Stilkritik, Folge 3: Das Menüproblem als größtes Defizit der Gourmetküche

Lassen Sie mich erst einmal mit der Tür ins Haus fallen. Also: der überwiegende Teil der in unseren Restaurants der gehobenen Klasse angebotenen Menüs ist als Menü hochproblematisch und geeignet, der Szene mittel- und langfristig zu schaden. Durch den zunehmenden Verzicht auf ein à la Carte-Angebot (warum auch immer…) und die Beschränkung auf Menüs wird diese Wirkung noch verstärkt.

Man kann wichtige Teile des Problems von zwei Seiten her diskutieren. Teil eins hat etwas mit dem Bruce Springsteen-Konzert in New York zu tun, das ich – zumindest teilweise, also so lange, wie ich es durchgehalten habe – Silvester auf 3Sat gesehen habe. Springsteen hat sein Konzert scheinbar perfekt durchgearbeitet. Wie meist bei ihm ist jedes Konzert bis in die letzten Gesten hinein komplett identisch – wirkt aber spontan. Er erzeugt bei quasi jedem Stück eine große Intensität. Wenn er nach teilweise länglich ausgeweiteten Publikums-Anmachen bei schnelleren Stücken zu einem ruhigen Stück übergeht, wird das keineswegs zu einer Erholung, sondern ebenfalls wieder mit aller möglichen Intensität aufgeladen. Kurzum: man bekommt immer die volle Drönung und kann regelrecht darauf warten, dass er in jedem Stück wieder etwas eingebaut hat, das ein Maximum an Intensität bringt. Das mag für Vollblutfans funktionieren, kann aber auch wie eine Dauerwerbesendung wirken: too much, zu perfekt um noch glaubwürdig zu sein. Man kann jedes Stück einzeln nehmen und wird Perfektion erleben. Aneinandergereiht verlieren sie, weil die Reihung keine Luft lässt, nicht atmet, weil ununterbrochen Überwältigung erzeugt wird. Genau so wirken viele Menüs unserer Spitzenrestaurants, und es ist zu befürchten, dass die Erzeuger das auch noch gut finden. Und dann kommt Punkt zwei…

Teil zwei ist ein Problem, das schon lange existiert, aber oft nicht ausgesprochen wird. Es gibt in der Gourmandise ein ganz großes „Black Box-Phänomen“, also eine Sache, über die man selten wirklich die Wahrheit erfährt. Das Folgeproblem dieses Phänomens ist, dass ausgerechnet die Verursacher kaum jemals davon erfahren. Es ist völlig normal geworden, in einem Restaurant nach einem großen Menü die Frage danach, wie es denn geschmeckt habe, positiv zu beantworten. Köche und Service müssen nicht damit rechnen, dass man ihnen in krassen Worten das Gegenteil erklärt. Und so machen alle weiter wie immer, und es gibt nur ganz wenige Ausnahmen. Wenn man irgendwann einmal mit Leuten über die Menüs in Gourmetrestaurants redet, kommen oft Bemerkungen, die darauf hindeuten, dass man mit viel zu großen, viel zu anstrengenden Menüs eine Art Anti-Werbung macht: „Ja, das schmeckt soweit ganz lecker, und es ist auch interessant, so etwas einmal zu essen. Aber – das muss man sich nicht allzu oft antun.“ – Aus professioneller Sicht sieht die Sache nicht unbedingt besser aus, weil man über die stressige Menge hinaus oft auch noch ganz präzise die Defizite erkennen kann, die zu dieser oft so gut aussehenden, im Grunde aber oft abstrusen Form des Genießens führen. Wenn man darüber nachdenkt, was am ehesten in der avancierten Küche verbessert werden könnte, stünde der Wunsch nach neuen Formen von Menüs ganz an erster Stelle – vielleicht sogar vor kreativen Erweiterungen.

Dieser Eindruck von Menüs der avancierten Küche wird natürlich von diversen Details genährt. Ich möchte hier ein paar ausgewählte Punkte ansprechen.

 

 

