Weinadel und Hochadel
Wir kommen aus den nördlichen Anbaugebieten des Rhônetals, die südlich von Lyon beginnen. Eng schmiegen sich hier die steilen Weingärten an die Rhône. Wie Perlen an einer Schnur reiht sich der Hochadel der Rhône Appellationen an den Fluss. Côte Rôtie, Chateau Grillet, Saint Joseph und der legendäre Inselberg Hermitage, dessen Spitzenweine bei Versteigerungen bis zu 14.000 Euro pro Flasche erzielen – manchmal sogar mehr. Im Süden weitet sich das Rhônetal zu einer Ebene, die anders als der Norden mediterranen Witterungseinflüssen unterliegt, was deutlich den Charakter der Weine prägt. Sie sind einfacher, populärer, zugänglich und oft von Kräuternoten geprägt. Viele von ihnen aber in sehr guter Qualität zu erschwinglichen Preisen. Zwar nicht der Hochadel, keine Kaiser und Pharaonen, aber durchaus Fürsten. Hier und da ein kleiner König. Die Weine haben weniger Mineralität, denn es fehlt das karstige Granitterroir, des Massif Central, dessen Ausläufer die Rhône im Norden durchschneidet. Hier im Süden wurzelt der Wein in Ebenen oder auf Hügeln mit Schwemmlandböden oder Sand, teils durchsetzt mit stattlichen Kieseln wie im Châteauneuf-du-Pape.
Das Meridionale Konglomerat
Während der Norden seine Anbaugebiete hübsch übersichtlich nacheinander aufreiht, stößt man im Süden auf ein zunächst unübersichtliches Konglomerat von Appellationen und Ortsbezeichnungen. In dieser Region “Côte du Rhône méridionales“ genannt, haben sich elf eigenständige Appellationen mit eigenen strengen Reglements etabliert. Übergeordnet werden die geschützten Ursprungsbezeichnungen AOP – Appellation d’Origine Protégée (früher AOC), Côtes du Rhône und Côtes du Rhône Villages genutzt. Wobei “Villages“ einen südlichen Teil der Côtes du Rhône darstellt und strengere Qualitätsbestimmungen aufweist. Die AOP Côtes du Rhône ist also die übergeordnete und einfachste gesetzlich bestimmte Qualitätsbezeichnung der Süd-Rhône. Um die Sache noch etwas komplizierter zu machen, dürfen sich 18 der 95 Weinbaugemeinden durch das Branding ihres Ortsnamens adeln. Seit 2009 gelten in Frankreich folgende Qualitätskategorien: Ganz oben steht das AOP Cru, das sind Weine aus einem Gut oder von einer Lage. Darunter das AOP Kommunal, gefolgt vom AOP Regional – Weine aus einer bestimmten Region. Darunter das IGP – Indication géographique protégée, ebenfalls ein regionaler Wein, jedoch nicht mit so strengem Reglement wie beim AOP. Basisweine werden als Vin de France bezeichnet. Einfache, meist rebsortenreine Landweine, die ungefähr 15 Prozent der Gesamtproduktion ausmachen. Die meisten Winzer sind bemüht, Spitzenweine zu produzieren und streben die höchste Kategorie bei der Produktion an. Es sei denn, sie vinifizieren bewusst eine einfache Qualität zur Abrundung ihrer Produktpalette nach unten. Schafft es ein Wein bei den jährlichen Qualitätsprüfungen nicht, sich für die angestrebte Qualitätsstufe zu qualifizieren, wird er in der nächsttieferen eingestuft.
