Torsten Michel hat wahrscheinlich den schwierigsten Küchenchef-Posten übernommen, den man bei uns übernehmen kann. Da nützt es auch wenig, dass er über lange Jahre systematisch von Harald Wohlfahrt zu seinem Nachfolger aufgebaut wurde. In dem Moment, wo er für die Küche verantwortlich wurde, kamen die Vergleiche mit dem Meister.
Dass Michel in den letzten Jahren der Zusammenarbeit mit Wohlfahrt für eine ganze Reihe von Gerichten auch konzeptionell verantwortlich war, spielte bei den Vergleichen übrigens kaum eine Rolle – vielleicht auch deshalb, weil über die realen Geschehnisse in einer Küche selten Details an die Öffentlichkeit dringen. Vielleicht war es unter kulinarischen Aspekten sogar gut, dass der Übergang von Wohlfahrt auf Michel nicht ganz reibungslos war. Das lenkte einfach ab und verschaffte Torsten Michel so etwas wie ein wenig Luft. Und die hat er durchaus gut gebrauchen können und gut genutzt. Als ich vor wenigen Tagen wieder bei ihm gegessen habe, war der Unterschied zum Vorjahr deutlich zu bemerken. Michel ist sicherer geworden und hat mittlerweile eine deutlich klarere kulinarische Linie als noch vor einiger Zeit. Dabei fällt vor allem auf, dass die handwerklichen Grundlagen, also vor allem Garungen und Saucen, nicht nur ein sehr hohes Niveau erreicht haben, sondern dieses Niveau auch quasi bei jedem Gericht zu finden ist, und dass er mittlerweile beträchtlich eigene Akzente setzen kann.
In der ersten Folge dieses Berichtes aus der „Schwarzwaldstube“ geht es um Vorspeisen. Folge II wird sich mit den Hauptgerichten befassen.
Variation von Gartengurken, Buttermilch mit Wasabi und jungen Rüben, mit angemachten Wildkräuterspitzen, pikante Senfmayonnaise mit Dill
Es gibt viele Gurken-Variationen, bei denen auf Teufel-komm-heraus variiert wird, der Zusammenhang aber kaum eine große Rolle spielt. Ob dann ein Element mehr oder weniger auf dem Teller ist, ist unwichtig, dafür mangelt es meist nicht an Details, die für ein gutes Bild sorgen. Bei Torsten Michel geht es ganz klar um den Zusammenhang und ein spezifisches Geschmacksbild. Es geht dabei nicht so sehr um einen Hintergrund, vor dem sich die Variationen entfalten können, sondern deutlich um eine individuelle Färbung der Akkorde. Diese Färbung entsteht hier vor allem über den Zusammenhang von Senfmayonnaise mit Wasabi und der Milchsäure, der für ein insgesamt herzhaftes Bild sorgt. Durch die sensorische Dichte der Komposition mit Vinaigrette, Sorbet, Mayonnaise etc. entsteht ein süffiger, durchaus üppiger Eindruck. Schon bei einem solchen Amuse wird deutlich, dass es Torsten Michel bei aller Differenziertheit und Vielfalt seiner Gerichte in erster Linie um einen allgemeinverständlichen, guten Geschmack geht, der jeden Gast überzeugt und nicht so sehr um Novität um der Novität willen. Im Ergebnis führt das zu einer Küche, die sowohl für große Popularität wie für sehr differenzierte Betrachtungen geeignet ist. Spezialisten werden hier zum Beispiel eine sehr differenzierte Inszenierung der Wildkräuterspitzen finden können.
Zweierlei Makrele mit Kräutercreme, Meerrettichschaum und Imperialkaviar
Auch bei der nicht immer populären Makrele findet Torsten Michel eine prächtige Lösung, die sozusagen wegen der größeren Aufgabe mehr Kreativität und Originalität verlangt. Es gibt die Makrele als butterweich roh marinierte Stückchen und als angebratene Schnitte. Der Meerrettichschaum ist aromatisch so zurückhaltend eingestellt, dass sich eher der Eindruck einer cremigen Luxusversion von Makrele als der einer irgendwie forciert rustikalen oder säuerlichen Variante ergibt. Auch die Kräutercreme und das die beiden Zubereitungen trennende Gelee wirken nur dezent aromatisch, sondern eher als – im weitesten Sinne – cremige Umspielung. Im Endeffekt ergibt das im Zusammenhang mit dem Kaviar eine in sich immer dezent bewegte, aromatische Fassung für die Makrele, die in dieser Version erheblich an Eleganz gewinnt. Trotz der Originalität des Geschmacksbildes hat es klare klassische Qualitäten. Man könnte allerdings darüber nachdenken, ob dieses recht kleinformatige Gericht nicht auch in einer Fassung denkbar wäre, bei der die Elemente nicht wie hier schnelle Mischakkorde bilden, sondern als etwas größere Stücke und deutlichere Aromen intensivere aromatische Beziehungen zueinander eingehen.
