Natürlich poste ich diesen Text heute mit Absicht. Ich freue mich immer sehr auf unsere traditionellen Gerichte zum Weihnachtsfest und trinke begeistert sogar mittags schon einen guten Rotwein zum optimierten Sauerbraten. Was mich immer wieder stört, sind die Süßigkeiten, die natürlich ebenfalls zu dem traditionellen Bild gehören, das wir zu Weihnachten immer wieder erzeugen. Vermutlich sind es diese Süßigkeiten, die dann nach kurzer Zeit den dringenden Wunsch nach einfachem, herzhaftem Essen erzeugen. Das sollte dann allerdings auch wirklich gut sein – und genau das ist sehr schwierig zu finden. Dass unsere Gourmetköche Kunst machen, ist völlig klar und eben meist auch genau das, was man erwartet. Aber wäre das nicht auch „am anderen Ende“ möglich, also bei einer traditionellen Küche, die glasklar und wirklich bis ins Detail ohne jede Abweichung gekocht wird? Und das vielleicht sogar ohne die diversen Convenience-Dinge, die man gerne in Brauhäusern einsetzt?
Um Restaurants zu finden, die in dieser Richtung arbeiten, muss man heutzutage suchen, fast so etwas wie kulinarische Archäologie betreiben. Hier ein Beispiel aus Nordfrankreich, und zwar dem flämischen Teil, der noch enge Verbindungen nach Belgien hat. Dort gibt es noch die „Estaminets“, ein gastronomisches Format, das eine Mischung aus Kneipe und bodenständigem Restaurant ist und da, wo es noch nicht von Touristen entdeckt wurde, immer noch recht authentisch funktioniert. Das Estaminet Saint-Eloi liegt in Bazinghem, im Hinterland zwischen Boulogne und Calais, in einem winzigen Ort auf einer kleinen Anhöhe mit wenigen alten Häusern – darunter einige der großen Bauernhöfe der Gegend. Das Speisenangebot ist bodenständig und sieht auch so aus, wobei man die Anwesenheit von Pommes Frites allerdings nicht dazu nutzen sollte, an deutsche Imbissstuben zu denken. Hier sind wir an der Quelle, und die Pommes sind natürlich von beeindruckender Qualität….
Details:
Tartare de Hareng aux 2 Pommes (8 Euro)
Serviert wird ein Tatar, das in einem Ring angerichtet ist. Die Portion ist eher groß und enthält neben den Heringsstückchen Apfel und Kartoffelstückchen. Es gibt eine Apfelvinaigrette und eine Art Apfelsirup auf Apfelscheiben. Dazu ein sehr schön frischer Salat und etwas Deko. Das Ganze schmeckt vor allem frisch und erstaunlich leicht, was vor allem erst einmal auf die Heringsstückchen zurückzuführen ist, die gegenüber handelsüblichen Matjes o.ä. eben nicht aggressiv eingelegt sind und wesentlich feiner schmecken. Man erwartet Rustikalität und bekommt eine überraschende Klarheit und gute Struktur, bedingt vor allem durch die guten, präsent schmeckenden Produkte. Diese Feststellung gilt im Prinzip auch für die weiteren Gänge.
Salade St. Eloi – Salade, Jambon cru, Maroilles chaux et glace au maroilles (12 Euro)
Vom Titel her wirkt dieses Gericht wie eine unvereinbare Mischung aus bodenständigen, kräftigen Käsearomen und einem modernistischen Einsatz eines Eises von diesem Käse. Dazu ist grundsätzlich anzumerken, dass man den für viele Gaumen berüchtigten Rotschmierkäse Maroilles hier an der Quelle auch in einer eher milden, durchaus nicht dominant würzigen Form findet. Optisch wirkt das Gericht erst einmal klar oder auch gewöhnungsbedürftig simpel. Die überbackenen Käsescheiben sehen karg und nicht gut proportioniert aus. Das Ganze sieht ländlich- einfach aus. Geschmacklich liegt der Schinken zwischen Koch- und rohem Schinken, das Brot ist einfach, der Käse fällt nicht durch Intensität aus, macht aber im Akkord auch wenig Effekt. Das Eis hat eine Textur zwischen Sorbet und Frischkäse und ist vor allem cremig. Der Geschmack overall ist mild. Es gibt – wie beschrieben – keine prominenten Noten von Rotschmierkäse – weder beim warmen Käse noch beim Eis. Insgesamt wünscht man sich alles sogar etwas kräftiger und kann sich vorstellen, dass man das gleiche Prinzip auch wesentlich expressiver realisieren könnte.
