Tendenzen nach dem Restart

Wenn ich Marie, unserer Welsh Terrier-Hündin, in einem leicht auffordernden Tonfall sage: „Es geht los!“, kann ich sicher sein, dass sie selbst aus dem Tiefschlaf in einer Sekunde schwanzwedelnd und hin und her springend neben mir steht. Sie ist sofort präsent, fit und zu jeder Aktion bereit. – Wie es nach dem Restart der Gastronomie allerdings aussehen wird, ist immer noch ziemlich unklar (bitte entschuldigen Sie den Vergleich…). Wer heute die Websites studiert, wird in überraschend vielen Fällen immer noch auf wenig aktualisierte Speisekarten oder Detailinformationen treffen. Er wird ein Datum bekommen, wann es wieder losgehen soll, aber in vielen Fällen nach wie vor noch sehr wenig über die Abläufe und Regeln in Innenräumen.

Über die eher technischen Fragen hinaus ergeben sich aber auch noch grundsätzlichere Überlegungen, die noch kaum beantwortet werden können. Ich möchte heute einmal ein paar mögliche Szenarien und ihre Wahrscheinlichkeiten durchspielen. Ob sie sich so oder ähnlich ergeben, weiß man nicht. Aber man sollte sie im Auge behalten.

Alles geht so weiter wie vorher
Es wird vielen von Ihnen so gehen und schon gegangen sein: man rechnet damit, dass nach dieser katastrophalen Pause alles ganz anders sein wird. Und dann steht man da und es ist alles exakt so wie vorher – vielleicht mit ein paar kaum sichtbaren Änderungen, ansonsten aber „völlig normal“. Die Leute wollen unbedingt kommen, sagt man überall. Aber – das scheint ein etwas unpräzises Bild zu sein. Die vollen Außengastronomien täuschen ein wenig. Die Bilder stammen meist aus den Innenstädten der ganz großen Städte. Dort sieht es gut aus. Ich habe ein paar andere Städte besucht und eher den Eindruck bekommen, dass es noch eher 50/50 steht. Ja, es sind allerlei Gäste da, aber, nein, es ist nicht alles voll. Es gibt auch auffällig viele Leute, die „erst noch mal abwarten“ wollen, so dass sich nach einer ersten Begeisterungswelle (und bei schlechtem Wetter) Ernüchterung einstellen könnte. Ganz allgemein täuscht die Außengastronomie über das hinweg, was sich im Innern abspielen kann und wird. Viele Gourmetrestaurants verfügen über ausreichend Fläche, um Abstandsregeln ohne größere Platzverluste auszugleichen. Viele „normalere“ Restaurants im Mittelklassenbereich haben da schon eher ihre Schwierigkeiten, und Bistros und kleinere Restaurants auf alle Fälle.

Der Restart wird wegen der diversen Corona-Bedingungen so zögerlich sein, dass es Probleme geben wird.
Und dann droht eben für die Innenräume das Problem mit dem „Break-Even-Point“, das schon Albert Adrià zur Schließung seiner Restaurants nach dem Restart gezwungen hat. Viele unserer besten Restaurants sind auf voll besetzte Plätze angewiesen. Selbst zwei Tisch weniger können da schon zu einem Problem werden. Das Problem hat aber auch noch eine andere Seite, nämlich die des Publikums, das sich unter aufdringlich-auffälligen Sicherheitsmaßnahmen einfach in seiner Vorstellung von Genuss eingeschränkt sieht. Mit Schnelltest-Papieren aufzulaufen, bedeutet schließlich gegebenenfalls, alle zwei Tage einen Schnelltest zu machen. Das mag simpel klingen, kommt aber so nicht bei den Leuten an. Was ankommt ist eine lästige Prozedur, die sie auch noch immer wieder daran erinnert, dass sie nun „vermintes“ Gelände betreten.

Dieser Punkt scheint mir der am meisten mit Unklarheiten behaftete zu sein. Es ist zum Beispiel auch gut möglich, dass es eine erste positive Welle gibt, sich dann aber eine merkwürdige Art der Ernüchterung breitmacht, wenn man bemerkt, dass eben nicht alles genau so ist wie vorher. Und dann kommt noch die Überlegung, wann sich in den Köpfen der Gäste die Lage so entspannt darstellt, dass sie einfach auch nicht mehr an Corona und mögliche Gefährdungen denken. Das kann noch – selbst bei positiver Entwicklung – bis weit ins nächste Jahr dauern. Die Gourmetrestaurants mit viel Platz können hier allgemein die großen Gewinner werden, auch deshalb, weil ihre Gäste vielfach ein special interest haben, das sie dazu bringt, die Corona-Maßnahmen als nicht so wichtig zu empfinden.

Für die Gastronomie allgemein wird es vermutlich weiter darauf ankommen, sich Erträge auch außerhalb der eigentlichen Restaurants zu sichern. Die Abhol- und Lieferdienste werden sicher weniger werden, aber zu einem beträchtlichen Anteil auch noch längere Zeit laufen. Auch Sonderaktionen aller Art sollte man nicht sofort wieder einstellen. Sie können helfen, einen Ausgleich zu den durch Corona-Maßnahmen verursachten Einnahmeausfällen zu schaffen

