Ein großes Menü im “Nagaya“ in Düsseldorf gehört zu den interessantesten kulinarischen Ereignissen, die man in Deutschland erleben kann. Dass der Guide Michelin dafür lediglich einen Stern vergibt, ist ein Unding. Die Gerichte von Yoshizumi Nagaya schmecken sehr individuell, nicht französisch, nicht italienisch und schon gar nicht so, wie sich viele Mitteleuropäer die asiatische Küche vorstellen. Es ist eine Küche für den kulinarischen Weltbürger, der die Finesse in ganz unterschiedlichen Formen lieben und genießen kann, der Finesse entdeckt, auch wenn er auf keine direkten Vergleiche in seinem kulinarischen Gedächtnis zurückgreifen kann.
Die Grundlage dieser Küche liegt eindeutig in der japanischen Kochkunst. Auch geschmacklich ist Nagaya eher von seiner Heimat geprägt. Dennoch versucht er, sich in seine europäischen Gäste hineinzuversetzen, zu verstehen wie sie seine Arbeit empfinden und interpretieren. Dabei lässt er sich von Produkten aus aller Welt inspirieren. Als Produkt hat es ihm besonders der Wolfsbarsch aus der Bretagne angetan, aber auch traditionelle europäische Gerichte bieten ihm erstaunliche Anregungen für neue Gerichte (z.B. bei seiner Variante mit Foie gras). So facettenreich seine Präsentationen auch sein mögen, sie alle bieten Überraschungen und Feinheiten, handwerkliche Genauigkeit und vor allem ein Produktverständnis, das uns die Dinge auch einmal ganz anders sehen lässt.
Yoshizumi Nagaya wurde 1971 in Gifu geboren, einer Stadt von heute etwa 400.000 Einwohnern in der Nähe von Nagoya. Nach der High School absolvierte er eine Kochausbildung bei zwei Köchen, die für unterschiedliche Aspekte der japanischen Küche stehen. Der erste war Toshiro Kandagawa in Osaka, ein 1939 geborener Koch, der für die strikte Einhaltung aller Werte der traditionellen japanischen Küche eintritt und 1965 sein “Kandagawa“ genanntes Restaurant in Osaka eröffnet hatte. Der zweite war Takada Hasho in Gifu, der einem deutlich innovativeren Lager mit Einflüssen anderer Küchen zuzurechnen ist. Beide Lehrer haben Spuren in der Küche Nagayas hinterlassen, der auch für sein klassischer orientiertes Zweitrestaurant (“Yoshi by Nagaya“) einen Stern erhielt.
Der Grund für die Übersiedlung nach Europa war seine Frau Jun, die im Restaurant die Gäste nach wie vor in traditioneller japanischer Kleidung begrüßt. Sie wollte nach Europa, und so zog die Familie mit Tochter Rina (heute ebenfalls im Service des “Nagaya“) im Jahr 2000 nach Düsseldorf. Die erste Arbeitsstelle war das damals sehr bekannte, im klassischen Stil erbaute “Edo“ auf der linken Rheinseite, das für die japanische Kolonie und die interessierten Europäer eine prominente kulinarische Anlaufstelle war. Es folgte eine Zeit in der Mailänder Filiale von “Nobu“, wo schon weit vor der südamerikanisch-japanischen Modewelle einen Mix aus beiden Küchen angeboten wurde. Nach einer kurzen Zeit im “Kyoto“ in Dortmund wurde dann im Jahr 2003 das erste “Nagaya“ in der Bilker Straße in Düsseldorf eröffnet. Mit dem Umzug in die Klosterstraße (also ins Zentrum des japanischen Viertels von Düsseldorf) begann dann eine neue Phase der konsequenten Entwicklung eines japanisch-europäischen Stils. Schon ein Jahr später wurde diese Arbeit mit einem Michelinstern ausgezeichnet.
