Prolog: Na, endlich Wein!
Port Culinaire hat einen eigenen Wein, einen Pinot Blanc. Nichts Fettes, nichts Schweres, nichts was man erläutern muss. Nein, einen leichten Allrounder mit moderatem Alkohol, gut integrierter Säure und ein klein wenig Restsüße. Ein Wein für sommerliches Wetter auf der Terrasse. Aber er hält, wie jüngst auf einer Gala, gut zu einem üppigen Gang mit schwarzen Trüffeln mit oder zu Fisch oder Salaten. Ein guter Begleiter mit einem Bukett von fruchtigen exotischen Aromen. Aber Vorsicht: Seine sanfte Saftigkeit verführt zu schnellem Trinkfluss.
Von der Nahe in die Ferne
Gemacht hat ihn Dr. Martin Tesch vom gleichnamigen Weingut in Langenlonsheim an der Nahe. Klar, ich kenne viele gute Winzer. Ich habe mich für Tesch entschieden, weil ich persönlich eine gewisse Verwandtschaft unserer revolutionären Seelen spüre. Mir gefällt die radikale Philosophie des Weinguts, selbstverständlich die Weine, und nicht zuletzt – als gelernter Grafikdesigner – die Produktausstattung. Mit lauten Farben und originellen illustrativen Elementen, in sich harmonisch. So sind Teschs Weine – so ist er selbst. Für das Produktdesign, entwickelt mit dem Designteam Fuenfwerken aus Wiesbaden, erhielt er den begehrten internationalen Designpreis “Red Dot“.
Martin Tesch stammt aus einer 300 Jahre alten Weinbaudynastie. Mit großen Winemaker Namen im Stammbaum. Martin war so was wie der Bad Boy – und dieses Image hatte er auch später lange in der Branche. Mit 15 verließ Martin das Elternhaus und ging nach Bonn aufs Internat. “Weil ich es zu Hause echt vergeigt hatte“ – lacht er heraus. Bis dahin hatte er im elterlichen Betrieb Kellerarbeit gelernt. Das half ihm später, zur Finanzierung des Studiums Jobs in Brauerein und Sektkellereien zu finden. Tesch studierte Biologie. Dissertierte zum Doktor in dieser Disziplin. Sein Forschungsgebiet: Fermentation. Wie auch anders.
Talking about Revolution
1997 ereilte ihn der Ruf seines Vaters, der sich zur Ruhe setzen wollte. Dem folgte er mit seiner Frau, ohne zu ahnen, welche Bürde er mit der Übernahme des Weinguts auf sich nehmen würde. Martins Vater arbeitete wie all die anderen Winzer in dieser Zeit. Mit einer großen Palette an Rebsorten versuchte man, jedem gerecht zu werden. Was zu Profillosigkeit führt. Hinzu kam, dass die Zeit für Scheurebe, Müller Thurgau, Kerner & Co. abgelaufen war und viele der Weinberge unwirtschaftlich wurden. Tesch entschied sich zu einem radikalen Schritt. Er reduzierte die Anbaufläche von 30 auf 16 Hektar. Rodete die unwirtschaftlichen Anlagen und konzentrierte sich fortan auf Rieslinge, die er auf seinen Premiumanlagen Löhrer Berg, Königsschild, Krone, St. Remigiusberg und Karthäuser anbaut. Lediglich ein paar Weißburgunder und Spätburgunder Gärten hat er neben Rieslingen belassen. Und Tesch baute seine Rieslinge radikal trocken aus. Trocken wie die niederschlagsarmen sanften Hügel der Nahe zwischen Hunsrück, Taunus und Pfälzer Bergland. Die Weine be- kamen einen ganz eigenen unverwechselbaren Stil – aber eben anders als man es bis jetzt von Tesch Weinen gewohnt war. Viele der alten Kunden sprangen ab. Viel Kritik kam auch von der konventionellen Presse. Zu radikal war der Tesch. Und dann auch noch Schraubverschluss, keine Korken mehr. Na sowas. Der machte ja alles anders als andere. Für den Winzer begann eine finanziell brenzlige Zeit. Doch Tesch zeigte unternehmerischen Mut, hielt an seinem Konzept fest.
