Christo (eigentlich: Christo Jawachew) gehört mit seinen gigantischen und spektakulären Kunstaktionen zu den bekanntesten Künstlern der Welt. In Deutschland wurde er vor allem durch die Verhüllung des Berliner Reichstages im Jahre 1995 bekannt, andere Aktionen waren z.B. „The Gates“ im New Yorker Central Park (2005) oder „Floating Piers“ auf dem Iseosee in Italien (2016). Ich erwähne ihn hier, weil Christo mit diesen nur für begrenzte Zeit existierenden Mega-Events eigentlich direkt nichts verdient, dafür aber andere Wege gefunden hat, Einnahmen für die Realisierung weiterer Pläne zu generieren. Christo hat alles Mögliche verkauft, was im Zusammenhang mit den Aktionen stand, also zum Beispiel beim Berliner Reichstag quasi das gesamte genutzte Material in kleinen Stücken, vor allem aber Unmengen von Entwurfszeichnungen und Siebdrucken, gerahmt, zertifiziert und natürlich signiert.
Wer die Kunstszene ein wenig kennt, wird wissen, dass es ganz allgemein viele Künstler schaffen, ihre Arbeiten bestens zu präsentieren und in jeder denkbaren Form zu vermarkten. Auch kleine Arbeiten bekommen oft einen sehr guten Rahmen und sind natürlich gerne handsigniert – auch wenn es sich nicht unbedingt um Originale, sondern oft auch um Drucke oder Multiples handelt. Wenn es sich dann um Arbeiten von bekannten Künstlern handelt, werden selbst kleine Unikate, wie das etwa Vorzeichnungen oder Skizzen oder – noch besser – Skizzenbücher aller Art sind, oft zu Objekten mit erstaunlich hohen Preisen und einem Publikum, das sich sehr für solche Dinge interessiert. Ich selber gehöre auch dazu und interessiere mich oft mehr für Zeichnungen und Skizzen als für die Werke die am Ende dieses Prozesses stehen.
Manche Köche haben da einen Schatz, den sie heben könnten
Diesen kleinen gedanklichen Ausflug mache ich hier, um darauf hinzuweisen, dass gerade bekannte Köche da möglicherweise über sehr interessantes Material verfügen, an dessen Vermarktung sie bisher überhaupt noch nicht gedacht haben. Ich meine die Skizzen und Entwürfe, die fast alle Köche besitzen und die nicht nur in meinen Augen hochinteressante Objekte sind, die man durchaus vermarkten kann. Denken Sie einmal an berühmte Gerichte aus der älteren oder auch neueren Geschichte der deutschen Spitzenküche. Stellen Sie sich vor, es gäbe Skizzen von Eckart Witzigmanns „Kalbries Rumohr“, Wisslers „Schweinekinn“, das bekannte „Drei Sterne-Lamm“ von Jan Hartwig, oder – vielleicht besonders spektakulär – epochemachende Skizzen von Sven Elverfeld vom „Gesottenen Tafelspitz vom Müritz-Lamm“, den er in Rechtecken angerichtet hat, was mich bei der FAZ – Gourmetvision zu dem Ausdruck brachte, das sähe aus wie von Piet Mondrian (niederländischer Künstler) und zu der Überschrift „Mondrian auf dem Tisch“ für den Artikel führte. Oder, ganz aktuell: im Herbst hatte ich eine Veranstaltung mit Torsten Michel unter dem Motto „Kunst trifft Kochkunst“, zu der ich mit dem Drei-Sterne-Koch von der „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn u.a. über Skizzen von ihm zu angepassten Gerichten für diesen Tag kommuniziert habe. Und stellen Sie sich nun vor, man könnte diese Entwürfe kaufen, vielleicht noch mit handgeschriebenem Rezept inklusive diverser Korrekturen oder mit verschiedenen Fassungen, aufgezogen und gerahmt mit einem sehr guten Foto des endgültigen Gerichtes dazu. Ich bin ganz sicher, dass da Vieles möglich wäre – natürlich auch endlich einmal Ausstellungen, die den ganzen künstlerischen Prozess bei der Entstehung von Gerichten dokumentieren. Quique Dacosta sollte da nicht einer der ganz wenigen Köche bleiben, die in dieser Weise geehrt wurden.
