Torsten Michel legt vor. Ein Unikat, präsentiert bei „Kunst und Kochkunst“ in der Traube-Tonbach in Baiersbronn

Am Samstag gab es in der Traube-Tonbach in Baiersbronn die vierte Auflage der Veranstaltung „Kunst und Kochkunst“. Höhepunkt aus kulinarischer Sicht ist dabei ein Menü, das Torsten Michel in der „Schwarzwaldstube“ für die Gäste zubereitet. Wie schon bei der letzten Veranstaltung vor Corona habe ich das Menü begleitet, und zwar mit Moderationen zur Kochkunst (zum Beispiel zur ausgeweiteten Sensorik und zum Schmecken/“das kulinarische Bild malen Sie sich zum großen Teil selber“) und speziell zum Verhältnis und Vergleich von Kochkunst und Bildender Kunst.

Für diesen Menü nimmt sich Torsten Michel immer etwas Spezielles vor, er produziert sozusagen ein Unikat. So auch in diesem Falle, wo er sich ganz speziell mit dem Thema der regionalen Produkte befasst hat. Wir haben einige Wochen vor der Veranstaltung telefoniert und er hatte mir zur genaueren Abstimmung von Essen und Moderation in etwa angedeutet, mit welchen Gerichten und welchen Produkten er sich befassen wollte. Dabei haben wir auch die Probleme der Beschaffung von Produkten in absolut gleichbleibender Qualität und vor allem in der nötigen Stückzahl diskutiert, ein Thema, das immer eine große Rolle spielt, wenn man mit lokalen oder regionalen Erzeugern zusammenarbeiten will.

Was Torsten Michel dann produziert hat, war unter einer ganzen Reihe von Aspekten hochinteressant. Es gibt einen Satz von mir, der schon vor vielen Jahren in der FAZ einmal Überschrift einer meiner „Geschmackssachen“ war. Dort stand: „Schweinshaxe im Drei Sterne-Restaurant“ (oder so ähnlich, ich habe gerade meine Unterlagen nicht in der Nähe). Es ging darum, dass ich der Meinung war und bin, dass wir erst dann, wenn so etwas wie eine Schweinshaxe in einem Drei Sterne-Restaurant als Thema vorkommt, wirklich einen Schritt zu einer stärkeren Authentizität unserer Spitzenküche machen werden. Es gab immer wieder dazu verschiedene Diskussion hinter und vor den Kulissen.

Und nun kommt Torsten Michel und macht ein ganzes Menü rund um dieses Thema. Es wird also nicht weiter diskutiert, sondern es gibt nun konkrete Beispiele von einem hervorragenden Koch, der anläßlich einer solchen, „freien“ Veranstaltung die Gelegenheit nutzt, um seine Überlegungen zu diesem Thema einmal umzusetzen. Das will ich den Lesern natürlich nicht vorenthalten und vor allem erst einmal die leicht angereicherte, kommentierende Beschreibung der Gerichte und einige Bilder liefern. Hier nun 6 der Gänge:

 

Amuse: Rote Bete und lokale Forelle

Ein Gericht aus der letzten Folge von „Kunst und Kochkunst“. Es ging damals um ein monochromes Gericht. Hier: eine sensorisch ausgeweitete Variation von Rote Bete mit Eis und – ergänzt – einer lokalen Forelle, kaltgeräuchert, um die Garung nicht zu weit zu treiben, aber mit krosser Kruste.