Haben sich die Bedürfnisse verändert? Will man Entspannung und unproblematischen Genuss, aber keine „große Oper“
An diesem Punkt wird viel und diffus diskutiert. Es ist sicher richtig, dass viele Leute erst einmal Genuss-Szenarien im Kopf haben, die irgendwo zwischen süffigem Lieblingsessen und einer Flasche Champagner auf dem Tisch zu finden sein werden. Bei mir und meiner Frau ist der Wunsch nach einem Essen auf einer Pariser Brasserie-Terrasse manchmal wesentlich ausgeprägter, als der nach einem Besuch in einem Gourmetrestaurant mit großem und schwerem Degustationsmenü (zumindest privat…). In der Phase nach dem ersten Lockdown in 2020 hatte ich allerdings nicht den Eindruck, als ob sich die Gäste von den Gourmetrestaurants abwenden und mehr in die informelle, mittlere Gastronomie drängen. Erst einmal war Beides wieder voll. Aber – beim Essen funktionieren manche Dinge eben anders, als man meint und die Grundströmungen sind sehr zuverlässig. Wenn also erst einmal die diversen Unzulänglichkeiten in der einfacheren und mittleren Gastronomie „abgefeiert“ sind, wird sich der alte Wunsch nach mehr Dezenz und Verfeinerung auch im üblichen Ausmaß wieder durchsetzen. Da ist dann eine Pause von ein paar Monaten nicht sehr lang, zumal man zwischendurch außer Entbehrungen kaum andere kullinarische Erfahrungen gemacht haben dürfte.

Die Auszeit hat nachdenklich gemacht. Natürliches und ökologisch Korrektes wird viel stärker in den Vordergrund treten
Es ist unübersehbar, dass sich in der Auszeit an vielen Stellen viele Gedanken ergeben haben. Man hat gegrübelt und – Sie werden es noch erleben – es wird allerlei Veränderungen und Schließungen in der Gastronomie geben, und zwar auch und gerade in der avancierteren. Bei den Überlegungen ging es häufig auch um eine Revision der Positionierung von Genuss und Kochkunst, vor allem um eine im weitesten Sinne verstärkte ökologische Sicht. Diese – sagen wir: Überlagerung der Gedanken ohne reale gastronomische Grundlage wird sich nicht so intensiv auswirken wie hier und da vermutet wird – vor allem nicht in den ersten Monaten nach dem Restart. Wenn lust- und genussbestimmte Bedürfnisse einen Nachholbedarf generieren, wird – siehe oben – der gedankliche Überbau erst einmal Pause haben. Es ist damit zu rechnen, dass sich auf lokaler Ebene eine geringfügige Verstärkung solcher Bemühungen ergeben wird. Auf überregionaler oder nationaler Ebene wird eine entsprechend kreative Küche aber leider erst einmal Schwierigkeiten haben, einen zügigen Restart „hinzulegen“. So bizarr und widersinnig es klingen mag: Dinge, die zuviel Meta-Ebene bedeuten, entwickeln sich vielleicht prächtig auf einer „normalen“ gastronomischen Grundlage, nicht aber unmittelbar nach einer Krise wie dieser. Erst einmal geht es um Lust und Genuss als Grundbedürfnisse. Die ernsten Sachen machen wir dann etwas später – sozusagen.

2 Gedanken zu „Tendenzen nach dem Restart“

  1. Noch ein Thema: Personal. Der Markt ist leer, nicht nur national, sondern international. Viele Betriebe haben ihre Mindestlöhner „freigestellt“, die haben sich notgedrungen was anderes gesucht und dann festgestellt, dass es auch mal ganz nett ist, um sechs zuhause zu sein. Nur ein Beispiel: Les Halles in DD sucht mal eben ein komplettes Küchenteam. Zapfer, Busboys, Abräumer und Spüler? Kaum zu kriegen. Auch das wird den Neustart verkomplizieren, genauso, wie die hahnebüchenen Öffnungsbedingungen.
    Entspannte Oberküche? Oh ja, bittebitte. Ich möchte eine Brasserie- und Bistrokultur in D und mehr Betriebe wie den Kiepenkerl in Münster mit selbstgebranntem Bier, eigenem Schnaps und eigenen Tomaten (haben wir jüngst auf dem Wochenmarkt in E für unseren Garten gekauft). Natürlich und ökologisch? Vielleicht weiter oben, in der Breite sehe ich das nicht.

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    • Lieber Herr Giese, ja, das ist richtig. Ich habe Informationen von verschiedenen Restaurants bekommen, die einen Abhol- Liefer- und Versandservice vor allem deshalb gemacht gaben, weil sie unbedingt ihr eingespieltes Team behalten wollten. – Meine Feststellung, dass es die absolute Spitze wohl am leichtesten hat, ist keine Wertung. Da sind einfach die Fakten anders. Viele der Spitzenrestaurants sind keine selbständigen Betriebe, was sich für die Köche jetzt durchaus auszahlen kann. – Was die Brasserie- und Bistrokultur angeht bin ich ebenfalls ganz Ihrer Meinung. Ich habe immer gesagt, dass wir eine gesunde Pyramide brauchen, einen kulinarisch guten, zuverlässigen, überall anzutreffenden Unterbau, drüber einen Mittelbau für diejenigen, die es etwas feiner wollen und die Interesse bekommen, was es kulinarisch an Perspektiven gibt. Auf dieser Basis würde sich auch noch eine bessere Spitze in dem Sinne entwickeln, dass sie eine größere Verankerung in der kulinarischen Kultur hat, als das teilweise jetzt der Fall ist. – Natürlich und ökologisch ist als Thema leider mittlerweile schon geradezu Neo-Schickimicki. Es lässt sich aber „weiter unten“ ebenfalls recht gut realisieren – zumindest erst einmal was die Bindung an regionale Ressourcen angeht. Da gibt es doch „auf dem platten Land“ eine Menge von Fortschritten, die ganz normal und gar nicht laut daherkommen.

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