Die “Küchenschlacht” oder: Wie gut sind Köche als Kritiker?
In dieser neuen Serie wird es nicht darum gehen, ganze TV-Sendungen zu analysieren und zu kritisieren. Es wird um besondere Momente gehen, die für einen bestimmten Zusammenhang interessant sind, die ein wenig über den Tellerrand hinausgehen oder aber auch – das kann natürlich passieren – einmal so tief in die Teller hineinsehen, dass die Absurdität mancher Dinge ganz besonders deutlich wird.
Eine kleine Bemerkung noch vorab: ich persönlich habe eine ganze Reihe von Angeboten zur Mitwirkung an solchen Sendungen von Anfang an abgelehnt. Als „Ersatz“ haben dann teilweise Kollegen das übernommen, die ich nicht unbedingt als besonders markante Kritiker einordnen würde. Oder aber Leute, die – pardon – nun wirklich nicht mehr von sich geben können, als dass es ihnen irgendwie schmeckt oder nicht schmeckt. Ich habe aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Einmal wollte ich lieber meiner üblichen Arbeit als Kritiker nachgehen. Für die regelmäßige Aufzeichnung von Sendungen hatte ich üblicherweise keine Zeit. Zum anderen verlangte man häufig von mir ein bestimmtes Verhalten – wozu ich nicht bereit war. Natürlich hätte ich vielleicht allerlei Geld verdienen können, wenn ich – so früh, wie ich schon angefragt wurde – lange dabei gewesen wäre. Aber – meine Schwerpunkte liegen nicht in möglichst viel Popularität, sondern in möglichst viel Qualität. Das passt in der Regel kaum zusammen. Wenn ich heute überlege, wie eine präzise angelegte Kritik angesichts der oft bescheiden Küchenleistungen im TV wirken würde, so wäre das im Vergleich zu dem, was man heutzutage an Kritik zeigt, die pure Anarchie. Was würde man machen, wenn ich mich zum Beispiel weigern würde, einen Sieger zu benennen, weil ich alle gezeigten Leistungen für unterirdisch halte und das auch präzise begründe? Wenn ich nicht – wie das manche TV-Dauerköche tun – rumpöbele oder weichspüle, sondern kritische Details anmerke, die gleich das ganze stark gepamperte Hobbykochen massiv relativieren?
In der Traditionssendung „Küchenschlacht“ treten am Ende jeder Folge bekannte Köche in Aktion, die die in der Sendung gekochten Gerichte bewerten und einen (Tages)Sieger küren. Die Gerichte werden auf einer drehbaren Platte präsentiert, der jeweilige Koch (die Köche wechseln) komm aus den Kulissen, probiert und sagt etwas dazu. Üblicherweise wird er zu den jeweiligen kulinarischen Themen auch während der Sendung schon hinter den Kulissen befragt und kann z.B. seine Qualitätskriterien äußern.
Köche als Kritiker 1: es klingt plausibel, ist aber sehr merkwürdig
Natürlich sind die Sterneköche, die hier am Start sind, hervorragende Vertreter ihres Standes. Aber gehört eine solche Kritik zu dem, was sie wirklich können und machen? Die Art der Kritik von Profis hat eine große Spannweite. Es gibt die Bäcker-Innungen, die jedes Jahr die Brötchen ihrer Mitglieder bewerten und fast nur Höchstnoten vergeben. Es gibt absolute Spitzenköche, mit denen man besser nicht in das Restaurant eines Kollegen geht, weil sie vor lauter Meckerei die Übersicht verlieren.
Was also können sie, was wissen sie? Natürlich wird jede Küchenmannschaft durch Kritik so „erzogen“, dass sie das macht, was der Chef haben will, und wenn ein Mitglied er Brigade etwas nicht gut genug macht, wird er darauf hingewiesen. Das ist tägliches Brot. Es gibt eben eine große Zahl von Handwerksregeln, deren korrekte Anwendung sie überwachen müssen, weil es ansonsten mit ihrer Küche nicht richtig funktioniert. Aber sind sie gute Kritiker, weil sie sagen können, wie ein gut gegartes Lammrack auszusehen hat?
Aus meiner Sicht als Kritiker wundert mich erst einmal Eines. Ich war bei den Köchen der „Küchenschlacht“ teilweise häufiger zu Gast und finde – aus meiner Sicht ganz natürlich – in vielen ihrer Gerichte auch Schwachstellen, die man optimieren könnte, was dann vielleicht am Ende auch eine Erklärung dafür wäre, warum die Köche-Kritiker noch keine drei Michelinsterne haben. Haben sie also aus ihrem primären Praxisbezug gar nicht alles zur Verfügung, was man für eine Kritik braucht?
Köche als Kritiker 2: Was ist Kritik und wie kommt sie zustand?