Rock and Roll
Der Durchbruch kam mit dem Riesling Unplugged. Ein toller Wein aus 30 Jahre alten Reben mit schönen Pfirsich- und Apfelnoten, mit originellem Etikett und ungewöhnlichem Namen entlehnt aus der Musikszene. “Unplugged“ bedeutet, ein Musikstück mit puren Instrumenten ohne technische Unterstützung zu spielen. Und so wird dieser Wein auch gemacht. Im Prinzip eine alte Naturwein-Philosophie. Maximales Terroir, keine Beeinflussung im Keller. Alle Tesch-Rieslinge entstehen so. Erzielt wird das, indem Tesch bewusst die Reben ein wenig unter Stress setzt, bedeutet auf Mineraldünger verzichtet. Das führt dazu, dass die gesamte Nahrungsversorgung über den Boden und nicht über den Dünger erfolgt. Stress ist gut, der Kampf ums Überleben stärkt die Pflanze, stärkt ihren Charakter. Zu arg umsorgte Pflänzchen beweisen im Leben oft Schwächen, werden unselbstständig und sind weniger gehaltvoll. Eben wie bei uns Menschen auch.
Zudem wird höchsten Wert auf einen natürlichen Bestand und Peripherie-Pflanzen gelegt, um die Böden lebendig zu halten. Das Terroir ist das größte Geschenk der Natur an die Nahe Winzer. In keinem anderen deutschen Weinbaugebiet ist die Bodendiversität so vielfältig. Gut 180 Bodenvarianten werden hier vermutet. Diese Vielfalt prägt auch die unterschiedlichen Charaktere der Tesch Rieslinge. Während der “Löhrer Berg“, seit 1688 eine Rieslinglage mit Wasserquellen durchsetzt, einen fruchtbaren Lehm-Kiesboden aufweist, so produziert der “Königsschild“ wunderbar florale und duftende Weine, geprägt von Lößlehm und Muschelkalk, in denen die Reben tief wurzeln. Uralte Muscheln aus dem Urmeer sind hier zu finden. Um nur zwei Beispiele zu nennen.
Im überraschend großen Keller, den man hinter dem kleinen Weingut in der Ortsmitte nicht vermutet, geht der Weinmacher archaisch zu Werke. Kein Hightech – nein vieles ist Eigenbau, was dazu zwingt, sich intensiv um jeden einzelnen Tank zu kümmern. Neben ein paar Edelstahltanks, wie man sie heute überall findet, ist ein jahrhundertealtes Gewölbe mit wundervoll nostalgischen Tanks befüllt. Die funktionieren noch einwandfrei. Auf Ausbau in Holz verzichtet Tesch generell. Dem Wein sollen keine Fremdaromen zugefügt werden. Der Keller, eigentlich “besucherfreie Zone“, dient derweil angesehenen Sommeliers als Wallfahrtsort, um sich anzusehen mit wie wenig technischen Mitteln man sehr guten Wein machen kann.