Das Schloss der Päpste
Unsere Unterkunft liegt mitten in den Weinbergen etwa auf halber Strecke zwischen der Stadt Orange und Châteauneuf-du-Pape. Das Mas Julien ist ein einfaches B & B auf einem landestypischen kleinen Landgut mit Pool und gemütlichem Frühstücksraum. Ein bisschen freakig vielleicht, aber sympathisch und nett. An diesem ersten Abend fahren wir in den Ort Châteauneuf-du-Pape und parken an der Ruine des Sommerschlosses der Päpste von Avignon, die 120 Meter hoch in Sichtweite der Rhône über der Ebene thront. Im 13. Jahrhundert spitzte sich der Konflikt zwischen der weltlichen und der kirchlichen Macht zu. Das mächtige französische Königshaus baute seinen Einfluss im Klerus zunehmend aus, bis schließlich 1305 mit Clemens V. ein französischer Papst gewählt wurde. Ein paar Jahre später verlegte dieser seinen Hauptsitz von Rom nach Avignon. Erst Gregor XI. trug gut 70 Jahre später den Heiligen Stuhl wieder nach Rom. In der Zeit der Päpste von Avignon erlebte der Weinbau eine zweite Blüte. Denn die heiligen Herren sprachen dem alkoholischen Getränk – wie auch heute noch – gerne zu. Generell ist die Kunst des Weinmachens an der Rhône eine uralte Tradition. Schon 600 vor Christus gründeten griechische Einwanderer die heutige Stadt Marseille und bauten in ihrem Umfeld Wein an. Die Römer, deren Spuren überall zu finden sind, brachten diese Kunst dann zu einem Höhepunkt. Mit dem Verschwinden der Römer ging dann auch der Qualitätsanbau für lange Zeit zugrunde.
Les Rois Rouges
Eine Renaissance erlebte der Rhônewein durchaus hier zu unseren Füßen. Schon im 19. Jahrhundert wurden die Rotweine des Châteauneuf-du-Pape als Elite der Süd-Rhône bezeichnet. Nachdem man Anfang des letzten Jahrhunderts in Frankreich die geschützten Herkunftsbezeichnungen erfunden hatte, war 1935 diese Region eine der ersten, die ein – zu der Zeit noch – AOC erhielt. Wir blicken in die weite Ebene und auf kleine Hügel. Der Boden besteht aus rotem sandigen Lehm mit großen Kieselsteinen. Eine Landschaft durch die Eiszeit geformt. Das Klima ist heiß und trocken. Der Kies lädt sich in der Sommersonne auf und heizt die Reben von unten. Zudem weht hier ein Drittel des Jahres der Mistral, ein Fallwind, der die Trauben selbst nach kräftigem Regen schnell trockenfönt. Hier macht man Rotweine, große Rotweine, die Könige der Süd-Rhône. Lediglich sieben Prozent der 3.000 Hektar Anbaufläche machen die Weißen aus. Das AOP lässt 13 Rebsorten zu, inklusive der Varietäten kommt man gar auf 22. Klar, hier komponiert der Winzer Cuvées. Der ortstypische Grenache liefert Kraft und Ausdruck, aber wenig Säure. Syrah und Mourvedre steuern ein wenig Tannine bei. Neben diesen drei Sorten spielt die typische Verschnittsorte Cinsault im Reigen der Reben eine wichtige Rolle. Die Weine zeigen sich zumeist jung schon recht zugänglich, haben aber ein enormes Potenzial. Wer die Geduld hat, sie mindestens zehn Jahre und länger zu lagern, wird mit Tiefgründigkeit und komplexen Gewürz- und reifen Fruchtaromen überrascht.
Essen mit Weitblick
Direkt unterhalb der Burgruine befindet sich das Restaurant Le Verger des Papes, in dem wir die Qualität der örtlichen Weine antesten. Ein warmer Abend kurz vor Sonnenuntergang. Wir sitzen über den Dächern des 2.000-Seelen-Örtchens im gemütlichen Gastgarten an einfachen Tischchen unter sanft im Wind rauschenden Pinien. Ein Platz an der Außenmauer gewährt glänzende Weitsicht. Der Service, zumindest unser Kellner, gibt sich locker und fröhlich. Das Essen ist typisch für die Gegend, nichts wirklich Besonderes, aber anständig. Die Weinkarte ist natürlich gut sortiert und auf die Region fokussiert. Die Küche liefert Terrine von der Foie gras de Canard mit Feigenkompott, Omelette Mistral à la Ratatouille mit schwarzen Oliven, Lammcarré aus der Provence oder Magret de Canard. Der weiße, gut gekühlte Château la Nehrte stammt vom Kiesboden im Südosten der Region. Eine Cuvée aus Grenache Blanc, Bourboulenc, Clairette Blanche und Roussanne – etwa zu gleichen Teilen. Ein Wein von schöner Frische mit Aromen von weißen Blüten und exotischen Früchten, vollmundig mit feiner Mineralität. La Nehrte ist eines der größten und ältesten Güter des Châteauneuf. Bereits 1560 fand es erstmals, allerdings noch unter anderem Namen, Erwähnung. Als Rotwein wählen wir den “La Crau“ Vieux Télégraphe, der hat schon ein paar Jahre Kellerreife hinter sich und zeigt sich hocharomatisch und mit milden Tanninen. Er duftet nach Provence, nach Oliven und Kräutern, Lavendel und dunklen blauen Früchten. Gut 20 Jahre Lagerpotenzial kann man diesem Klassiker zutrauen.