Gebeizter Wildlachs „Kishu“ mit Scheiben von mild geräuchertem Wildlachs, zartem Lachsgelee, eingelegten Shiitake-Pilzen und krauser Glucke
Ein wichtiges Stilelement in der aktuellen Küche von Torsten Michel ist die kreative Weiterarbeit an weitgehend klassischen Zusammenhängen. Eine Lachsvariation findet man häufig, eine in dieser Qualität sehr selten, und eine in dieser originellen Weiterführung eben nur hier. Optisch erinnert diese Fassung durchaus an die Verwendung von vielen, sensorisch präzise wirksamen Mikroelementen bei Harald Wohlfahrt. Aromatisch aber geht es bei Torsten Michel deutlich anders zu. Wieder ergibt sich (siehe oben) zuerst eine beträchtliche Süffigkeit. Dann bemerkt man, wie sich unter dem Einfluss der präzise dimensionierten Mikroelemente und vor allem der beiden Pilzsorten das Spektrum erstaunlich exotisch verschiebt – also eine klar individuelle Färbung annimmt. Und weil dies mit großer Finesse im Detail passiert, ergibt sich das sehr professionelle Bild einer prototypischen Drei-Sterne-Küche der – sagen wir: klassizistischen Art. Die Moderne ist hier stets eine fortgeschriebene, also etwas, das sich auf der Basis klassischer Qualitäten entwickelt.
Terrine von marinierter Entenleber, Wachtel und Kalbsbries in Jurancon-Gelee, Salat mit geschwenkten Artischocken in Pinienkernmarinade
Exakt diese Beobachtung kann man auch bei dieser Foie gras-Version machen. Zunächst wird die Terrine optimiert, was eben nicht nur bedeutet, die Foie gras gut zu würzen, sondern auf einem anspruchsvolleren Niveau auch den Aufbau der Terrine zu variieren. Es gibt in Frankreich (z.B. bei Ducasse) immer wieder den Weg über die Variation und/oder Optimierung der Pâté en croûte mit Foie gras-Medaillon oder Foie gras-Schichten, gerne auch unter Verwendung von Kalbsbries. Torsten Michel hält die Terrine mit den großen Stücken von Bries und Wachtel klar auf Kurs eines ausgeweiteten Akkordes rund um die Foie gras, erweitert durch ein Jurancon-Gelee, das gegenüber etwa einem Gelee von Sauternes den Vorteil hat, nicht so schnell in der Süße auszuufern. Im Begleitapparat erinnert die Artischocke im ersten Moment zwar auch an klassische Nouvelle-Cuisine-Akkorde zwischen Foie gras und Gemüse, entwickelt sich dann aber deutlich differenzierter und komplexer. Der vorsichtige Wechsel beim Essen zwischen Foie gras und der Begleitung, mit immer wieder neuen Kombinationen und den entsprechenden Aromen und Texturen ist höchst interessant. Ein besonders erfreulicher Effekt ist das eher herzhafte Aromenspektrum, also das Abweichen von den oft unerfreulich süßen Kombinationen rund um die Foie gras.
Salat von Kalbskopf, -zunge und -bries mit krossen Kalbsohren und -füßen, pikante Senfwürze mit schwarzen Trüffeln
Dieses Gericht wirkt in seiner ganzen, fast archaischen Wucht absolut meisterlich und macht – nicht zuletzt wegen des üppigen Einsatzes der australischen Trüffeln – sehr viel Vergnügen beim Essen. An die Reihenfolge von Süffigkeit mit folgender Differenziertheit braucht man vielleicht hier nicht noch einmal zu erinnern. Sie findet bei diesem Gericht allerdings auf einem Level statt, das der Kräftigkeit und Rustikalität der Elemente angepasst ist. Alle panierten Teile haben eine sehr gute Proportion zwischen Panierung und Fleisch – auch bei den Streifen von den Kalbsohren, die durch entsprechende Röstnoten eine gute Balance zu der Panierung erreichen. Zusätzlich zu den die Optik mit den trüffeln dominierenden, panierten Elementen gibt es geschmorte Bäckchen und ein Ragout, es gibt eine Mayonnaise und eine wundervoll intensive Trüffelsauce. Man hat hier den Eindruck einer Küche mit sehr viel Schwung, die ohne falsche Zurückhaltung und unnötige Hintergedanken die Möglichkeiten einer solchen Komposition voll ausschöpft. Und das bedeutet natürlich vor allem auch einen kräftigen Trüffeleinsatz. Torsten Michel kommentiert das übrigens ausgesprochen nüchtern und redet davon, wie bei anderen Gerichten der Wareneinsatz geringer ist und man sich dann eben auch einmal an anderer Stelle einen solchen Trüffeleinsatz leisten könne. Die Kombination von Rustikalität mit dem Luxus-Spitzenküchen-Produkt Trüffel hat in der Geschichte der Kochkunst eine lange Tradition. Noch vor zwei oder drei Jahrzehnten konnte man in französischen Spitzenrestaurants regelmäßig solche Kombinationen finden, also zum Beispiel einen getrüffelten Schweinsfuß.
Lieber Herr Dollase, zunächst wieder ein herzlichen Dankeschön für Ihre wundervolle Kritik. Der holprige Wechsel von Herrn Wohlfahrt zu Herrn Michel ist mittlerweile etwas mehr als 2 Jahre her. In der Zwischenzeit waren die wohl renommiertesten aller Kritiker schon in der SWS, namentlich Sie, Andy Hayler, Julien Walther oder auch die Sternefresser, und alle kommen plusminus zum selben Ergebnis: nämlich dass Torsten Michel sich step by step von seinem großen Lehrmeister emanzipiert hat und mit seiner modernen Interpretation der klassischen grande cuisine nach wie zur kulinarischen Weltklasse zählt. Dem kann ich mich nur anschliessen und freue mich umso mehr auf den nächsten Besuch in 2 Wochen.