Zurück zum “Unplugged“. Der Verlust des alten Klientels setzte Martin Tesch in Trab. Klar, dass er Kunden suchen musste, die auf seiner Wellenlänge lagen. Die fand er unter jungen modernen Köchen, die mit neuartigen Restaurantkonzepten spielten wie Tim Mälzer oder Tim Raue in Deutschland. Und die Billigfluglinien eröffneten ihm die Möglichkeit, mit seinem damals bescheidenen Budget seine Weine auch international zu präsentieren. London ist heute ein großer Markt für Tesch-Weine. Die legendäre Sommeliere, besser Wine List Createurin, Christine Parkinson vom Restaurant Hakkasan wurde eine Mentorin. Ja, und magisch angezogen vom Label “Unplugged“ kamen die Musiker. Heute macht er Weine für “Die Toten Hosen“, für das Wacken-Festival oder liefert Weine für das Hard Rock Cafe. Im Inneren seines Weinguts, natürlich keine Folklorescheune, sondern stylisch modern, zeugen zahlreiche Artefakte von den freundschaftlichen Beziehungen, die er heute zu den Musikern pflegt. Darunter eine amtliche Gibson mit Autogrammen vieler Rockstars und ein Foto auf dem KISS mit Martin Tesch posieren. Auch wenn ihm heute der Erfolg beschert ist, so ist doch ein bisschen “Bad Boy“ in ihm verblieben. Im letzten Jahr kündigte er seine Mitgliedschaft im VDP, da er mit der pyramidenartigen Klassifikation des Winzerverbandes nicht klar kam. Seine Weine sollen qualitativ horizontal gleichberechtigt nebeneinander stehen. Aber aus einem so ehrenwerten Verein freiwillig austreten? Das macht doch kein braver Junge, Herr Tesch!
The Matter of Taste – die Wine List Createurin Christine Parkinson im Hakkasan London
Martin Tesch erzählte uns von der unvergleichlichen Präzision, mit der Christine Parkinson die Weine für die Hakkasan Restaurants auswählt. Wir beschließen hinzufahren, um an einem Tasting teilzunehmen. Das Zeitfenster Ende Februar bietet sich an, da der Weinmacher dann ohnehin in London präsent sein muss.
Er wurde gebeten, seine Rieslingweine auf der Veranstaltung “The Matter of Taste“ des Newsletters “The Wine Advocate” vorzustellen. Bekanntermaßen eine Publikation des US-amerikanischen Weinkritikers Robert M. Parker. Längst legendär, längst eine Ikone und längst nicht mehr nur eine Person, sondern eine Marke. Sein Punkte-Bewertungs-System für Wein ist unbestritten das Einflussreichste weltweit.
Am Tag vor der Veranstaltung in der stylischen Saatchi Gallery empfängt uns Christine Parkinson im Hakkasan Mayfair an der Burton Street. Ein Jahr nach der Eröffnung im Jahr 2011 erhielt das Restaurant für seine exzellente kantonesische Küche einen Michelinstern. Hakkasan Restaurants findet man heute rund um den Globus. New York, Dubai, Miami, Shanghai oder Mumbai. Für den internationalen Roll-Out ist Chef Ho Chee Boon verantwortlich. Ein Mann mit 24-jähriger Erfahrung im Umgang mit traditionellen chinesischen Kochtechniken. Das erste Hakkasan Res-taurant in London aber hat Executive Chef Tong Chee Hwee eröffnet. Und zwar 2001 am Hanway Place. Seitdem hagelte es Awards, No. 19 unter den 50 Best of the World in 2007 oder Oriental Restaurant of the Year. Auch die Wine List von Christine erhielt etliche Auszeichnungen, und Weinguru Jancis Robinson hält die Dame für “eine der kreativsten Weineinkäuferinnen“. Ja, Christine Parkinson ist keine Sommeliere, sie ist Group Wine Buyer. Die Weinberatung am Tisch obliegt den eigentlichen Sommeliers der jeweiligen Restaurants. Denen steht hier in Mayfair in schummriger, orientalischer Atmosphäre eine riesige Batterie an Weinklimaschränken vor einer imposanten Bar zur Verfügung. Neben Weinen findet man darin erlesene Sake; ein wichtiges Produkt für diese Restaurants.
Christine startete ihre Karriere als Köchin. Nach drei Jahren wechselte sie ins Management und war als Head Chef für 39 Restaurants verantwortlich. Bereits seit 2001 gestaltet sie nun die Weinliste für die Hakkasan Gruppe.
