Das „Fischereihafen-Restaurant“ in Hamburg
Es gibt sehr hoch bewertete Restaurants, die man besucht und deren Arbeit man auch angemessen schätzt. Ja, das ist handwerklich alles sehr gut gemacht, der Service läuft wie am Schnürchen und über die Preise kann man sich auch nicht beschweren, weil es ja schließlich zusätzlich fünf Snacks, drei Amuse Bouche, ein Vordessert und eine ganze Palette mit Petits Fours gegeben hat. Aber – man geht hinaus und weiß sofort, dass man hier nicht wieder dringend essen muss, und dass man bald nicht mehr wissen wird, was man hier eigentlich gegessen hat. Es war eben Handwerk ohne Gesicht, und als „professionell“ kann man es eigentlich nur bezeichnen, wenn man es aus einem sehr engen Winkel sieht.
Und dann gibt es Restaurants wie das „Fischereihafen-Restaurant“ in Hamburg, in denen seit Jahrzehnten das Leben tobt, ohne Beispiel in Deutschland, ein Anlaufpunkt für Promis wie ganz normale Touristen, will sagen: der Reeder an einem Tisch, Kiez-Größen an einem anderen, der Tourist aus der Provinz am dritten und der Bischof in Zivil am nächsten. Angela Merkel hatte einmal reserviert und landete trotzdem an der Bar und musste warten, weil ihre Reservierung irgendwie falsch eingetragen war. Sie wartete übrigens ohne Probleme auf den nächsten freien Tisch, obwohl man alles machen wollte, um sie doch noch irgendwie sofort unterzubringen. Man muss das hier eben hanseatisch sehen: offen, immer ein wenig nach dem Motto „Das regeln wir schon irgendwie“, ohne Dünkel und mit einer Sprache, die sich so gut wie gar nicht dazu eignet, verwurschtelte gastronomische Floskeln zu benutzen.
Wer diese Institution nicht kennt, kann irritiert sein, weil das schlichte Backsteingebäude mit dem seitlichen Aufgang und der Wagenmeister, der speziell abends immer eine Menge teurer Autos bewegen muss, so gar nicht zusammenpassen wollen. Dabei ist genau das der Mix, der für viele gut betuchte Zeitgenossen unendlich verführerisch ist. Nein, gerade hier in Hamburg will man zwar standesgemäß ein wenig betüddelt werden, hasst aber nichts so sehr, wie den besonders großen Auftritt besonders neureicher Gestalten, die einfach nicht die Nuancen bedienen können, um die es so oft geht. Trotzdem wirkt der ein oder andere Tourist schon mal etwas verunsichert. Er denkt einfach zuviel und benimmt sich nicht normal genug. Wer sich hier völlig normal und völlig cool benimmt, ist mittendrin. Kein Problem.
Die Freuden einer „offenen“ Gastronomie
Diese – im besten Sinne – „Normalität“ und Bodenständigkeit wird vor allem auch kulinarisch gepflegt. Es gibt im „Fischereihafen-Restaurant“ eine Mittagskarte, die in der preislichen Gestaltung um keinen Millimeter von völlig beliebigen Restaurants abweicht. Die Vorspeisen kosten maximal 9,50 Euro und die Hauptgerichte von 12,50 bis 15,50 Euro. Sie sind sorgfältig gemacht und gehören zum „demokratischen Konzept“ des Hauses, das Heimat für möglichst Viele sein will und trotz der enormen Nachfrage auch darauf besteht. Dass in der freien Marktwirtschaft bei hoher Nachfrage die Preise steigen, ist hier kein Thema. Die entspannte, offene Atmosphäre ist einfach das höhere Gut. Verantwortlich für diese Qualität ist nicht zuletzt der reibungslose Übergang der Führung des Restaurants vom im Februar 2019 verstorbenen Rüdiger Kowalke auf seinen Sohn Dirk und seinen Stiefsohn Benjamin Kast. Sie alle haben das gleiche Fischereihafen-Restaurant-Gen – sozusagen.
Und das gilt dann auch für die Palette der Speisen, die einerseits einen durch und durch maritimen Charakter besitzt und deshalb selbstverständlich auch mit Allem arbeitet, was dort Rang und Namen hat, von den Austern bis zur dicken Steinbuttschnitte und Kaviar und guten Weinen und Champagner dazu. Wer sich hier die ganz große Nummer verpassen will, kann da Einiges anstellen. Dem gegenüber stehen bodenständige Gerichte aus der norddeutschen Tradition, also Aal, Labskaus und Co. und natürlich auch die frühen Fusion-Ideen aus aller Welt mit kleinen internationalen Einflüssen, die es hier in Hamburg schon gab, als sonst noch niemand daran dachte. Diese Küche liefert das ganze Programm, und sie liefert es in einer so hohen Qualität, dass sie sogar in Gourmetführern vorkommt.
Wie gut ist diese Seezunge?
