Zur Abwechslung muss es einmal etwas amüsanter werden – wenn auch nicht ganz ohne Hintergedanken. Also: es könnte sein, dass die Gäste nach einer etwaigen Wiedereröffnung der Gourmetrestaurant kurz vor den Herbstferien nicht mehr das antreffen, was sie gewohnt sind. Und – es ist nicht sicher, ob sie sich darüber wirklich ärgern werden. Aber – der Reihe nach. Die Sache hat eine Vorgeschichte, und sie findet sich in einem Buch mit dem Titel „Das erste Mahl“, in dem es unter anderem darum geht, was bekannte Köche ihrer Frau oder Freundin beim ersten Zusammentreffen am heimischen Herd gekocht haben. In dem Band finden sich auch Interviews, und in einem der Interviews sagt eine der Frauen sinngemäß, dass ihr berühmter, ausschließlich in der Spitzenküche geschulter Koch-Gatte überhaupt keine einfachen Sachen kochen konnte, und für die häusliche Köche erst einmal lernen musste, wie das denn so alles geht mit Wiener Schnitzel und Co. Ähnliches ist von einer berühmten TV-Köchin bekannt, die zwar schon sehr früh in der Küche einer der damaligen Drei-Sterne-Legenden komplexe und hochfeine Dinge lernte, aber eben nicht, wie man das kocht, was nach wie vor für viele Leute die Basis der Ernährung ist.
Das Netz ist verräterisch 1: Was kochen die denn da?
Erfreulicherweise halten viele bekannte Köche im Netz nicht mit dem zurück, zu dem sie im Moment gezwungen sind, nämlich sich zu Hause Essen zuzubereiten. Manche müssen nun plötzlich mit den üblichen Produkten aus den Supermärkten oder Geschäften in ihrer Umgebung auskommen und sie in einer ganz normalen Einbauküche ohne Vakuumierung, Wasserbad und Salamander zubereiten. Darüber hinaus müssen sie auf die vielen Zutaten und Zubereitungen verzichten, die sie normalerweise in bester Qualität in der Küche haben. Es gibt keinen schnellen Griff zu Fond hier und Reduktion da, zu Spezialölen und Getrocknetem und was man sonst noch so alles braucht, wenn man „Sterneküche“ zubereitet. Die Gerichte sehen auch deutlich anders aus, irgendwie so, wie man morgens vor dem Spiegel steht, ungekämmt und noch nicht bemalt und mit geglätteten Oberflächen. Kurz: sie sehen aus wie ganz normales Essen und werden vermutlich auch nicht unbedingt grundsätzlich anders schmecken, weil man selbstverständlich auch für eine wirklich hochwertige Privatküche eine eigene Routine braucht, die den Gegebenheiten angepasst ist. Üblicherweise geht es eben um Hauptgerichte in einer entsprechend sättigenden Form – etwas, das es in der Spitzenküche kaum noch gibt.
Aber – die Krise dauert an, und unsere Meister stehen schon etliche Monate am heimischen Herd. Sie werden – auch das kann man im Netz verfolgen – einen Prozess der Assimilation durchmachen, der dazu führt, dass man vor allem Sachen macht, die „schmecken“ (was immer man darunter versteht), die süffig und unproblematisch zu essen sind, bei denen man sich nichts irgendwie zurechtlegen muss, oder die man „falsch“ oder ungünstig essen kann, wenn man nicht genau auf sensorische Zusammenhänge achtet.
Wird das auf die zukünftige Arbeit abfärben? Da bin ich ganz sicher. Wird man konservativer werden? Das ist nicht unbedingt gesagt. Wird man mehr auf den Punkt kommen? Das schon eher. Wird man auf Kreatives verzichten? Nein, aber es wird vielleicht etwas süffiger werden. Wird man auf Deko-Firlefanz verzichten und zu einer klareren sensorischen Struktur kommen? Das ist zu hoffen.
Das Netz ist verräterisch 2: Wenn Gerichte als Abziehbilder missverstanden werden.
