer der ersten Köche, die in einem Gericht nicht nur eine Vielzahl von Aromen präsentiert haben, sondern auch eine Vielzahl von Texturen und Temperaturen, von wohlausgewogenen Kontrasten und einer geschmacklichen Räumlichkeit von exzellenter, faszinierender Qualität. Und – er hat dies weit vor dem Innovationsschub zu Beginn der 2000er Jahre realisiert. Für mich persönlich war die Auseinandersetzung mit seiner Arbeit der auslösende Faktor für meine sensorischen Überlegungen und mein Buch „Geschmacksschule“ (Tre Torri Verlag, 2005, neu 2017). Gerade die junge Küche mit ihren andersartigen Ansätzen und ihrer oft auch andersartigen Kochtechnik könnte enorm davon profitieren, eine Finesse zu entwickeln, die im Prinzip die Finesse vieler Wohlfahrt-Kompositionen zum Vorbild hat. Die besten Nova-Regio- Köche haben diesen Weg bereits eingeschlagen, weil sie erkannt haben, dass Finesse in der Kochkunst einer der universellen Werte ist, die immer ihre Bedeutung haben werden. Wohlfahrt bleibt! Wir wünschen einen entspannten Unruhestand.