Manchmal habe ich Gründe darüber nachzudenken, welche Bewertung eigentlich bestimmte Gerichte der traditionellen und/oder Regionalküche verdienen. Wenn etwas perfekt ist: muss es nicht Höchstnoten bekommen? Im „Fischereihafen-Restaurant“ kann man zum Beispiel für zwei Personen eine ganze, große Seezunge bestellen. Sie ist à la meunière zubereitet, also mehliert und in viel Butter gebraten, was zu einem typischen Geschmack und einer typischen Textur führt. Die Butter wird bei dieser Garung nicht komplett zu einer Beurre noisette, sondern nur ein wenig. Es gibt Köche, die diesen Vorgang durch Zugabe frischer Butter zum Überglänzen gegen Ende der Garung steuern oder erweitern – je nach Sichtweise. Die Seezunge wird an der Karkasse und ohne Haut gegart. Im „Fischereihafen-Restaurant“ werden die Filets am Tisch ausgelöst und serviert (siehe die Abbildungen). Der Geschmack ist unter klassischen Aspekten schlicht und einfach hervorragend.
Es ist nun allerdings so, dass solche Garungen in der aktuellen Spitzenküche schon seit längerer Zeit nicht mehr genutzt werden bzw. geradezu als „produktfern“ verpönt sind, weil der Geschmack der Kruste das Kernaroma der Seezunge weitgehend zu überlagern scheint. Wer Seezungenfilets übereinander legt und dämpft (wie das so oder ähnlich vor allem in der Gourmetküche gerne gemacht wird), wird tatsächlich ein komplett anderes Ergebnis erzielen. Auch Akkorde wie die klassischen Seezungenfilets mit Vichy-Karotten und Estragon bei Heinz Winkler sind mit einer à la meunière gebratenen Seezunge nicht denkbar. Um die Garung à la meunière für Seezunge einordnen zu können, muss man realisieren, dass sie zwar das Kernaroma teilweise überlagert, aber andererseits nur mit der Seezunge so exzellent schmeckt wie hier. Es ergibt sich ein Mischaroma, das unverwechselbar ist und nach allen Regeln der Kunst exzellent schmeckt. Deshalb ist und bleibt eine solche Qualität auch im Vergleich zu anderen Garverfahren hervorragend. Ganz davon abgesehen liefert sie hier einen Qualitätsmaßstab, der ganz allgemein für diese Garmethode bei Fisch gültig ist und die vielen halbherzigen bis schwachen Ergebnisse an anderer Stelle um Welten distanziert. Diese Seezunge, vor allem in einer eher puristischen Form genossen, ist eine Reise wert.
Ähnliches gilt übrigens auch für den Räucheraal, der hier in einer so ausgereiften und perfekt begleiteten Form präsentiert wird, dass selbst ein solches, einer Assemblage nicht unähnliches Gericht, Gültigkeit und Maßstäblichkeit bekommt (Schwarzbrot, Rührei, Räucheraal, gemischter Salat inkl. Dill). Man sollte in diesem Zusammenhang auch immer wieder anmerken, dass solche Gerichte in einem direkten Vergleich zu vielen anderen stehen. Während in der Gourmetküche vieles nicht vergleichbar ist, weil es individuell gestaltet ist, stehen diese Gerichte „mitten im Wind“. Den Aal, die Fischsuppe, Hummer, Seezunge, Steinbutt und Co. gibt es überall. Und die besten Fassungen kommen in vielen Fällen aus dem „Fischereihafen-Restaurant“ in Hamburg. Das ist sehr bemerkenswert.
Freuen wir uns auf das Gesamtkunstwerk „Fischereihafen-Restaurant“ in Hamburg. Auf die offene Atmosphäre, das immer wieder durchschimmernde hanseatische Understatement, den wunderbar souveränen Service, das hervorragende Essen, die prächtige Aussicht auf den Hafen und das unnachahmliche Feeling, das das Zusammenwirken dieser Elemente mit sich bringt.
Den abgenutzten Begriff „Kiez-Grösse“ als Euphemismus für Kriminelle, Frauenschläger und Menschenhändler kann man sich getrost sparen. Aber danke für die Information, denn ich verspüre wenig Lust darauf, mich in den gleichen Raum mit derlei Gestalten zu begeben.
Eine profunde, ausführliche Besprechung, die Freude macht. Danke, Jürgen Dollase !
Apropos Freude: die früher wie selbstverständlich die Große Elbstrasse im zweiten Gang rauf und runter kullernden Fahrzeuge der Herren, die die mitunter alle 15 Meter postierten Damen taxierten und bei gegenseitigem Gefallen Dienstleistungen aushandelten, fehlen abends, da das Wohlfühlgewerbe in ein tristes Industriegebiet rund um die Süderstraße im Stadtteil Hamm umsiedelte. Mit ihnen verschwand ein Stück Lokal-Kolorit von Sankt Pauli.
Bei Plattfischen wie Scholle und Flunder ist die mehliert gebratene Haut das Beste am ganzen Fisch, auch krosse Forellen- und Lachshaut, gern separat mit einem Gewicht beschwert gebraten und später beim Schicken am Pass auf das Fischfleisch aufgelegt, zählt für mich zu den Delikatessen, die ich nicht missen möchte. Ist die Seezungenhaut, die ich bislang leider stets als Filet aß, diese Mühe nicht wert ?