Auf der anderen Seite gibt es eine gegenläufige Entwicklung bei professionellen und privaten Köchen, die noch mehr Bilder als früher ins Netz stellen und dabei noch weiter auf die Seite des Optischen, aromatisch für den Normalleser nicht Überprüfbaren, aber gleichzeitig sehr Verräterischen gehen. Es gibt allerlei Seiten, auf denen eine Bilderschlacht tobt, die Einfallsreichtum zeigt, aber gleichzeitig häufig ein massives Missverständnis dessen, was Kochkunst ist. Als Profi komme ich bei vielen Gerichten schnell zu dem Schluss, dass ich sie nicht dringend essen möchte und dass es mir keinen Spaß machen würde, sie zu essen. Erstaunlich viele Gerichte verraten mit Zusammenstellungen, die offensichtlich vor allem Bilder erzeugen sollen, eine aromatische Desorientierung oder weitgehend fehlende Orientierung und scheinen sich darauf zu verlassen, dass man schon alles zusammen irgendwie essen kann. Die Finesse, die im Restaurant oft erst dann wirklich entsteht, wenn man ein Element isst und dann über den Geschmack staunt, muss und kann man in den Bildern natürlich nicht sehen. Ist sie da? Um das genauer zu betrachten, müsste man die Rezepte haben und nicht nur Foodporn. Apropos „Foodporn“. Die meisten der Gerichte werden von den echten Spezialisten (egal ob Köche oder Gourmets) nicht als Foodporn gesehen werden können, weil sie einfach eine zu abgegriffene Form haben, weil sie keine reizvollen Signale setzen, sondern irgendwie – egal ob von Köchen oder von Privatleuten gemacht – immer so wirken, als ob da irgendjemand Spitzenküche spielen will.
Dagegen muss man nicht unbedingt etwas sagen. Zum Problem wird so etwas immer dann, wenn die schiere Zahl der Anhänger solcher Seitenwege sehr groß wird und man auf der anderen Seite kaum noch irgendwo wirklich gute und interessante Dinge findet. Im Netz kann man den Eindruck gewinnen, als ob die Krise nicht unbedingt nützt. Vielleicht fehlt vielen erzwungenen Privatköchen oder solchen, die sich an ihren eigenen Bildern berauschen, dringend der Kontakt zu richtig guter Küche, zu richtig guten Maßstäben, zu Elverfeld, Hartwig, Müller, Bau, Michel und Co. Wird das kommen, wenn es wieder geht? Es ist zu hoffen. Wird die Schwemme von Kopisten, die immer das gleiche machen, nachlassen? Ich fürchte, sie wird erst einmal noch kräftig ansteigen. Werden sich diverse Protagonisten aus dem Bereich rund ums gute Essen noch stärker als kulinarische Dünnbrettbohrer outen, sich also mit Veröffentlichungen im Netz eher schaden als nützen? Da gibt es klare Indizien. Bilder sind verräterisch. Ein richtig guter Koch weiß in wenigen Sekunden, wo die Schwächen von Gerichten liegen.
Sagen wir es so: die Krise bringt uns auch eine beträchtliche Menge von kulinarischen Nebenwirkungen, die man hoffentlich – wenn es denn wieder losgeht – bald wieder vergisst. Im Falle der „Kochen lernenden Köche“ ist vielleicht sogar eine positive Entwicklung möglich.
P.S. Die Abbildungen zeigen etwas, das polarisiert hat. Es sind Bilder, die im Zusammenhang mit dem ersten Lockdown vor einem Jahr entstanden sind. Ich habe damals für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Fertiggerichte gepimpt – natürlich mit einem Augenzwinkern, aber durchaus so, dass sie in der Tat viel besser als das Ausgangsprodukt schmeckten. Das fanden viele Leser sehr lustig, haben es nachgeahmt oder eigene Versionen entwickelt. Es gab aber auch Leute, die sich mächtig darüber aufgeregt haben, dass man sich überhaupt mit Maggi-Ravioli o.ä. befasst. – Ich fand das alles, das Pimpen wie die Reaktionen, einfach nur amüsant. Es handelt sich um gepimpte Maggi-Ravioli aus der Dose und um ein Pizzatörtchen mit einer TK-Pizza als Ausgangsmaterial.