Die Arbeit von Drei Sterne-Koch Sven Elverfeld vom „Aqua“ in Wolfsburg hat es bis in ein Museum geschafft. Dass Kochkunst aller kultureller Ehren würdig ist, sollte längst Allgemeingut sein, ist es aber tatsächlich noch lange nicht. Um so mehr erfreut es, dass das Kunstmuseum Wolfsburg im Rahmen der Ausstellung „Piet Mondrian und die Konsequenzen“ auch an Elverfeld nicht vorbeikam. Amüsant ist, dass das Ganze eine gewisse Vorgeschichte hat, an der ich beteiligt war und an die ich in diesem Zusammenhang gerne einmal erinnern möchte.
Wir schreiben das Jahr 2008. Ich war bei Elverfeld, um mit ihm die damals 13. Folge der FAZ – Gourmetvision vorzubereiten. Diese Aktion hatte ich erfunden, um die kreativen Strömungen in der deutschen Spitzenküche zu unterstützen. Es funktioniere so: es gab ein Anschreiben an Köche, von denen ich hoffte, dass sie mitmachen würden. Darin wurde das Verfahren erklärt und es gab u.a. die Aufforderung, für diese Aktion eigens neue und natürlich möglichst kreative Gerichte zu entwerfen. Wenn sie zustimmten (das war – so weit ich mich erinnere – immer der Fall), bin ich hingefahren und habe in der Regel an zwei Abenden etwa 20+ Gerichte gegessen. Daraus habe ich dann ein Menü zusammengestellt und dem Koch dieses Menü als „FAZ – Gourmetvision“ vorgeschlagen. Auch hier haben alle immer zugestimmt. Bei der Diskussion der Gänge kam es dann auch immer wieder zu Optimierungen, so dass man sagen konnte, dass diese Menüs 1. neuartig waren und über das normale Programm des Restaurants mehr oder weniger hinausgingen, und 2. im Detail auch noch besonders gut, weil es über die Gerichte vorab eine präzise Diskussion – sozusagen zwischen Koch und Kritiker – gab. Danach habe ich den Text geschrieben, der dann auch den Zeitraum enthielt, in dem das Menü zu bekommen war. Dieser Zeitraum wurde oft verlängert.
Wie dem auch sei: der Text erschien, und ich hatte im Text eine Passage über den „Gesottenen Tafelspitz vom Müritz-Lamm“, die ich hier zitiere:
„Der ‚gesottene Tafelspitz vom Müritz-Lamm‘ sieht mit seiner flachen, rechteckigen Präsentation wie die Variante eines Mondrian-Gemäldes aus. Diese Form für das Fleisch, eine Frankfurter Grüne Sauce, eine mit Butter glasierte Kartoffelscheibe und eine Scheibe fest gestocktes Eiweiß (überraschend sinnvoll!) mit Wachtelei ist gleichzeitig eine völlig einleuchtende Art, gute Proportionen und ein abermals hochfeines Texturspiel rund um das zarte Fleisch zu installieren.“ (Den gesamten Text der 13. FAZ-Gourmetvision von 2008 finden Sie angehängt)
Wie üblich habe ich für meine Kolumne „FAZ-Geschmackssache“ die Überschriften nicht selber gemacht – sie stammten immer von der Redaktion. Und die titelte:
Heute, 15 Jahre später, ist man im Wolfsburger Museum darauf zurückgekommen und hat sogar eine eigene Komposition für die Präsentation des Gerichtes gemacht. So etwas finde ich natürlich sehr gut, weil Elverfeld aus heutiger Sicht eben schon damals nicht nur kulinarisch revolutionäre Dinge gemacht hat, sondern auch in der Gestaltung neue Wege gefunden hat. Man muss das heute besonders deutlich sagen, weil es heute eher die Dominanz sinnentleerter Optik gibt, die eigentlich nichts mehr als eine zeitgenössische Variante rund um den Spruch „Das sieht aber lecker aus“ ist. Mit seiner an Mondrian erinnernden Gestaltung hat Elverfeld ein direktes Crossover-Erlebnis angestoßen, der Synästhesie, die bei Essen immer eine Rolle spielt, Inhalt gegeben, weil er ein Spiel angestoßen hat, das funktioniert und eine spezifische ästhetische Kategorie erreicht.
