Die neue Liste der 50 Best ist da. Man muss sie nicht ernst nehmen, man kann sie nur ernst nehmen, wenn man eine stark selektive Wahrnehmung hat, aber man kann sie immer und jederzeit als Anregung für Diskussionen nutzen, die ohne ihre stark polarisierenden Momente vielleicht nicht so regelmäßig stattfinden würden. Die Organisatoren haben es jedenfalls geschafft, ein System zu etablieren, das geradewegs in die Bedeutungslosigkeit führt. Es wird zum Beispiel nicht mehr möglich sein, Irgendjemandem zu vermitteln, warum die in der Liste vorkommenden deutschen Restaurants besser als alle deutschen Drei Sterne-Restaurants sind, die ja sogar in den Top 100 nicht vertreten sind. Es ist schon eher zu vermitteln, dass es einen Zusammenhang zwischen Platzierung und Promotion gibt, wie sich „Kult“ (was immer man darunter versteht) entfaltet und Wirkung erzeugt und das Gegenteil von „Kult“ eben keine Wirkung in dieser Art von Rankings hat. Man ahnt, dass sehr viele Profis der weltweiten Gastronomie angesichts dieses wirren Konglomerats abwinken, und dass sie dies mittlerweile ganz ohne Fatalismus, sondern eher mit einem Ausdruck von „Was soll der ganze Quatsch“ tun. Wie gesagt: „The 50 Rest“ schaffen sich gerade selber ab.
Das Ranking ist also eine Farce. Was bleibt, ist der Blick auf eine internationale Küche mit bestimmten Tendenzen, die man unabhängig von Platzierungen und unabhängig davon, dass bei diesem Ranking per System die Besten ausgeschlossen werden, feststellen kann.
Die Küche und ihre Form haben sich weltweit geändert – bei uns allerdings fast am wenigsten
Das Interessanteste an der Liste ist die Dokumentation einer weltweit verbreiteten Stilistik, die mit der klassisch-französischen Küche und ihren Varianten eher wenig zu tun hat. Ich persönlich könnte jetzt darauf hinweisen, dass meine schon vor vielen Jahren gemachte Prophezeiungen in Richtung der Zukunft für die Nova Regio – Küche (also der Verbindung von einer neuen Sicht auf regionale und traditionelle Ressourcen und Avantgarde) sich erfüllt haben. Der allergrößte Teil der Restaurants fällt mehr oder weniger in diese Kategorie. Aber – das ist eben immer nur ein Teil der Kochkunst, und ein Ranking, dass nur einen Teil wiedergibt, lässt darauf schließen, dass die Juroren die ganze Sache irgendwie nicht richtig verstanden haben. Fest steht, dass sich die oft minimalistische Struktur der Gerichte mit Menüs, die vorwiegend aus kleinen Gerichten mit klaren, modernen bis avantgardistischen Ideen und/oder Interpretationen bestehen, bei uns eher selten findet. Was Form und Inhalt angeht, gibt es zwischen diesem Ranking und der deutschen Spitzenküche große Unterschiede – wobei das Fehlen von Marco Müller und Co. dann allerdings schon sehr verwundert. Ob dies ein Manko ist, kann man diskutieren. Fest steht, dass der Unterschied größer wird. Ich habe einmal Rasmus Kofoed vom „Geranium“ gefragt, ob er etwas dagegen hätte, wenn ich ihn den besten französischen Koch nenne. Er hat gelacht und meinte: „Nein, überhaupt nicht.“ Nicht dass ich Kofoed für einen typischen Vertreter moderner französischer Küche halten würde. Aber er macht das, was man sich als ultramoderne französische Küche vorstellen könnte. Wir haben das nicht, müssen es auch nicht haben. Aber wir müssten etwas Anderes haben.
Zwischen Klassik und Mainstream: wie die deutsche Spitzenküche einen soliden wirtschaftlichen Erfolg mit einer weitgehenden künstlerischen Bedeutungslosigkeit verbindet
Vor Jahren habe ich immer mal wieder den Begriff der „Schweizerisierung“ der Spitzenküche benutzt (heute setze ich ihn kaum noch ein). Ich meinte damit eine Art der Spitzenküche, die sich dort vor allem wegen eines zahlungskräftigen Publikums entwickelt hatte. Man entfernte sich kaum von der Klassik, wucherte aber immer mit Mengen von Allem, was gut und teuer ist. Die Entwicklung der Kochkunst konnte diesen Köchen weitgehend egal sein. Sie hatten ihr Publikum und machten genau das, was dort ankam. Bei Köchen wie etwa Roland Pierroz entstand eine Art von Küche, die man eigentlich „barock“ nennen müsste: von Allem reichlich, manchmal auch Zuviel des Guten – im wahrsten Sinne des Wortes.