Im Reich der Sinne
Zum Mittag treffen wir uns mit Isabel Fromont Ferrand. Wir sind in Orange verabredet, in einem Restaurant namens Au Petit Patio, also Im kleinen Innenhof. Tatsächlich gibt es eine traumhaft schöne Terrasse. Wir sitzen allerdings im Inneren, denn das Wetter lässt manchmal auch in der südlichen Côte du Rhône zu Wünschen übrig. Mit einem Blick in die Speisekarte wird es schon offensichtlich; wir nähern uns immer weiter dem Zentrum der Provence, denn das Hauptaugenmerk des Kochs liegt eindeutig auf Fisch und Meeresfrüchten. Dazu trinken wir natürlich Wein von Madame Fromont Ferrand. Wir konzentrieren uns zunächst auf ein weißes Cuvée aus Roussanne, Mar-sanne und Viognier. Er heißt Le Nez – die Nase und macht seinem Namen schon im Glas alle Ehre. Er versprüht einen extrem frischen Duft von blumigen Noten. Auf dem weißen Etikett sind passenderweise eine Nase und am Rand eine große rosafarbene 2 abgebildet. Das macht neugierig auf das gesamte Programm von Madame Fromont Ferrand, denn die Zwei ergibt doch nur einen Sinn, wenn die Nummerierung auf weiteren Flaschen fortgesetzt wird. Sie klärt uns auf, dass sie insgesamt sechs verschiedene Weine vinifiziert und bringt uns damit von der Idee ab, sie würde ihre Weine nach den fünf Sinnesorganen benennen. Genau so ist es aber und das Weingut trägt den passenden Namen Domaine 5 Sens. Der sechste Wein, der die Anzahl der menschlichen Wahrnehmungsorgane übersteigt, ist ihr Herzstück und heißt L’Âme – der Geist oder das Wesentliche. In ihm stecke ihre ganze Passion, schließlich hat sie mit diesem Wein ihre Arbeit begonnen. Grenache und Merlot, die auf lehm- und kalkhaltigen Böden gereift sind, würden ihm viel Substanz geben. Wir sind gespannt, zunächst nehmen wir aber endlich einen Schluck von Le Nez und der erste Eindruck bestätigt sich. Es ist der einzige Weiße, den Isabel Fromont Ferrand herstellt. Über ihn hinaus gibt es den Rosé Le Goût, der die Nummer 4 trägt und den Geschmack nach Sommer symbolisiert, indem sich Johannis- und Himbeeren ein spannendes Duell liefern. Neben dem L’Âme, von dem sie gerade schon geschwärmt hat, gibt es noch drei weitere Rote. La Vue zum Beispiel mit der Nummer 1 steht für die visuelle Wahrnehmung. Sein tiefes Rot aus Grenache und Shiraz ist eine wahre Freude. Er stammt aus einer Höhenlage von über 250 Metern aus dem Weinbaugebiet Massif D’Uchaux, das schon sehr deutlich unter dem Einfluss des Mittelmeers steht. Die Landschaft ist dort stark bewaldet und sehr hügelig. Ein klassischer Côte du Rhône Rouge AOP ist der Le Toucher mit der Nummer 5 aus Grenache, Shiraz und Mourvèdre, der so intensiv im Geschmack und in seiner Farbe ist, dass man ihn beinahe anfassen möchte, um zu kontrollieren, ob er sich denn auch so üppig anfühlt.
