Neulich fand ich mich – so wollte es wohl der Zufall – in der Spielwarenabteilung eines großen Kaufhauses wieder. In Wirklichkeit hatte ich mich nur verlaufen, dachte mir allerdings, dass dies vielleicht ein Wink mit dem Zaunpfahl einer höheren Macht sein sollte. Der Geburtstag meines Neffen stand nämlich vor der Tür. Ich passierte Regalreihen mit teils kuriosen Spielwaren und teils vertrauten, die auf mich noch merkwürdiger wirkten, weil ich sie noch aus meiner eigenen Kindheit kannte und ich aufgrund dieser Tatsache eher der Meinung war, dass sie in ein Museum gehörten. Erwähnenswert wäre hier zum Beispiel das ferngesteuerte „Air-Rebound“-Monstrum („Lass ihn BUMPEN, lass ihn JUMPEN: AIIIIR-REEEBOUND!“) oder der offenbar zeitlose Action-Man, der noch immer der größte Held in unserer Welt zu sein scheint. Ich ließ Hot-Wheels- und Siku-Autos links liegen und steuerte auf das Playmobilregal zu. Als ich die Armada blauer Schachteln im Regal stehen sah, überkam mich ein überwältigendes Gefühl der Nostalgie und ich fühlte mich schlagartig zwanzig Jahre jünger. Recht schnell merkte ich aber, dass diese neuen Spielsachen nur noch wenig mit denen zu tun hatten, die ich besessen hatte. Es war alles viel bunter und flippiger, die Spielzeuge schienen funktionaler und raffinierter zu sein, als früher. Kurzerhand nahm ich den letzten Katalog aus dem dafür vorgesehenen Ständer. Ich blätterte einige Seiten, bemerkte, dass es noch immer eine große Ritterburg und einen Reiterhof gab und erfreute mich an der Tatsache, dass man nun auch (endlich) die Abenteuer der Ghostbusters stilecht nachspielen konnte – ein Kindheitstraum, den ich bis zum heutigen Tage gehegt habe. Recht schnell fand ich mich auf einer Seite, die ich nicht einfach weiterblätterte. Es war die wundervolle Welt der Piraten und damit eine, die mich seit Kindesbein an am meisten gereizt hat. Wie in einem alten Dreißiger-Jahre-Film schien alles um mich herum zu verschwimmen und ich sah mich plötzlich mit einem Dreispitz unter Deck. Anstelle des Playmobilkataloges hielt ich nun einen Zirkel in der Hand und gab mein Bestes mir und meiner Crew den Weg zu weisen. Neben der Karte, die ausgebreitet auf dem schweren Schreibtisch lag, waren noch einige zusammengerollte, die mit einem Lederriemen zusammengeknotet waren. Zwar war die Sonne zur Zeit von einigen Gewitterwolken verdeckt, erhellte Sie dennoch das Unterdeck durch die Fenster am Heck des Schiffes. Der dunkelbraune Zweimaster schaukelte in den hohen Wellen, jedoch nicht besorgniserregend stark. Eine aus Holz geschnitzte Meerjungfrau zierte den Bug, die ihre reich geschmückte Schwanzflosse hinter sich zu einem S formte, während ihr üppiger Busen von nichts weiter als zwei Jakobsmuschelschalen bedeckt war. Beinahe anmutig hielt sie den Kurs – die SS Highball.
So elegant und mächtig die alte Lady im Seegang lag, umso brüchiger war der Zusammenhalt der Mannschaft.
„Logbuch des Captain der SS Highball. Wir haben uns verirrt. Wenn meine Berechnungen stimmen hätten wir bereits vor drei Tagen im Hafen von San Juan eintreffen sollen, doch es ist nichts zu sehen. Weit und breit nur ich, die Mannschaft und der eiskalte Nordatlantik. Die Vorräte neigen sich dem Ende und ich vermag nicht zu sagen, wie lange ich die Crew noch beisammenhalten kann. Ich lasse mir nicht anmerken, dass wir vom Kurs abgekommen sind, doch sie werden langsam misstrauisch. Immer öfter ziehe ich mich in meine Kabine zurück, mit so argen Kopfschmerzen vor Sorge, dass ich nicht mehr weiß wo Vorn und Achtern ist.