Wir nehmen im Untergeschoss des Restaurants, das sich über zwei Ebenen erstreckt, Platz. Schnell wird deutlich, welchen Stellenwert die Grande Dame der Weine hier genießt. Jeder begegnet ihr mit größtem Respekt. Regelmäßig veranstaltet Christine ein sogenanntes Tuesday Tasting. Und das nicht nur hier in London, sie bereist die Restaurants der Gruppe weltweit, um sicherzugehen, dass ihre Weine zu den unterschiedlichen Nuancen, produkt- und terroirbedingt, der Restaurants passen. Gemüse oder Fleisch schmecken in Amerika, Europa oder Asien schließlich ganz unterschiedlich, auch wenn sie identisch zubereitet werden. Teilnehmer dieser Tastings sind die Weinberater der jeweiligen Location. Nicht die Chefs. Als chinesische Köche hätten sie keinerlei Weinerfahrung und viele von ihnen wären zudem der englischen Sprache nicht mächtig, erklärt Christine.
Ziel der Tastings ist es, Weine zu finden, die zu den unterschiedlichsten Gerichten der kantonesischen Küche passen. Idealerweise zu allen. Tausendsassas sind gefragt. Oft hat der Gast Süßes, Saures, Mildes, Herzhaftes, und das auch noch zeitgleich, vor sich stehen. Alles das muss der Wein begleiten. Daher geht Christine zunächst vor wie jeder Sommelier. Die ausgewählten Weine werden in kleinen Flights analysiert und beschrieben. Die Bewertungscharts sind minutiös vorbereitet. Dann folgt die zweite Runde. Essen wird bestellt, quer durch die Speisenkarte. Wichtig dabei ist, dass jede Geschmacks- und Gewürzausprägung vertreten ist. Dann folgt mit den gleichen Weinen der Geschmackstest zu jedem einzelnen Gericht. Solitär getrunken mag ein Wein begeistern. Vielleicht passt er auch noch zu milden Gerichten oder zu Herzhaftem? Aber zu Schärfe, Süße und Säure? Nein? Dann ist er raus. Keine leichte Aufgabe für die guten Tropfen. Immer wieder verblüffend, wie anders sich Weinaromen gepaart mit unterschiedlichen Gerichten entfalten. Gnadenlos ordnet sich das Team um Christine den Gerichten aus der Küche unter. Persönliche Vorlieben werden komplett ausgeschaltet. Im Hakkasan gibt es keinen Raum für Sommeliers mit Sendungsbewusstsein. Kein Traktat mit alten süßen Rieslingen oder pelzigem ungefiltertem Stoff, da der gerade en vogue ist. Die Weine sollen das Essen unterstützen, nicht dagegenhalten. Hat ein Gast etwas Scharfes bestellt, dann wollte er das so. Macht es sich der Sommelier zur Aufgabe, mit Restsüße dagegenzuhalten, ist das fehl am Platz und kontraproduktiv zum Rezept.
Hier im Hakkasan kann jeder auch ohne Weinerfahrung eine Flasche bestellen und sicher sein, dass sie passt. Egal was er bestellt. Ist der Gast unsicher, berät der Sommelier natürlich kompetent. Immerhin finden sich 400 Positionen auf der Weinkarte. Die Gerichte im Hakkasan zeigen die typischen Prägungen der kantonesischen oder Yue-Küche der chinesischen Provinz Guangdong. Wichtiger Bestandteil sind leichte, milde Saucen; Süßsauer-, Pflaumen-, Hosin- oder Austernsauce. Sojaprodukte, Zucker, Stärke, Reiswein, Essig, Sesam, Chili, Knoblauch, Ingwer und Lauchzwiebeln finden häufig Verwendung. Insgesamt ist diese Küche ausgewogen und reich an Zutaten. Im Hakkasan Mayfair wird sie mit klassischer Basis modernisiert angeboten.
Hab mal ein kleines Potpourri bestellt.