Es gibt viele gute Bücher von guten Leuten über den richtigen Wein zum Essen, und jeden Tag werden in den guten Restaurants – mehr oder weniger wortreich – von den Sommeliers Unmengen von Empfehlungen gegeben. Aber: denkt man dabei wirklich genug an das, was wenig später passiert? Wie tatsächlich getrunken wird? Und – gibt es da vielleicht Dinge, die jede Empfehlung wieder ad absurdum führen können?
Ein kleines Problem mit großen Auswirkungen
Es kann vorkommen, dass man den empfohlenen Wein vor dem Essen probiert hat, ihn gut findet und ihn sich auch sehr gut im Zusammenhang mit dem Essen vorstellen kann. Dann beginnt man zu essen, nimmt einen Schluck und…ist enttäuscht. Der Wein schmeckt bei weitem nicht so gut wie vorher, dünner, vielleicht nur noch säuerlich und macht jedenfalls keinen Spaß. So etwas kann selbst bei wunderbaren, großen Weinen passieren. War die Empfehlung falsch? Die möglichen Erklärungen können in verschiedene Richtungen gehen, von vielen Details abhängen und ziemlich komplex werden. Ich möchte hier erst einmal ein grundlegendes, sehr einfaches Problem ansprechen, nämlich das Problem mit der Kontaktstelle, wie ich den Zeitpunkt genannt habe, zu dem wir nach einem Bissen vom Essen den Schluck Wein nehmen (oder was immer man dazu trinkt). Der gleiche Wein kann völlig unterschiedlich schmecken, wenn wir ihn direkt nach einem Bissen, 5 Sekunden später oder vielleicht 20 Sekunden später trinken. Er kann – direkt nach dem Bissen getrunken – flach schmecken und mit wenigen Sekunden Abstand getrunken grandios. Er kann je nach Lage der Kontaktstelle genau so schmecken wie vor dem Essen, wunderbar „greifen“ (also eine Verzahnung der Aromen von Wein und Essen zeigen) oder ganz spezielle Reaktionen zeigen, die „neue“ Aromen freisetzen, die man vorher weder beim Wein noch beim Essen bemerkt hat. Die Empfehlung kann 100% haben, aber auch nahe 0% liegen. Wo ist das Problem? Was passiert da?
Der Kampf der Aromen
Es ist alles eine Frage der Proportionen. Wenn der schnell nach dem Bissen getrunkene Wein deutlich an Substanz verliert, kommen seine Aromen gegen das, was vom Essen im Mund noch an Aromen vorhanden ist, nicht an, sie werden überlagert. Werden die Aromen vom Essen im Mund schwächer, wird sich der Wein wieder „erholen“, man nimmt ihn also wieder komplexer wahr. Sind im Mund so gut wie keine Aromen vom Essen mehr vorhanden, schmeckt der Wein wie vor dem Essen – was in gewisser Weise nicht den Intentionen einer Weinbegleitung entsprechen dürfte. Diese Wirkungsweise, dieses Zusammenspiel kann natürlich sehr viele Varianten annehmen und wiederum sehr unterschiedliche Gründe haben. Wenn der Mund z.B. noch stark unter dem Einfluss von nachhaltigen Fetten steht (etwa bei einer Foie gras – Terrine), haben wenig körperreiche Weine kaum eine Chance. Das gleiche gilt für stark würzig-nachhaltige Elemente.
Maximaler Genuss braucht Konzentration und Mitwirkung
Meine Vermutung ist, dass ein großer Teil der Esser und Weinfreunde nicht das Optimum dessen schmeckt, was eigentlich möglich ist, weil sie sich dieses Problems nicht bewusst sind und nicht bewusst nach der optimalen Feinabstimmung (also der optimalen Kontaktstelle) suchen.
Man kann in kürzester Zeit und mit ein wenig Beobachtung des Geschmacksverlaufes feststellen, was zwischen Wein und Essen passiert und sich ein prächtiges Geschmackserlebnis verschaffen. Vielleicht sollte auch der Sommelier darauf hinweisen, wie man das am besten handhabt – vor allem dann, wenn Gäste unbedingt einen speziellen (vielleicht großen) Wein trinken wollen, dessen Reaktionen mit dem Essen ein wenig Fingerspitzengefühl brauchen.
Probieren Sie die Sache mit der Kontaktstelle einmal aus. Es ist faszinierend!