Beim Guide Michelin hat man hin und wieder die Relevanz der Einstufungen damit begründet, dass die Tester ausgebildete Profis bis hin zu ehemaligen Sterneköchen seien. Das klingt gut, hat aber ebenfalls nur eine begrenzte Aussagekraft. Die Sache wird vielleicht klarer, wenn man zwischen Testern und Kritikern unterscheidet. Das könnte man sehr ausführlich machen (ich habe das auch schon vor längerer Zeit in einem meiner Bücher getan), kann es aber auch zusammenfassen. Der Tester sucht nahe am Material die Fehler, der Kritiker sieht darüber hinaus zum Beispiel die Stilistik, berücksichtigt neue handwerkliche Aspekte (wie etwa die ausgeweitete Sensorik), ökologische Aspekte, die Gesamtästhetik usw. usf. Um zu einer guten, profunden Kritik zu kommen, muss er so viel wie möglich wissen. Natürlich sollte sein handwerkliches Wissen so gut wie möglich sein, aber er muss zum Beispiel auch alle möglichen Küchen im In- und Ausland kennen, um einordnen zu können und dem Objekt, das er gerade beschreiben will, einen Platz zuzuordnen, der so korrekt wie möglich beschrieben wird.
Viele Köche verfügen nicht über solche Voraussetzungen – von den üblichen Restaurantkritikern einmal ganz zu schweigen. Sie kennen das, was passiert, nur teilweise und sind oft zu differenzierten Reflektionen nicht in der Lage. Betrachtet man die Arbeit der „Küchenschlacht“ – Kritiker, kann man das regelmäßig beobachten: es mangelt an sprachlicher Ausdruckfähigkeit und die Wahrnehmungen sind – das ist kein Widerspruch – professionell eingeengt. Sie sind Tester, keine Kritiker – um das einmal salopp zu verkürzen.
Köche als Kritiker 3: für das TV-Publikum reicht es
Spielt die begrenzte Qualität ihrer Kritiker-Arbeit nun eine Rolle? Nicht wirklich, weil ihre Arbeit natürlich auf ein TV-Publikum trifft, dem man – sagen wir es einmal sehr grob – alles verkaufen kann und das selber zu kulinarischer Kritik entweder gar kein Verhältnis hat oder einer Kritik überhaupt nicht folgen könnte. Als ich in der FAZ vor über zwanzig Jahren anfing, ungewöhnlich differenzierte Kritiken zu schreiben, hatte ich ganz schnell zweierlei Reaktionen: die von vielen begeisterten Köchen, die sich darüber gefreut haben, dass endlich einmal jemand auch kulinarische Details wahrnehmen, analysieren und wertschätzen konnte, und die von einem Publikum, das teilweise anscheinend überhaupt nicht verstand, worüber ich eigentlich schreibe. Die „Küchenschlacht“ – Köche bedienen das unverständige Publikum, und das ist nur vordergründig kein Problem. Tatsächlich sind nicht nur ihre Kritiken kein besonderer Höhepunkt, sondern vor allem deren Wirkung im höchsten Maße kontraproduktiv. Sie vergrößern den riesigen Haufen von kulinarischem Unsinn, der in solchen Sendungen produziert wird. Sie lassen sich und ihren Beruf instrumentalisieren, und das für eine billige, ausgewalzte, unpräzise, langweilige Art der kulinarischen Unterhaltung. So sehr ich ihre Arbeit im Detail auch schätze: mir sind Köche lieber, die sich nicht für diese Art von Medientätigkeit missbrauchen lassen. Und die gibt es gottseidank immer noch. Es wäre viel besser, überragende Köche mit ihren eigentlichen Fähigkeiten so zu präsentieren, dass alle Zuschauer wirklich etwas davon haben.
Lieber Herr Dollase,
Sie schreiben mir aus der Seele. Ich esse gerne, am liebsten auch gut, maße mir aber keinesfalls an, ein Kritiker zu sein.
Ab zu und stoßen wir beim Zappen durch die Programme auf die ein oder andere Kochshow, es gibt ja auch einige neben der Küchenschlacht. Ein Verweilen länger als zum Registrieren, was da läuft, ist uns nicht möglich.
Dann doch lieber ab und zu die Ergebnisse der Kritiker in Natura in deren Restaurants geniessen.
Ein durchaus großer Küchenchef sagt: die Wahrheit liegt auf dem Teller.
Das ist es.
mit freundlichen Grüßen
Gerhard Klein
Meine Traumkochserie: In jeder Folge wird ein interessanter Koch in seinem Lokal besucht. Ein für ihn typisches Menue wird serviert und Teller für Teller kompetent besprochen und erklärt; der Küchenchef tritt also in einen Dialog mit einem Kritiker, zeigt eventuelle Zubereitungsdetails, erklärt die Idee dahinter und ihre technische Umsetzung, vielleicht kommt auch mal ein Produzent dazu und erklärt, warum sein Produkt diese oder jene Qualität hat oder die Sommeliere , die verschiedene Weine etc zu diesem Gericht präsentiert. Alles möglichst unprätentiös, ruhig, spannend und aufregend.
So ist es.