Der kulinarischen „Großen Oper“ fehlt die Dramaturgie

Es mag ja sein, dass die Köche ihre Snacks und Amuse-Bouche Reihungen zu Beginn eines Menüs für leichte, spannende Einstiege halten und die Gänge anschließend für ein Feuerwerk an Ideen. Die Wirkung ist oft völlig gegenteilig. Der Snack/Amuse-Bereich hat in der Summe oft die Größe eines Hauptgerichtes und sorgt in vielen Fällen sogar mit den Materialien dafür, dass nicht etwa Appetit erzeugt wird, sondern Appetit beseitigt wird (vor allem dann, wenn größere Mengen Fett, Foie gras etc. beteiligt sind). Dann kommen in der Regel weitgehend gleichförmige Gänge, fast immer von gleichem „Erregungsniveau“ oder – nüchterner gesprochen – ohne Höhepunkte. Sollte jemand meinen, jeder Gang sei ein Höhepunkt, muss man darauf hinweisen, dass nirgendwo auf dieser Welt wo es um Performances geht eine Abfolge von Gleichartigem als Dauerhöhepunkt empfunden wird. Der kulinarischen „Großen Oper“ fehlt einfach die Dramaturgie. Sie spielt nicht mit Erwartungen, erzeugt keine Spannungen, bringt keine wirklichen Überraschungen und schon gar keinen Höhepunkt, der offensichtlich ist und begeistert. Von allen Abfolgen, die es in den Künsten gibt, ist das große Restaurant-Menü in der regel das am wenigsten differenzierte.

Gegen die Gleichförmigkeit: Abwechslungsreicher werden

Es gibt Köche, bei denen zumindest ein wenig mit der Form gespielt wird, etwa dann, wenn das Brot als eigener Gang erst an dritter oder vierter Stelle des Menüs erscheint. Es gibt allerdings – von den großen Tapasmenüs mit minimalistischen Gängen einmal abgesehen – kaum jemals ein Menü bei dem ein wirklicher Unterschied zwischen kleinen Gängen und einem großen Hauptgang zu beobachten wäre. Die Spannweite zwischen klein und groß, leicht und schwer, roh und gegart ist im Prinzip riesig, wird aber so gut wie nie genutzt – obwohl sie ein sicherer Weg wäre, ein Menü zu „dramatisieren“, also in eine spannende Form zu bringen, die den Gast viel direkter erreicht und mitzieht. Im Idealfall hätten die Gänge eines Menüs alle eine unterschiedliche Struktur. Stimmt man dieser Aussage zu, impliziert sie übrigens gleichzeitig auch eine Kritik an diversen modernen Menüformen. Wenn man eine unterschiedliche, abwechslungsreiche Struktur für die beste hält, sind endlose Tapas-Menüs ebenso keine gute Lösung wie das Begleiten von jedem Gericht mit diversen Satellitentellern. Überraschung von der Form her ist ein sehr guter Weg. Wird er auch noch durch einen entsprechend variierten Inhalt ergänzt, beginnt langsam die neue Menü-Struktur.

Verdichtungen vermeiden und leichter werden

Ein wichtiges Detail geht sehr ans „Eingemachte“. Es geht um den für ein Menü ganz besonders kontraproduktiven Effekt, alle Teile eines Gerichtes maximal zu verdichten. Im Grunde handelt es sich um das beschriebene Menüproblem auf das einzelne Gericht bezogen: nichts ist leise, alles ist laut, nichts natürlich, sondern alles ist intensiv bearbeitet und vor allem aromatisiert. Die Zutatenlisten jeder Zubereitung sind endlos, und es entsteht eine kulinarische Kunstwelt von höchster Verdichtung. Obwohl die Elemente vordergründig gut schmecken mögen (zumindest im landläufigen Sinn), entfalten sie meist mittelbar den Eindruck von Künstlichkeit (von „Kunst“ als Künstlichkeit…). Die Verdichtungen sind dabei nicht etwa geniale Erfindungen, sondern wirken hilflos intensiviert. Statt einer greifenden, klaren Idee gibt es ein ideenloses Zusammenkleistern. Wenn von den Amuse Bouche bis zu den Petits Fours alle Elemente eines Menüs auf diese Weise konstruiert werden, entsteht eine oft verheerende Mächtigkeit, ein Mix aus Zuviel in allen möglichen Bereichen, der dafür sorgt, dass selbst ein festlich-kreatives Essen – oft schon während des Essens – als Belastung empfunden wird. Das Essen wird laut, die Zwischentöne und vor allem die Dynamik fehlen völlig. Wenn die Menüs in vielen Restaurants nicht radikal leichter werden, wird dies zu Problemen führen. Viele Köche scheinen so etwas einfach nicht zu können, weil sie offensichtlich vor allem an die Präsentation ihrer Arbeit denken, was vor allem dann eine Rolle spielt, wenn man für die Führer und nicht für die Gäste kocht – ein wenig überspitzt formuliert.