Der Skorbut schlägt bei einigen durch. Jelly Legs Wallace – der ohnehin an schwerem Vitamin-D-Mangel leidet, weil er die meiste Zeit im Unterdeck arbeitet – hatte gestern Zahnfleischbluten und deshalb alle anderen in Aufruhr versetzt. Dean Hayward – genannt Salty – klagte über Fieber und Schlaflosigkeit. Sie sind alle an den Grenzen ihrer Kräfte angelangt. Wenn wir in zwei Tagen nicht irgendeinen Hafen erreichen, wird es Meuterei geben und sie werden mich über die Planke jagen. Wir haben nur noch Rum an Bord und es ist das Einzige, was uns derzeit bei Laune.
Der Seegang ist etwas ruhiger geworden, während der schneeweiße Vollmond das Puppdeck in einen gespenstischen Schleier hüllt. Ich kann die Besatzung vom Unterdeck hören. Ihr Akkordeon-Spiel, wie sie grölen und mich verhöhnen. Sie wissen es – natürlich, wie könnte es anders sein. Sicherlich schmieden sie gerade ihre perfiden Pläne, wie sie mich loswerden, um Davey Jones Truhe zu besuchen.
Ich brüte wieder über den Karten und habe das Gefühl, dass ich irgendetwas übersehen habe. Ich versuche mich zu konzentrieren, aber ertappe ich mich doch immer wieder dabei, wie ich mich danach sehne meinen Mund an einen Krug zu legen, der mit mehr gefüllt ist, als nur Rum. Meine Zunge wird ganz pelzig, wenn ich daran denke, wie sehr ich mich nach Früchten sehne, nach Süße, Würze und dem Gefühl die schier endlose Leere meiner Gedanken auszufüllen. Ich sehne mich danach, einen Strand zu erblicken, mich bei Nacht an eine Frau zu schmiegen und die Schönheit des Lebens noch einmal in vollen Zügen zu genießen. Ich scheine etwas übersehen zu haben – ich muss einfach…”
Für den Drink, nach dem sich Captain Helgo so verzweifelt sehnt, brauchen wir Rum. Stilecht nehmen wir den Plantation Xaymaca Special Dry und geben 4cl davon in einen Cobbler Shaker voller Eiswürfel. Dazu gibt es noch 1cl Plantation Three Stars White Rum, 6cl Ananassaft, 2cl Limettensaft, 1cl Cointreau, 2cl Falernum Sirup und einen Dash Fee Brothers Orange Bitters. Der Deckel kommt auf den Shaker und dann wird kräftig im Takt des Akkordeonspiels geshaked. Das Ganze seihen Sie in einen Tiki-Becher voller Eiswürfel. Dekorieren sie den Cocktail, als hätten sie eine monatelange Schiffsreise hinter sich und würden sich nach nichts mehr sehnen, als einem Korb voller Früchte. Sie wissen schon.
Alles verschwamm wieder um mich herum, als ich mich plötzlich wieder in der Playmobil-Abteilung des Kaufhauses befand. Ich war sogar kurz davor aufzuschreien, als mich etwas am Ärmel zupfte. Ein kleiner Junge stand vor mir und ich konnte mir das Schulmädchen-Schreien glücklicherweise verkneifen.
„Hey Sie!”, sagte er zu gleichen Teilen freundlich und vorwurfsvoll. „Kann ich den Katalog da haben? Sie haben den letzten genommen!”, schob er hinterher.
„Hier Kleiner…”, sprach ich, bevor ich ihm den Katalog betreten aushändigte. Ich trottete aus der Spielwarenabteilung und ging in die Tiefgarage. Keine SS Highball, kein Captain Helgo. Ich stieg in den VW-Bus und segelte nach Hause…
Der heilige Helge
Zutaten bei BOS FOOD zu bestellen:
4 cl Plantation Rum Xaymaca Special Dry • 1 cl Plantation Rum Three Stars (Art. Nr. 39534) • 6 cl Ananassaft • 2 cl Limettensaft (Art. Nr. 26327) • 1 cl Cointreau Orangenlikör (Art. Nr. 21363) • 2 cl Monin Falernum Sirup (Art. Nr. 43854) • 1 Dash Fee Brothers Orange Bitters