Wir sind auf den Geschmack von Madame Fromont Ferrand gekommen und wollen wissen, wo diese Weine vinifiziert werden. Auf unsere Frage deutet sie in Richtung Norden und erklärt, dass die Domaine 5 Sens nur etwa 20 Autominuten von Orange entfernt liegt. Und zwar schnurstracks die D11 hinauf. In Rochegude, etwa zehn Kilometer östlich der Rhône, hat sie vor fünf Jahren ihre heutige Wirkungsstätte gefunden. Das Weingut umfasst 50 Hektar Weinbaufläche. Das ist nicht groß, für sie aber groß genug. Ein kleines Stück vom Stadtkern entfernt, liegen die meisten ihrer Weingärten direkt am Weingut. Schon von der Straße sieht man große Stahltanks über die Hofmauer ragen. In denen vergären die Weine zwischen zwölf und 15 Grad Celsius. Während eines langsamen Fermentationsprozesses entwickeln sich die Aromen vielfältig und intensiv. Darauf legt die Weinmacherin großen Wert. Es ist schon erstaunlich, dass sie als Quereinsteigerin, die das Weingut erst seit fünf Jahren besitzt, schon solche Qualitäten hervorbringt. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf, nicht weit von hier. Obwohl der Weinanbau immer sehr präsent in ihrem Leben war, hat sie sich zunächst nicht dafür interessiert. Mit 16 Jahren ging sie auf die Hotelfachschule in Dugny, 15 Kilometer von Paris entfernt. Anschließend bildete sie sich weiter und stieg im Marketing des Unternehmens ihres Ex-Manns ein. So ist sie auf den Wein gekommen, denn der “Ex” ist Jean Claude Fromont und stellt Wein in Ligny-le-Châtel nahe Chablis her. Im großen Stil. Nach der Scheidung hatte sie sich dazu entschlossen, zurück in die Heimat zu kehren, und da sie sich mittlerweile ziemlich gut mit der Herstellung von Wein auskannte, lag es nahe, selbst den Versuch zu starten. Die Marketingidee, alle fünf Sinne für ihren Wein einzuspannen, ist gar nicht so durchdacht wie es scheint. Für Isabel Fromont Ferrand gehören eben alle fünf Sinne zum Genießen dazu. Wer sich jetzt fragt, was ein guter Wein mit der auditiven Wahrnehmung zu tun haben könnte, der sollte unbedingt L’Ouie, die Nummer 3, eine rote Cuvèe aus Grenache, Carignan und Syrah probieren. In einem Schluck präsentiert sich die gesamte Geräuschkulisse der südlichen Côte du Rhône. Es scheint, als höre man den Wind in den Bäumen rascheln, die Vögel singen und die Zikaden zirpen.
Zehn Generationen Erfahrung
Unser nächstes Ziel ist Cairanne, ein kleines Dorf in der Haut Vaucluse. Mit einer Bevölkerungsdichte von 46 Einwohnern pro Quadratkilometer erwarten wir Ruhe und Gelassenheit, können uns allerdings vorstellen, dass der Ort während der Weinlese einen kleinen aufgeregten Aufschwung erlebt. Dann, wenn auf insgesamt 956 Hektar Trauben geerntet werden, sodass Cairanne auf eine Gesamtproduktion von 35 Hektoliter Wein pro Hektar kommt. Die hübsche Gegend ist mit Weingütern gesprenkelt. Kleine und Größere. Drumherum machen sich die Weingärten breit. Wir haben die kleine Domaine Alary im Visier, die auch unter vielen hervorragenden Weinproduzenten eine freudige Entdeckung zu sein verspricht. Der Winzer heißt Denis Alary. Er empfängt uns in einem kleinen Verkostungsraum, in dem ein großes Bild von einem Stammbaum die Winzervergangenheit der Familie Alary dokumentiert. Die Domaine wurde 1692 gegründet und Denis Alary ist mittlerweile schon in zehnter Generation im Auftrag des Weins unterwegs. Im Hinblick auf die Farbverteilungen in den Weingärten, besteht kein Zweifel daran, dass sich die Bodenverhältnisse und Klimabedingungen in Cairanne besonders gut für die Ausprägung von Rotweinen eignen. 