Geschmackssache : FAZ Gourmetvision Nr. 13, Sven Elverfeld/Aqua, Mai 2008
Sven Elverfeld vom „Aqua“ im Wolfsburger Ritz Carlton-Hotel zeigt in bestechend klarer Form, warum die besten deutschen Köche eine echte kulinarische Macht geworden sind. Der Protagonist der dreizehnten F.A.Z. Gourmetvision für die kreative Küche vereint beste handwerkliche Grundlagen mit einem befreiten Stil voller Präzision, moderner Struktur und einer undogmatischen Originalität. Mit noch nicht vierzig Jahren überrascht vor allem sein erst in der letzten Zeit entwickeltes, überaus differenziertes Verständnis sensorischer Zusammenhänge und ein geradezu altmeisterlich souveräner Umgang mit den immer größer werdenden Ressourcen der zeitgenössischen Küche.
Das Degustationsmenü in neun Gängen beginnt mit einer dreiteiligen Variation über die „Caprese“ genannte Kombination von Tomate, Mozzarella, Olivenöl und Basilikum. Einer optimierten Grundversion folgt zum Beispiel ein hochfeines, leicht geliertes Süppchen über einer Mozzarella-Panna Cotta mit Mikroelementen wie Tomatenkernen und „Kaviar“ von Basilikum, roten und gelben Tomaten – geformt im Calziumchloridbad und selten so sinnvoll eingesetzt wie hier. Die zweiteilige Variation von Gillardeau-Austern danach hat eine wunderbare Präzision in der Zuordnung von Aromen und Texturen. Feinste, krosse Brotwürfel in genau der richtigen Stärke, ein Champagnergelee, das den jodigen Hintergrund der Auster verbreitet oder ein Spiel mit dem Chlorophyll von Petersiliensaft und den Assoziationen von Algen zeigen, daß auch hervorragende Grundprodukte durch intelligente Bearbeitung noch gewinnen können.
Bei der „Marinierten Sardinen mit Birne, Aubergine und geräuchertem Paprika“ gelingt durch die Addition der leichten Fruchtsüße (in verschiedenen Texturen) und der „Delegation“ des Raucharomas an ein Paprikapüree eine so exquisit abgestimmte aromatische Fassung, daß die oft als eher rustikal angesehene Sardine geradezu elegant erscheint. Elverfeld hat sich nicht nur aufs beste von den tradierten Aromenklischees gelöst, sondern an deren Stelle individuelle Ideen voller Komplexität, Ausgewogenheit und unmittelbaren Überzeugungskraft gesetzt. Vier kleinen Suppen – eine Brunnenkressesuppe, ein Suppe von Beluga-Linsen mit Chorizoschaum, eine glasklare Spargelessenz und eine Eigelbsuppe mit Würfeln von Kerbelgelee – zeigen exemplarisch, daß der Schlüssel zur überragenden Qualität die nicht kopierbare, individuelle Geschmacksvorstellung ist. – Sven Elverfeld setzt grundsätzlich alle modernen Techniken von diversen Geliertechniken bis zum Einsatz von unterschiedlichen Texturen und Kontrasten in präzise abgestimmten Zusammenhängen und ohne jede Effekthascherei ein. Beim „Carabiniero mit Knusper-Risi Bisi und Erbsencreme“ gibt es neben einer frischen aromatischen Dimension auch ein spannendes Texturspiel mit Basmati-Reis in normaler, Crispy-Version („Puffreis“) und als Reischip, al dente gegarten Erbsenstückchen und sphärischen Gnocchi. Das Kunststück ist nun, daß die Feinabstimmung so sensibel ist, daß die Scheiben von der Garnele in jeder Zusammenstellung immer im Mittelpunkt bleiben. Vorbildlich.