Die nicht unbedingt explosionsartige Entwicklung der Kreativität in der deutschen Spitzenküche in den letzten Jahren (anders als etwa vor ca. 15 Jahren) realisiert sich mittlerweile ebenfalls mit einem treuen, schon lange Jahre vorhandenen Publikum. Unter gastronomischen Gesichtspunkten ist das verständlich. Die Diskussionen um ein „aussterbendes Publikum“ gibt es – mittlerweile sozusagen schon in zweiter Generation – sie verblassen aber angesichts einer sich kommerziell stabilisierenden Szenerie immer wieder. Insofern gilt oft eine Haltung, die eine weitgehende künstlerische Bedeutungslosigkeit im Vergleich zur internationalen Moderne und Avantgarde in Kauf nimmt. Man fürchtet bei mehr Kreativität kommerzielle Dellen und lässt es dann lieber. Ich habe dafür Verständnis und würde niemals einem genialen Klassiker Irgendetwas ausreden wollen – im Gegenteil. Mein Bezug ist die Kochkunst und ihre Entwicklung. Da bleibt gut, was gut ist, und was gut ist, kann man sehr gut begründen. Kommt eine solche Küche in der öffentlichen Meinung ins Hintertreffen, muss man sich für sie einsetzen. Das Problem ist nur, dass oft klassische Qualitäten und ein absolut kontraproduktiver Mainstream durcheinander gebracht werden. Genau das ist aber bei uns der Fall, und es ist ein Problem.
Wo es langgehen müsste
Der Weg zur Verbindung all dessen, was Kochkunst gut und interessant macht, existiert bei uns noch nicht im notwendigen Ausmaß. Er wäre der Schlüssel für ein Renommee, das sowohl auf klassischen Qualitäten wie auf einer regional-kulturellen Identität und damit Originalität beruht. Es ist der Weg zu einer unverwechselbar regional-traditionell fundierten Küche, für die unsere Geschichte alles hergibt, was man für eine gute Küche braucht. Ich weise seit vielen Jahren darauf hin. Natürlich gab und gibt es Versuche in dieser Richtung – auch in Drei Sterne-Restaurants. Aber – es mangelt ihnen oft an „Stamina“, an einer so radikalen Überzeugungskraft, dass nicht nur die alte Kundschaft begeistert ist, sondern auch eine ganz neue erschlossen wird. Die übervorsichtige, „weichgespülte“ Integration traditioneller Aromen und Geschmacksbilder in unseren besten Küchen hat noch nie wirklich etwas gebracht. Das muss spektakulärer, wenn man so will auch „poppiger“ sein – ohne auch nur einen Hauch an den allerbesten Qualitäten der Kochkunst zu verlieren.
Mit einem solchen Ziel und guten Realisierungen wird man auf der kulinarischen Weltkarte seinen Platz finden. Nicht als Kopisten, nicht als hochtalentierte Lehrlinge, nicht als Leute, die irgendwie vom Funktionieren und Wirken der Kochkunst nicht alles verstanden haben.
Soweit ein paar Ideen bei der Lektüre von „The 50 Rest“.