Filet vom Original Wagyu-Rind A5 aus Japan
Nach Proben von unterschiedlich fetten Thunfisch-Stücken und einer Matsutake-Suppe ist das Filet vom japanischen Wagyu in der höchsten Fettklasse A5 ein logischer Höhepunkt des Menüs. Das Gericht spielt allerdings nicht die gleiche Rolle wie die üblichen Hauptgerichte in der europäischen Küche, die meist nicht nur als größere Portion und/oder mit einer vielfältigeren Begleitung serviert werden, sondern häufig auch das aromatisch kräftigste Element eines Menüs sind. Die Intensität spielt in diesem Fall aber kaum eine Rolle, auch wenn das Fleisch neben der exzellent luxuriös-zarten Textur auch noch eine bestechend gute Würze hat. Es ist dabei vergleichsweise unerheblich zu wissen, wie diese Würze entsteht. Viel wichtiger ist es, den exakten Aufbau der Würze zu begreifen. In der europäischen Version von “guter Würze“ ist oft die Würze gut, aber das Fleisch spielt eigentlich keine Rolle mehr, weil sie fast immer das Aroma des Fleisches überlagert. In einem Verständnis, wie es Yoshizumi Nagaya hier (wie auch beim Fisch) praktiziert, wirkt es dagegen eher so, als ob die Würze beim Eigengeschmack des Fleisches andockt, also einem Fleisch, in dem ein Teil des Fettes geschmolzen ist und dabei die “klassischen“ Fleischpartien aromatisiert hat, und bei dem eine leichte Röstnote von außen sowohl auf die Fleisch- wie auf die Fettpartien wirkt. Und da hier zwar mit diversen Aromen, aber nicht mit wirklich intensiven Aromatisierungen gearbeitet wird, liegt das Hauptaugenmerk auf der Hitzeführung des Stückes und einer abrundenden Beigabe von Salz. Der Geschmack ist im “Nagaya“ sensationell und führt in Bereiche des Fleischgeschmackes, der sich von europäischen Filetstücken sowohl in der Textur wie im Aroma stark unterscheidet. Begleitet wird das japanische A5-Wagyu-Filet u.a. von gelblichen Scheiben von der japanischen Marone, Stückchen von “normaler“ Marone, von einem Lotuswurzelchip, von einer Rolle mit Sous-vide gegarten Wagyu-Bäckchen in einem dezenten Petersilienmantel und von einem europäisch-klassischen, fast herben Rinderjus. Wieder ist der Geschmack sehr harmonisch und unheimlich fein abgestimmt, wobei man aber dazu neigt, Fleisch und Beilagen eher abwechselnd zu essen, weil das Fleisch einfach pur so überragend schmeckt.
Wagyu – Original Kobe Sauté
1 Stück Lotuswurzel • Zitrone • 300 g Wagyu-Bäckchen • 400 g Filet vom Kobe-Rind • 1 Zwiebel • 1 Möhre • Dashi • 1/4 Bund Petersilie • 100 g Pankomehl • Außerdem: 100 g Shimeji-Pilze • 4 japanische Maronen • 8 französische Maronen • Atsina Kresse • 80 g Kastanienpüree • Fleischsaft
Die Lotuswurzel schälen und halbieren. In einem Topf mit einem Spritzer Zitrone kurz aufkochen, dann abkühlen lassen und abtupfen. In dünne Scheiben schneiden und frittieren. Die Wagyu-Bäckchen putzen und in einer Pfanne anbraten. Danach mit Gewürzen vakuumieren und zwei Tage bei 65° C Sous-vide garen.
Das Kobe-Filet mit geschnittener Zwiebel und Möhre in etwas Dashi kurz garen. Die Brühe aufbewahren. Das Fleisch einmal einfrieren. Petersilie klein schneiden und mit Pankomehl mischen. Das gefrorene Fleisch in Scheiben schneiden, mit Petersilien-Panko bestreuen und in einer Pfanne anbraten.
Anrichten: Kastanienpüree mit Wagyu-Bäckchen, Lotuswurzel-Chips, Shimeji-Pilzen und Maronen auf einem Teller anrichten und das gebratene Kobe-Filet dazu legen.