95 Prozent der Trauben sind dunkel und auch die Domaine Alary konzentriert sich auf den Rotwein. Der Winzer besitzt 32 Hektar Rebfläche, auf denen Grenache, Syrah, Carignan, Mourvèdre, Counoise und Cinsault wachsen. Außerdem Cabernet Sauvignon und Merlot, aus denen er einen Vin de Pays, einen Landwein, herstellt. Nur einige wenige weiße Sorten kommen in seinem Repertoire vor. Dann setzt er wohl- weislich auf Roussanne, Clairette, Viognier und Bourboulenc. Alle seine Lagen befinden sich in der Nähe des Weinguts und trotzdem bieten sie eine beeindruckende Vielfältigkeit. Das rührt daher, dass sich in Cairanne drei unterschiedliche Bodentypen auf relativ kleiner Fläche befinden. Kalkhaltiger weißer Ton bildet Weine mit dichten Tanninen aus, so werden sie besonders kraftvoll. Daneben kommen auch rote Tonböden vor, die duftige, aromareiche Weine hervorbringen, und auf den Terrassen des Aygues werden sie besonders rund und geschmeidig. So unterschiedlich sie auch sein mögen, sind alle drei Bodentypen von großen Kieselsteinen durchzogen, die Galets roulés. Der gesamten Bodenstruktur ist es zu verdanken, dass der Wein einen besonders feinen Schmelz aufweist und würzig, duftig und fruchtbetont ausreift. Den Winzern bietet das sehr viele Möglichkeiten im Spiel mit den Aromen. Dazu gehört aber natürlich eine gehörige Portion an Erfahrung und genauso viel Talent. Ist beides vorhanden, so wie bei Denis Alary, ergeben sich Weine, die mit einer ausgeglichenen Finesse aufwarten. Seine Weingärten befinden sich in der Ebene, am Fuße der Berge und auch in den Hanglagen, die zur Hälfte nach Süden hin ausgerichtet sind. Dort können sie gründlich ausreifen. In besonders heißen Jahren, muss die starke Sonneneinstrahlung allerdings geschmacklich ausgeglichen werden. Dazu eigenen sich Trauben, die der Winzer in einem kleinen Garten erntet, der nach Norden zeigt. Dieses Vorgehen beschreibt die Kunst des Winzers sehr gut, der es immer wieder schafft, den Wein der unterschiedlich entwickelten Trauben auf einen Nenner zu bringen. Er vereint sie im Hinblick auf ihr gemeinsames Terroir und schafft so in jedem Jahr sehr hochwertige Cuvées. Beim Gang durch die Weingärten der Domaine wird klar, dass wir es hier mit einem Winzer zu tun haben, der sein Handwerk als eine traditionelle Pflicht versteht. Bis heute verarbeitet er die Trauben noch genauso wie er es von seinem Vater gelernt hat, der es wiederum von seinem Vater beigebracht bekam. Sie werden mit Stiel und Stängel gepresst, um anschließend spontan zu vergären und im großen alten Holzfass zu reifen. Die Produktion ist frei von Hilfsmitteln und somit biologisch, was allerdings nicht zertifiziert ist. Schließlich arbeitet Denis Alary für seinen Wein und nicht für ein Bio-Siegel. Dabei muss er sich auf einwandfreies Lesegut verlassen können. Seine Reben haben ein Durschnittsalter von 35 Jahren und befinden sich alle in einem tadellosen Zustand. Richtig beeindruckend sind die alten Syrah Stöcke, die sein Vater in der gesamten Region als Erster pflanzte. Dass dies eine gute Idee war, stellte sich erst viel später heraus. Das ist heute nicht anders, erklärt Denis Alary. Deshalb sollte sich ein Winzer immer mit viel Geduld und mit ein bisschen Demut zwischen seinen Reben und in seinem Keller bewegen, denn Entscheidungen die heute getroffen werden, tragen erst viel später ihre Früchte.