Gruß JD
Lieber Jürgen – ich liebe Deine Artikel. Du bist für mich die ernsthafte Prüfinstanz für Kulinarik in Europa, jemand den ein Profi ernst nehmen sollte. Und wie Du weißt: Ich nehme Kulinarik ebenfalls sehr ernst. Aber, was wir nicht vergessen dürfen (auch wenn es sehr, sehr schmerzt) – bei der Küchenschlacht, Grill den Hensler und Co. geht es NICHT um Kulinarik. Es geht einzig und allein um Entertainment. Um es auf den Punkt zu bringen: Wäre „Turnschuh-Weitwurf“ so populär wie Kochen, dann würde es auch eine „Turnschuh-Weitwurf-Schlacht“ geben. Für die Kulinarik erfüllen diese Pseudo-Kochshows jedoch einen großen Zweck: Sie führen Menschen, mehr oder weniger, zu einer Idee wie gutes Essen aussehen könnte. Klar, das was da in 30 Minuten zusammengezimmert wird, ist meist weit ab von hervorragendem Essen – aber es zeigt, dass sich mehr Menschen damit auseinandersetzen. Und das finde ich erstmal gut. Und: Ich habe gar kein Problem damit wenn ein Koch sich im TV präsentiert, denn so wird sein Lokal schneller voll… Herzlichst – Dein Buddy von den Gastro-Survival-Passionistas
Jürgen Dollase im Jury-Panel neben Calli Calmund – da würde jeden Sonntag der Henssler gegrillt! Ein Traum! Da würde ich sogar auf Börne verzichten.
Lieber Herr Zipper,
widersprüchlicher geht’s kaum. Einmal geht es nicht, wie Sie sagen, um „Kulinarik“, sondern um „Entertenmaint“ und nur zwei Sätze weiter sollen genau jene „Pseudo-Kochshows“ einen „großen Zweck“ für die Kulinarik erfüllen. Was denn jetzt? Und Ihr Argument, das Köche sich „im TV präsentieren“ sollen damit ihre Läden voll werden, ist aus meiner Sicht mehr als bedenklich. Diese Klientel von Gästen kommt vor allem um ein Foto mit dem Promikoch zu machen und ist im günstigsten Fall nur enttäuscht, wenn der „Verehrte“ nicht da ist. Im ungünstigsten Fall verreißen sie dann auch noch sein Lokal bei „Shitadvisor“, oder anderen asozialen Netzwerken. Sie wird der Kollege nie wiedersehen. Für die Kulinarik haben diese „Sternerestaurant-Touristen“ null Bedeutung.
Und dann noch was: Kochsendungen animieren offensichtlich zum verstärkten Kauf von Küchen und Kochutensilien. Allerdings bedeutet dies keineswegs, dass auch mehr gekocht wird. Dies belegt das Ergebnis des weltweit erstellten Kitchen Living Report des schwedischen Möbelkonzerns Ikea aus dem Jahr 2005. Dafür wurden 500 Deutsche nach ihrer Wohnsituation und ihren Wohnwünschen befragt. Nur noch 24 Prozent der Befragten nutzen die Küche ausschließlich zum Kochen. 35 Prozent dafür zum Kontaktpflegen und 43 Prozent zum Telefonieren. Die Umfrage der Nürnberger
Gesellschaft für Konsumforschung von 2007 kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Dort gaben nur 27 Prozent der Befragten an „immer gern und mit Begeisterung zu kochen“, während es bereits 55 Prozent nur „manchmal, aber nicht immer
Spaß macht“ und für 17 Prozent ausschließlich eine Haushaltspflicht ist. Diese Entwicklung zeigt sich auch in Umfragen, die belegen, dass nur noch in einem Drittel der deutschen Haushalte täglich gekocht wird. Dabei ist mit Kochen gemeint, dass eine halbe Stunde täglich für alle Mahlzeiten aufgewendet wird. In diesem Zusammenhang hat der Kochvorgang auch immer weniger mit den traditionellen Verfahrensweisen der Lebensmittelaufbewahrung, des saisonalen Einkaufs sowie der sorgfältigen Zubereitung gemeinsam, sondern besteht vielmehr meist nur noch aus Erwärmen, Aufwärmen oder der Kombination verschiedener Halbfertig-Produkte zu einem vollständigen Gericht. Diese Entwicklung bestätigt die weit verbreitete Ansicht, dass das Kochen durch die Kochsendungen „nicht fördernd begleitet […], sondern glattweg ersetzt wird.Die Vielzahl der Kochsendungen animiert die Deutschen also nachweislich nicht, mehr Zeit zum Kochen in der Küche zu verbringen. Dass der Erfolg der diversen Kochsendungen im Fernsehen dennoch nicht abreißt, sondern die Anzahl der
Kochsendungen sogar zunimmt, könnte dementsprechend darauf zurückgeführt werden, dass das Kochen zunehmend aus der realen Lebenswelt verschwindet und die TV-Köche somit als „nostalgische Wiedergänger“ ins Fernsehen zurückkeh-
ren. Demzufolge symbolisiert die vermehrte Anzahl der Köche im deutschen Fernsehen eher die „Fragwürdigkeit und Auflösung bisheriger kulinarischer Praktiken und der mit ihnen verknüpften sozialen Rituale.“
Udo Brosko