Carpaccio und Tatar von badischem Weiderind mit kleinem Champignonsalat, cremigem Pilzgelee und Marinade von geschmortem Rinderhals, Salatspitzen und Dinkel-Urkrusten-Gavottes

 

 

Ein exzellentes Gericht, bei dem das klassische Tatar-Thema aufgegriffen und zu ganz unerwarteten Höhen geführt wird. Den „Trick“ macht hier vor allem die Kombination von rohen und gegarten Elementen, wobei die gegarten Elemente – also die „Marinade“ von geschmortem Rinderhals nicht nur für einen wunderbar abgerundeten cru-cuit-Kontrast sorgen, sondern auch eine hohe assoziative Ladung haben. Dieses Tatar spielt mit der Tiefe der Tradition und schafft mit modernem sensorischen Verständnis in den „Garnituren“ eine sagenhafte Süffigkeit und Opulenz. Statt des „unedlen“ Stückes Rinderhals würden viele andere Stücke vom Rind, die sonst eher selten Verwendung finden, ebenso eingesetzt werden können.

Junge Bodensee-Erbsen mit sanft gegartem Landhuhn-Eigelb, luftgetrockneter Rinderschinken und „Bottarga“ von geräuchertem Eigelb, Rinderjus-Emulsion und Brunnenkresse

 

 

Das Gericht ist eine Abwandlung einer Komposition, die im vegetarischen Menü der „Schwarzwaldstube“ zu finden ist. Ich finde diese nicht-vegetarische Version noch viel besser. Die Emulsion bringt – wie oft bei Torsten Michel – einen vollen, fleischigen, nie „bitter und wieder montierten“ Geschmack. Das Eigelb ist so gegart, dass man es in einige größer Stücke teilen kann, also nicht so, dass es beim Anschnitt komplett verläuft. Mit dem geräucherten und getrockneten Ei-„Bottarga“ bekommt es eine kräftige, aber fein aromatische Spitze, und der Schinken rundet mit einer nicht zu aggressiven salzigen sondern ebenfalls eher fleischigen Note perfekt ab. Ein Großer Wurf, wie auch dass Carpaccio

Kross gebratene Zanderschnitte und gegrillter Zanderbauch mit BBQ-Lack, zartem Spitzkohl mit Weintrauben und Topaz-Apfel, Jus von gerösteten Zanderkarkassen mit altem Sherryessig.

 

 

Das einzige Gericht, das aktuell schon auf der Karte steht. Der gegrillte Bauch (eine feine, aber geschmacklich ganz klar sinnvolle Entscheidung) hat einen begrenzten BBQ-Lack, der als Würze wirkt und nicht penetrant durchschmeckt. Die Kombination von Spitzkohl, Trauben und Apfel bringt eine ungewöhnlich frische Milde. Die Sauce ist sensationell. Man schmeckt zu Beginn eine klassisch reduzierte Sauce von einiger Dichte, der dann eine Art Blick in die aromatischen Tiefen der Herstellung folgen kann: man schmeckt wirklich Gräte, und zwar geröstete Gräte. Die Profis unter den Lesern werden das kennen und einschätzen können. Fonds etc. die so präsent und transparent wirken und gleichzeitig eine erhebliche Tiefe haben, sind ein Kunststück. Mit auf dem Teller auch ein Quenelle vom Zander nach Art der Quenelles de Brochet

Gezupfte Keulchen vom Maishühnchen mit knuspriger Haut, glasierter Geflügelleber, scharfer Paprika und jungen Schalotten. Geflügelglace mit Paprika, Kümmel, Majoran

 

 

Beim Huhn – und speziell bei den relativ kleinen Stücken – leistet zuerst einmal die Geflügelglace etwas für eine satte Würze. Auch die Leber profitiert von diesem Zusammenhang, die Haut ist natürlich so eingestellt, dass sie Huhn und Krosses, aber keine Bitterkeit von überzogenen Röstnoten bringt. Eine ganz überraschende Funktion, die an meinem Tisch gleich mehreren Leuten auffiel, haben die eher dünnen und unauffälligen Paprikastreifen, die eine sagenhafte Präsenz entfalten und dem Ganzen eine sehr spezielle Note geben.