Volles Programm
Matthieu Perrin erwartet uns. Wie viele der Winzer in der Côtes du Rhône, mit denen wir in den vergangenen Tagen verabredet waren, empfängt er uns direkt am Weingut. So befinden wir uns also auf dem herrschaftlichen Château de Beaucastel, das auf einem Hügel in nordöstlicher Richtung von Châteauneuf-du-Pape liegt. Es ist der Hauptsitz der Familie Perrin. Immerhin 100 von insgesamt 300 Hektar Rebfläche liegen direkt am Gut. Alle 13 Weinsorten, die nach einem Reglement von 1936 in der Appellation Châteauneuf-du-Pape zugelassen sind, werden hier kultiviert. Es sind Grenache in rot und weiß, Syrah, Mourvèdre, Cinsault, Counoise, Brun Argenté, Muscardin, Terret Noir, Clairette Blanche, Piquepoul Blanc Bourboulenc, Oeillade Blanche und Roussanne. Diese Vielfalt ist zur Ausnahme geworden, denn die meisten Winzer konzentrieren sich mittlerweile auf einige wenige Sorten, um den Aufwand in Grenzen zu halten. Auf dem Château de Beaucastel schöpft man aber noch aus den Vollen. Die Anlage selbst existiert seit 1664, doch erst im Jahre 1909 wurde sie von seinem Schwiegervater an Pierre Perrin übergeben. Mit diesem Erbe entwickelte er sich zu einem der besten Kellermeister in Frankreich und der ganzen Welt. Für viele Weinkenner ist das Weingut bis heute der Inbegriff der formidablen Rhône Weine und ein Spiegel der guten Voraussetzungen, die den Winzern hier geboten sind. Mittlerweile ist schon die vierte Generation Perrin in den Weinbergen tätig und die fünfte macht sich gerade zur Übernahme bereit. Die Lagen des Gutes verteilen sich grob um die Stadt Orange, im Département Vaucluse, und liegen somit zu 90 Prozent im Süden des Rhônetals. Die Familie ist immer auf der Suche nach neuen Anbauflächen, doch nur die besten Flächen werden angekauft. Der Norden hat zwar legendäre Qualitäten, mit der südlichen Sortenvielfalt kann er aber nicht mithalten. Matthieu erklärt, dass sich zwischen Norden und Süden kein schleichender Übergang befände, sondern eine relativ harte Grenze, die etwa auf der Höhe von Montélimar definiert ist. Auch klimatisch, denn in Richtung Süden stände die Gegend ganz plötzlich unter dem unmittelbaren Einfluss des Mittelmeeres. Auf einmal wäre die Küche von Olivenöl geprägt und nicht mehr von Butter, und die Einwohner hielten beim Fußball nicht mehr zu Olympique Lyon, sondern zu Olympique Marseille. Auch die Trauben prägen sich hier anders aus, worauf die Winzer mit großen Barrique Fässern reagieren, wogegen die Winzer im Norden eher auf kleine Fässer setzen. Es scheint so, als gäbe es nicht die Möglichkeit, den Norden mit dem Süden zu kombinieren. Man muss sich schon entscheiden. Wir haben nicht den Eindruck als wäre Matthieu Perrin die Wahl schwer gefallen. Vor uns befindet sich ein Südfranzose wie er im Buche steht. Begeistert erzählt er, dass das Weingut seiner Familie schon seit den 1960er Jahren biologisch arbeitet, heute in Teilen sogar biodynamisch. 20 Kilometer weiter östlich befindet sich in Gigondas die Domaine du Clos des Tourelles, ein Weingut, das mit 30 Hektar ebenfalls von der Familie Perrin betrieben wird. Die meisten der Reben, wie Cinsault, Grenache und Syrah, sind uralt, wenige ganz jung. Außerdem ist der Weinberg nach Nordwesten ausgerichtet, und diese Kombination lässt die Weine unheimlich komplex und sehr spät ausreifen. Auch auf den Flaschen dieser Domaine ist das Wappen von Beaucastel zu finden. Ausnahmen im Sortiment bilden die Weine von La Vieille Ferme und Miraval, die als eigene Marken vertrieben werden. La Vieille Ferme in rot, weiß und rosé, die Flaschen mit Henne und Hahn auf dem rustikalen Etikett, sind schon für weniger als sieben Euro zu haben und für diesen kleinen Preis wirklich groß im Geschmack. Ganz anders präsentieren sich die Weine von Miraval. In bauchigen Flaschen und in edlem Design ist dieses junge Weingut vielleicht noch berühmter als Beaucastel selbst. Zumindest bei Nicht-Weintrinkern mit Hang zu Klatsch und Tratsch, denn 2008 wurde das Anwesen aus dem 17. Jahrhundert von keinen Geringeren als von Angelina Jolie und Brad Pitt erworben. Das Vinifizieren überlassen sie allerdings der Familie Perrin. Ziemlich klug von ihnen, nachdem die Versuche, den Wein selbst zu produzieren, gründlich missglückt sind. Von einem Marketinggag aus Hollywood ist allerdings nur so lange auszugehen, bis der Wein verkostet wurde, denn die Rosé- und Weißweine sind wirklich gut. Jedoch liegt das Château de Miraval im Côte de Provence und passt somit nicht ganz zu unserem Thema. Es ist aber trotzdem interessant, dass die Perrins nicht nur das Gebiet Côte du Rhône beherrschen.