Alle Gerichte von Yoshizumi Nagaya zeihnen sich durch eine erstaunlich kreative Leistung aus. Die individuelle Sicht auf sowohl die japanische wie die europäische Küche, die er beide in ihren Stärken bestehen lässt, ist die Verbindung aus dem Besten dieser beiden kulinarischen Welten. Die Lehre daraus für Betrachtungen zur Kreativität ist ganz klar. Jeder Koch hat eine eigene Biographie, jeder Koch hat unterschiedliche Erfahrungen – wenn sie auch üblicherweise nicht aus einer anderen kulinarischen Welt stammen.
Am besten bewerben sich die Herren hier mal beim Guide Michelin.
Herr Dollase könnte dem Führer doch mal die kulinarische Welt erklären.
Da war Herr Nagaya, ein sehr gutes Restaurant, same same but different das Yoshi, aber ganz schön gefeatured.
Da kommt mir doch gleich das in den Sinn: https://www.eat-drink-think.de/wp-content/uploads/2017/05/eat-drink-think_Mediadaten.pdf
Vielleicht sollten Einladungen grds. mal gekennzeichnet werden, ebenso wie kostenlos zur Verfügung gestellte Kochbücher etc.
Lieber Herr Dollase, besten Dank für die prompte Antwort und den Hinweis auf den gesamten Artikel.
Ich kann nicht einschätzen, ob vielleicht auch dieses Konzept eines auf die „Mitte“ fokussierten Geschmacksbildes die Michelin-Tester dazu bewogen hat, sich mit der Vergabe eines weiteren Sterns zurückhaltend zu zeigen. Ganz persönlich aber kann ich aber sagen, dass die Beurteilung einer solchen Art der Küche vom Esser viel mehr sensorische Empfindsamkeit erfordert, als dies bei eher auf stärkere Effekte zielenden Küchen notwendig ist.
Lieber Herr Dragon,
der hier abgedruckte Text ist ein gekürzter Auszug aus dem Text über Yoshizumi Nagaya, den ich in der aktuellen Ausgabe von „Port Culinaire“ geschrieben habe. Dort ist der Bericht über Nagaya Teil meiner „Avantgarde“ – Serie und etwa 20 Seiten lang. Ich glaube, daß ich alle von Ihnen genannten Aspekte dort gewürdigt habe.
Hallo Herr Dollase,
danke für die differenzierte Analyse des Gerichtes.
Meine Freundin und ich waren vor ca. 2 Jahren im Nagaya und haben Menü dort gegessen. Mir ist ein Aspekt aufgefallen, den ich in Ihrer Beschreibung der Küche von Nagaya nicht finde: Unser beider Eindruck war, dass das Bestreben des Koches war, über das gesamte Menü hinweg, ein sehr „rundes“ oder „harmonisches“ Geschmacksbild zu erzeugen, statt Kontraste zu erzeugen. Viele Elemente auf dem Teller waren sehr ausgewogen gewürzt, das Spiel zwischen Säure, Süße und Salz war immer perfekt ausbalanciert. Man hatte das Gefühl, dass dieser Wunsch nach Zurückhaltung und Harmonie sich auch im Konzept der Texturen zeigte, das weniger auf extreme Gegensätze oder Kontraste aufgebaut war, sondern eher gleichartige Texturen suchte.
Wir waren mehrfach im NAGAYA und 1x im YOSHI. Beide Restaurants sind eine Sensation. Wir teilen Ihre Meinung, daß 2×1 Michelin-Stern ein Witz sind, für diese Qualität an KochKUNST und Geschacksbomben.
Auch der Restaurant-Rahmen, in denen die Speisen zubereitet und präsentiert werden, sind äußerst ungewöhnlich. Das Personal ist unglaublich unaufdringlich und immer parat, wenn es eine Frage oder Hilfestellung benötigt.
Dafür kann ich mich nur in Demut bedanken.
M.f.G. Harry Hoppe