 

Gebratener Bauch, Füße und Rücken vom Älbler Lamm mit Gartengurken, Kopfsalat mit jungem Lauch und Radieschen, Senfmousseline mit Dillspitzen und reduziertem Gurkenessig

 


Bei diesem Gericht mit Teilen vom lokalen Lamm, die man üblicherweise in der Spitzenküche kaum jemals findet, sorgen erst einmal diese Varianten für eine geschmackliche Breite, die gegenüber den oft sehr kargen, ausgelösten Rückensträngen große Vorteile hat. Ein besonderer Effekt kommt hier von einem Fleisch-Gemüse- cru-cuit-Kontrast mit einem halbieren Salatherzen, das mit diversen Mikroelementen eine wunderbar frische und variantenreiche Begleitung abgibt. Sehr originell und weit entfernt von Standards ist übrigens auch die Senfmousseline mit dem reduzierten Gurkenessig (ganz allgemein: ich persönlich halte den Einlegefond von Gurken im Glas oft für eine erstaunlich wirksames und feines Würzmittel…)

Heimisches „dry aged“ Landschweinkotelett mit Blutwurstkruste und Feinem vom Schweinskopf mit knusprigen Schweinsohren, Jus von geschmorter Brustspitzen mit feingewiegter Maske und Trüffeln

 

 

Torsten Michel hat einen Metzger in Baiersbronn gefunden, der einerseits schon immer bei den Köchen der Gegend populär war, dessen Produkte man aber eben in der Spitzenküche kaum jemals eingesetzt hat. Andererseits musste er erst einmal dazu angeregt werden, einen Reiferaum zu schaffen, in dem ganze Schweinehälften drei Wochen reifen können. Aus dem Ergebnis hat Michel hier eine Art Variation vom heimischen Landschwein kreiert, bei der die am Schluss genannten Trüffel bei weitem nicht die Rolle spielen, wie bei manchen französischen Spitzenköchen, die gerne einmal rustikale Produkte bearbeiten, sie dann aber in Foie Gras und Trüffeln geradezu versenken. Die Trüffel hier spielen nur eine anreichernde Rolle in einem vom Schwein gezogenen Fond (eine nicht ganz einfache Sache), der – wie viele Fonds etc. bei Torsten Michel – immer mehr in Richtung von Extrakten etc. geht, weil man die Substanz der Saucen produktnah-fleischig halten will und starke, dann mit Butter montierte Reduktionen von Fonds, die mit viel Röstnoten gezogen wurden, vermeiden will.

 

Mit diesen konkreten Inhalten hat Torsten Michel allen Interessierten einen wunderbaren Dienst erwiesen. Alle Spitzenköche der aktuellen Generation sagen, dass man im Prinzip mit jedem „sauberen“ Produkt auch Spitzenküche machen kann. An Beispielen hat es aber bisher oft gefehlt, vor allem jene, die sich tradfitionell lokaler und>/oder regionaler Ressourcen bedienen. Hier nun gleich eine ganze Reihe, auf einem hervorragenden Niveau realisiert und zur Nachahmung und Anregung unbedingt empfohlen. Dass hier viel mit dem assoziativen Kontext gearbeitet wurde – was ich beim Essen den Gästen ausführlich erläutert habe – rannte bei den Gästen, die zum größten Teil sehr erfahrene Gourmets sind, offen Türen ein. Man spürt es sofort, wenn eine Küche will, dass man sich „zu Hause“ fühlt und dann alle Finesse auspackt, um es einem dort noch ganz besonders angenehm zu machen.

1 Gedanke zu „Torsten Michel legt vor. Ein Unikat, präsentiert bei „Kunst und Kochkunst“ in der Traube-Tonbach in Baiersbronn“

  1. Der Begriff „assoziativer Kontext“ geistert hier schon eine ganze Weile durch die Beiträge. Hie und da wurde er auch kurz erläutert, aber ich denke, es wäre schön, wenn Sie uns Definition, Funktion und Bedeutung des assoziativen Kontextes einmal in einem gesonderten Beitrag inklusive konkreter Beispiele aus der modernen Kochkunst näher bringen könnten.

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