Willem Hiele: Seafire. Uitgerverij Kannibal, Lichtervelde 2019. 240 S., geb. Ganzleinen, ca. 49.10 Euro (Zweisprachig: englisch, flämisch)
Manchmal dauert es etwas, bis man in einem Land wie Deutschland, in denen so gut wie keine Buchhandlung internationale Kochbücher anbietet, auf bestimmte Bücher trifft. Aber – dieses Vor-Corona-Buch ist einfach so interessant, dass ich es auch mit etwas Verspätung besprechen möchte. Der Grund ist klar: Willem Hiele ist einer der konsequentesten Nova Regio – Köche, der aber eben nicht aus Skandinavien oder sonstwie besonders privilegierten Gegenden kommt, sondern seine Küche in Belgien und dort eben mit den auf den ersten Blick nicht besonders üppigen Ressourcen realisiert. Er gehört ein wenig oder auch etwas stärker in die Abteilung Kobe Desramaults (ehemals „In de Wulf“) oder auch Florent Ladeyn („Auberge du Vert Mont“), knapp jenseits der französischen Grenze und damit nicht weit von Willem Hieles ehemaligem Restaurant in Koksijde nahe der belgischen Küste entfernt. Dieses ehemalige Fischerhaus der Familie Hiele hat er ende des Jahres 2021 geschlossen und arbeitet im Moment unter Hochdruck an der Eröffnung eines neuen Hauses in Oudenburg, ein wenig landeinwärts von Oostende. Dort wird er in einem sehr viel künstlerischeren Szenario arbeiten. Man darf gespannt sein.
Das Buch
Es fällt sofort auf, dass man mit diesem Koch und dieser Küche in einer ästhetisch deutlich anderen Welt landet. Bei Willem Hiele kommt dann auch noch – ganz im Gegensatz etwa zum sehr sensiblen, zurückhaltenden Kobe Desramaults – dazu, dass er auch als Person stark in den Vordergrund tritt. Da gibt es einen gewissen Gegensatz – oder auch eine gewisse Schizophrenie: was er sagt, hat alles Hand und Fuß und ist eher „down to earth“. Die Bilder, die man bekommt, zeigen eher eine wilde Gestalt, von der man annimmt, dass er vielleicht im Wald wohnt, die Hasen mit der Hand fängt, an Ort und Stelle ausnimmt und roh verzehrt. Es gibt im Buch einige Bilder, die diese Assoziation unterstützen. Auch das ist natürlich geeignet, Willem Hiele zu einem der nächsten großen Kult-Köche zu machen – je nachdem, was er in Oudenburg machen wird und je nachdem, ob er seine bisherige Küche vielleicht noch einen Tick „schärfer stellen“ kann.
„In diesem Buch“, schreibt Hiele, „mache ich mich auf die Suche nach den intensiven Aromen und Erfahrungen die mich als Kind und Sohn eines Fischers gefangen genommen haben.“ „Feuer und Wasser“ ist das Motto, und es entspannt sich ein abwechslungsreiches Buch, in dem – auf rauem Papier und mit viel dunklen Farben – eine kulinarische Welt weit von den Eindrücken der ja fast komplett mit Touristenunterkünften bebauten belgischen Küste entsteht. Wer sich in der Gegend etwas auskennt wird wissen, dass sich im Hinterland der Küste oft karge, fast einsame Szenarien finden, an denen die vielen Besucher grundsätzlich vorbeifahren. Das Buch ist nicht konventionell aufgebaut und zeigt den Duktus vieler Nova Regio-Kochbücher, in denen es viel um Reflektionen der eigenen Herkunft, Umgebung und Arbeit geht. Rund um das Gericht mit rohen Crevetten auf einigen lokalen Blättern serviert, gibt es gleich eine ganze Reihe atmosphärisch dichter Bilder vom Fang und der Zubereitung, und allgemein auch viele Kommentare und Erläuterungen des Kochs.
Bei den Rezepten, die klar auf Nova Regio – Kurs liegen und so gut wie nie ins konventionellere Fach abweichen, gibt es zum Beispiel „Aschkuchen“ oder „Hering in Rot“, eine gut anzusehende Kombination aus Rote Bete-Rolle mit allerlei Fermentiertem. Es gibt „Salzige Waffeln“, „Makrelen-Ceviche mit Beeren“, Buttermilch mit Rührei, „gefüllte Muscheln mit Ente“, „Kalbstatar mit geräucherter Makrele und altem, regionalen Beauvorde-Brokkelkaas“, ein „Bisquit von wilden Erdbeeren mit einer Rhabarber-Consommé“ oder „Schweinebauch mit Langustine“. Die meisten Gerichte sind minimalistische Kompositionen mit viel Blättern und Spuren von wenig bearbeiteter Natur, und es geht definitiv nicht um Vegetarisches oder Veganes, sondern – wenn man das denn überhaupt so denken sollte – eher um ein Bio-Konzept der neuen Art, ein Leben mit den Produkten, das ja immer wieder von Köchen inszeniert wird, hier aber ausgesprochen glaubhaft wirkt. Dass Willem Hiele auch Jäger ist und es Bilder beim Ausnehmen von Wild gibt, kommt hier sehr logisch und natürlich daher.
Was komplett fehlt, ist die ab und zu in dieser Szene auch einmal anzutreffende Verbindung zu Rock’n’Roll usw. usf. (..Sie wissen, was ich meine..), wobei Hiele aber immer sehr authentisch und mehr nach Rock’n’Roll aussieht, als alle anderen, die mit diesem Begriff und seinen schillernden Assoziationen hausieren gehen…In der Mitte des Buches gibt es dann auch „einen Tag im Leben von Willem Hiele“, down to earth und eben doch sehr in die Arbeit im Restaurant und die täglichen Probleme eingebunden und dann auch nicht mehr so wild, wenn es um die Performance, um die Perfektionierung der täglichen Arbeit geht.
Fazit
Freunde der Nova Regio-Küche werden dieses Buch wie alle anderen Bücher dieser Abteilung begeistert verschlingen und dürfen auf viele Anregungen zählen, die sich speziell dadurch ergeben, dass hier konsequent mit den Produkten aus einem kleinen Radius gearbeitet wird. Und weil dies nicht formalistisch, sondern ganz natürlich so entsteht, ist dieses Buch eben nicht nur ein Kochbuch, sondern immer auch ein Buch über das Leben als Koch in einer neuen Art. Für Leute aus dem eher klassischen Lager wird dies sehr viel anders und oft kulinarisch sehr neuartig sein.
Das Buch bekommt zwei grüne BB
Credits Fotos: Pieter D‘Hoop
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Kenne ich natürlich. Trotzdem vielen Dank. dass Sie die Adresse hier noch einmal durchgegeben haben. Ich vermisse Buch Gourmet, die weltweit die Kochbücher beobachtet und importiert hatten, weil sie genau wussten, dass es immer einen bestimmten Stamm von Kunden gab, der die Bücher von Spitzenköchen grundsätzlich kauft – zum Beispiel mich…