Sie werden nun einwenden, dass Köche keine Bildenden Künstler sind und ihre zeichnerischen Fähigkeiten sich häufig in Grenzen halten. Das ist sicher richtig, trifft aber nicht grundsätzlich zu. Ich kenne viele Köche, die im Laufe der Jahre eine ganz eigene, sehr sichere zeichnerische Sprache entwickelt haben, die durchaus ihre bildnerischen Qualitäten hat. Und – darum geht es hier eigentlich auch gar nicht. Ob die Entwürfe große Kunst sind oder nicht, spielt kaum eine Rolle. Ihre Qualität lebt von der Dokumentation des Werk-Prozesses und von der Authentizität. Wenn sich dann zeigt, dass der im Restaurant angebotene Teller perfekt und wunderbar aussieht – um so besser.
Wenn man den Gedanken durchspielt, kann man an eine kleine Galerie von solchen gerahmten Bildern denken, die zum Verkauf stehen. Man kann daran denken, die Entwürfe für die erste Karte eines Restaurants anzubieten, man kann auch daran denken, die Entwürfe für die aktuelle Karte schon anzubieten, wenn die Gerichte noch aktuell gegessen werden können. Und natürlich sind die Dokumentationen bekannter Signature-Dishes teurer als die kleinerer Kompositionen. Es gibt da noch viele Möglichkeiten. – In diesem Zusammenhang darf man auch noch daran erinnern, dass es eine Zeit gab, in der gute Restaurants spektakuläre Speisekarten oder Menükarten hatten. Auch die könnte man handsigniert und mit Widmung anbieten. Und auch da gilt: je spezieller und dem Unikat näher das Angebot ist, desto höher kann der Preis sein.
Die Bilder zu diesem Text stammen übrigens aus einem niederländischen Buch, in dem Sterneköche vorgestellt wurden – unter anderem mit Abbildungen von ihren Entwürfen für Gerichte (Daniel Maissan: #Sterrenchefs. 103 Portretten van de culinaire top van Nederland. Van Dishoeck – Verlag, Antwerpen 2011). Sie finden unter den Skizzen auch solche von Sergio Herman und Jonnie Boer.
Das Menü als Unikat
In diesem Zusammenhang kann man auch noch ein Stück weit in eine andere Richtung denken. Ich habe einmal mit einem der großen deutschen Hoteliers darüber gesprochen, wie es denn eigentlich mit der Belegung von Luxussuiten aussieht und ob sich die Investitionen wirklich lohnen. Er sagte dazu sinngemäß, dass man sich um Luxus kaum Gedanken machen muss. Wenn das Angebot wirklich spektakulär hochwertig sei, wäre es sehr wahrscheinlich, dass man dafür Interessenten finde.
Was wäre da in einem hochwertigen Gourmetrestaurant möglich? Ganz einfach: das Menü als Unikat, begleitet und ausgestattet mit all dem, was auch oben für die Originale galt. Man könnte für eine kleine Gruppe von Leuten ein Menü anbieten, dass aus Unikaten besteht, also aus Gerichten, die es nur an diesem Tag gibt (dazu gleich noch mehr), begleitet von einer eigens gestalteten und natürlich vom ganzen Team signierten Speisekarte, begleitet von einem gerahmten Bild mit den Entwurfszeichnungen und Fotos der Gerichte usw. usf. Der Phantasie sind da kaum Grenzen gesetzt. Das wird eine Menge Geld kosten und es muss eine Menge Geld kosten. Aber – man sollte so etwas einmal probieren und zu einem Unikat-Event von Rang ausbauen. Wichtig für die Kundschaft ist dabei immer, dass sie eine komplette Dokumentation bekommen, die den einmaligen Charakter der Aktion beweist und unterstreicht.