Klatschnass aber glücklich
Die Familie Perrin lädt uns abends in ihr Restaurant l’Oustalet ein. Chefkoch Laurent Deconinck hat hier die Aufgabe, eine Symbiose von Wein, Essen und Terroir zu schaffen. Ein Mix aus Contemporary Art, authentischem Stil und dem Herzen der mediterranen Kultur. Das Restaurant befindet sich im kaum mehr als 500 Einwohner zählenden Örtchen Gigondas, namensgebend für eine weitere AOP. Hier im Department Vaucluse, 15 Kilometer von Orange entfernt, bewacht das Dorf an einem Hang gelegen das westliche Tor der bizarren Felslandschaft Dentelles de Montmirail. In der umgebenden AOP Gigondas baut man hauptsächlich Rot- und Roséweine auf insgesamt 1.200 Hektar Rebflächen aus. Die Hanglagen, meist Kiesterrassen durchsetzt mit rotem, mineralischem Ton, beginnen bei 100 Metern über dem Mittelmeer und klettern bis in Höhen von 600 Metern, was den Reifeprozess der Trauben stark beeinflusst. Auch hier werden Cuvées produziert. Dabei soll Grenache mit maximal 80 Prozent dominieren, gefolgt von 15 Prozent Mourvèdre und / oder Syrah und maximal zehn Prozent einer anderen für die Süd-Rhône zugelassenen Rebsorte, mit Ausnahme von Carignan. Diese Weine sind zumeist wuchtig und erinnern an kräftige Châteauneufs. Aber von alledem sehen wir wenig. Gewitter und Sturzregen begleiten uns auf unserem Weg. Da diese erst nach unserer Abfahrt heranwüten, sind wir nur leicht und sommerlich gekleidet. Wir parken unser Auto nahe dem Restaurant. Angeblich hat man von hier einen wundervollen Blick über das Land. Wir sehen zu, dass wir so rasch wie möglich zum rettenden Eingang kommen. Laurent, der Chef de Cuisine, erwartet uns vor der eigentlichen Öffnung des Restaurants zu einem Gespräch. Wir setzen uns in die Weinbar, so seine Idee. Die liegt ein paar Schritte die Straße hinauf. Mittlerweile hat der Regengott die Gassen mit Sturzbächen überflutet. Bis zu den Waden im Wasser waten wir in die Bar. Völlig durchnässt. Draußen geht es anderen Besuchern nicht besser. Laurent lässt niemanden im Regen stehen und bittet die Schutzsuchenden hinein. Offiziell hat die Bar geschlossen, aber der Chef bewirtet alle auf das Freundlichste mit pinkfarbenem Miraval, der ursprünglich einmal Pink Floyd genannt werden sollte. Obwohl klatschnass, genießen wir später das Menü im gemütlichen Restaurant.
Laurent arbeitet mit exzellenten Produkten und weiß, diese perfekt zuzubereiten. Auch der Service ist lobenswert. Das Ganze durchaus sterneverdächtig, das Wine Pairing exzellent. Zur Tarte vom Kalb und Langoustines mit Mandelmilch serviert der Sommelier den weißen Coudaulet de Beaucastel Blanc Côtes du Rhône, zum Steinbutt mit Spargel und Morchel Domaine François Villard “Version“ Blanc Saint Peray.