Es ist unbestritten, dass manche „Bewertung“ mehr als grotesk ist. Man kann aber diese Liste nicht ohne den guide Michelin Kontext betrachten. Die 50best Liste ist zu einer Zeit entstanden, als die Spitzenküche sich an einer französischen Leitkultur zu orientieren hatte unter Verlust jeder eigenen landestypischen Charakteristik. Zudem wurde auch geographisch nur ein kleiner Teil der kulinarischen Welt abgebildet. Die Zielgruppe des guide Michelin waren/sind eher Gäste fortgeschrittenen Alters. Mit der 50best Liste ist eine Art Anti-Michelin entstanden: anti-französisch, pro-regional, pro-individualistisch, pro-avantgardistisch, weltumspannend und eher ein jüngeres Publikum ansprechend. Dabei wird auch hier versucht, genau das zu beantworten, was der guide Michelin in seiner höchsten Kategorie anstrebt: Welches Restaurant ist eine Reise wert? Allerdings: Ist es nun ein Dreisternerestaurant auf höchstem kulinarischen Niveau, welches wenig bis gar keinen Bezug zu seinem Standort hat oder ein Restaurant, welches wie kein zweites das Terroir sowie die Atmosphäre und das Lebensgefühl einer Stadt abbildet allerdings bei vergleichsweise geringerem küchentechnischen Aufwand. Ich denke, beide Perspektiven (und daher auch eine Platzierung des Nobelhart) sind legitim. Städte, in denen man beides vereint antrifft wie in Kopenhagen oder in Barcelona, befinden sich zu Recht ganz oben auf der Liste. Man sollte nur nicht den Fehler machen, wie hier geschehen, die rein kulinarische Qualität als Maßstab anzusetzen und der Reihenfolge allzu große Bedeutung beizumessen. Auch scheint völlig in Vergessenheit geraten zu sein, dass diese Listen aber auch die Restaurantführer in erster Linie für Gäste und nicht für „Profis“ gemacht werden. Man sollte daher die Liste eher als Ergänzung zum guide sehen. Ich für meinen Teil würde einem Berlin-Reisenden beides empfehlen: das Rutz und das Nobelhart.
Mein Problem ist, das diese feine Küche Menschen mit viel Geld vorbehalten ist . Die verstehen nicht unbedingt etwas vom Essen, da geht es nur ums „Dagewesen sein. Natürlich kann nicht Spitzenessen billig kochen, aber sind die Preise wirklich angemessen…., ein Ausnahmebeispiel war für mich das „BRICOLE“ in Berlin, ein hervoragendes 6Gänge Menue für 98,E.pro Person., ein dezent eingerichtetes Lokal mit Superservice.
Diese Sichtweise, dass Spitzenküche nur etwas für die Leute mit Geld ist, ist nichts weiter als ein sehr altes und hartnäckiges Vorurteil. Das stimmt schon lange nicht mehr. Man kann das „Spitzenessen“ nicht billig, aber preiswert machen. Ein Beispiel dazu ist eine Reihe von hervorragenden Restaurants auf der ganzen Welt, einige davon gibt es sicherlich auch in Berlin. Heutzutage gibt es Sterneküche für (fast) jeden Geldbeutel. Es ist eher so, dass hierzulande die Leute sind eher bereit 50 Euro bei dem Griechen um die Ecke zu lassen, als 150 für ein gutes Menü.
Das ist wahr!
Eines meiner Lieblingsthemen – dass die „feine Küche“ nur „Menschen mit viel Geld“ vorbehalten ist, bleibt ein Mythos und ist, mit Verlaub, absoluter Blödsinn. Hauptfrage ist und bleibt: was sind die persönlichen Prioritäten? Ein Beispiel: für einen Großteil der Bevölkerung im deutschsprachigen Raum ist das Auto Konsum-Priorität Nr 1 – ein Investment für 30 bis 40.000 Euro ist da schon Normalität, wo es ein Auto für 10.000 auch tun würde. Tankfüllung für 100 Euro? Teuer, ja, aber muss ja sein. Hingegen fängt die Knauserei bei Essen schon viel weiter unten an. Brot für 7 bis 10 Euro für einen Handwerksbetrieb? Viel zu teuer, gibt’s ja um 3 Euro im Supermarkt. Nicht missverstehen – es soll jeder machen was er will. Wenn jemand sein Geld in das Auto stecken will, soll er es tun. Nur soll er mir dann nicht erzählen, Essen in Sternelokalen wäre ein absoluter Luxus. Wie unten auch angesprochen gibt es eine unglaubliche Vielfalt – Sie haben ja auch schon bei Sternefresser.de angesprochen, dass es Ihnen im Bricole gut gefallen hat. Das ist ja auch gut so und ich halte die casual dining Lokale vor allem als „Einstiegsdroge“ für sehr geeignet. Nur jetzt diese Art von Küche als das einzig wahre darzustellen, geht sicher komplett an der Realität vorbei. Man isst in absoluten Toplokalen sicher nicht preiswert, aber das Erlebnis ist nun mal in vielen Fällen herausragend (wenn man das schätzt). Um noch auf die Liste zu sprechen zu kommen: die ist in der Tat ein gewisser Fluch (außer für die Restaurants), weil in das jeweilig „beste Restaurant der Welt“, dann wirklich Personen gehen, die die Küche null interessiert. Der Vergleich mit dem Mount Everest mit all den Leuten, die trotz null Bergerfahrung auf den Gipfel gebracht werden, ist sicherlich nicht ganz weit hergeholt.