Jetzt werden Sie natürlich einwenden, dass kaum ein Koch zu einer solchen Personalisierung auf hohem Niveau in der Lage wäre, weil die Entwicklung von Gerichten viel zu lange dauert. Außerdem: wer könnte garantieren, dass man eine spezielle Idee, die man für dieses Unikat-Menü entwickelt hat, nicht später weiter benutzt? – Auch dafür gäbe es eine Lösung, nämlich eine Art Vorpremiere oder Premiere, die in der oben genannten Form angeboten wird. Bevor ein neues Menü oder neue Gerichte auf die Karte kommen, könnte man es für einige exklusive Runden exklusiv anbieten. Signiert: Vorpremiere 7/10, also Vorpremiere 7 von insgesamt 10 usw. usf. Auch hier sind der kulinarischen wie gastronomischen Phantasie keine Grenzen gesetzt. Im übrigen hatte ich in einem Text hier auf www.eat-drink-think.de schon darauf hingewiesen, dass es in Zukunft ganz sicher auch ganz kleine, rein improvisatorische Restaurants geben wird, in denen quasi kein Menü dem anderen gleicht, weil alle Gerichte täglich neu mit den Produkten des Tages improvisiert werden und diese Leistung speziell anerkannt und gesucht wird.
Von der Kunstszene Lernen kann sehr interessant sein und die Arbeitsfelder/Vermarktungsbereiche deutlich ausweiten.
Danke Herr Dollase für die ausführliche Antwort. Ich fand es ausgesprochen schade, dass sich keine Lösung finden liess für die Dokumenta, gerade, weil Adrias Arbeiten optisch so “ stark“ waren und daher dringend auch der Blick auf andere Aspekte erforderlich gewesen wäre.
ich frage mich, ob den esser wirklich der werkfindungsprozess so stark interessiert, wie hier wortreich und durchaus spannend beschrieben. für die meisten restaurantbesucher dürfte in erster linie das zählen, was sie auf dem teller vorfinden- und dessen wertschätzung hängt eben nicht nur vom gestaltungswillen eines kochs ( der sich dokumentieren lässt in skizzenbüchern, präsentationen, ausstellungen ) sondern in viel stärkeren ausmass von der tatsächlichen umsetzung ad hoc, der verwendeten produktqualität, der technischen ausführung etc. ab. ich kann den wunsch total nachvollziehen, den blick auf die arbeit eines kochs holistischer zu gestalten und den kreativen prozess der findung und ausarbeitung stärker einzubeziehen, bezweifle aber, ob die von Ihnen genannten möglichkeiten wirklich erfolgsversprechend im wirtschaftlichen sinne sein können, also in der lage sind, tatsächlich ein grösseres publikum anzusprechen. schon die wesentlich zugänglichere präsentationsform kochbuch ist für die meisten spitzenköche nur ein zubrot denn ein ernstzunehmender zugewinn. ein beispiel für die schwächen des präsentierten konzeptes, den werkfindungsprozess eines koches quasi künstlerisch aufzugreifen und ihn in grössere zusammenhänge zu stellen zeigte sich mE bei ferran adrias (nicht)-teilnahme an der documenta 2007 , wo adria schlicht nicht in der lage war, für sich und seine arbeit präsentationsformate zu entwickeln, die über den el-bulli-tellerrand hinausgingen und diskussionen anzustossen, die weiter kamen als der damalige hype.
Zu Adria/Dokumenta kann ich noch Details beitragen weil ich selber daran beteiligt war (ich habe auch den Adrià-Text für den Katalog geschrieben).Es ging um die Performance, und wir hatten dazu vorher schon mehrere Treffen mit dem Documenta-Chef. Als klar wurde, dass Adrià keine geeignete Form fand, die ihm nah genug an dem El Bulli-Erlebnis war, ging es darum, zumindest eine Art Hommage anzubieten. Sie sollte von Caterer Kofler realisiert werden, mi im planerischen Boot war auch mein Verleger Ralf Frenzel. – Ich habe dann etwas entworfen, nämlich eine Art Bearbeitung traditioneller deutscher Gerichte im Stil von Ferran Adrià. Adrià fand das nach Vorlage von den Ideen und den Ergebnissen her sehr gut, wollte es aber nicht unter seinem Namen laufen lassen. – Dann ergab sich die Idee, diese Hommage unabhängig von Adrià anzubieten, damit die Gäste im Prinzip alle die Möglichkeit hätten, sich auch gustatorisch mit der Arbeit Ferran zu befassen. Es gab Probekochen und Korrekturen usw. usf. – Dass daraus am Ende dann doch nichts wurde, liegt an Feuerpolizei und Versicherungen, die so etwas nicht in den Ausstellungsräumen haben wollten. Genau das wäre aber wichtig gewesen. Man hat alles mögliche versucht, aber es wurde nicht genehmigt. Gruß JD