Manche Einfälle sind deshalb besonders überraschend, weil sie sich mit Dingen befassen, die man sonst eher in der Ablage traditioneller Rezepturen wähnt. Der Rochen gehört zu den Fischen, die wegen ihres typischen Eigengeschmacks und besonders der typisch faserigen Textur eher selten in der Spitzenküche verwendet werden. Elverfeld gelingt mit dem „Rochenflügel-Segment und Pekannußkrokant, aufgeschäumter Spitzmorchelsahne, Kopfsalat-Mousse und – Vinaigrette“ eine sensationelle Lösung, die vor allem im Vollakkord mit leicht karamellisierten Nußstückchen, Morchelcreme und der Salatcreme überzeugt. Um zu so etwas zu kommen, muß ein Koch einen enorm freien Kopf haben, Zusammenhänge erkennen, wo andere sie noch nicht erkannt haben und sie selbstbewusst inszenieren. Hier also wird auf angenehmste Weise Neuland betreten. Das gilt auch für die Fleischgerichte, bei denen Elverfeld einen ganz besonderen, neuen Ansatz hat : er interpretiert Klassiker der Küche neu. Der „gesottene Tafelspitz vom Müritz-Lamm“ sieht mit seiner flachen, rechteckigen Präsentation wie die Variante eines Mondrian-Gemäldes aus. Diese Form für das Fleisch, eine Frankfurter Grüne Sauce, eine mit Butter glasierte Kartoffelscheibe und eine Scheibe fest gestocktes Eiweiß (überraschend sinnvoll!) mit Wachtelei ist gleichzeitig eine völlig einleuchtende Art, gute Proportionen und ein abermals hochfeines Texturspiel rund um das zarte Fleisch zu installieren. Als krossere Elemente benutzt Elverfeld zum Beispiel hauchfeine Kartoffelkrustel, die er mit einem kleinen Kräutersalat kombiniert.
Beim „Sauerfleisch vom Eisbein mit Mixed Pickles und Röstkartoffeln“ wagt sich der Koch gar in einen Bereich, den man normalerweise in der Spitzenküche nicht erwartet. Was er hier mit diesem norddeutschen Klassiker anstellt, ist eine Art gereifter Dekonstruktion mit einem sensorisch wundervoll irritierenden Aufbau, der nachhaltig beweist, daß das Potential unserer traditionellen Küche ganz selbstverständlich auch für moderne Formen der Optimierung bestens geeignet ist. Das Sauerfleisch also wird mit einem Sauerkrautgelee kombiniert. Dazu kaum ein Speck-Espuma und präzise austarierte Mini-Röstkartoffelwürfel. Die Mixed Pickles gibt es eingelegt als verfeinertes Zitat, dazu kommen Gurken- und Rote Bete-Geleetörtchen mit eingearbeiteten, al dente gehaltenen Gemüsescheiben. Der Effekt ist unmittelbar : Aufmerksamkeit, gesteigerte Erlebnisdichte und Sensibilität und – wenn man so will – eine Art Dekonstruktion der möglichen eigenen Erinnerungen. Selbstbewußt ist auch der Abschluß des Menüs, eine „Tiramisu-Interpretation“, bei der mit großer Lust am Spiel mit den Elementen ein spannender Strauß an Texturen entsteht – von der „Kaffeeluft“ über eine mit Mascarpone-Schaum gefüllte, spektakulär anzusehende und zu essende Zuckerblase bis zu Amaretto-Gel und Kaffeeperlen. Ein hervorragendes, Maßstäbe setzendes Menü.
Das Menü der dreizehnten F.A.Z – Gourmetvision ist von Donnerstag, den 22. Mai bis zum Samstag, den 14. Juni 2008 zum Preis von 135 Euro im Restaurant „Aqua“ im Ritz Carlton-Hotel in Wolfsburg erhältlich.
Credits Bilder: Sven Elverfeld, JD
Das hätte ich gern verspeist!
Danke,Herr Dolase!