Potjesvleesch – le vrai aux 4 viandes (16 Euro)
Das berühmte Potjesvleesch ähnelt sehr stark dem norddeutschen Sauerfleisch. Es wird hier kalt mit Gelee serviert, dazu kommt eine größere Menge Pommes Frites und Salat. Tatsächlich ist das Fleisch (Huhn, Kaninchen, Schwein, Kalb) nicht sauer eingelegt, sondern hat wieder eine eher milde Würze – ist allerdings von der Technik her eher fest, also nicht auf die möglichst niedrigen Garpunkte ausgelegt. Die Begleitung mit den exzellenten Pommes Frites und dem knackig-frischen Salat sollte man keineswegs unterschätzen: hier schmeckt nichts nach Imbißstube. Dafür fehlen jegliche industrielle Aromen und man bekommt den rustikalen Klassiker in einer traditionell-einfachen Form, die als solche sehr gut schmeckt und an Küchen erinnert, die ohne industrielle Saucen, Bindungen oder Vorprodukte ausgekommen sind (also etwa so, wie meine Großmutter in den 50er Jahren noch kochte).
Jarret braisée à la Bière, 650 gr. (17 Euro)
Es gibt ein großes Eisbein und als Begleitung – wie bei dem Potjesvleesch weiter unten – Pomes Frites und Salat (siehe unten). Der Eindruck ist vor allem der einer großen Klarheit beim Produkt, der Würze und der Begleitung. Bei der Würze muss man etwas weiter denken: dadurch, dass die Würze bei dieser Küche allgemein sehr zurückgenommen ist, bekommen die eigentlichen Produkte mehr Spielraum und schmecken auffallend klar. Dabei entsteht kaum jemals der Eindruck, dass hier etwas fehlt. Die Würze vom Bier ist nicht dicklich, und wenn überhaupt würde man sich vielleicht die ein oder andere kräftigere Röstnote wünschen.
Crème brûlée à la Chicorée Lutun (8 Euro)
Natürlich habe ich dieses Dessert wegen dem Chicorée bestellt, von dem man sich spontan kaum vorstellen kann, wie Chicorée im Dessert Verwendung finden kann (außer etwa mit Orangenreduktion karamellisiert, wie ich das vor Jahren einmal bei Thieltges bekommen habe). Das „Geheimnis“ ist ein Fertigprodukt namens „Chicorée Lutun“, ein Chicoree-Pulver, das man als Kaffeeersatz einsetzen kann. Weiß man das, hat man auch schnell das Aroma von Zichorienkaffee identifiziert und eine entsprechend schmeckende, fast modern und wieder erstaunlich fein wirkende Crème brûlée.
Die Bierbegleitung: eine große Überraschung
Im Gastraum gab es auch eine schwarze Tafel mit dem Weinangebot. Ich fragte trotzdem danach, was man denn am besten zu diesem Essen trinkt. „Bier“, kam ganz klar die Antwort. Welche zwei Biere er denn zu unserem Essen empfehlen könne, fragte ich zurück. „Das „Triple d’Anvers“ und das „Ch’ti“ sagte er. So weit, so gut. Während ich eigentlich nur die Bodenständigkeit weiter verfolgen wollte, ahnte ich nicht, dass es eine ganz besondere Erfahrung geben würde. Man kann es kurz zusammenfassen: die beiden Bier mit ihrer klar flämisch-würzig-dezent süßlichen Note, die sie deutlich anders als übliche deutsche Biere schmecken lässt, waren so gut zum Essen wie ein ganz überraschend guter Wein. Damit hatte ich nicht wirklich gerechnet. Wenn es wirklich objektiv und ohne jedes Vorurteil sieht, bringt das Bier zu diesem Essen eine echte weitere Dimension. So etwas müßte gegebenenfalls ein Wein erst einmal schaffen. Die schlanke, klare Struktur dieses Essens, das zwar rustikal, aber nie grob ist, lässt genau diejenigen Freiräume und ermöglicht genau das Zusammenspielt, das im Endergebnis kulinarisch wirklich überrascht. Und – das meine ich nicht relativ, sondern ganz einfach von der Qualität der kulinarischen Palette her. Ich habe schon viele Craft-Biere mit passendem Essen getrunken. Aber der Akkord hier war sensationell.
Lieber Herr Dollase,
ein gutes neues Jahr !
Danke für Ihr Engagement für gutes Essen.
Meine Großmutter benutzte allerdings Stärkepulver zum Binden ihrer guten Saucen, tat denen eigentlich keinen Abbruch…..
Ihre nicht ?
Viele Grüße,
HS
Und noch schlimmer in Deutschland. Wenn man in Deutschland sowas anbieten würde, käme wieder keiner weil es die Leute überfordert, die nur noch Tütenfraß kennen.
das ist eben das, was ich in Deutschland vermisse. Bis in die kleinste Dorfkneipe wird hier der Covenience-Kram verbastelt und in der Fritteuse oder dem Convectomat in wenigen Minuten aufgetischt.