Der „süße Abschluss“ als destruktives Element

Nach einem über die Maßen verdichteten Menü ohne Dramaturgie und Spannungsbögen sorgen die Desserts (Vordessert, mehrere Desserts, Petits Fours) oft für das komplette Kippen des möglichen Menü-Erlebnisses. Es gehört zu den geflügelten Sätzen bei vielen Gästen, dass man den Hauptgang noch in guter Form erreicht und dann fast ein wenig aufatmet: geschafft, gut, sehr interessant. De facto ist man ja auch längst gesättigt bis übersättigt, oft hat man den subjektiven Eindruck, eine Leistung erbracht zu haben (als wenn es darum ginge…). Dann aber kommen Desserts, die in der Summe oft – den Amuse ganz ähnlich – noch einmal die Masse eines großen à la carte Hauptgerichtes haben. Man nähert sich einer Art Kampfzone, ist längst jenseits von Gut und Böse, hält aber durch – ohne Rücksicht auf körperliche und psychische „Schädigungen“. Wenn die Menüs bis zum Hauptgericht noch tragen, ist das, was danach passiert endgültig destruktiv. Das Gefühl, das man am Ende des Menüs hat, ist nie mehr das, was man vielleicht zwischenzeitlich bei einem besonders guten Gang hatte. Es ist das leider immer wieder vorkommende, kulinarische Überwältigungsgefühl nach einem mehrgängigen Menü der Oberklasse – verbunden mit einer Art spezifischen Fadheit im Magen und Problemen mit der weiteren Verdauung. Der Organismus ist überlastet, und weil der Geist nicht wirklich immer beglückt ist, entsteht das Gefühl des letztlich unsinnigen und auch noch teuren Erlebnisparcours, den man sich eben nur eher ganz, ganz selten zumutet.

Im Detail ist gerade bei den Desserts anzumerken, dass viele Formen des Süßen komplett verlorengegangen sind – vor allem Alles, was eher unkompliziert ist. Es überwiegt ein Geschmacksbild, das nicht selten von Bindemitteln und Zusatzstoffen geprägt ist, das kaum jemals produktnah ist und fast immer zu süß. Gibt es irgendwo ein maximales Stück Apfel-Blätterteig-Kuchen im französischen Stil, das so gut ist, dass man begeistert ist? Hat jemand eine so exzellente und optimierte Frucht anzubieten, dass man fassungslos über so viel Kochkunst staunt? Selten. Auch hier ist Kochkunst-Substanz verlorengegangen, und man muss vermuten, dass auch dies der Selbstdarstellung geopfert wurde.

12 Gedanken zu „Stilkritik, Folge 3: Das Menüproblem als größtes Defizit der Gourmetküche“

  1. Wenn man in der gehobenen und Spitzengastronomie unterwegs ist und im Idealfall auch in dieser arbeitet/gearbeitet hat, so wird man eher den Abschnitt zum genannten „Black Box-Phänomen (?)“ beantworten können. Wenn ein vernünftiger Service am Start ist, wird nach jedem Gang ein Feedback eingeholt. Wenn ich einen Spitzenservice habe, sogar – egal wie viele Gänge – in den verschiedensten Fragestellungen.

    Schauen wir uns zuerst das Gästeklientel an. Nüchtern betrachtet sind dort Menschen unterwegs, die sich das einfach leisten können und dies, ohne mit der Wimper zu zucken. Für diese Menschen ist es so, als würde ein durchschnittlicher Bürger ins Wirtshaus gehen. Ich habe Gäste kennengelernt, die das 2- 4 die Woche machen. Des Weiteren gesellen sich Menschen hinzu, die z.B. einen Jahrestag zu feiern haben, die noch nie (und da gibt es auch zahlreiche Gastronomen und Mitarbeiter aus der HoGa) in so einer Location waren, oder auch die, welche sich mit dem Thema KOCHEN etwas näher auseinandersetzen und Fans so einer Gastronomie sind.

    Weshalb wird nichts gesagt?

    Die Gäste, die so ein Essen in kurzer Takttung erleben, weil sie wirtschaftlich potent und vielleicht auch gar nichts anderes gewohnt sind, setzen sich ganz anders damit auseinander, bzw. überhaupt nicht. Für den Rest ist es teils eine neue Erfahrung und in dem Moment vielleicht auch das BESTE, was man im Leben serviert bekommen hat. Die, was das als Fan-Erfahrung machen, setzten sich höchstwahrscheinlich Zuhause damit auseinander und dann gibt es leider auch die, welche meinen, was dort passiert, ist richtig so, da irgendein Buch die Höchstbewertung dafür abgegeben hat.

    Was passiert, wenn man etwas sagt?

    Ein Beispiel aus einem 3*** Sterne Restaurant, welches wir (haben es nachverfolgt und Hinweise dazu gesammelt) öfters besucht haben, als irgendein Journalist, Kritiker, Blogger und/oder der Guide Michelin.

    Folgendes ist bei einem Besuch vorgefallen. Gäste Anzahl an diesem Abend: 22. Im Amuse wurde eine Garnele mit Darm serviert. Alle haben dieses Amuse so bekommen. Ein absolutes NO GO. Niemand hat etwas gesagt, nur unser Tisch, 3 PAX. Die Antwort des Restaurantleiters:

    „Das ist halt so bei uns.“

    Im Hauptgang stand laut Karte ein Rehrücken auf dem Programm (in dieser Liga erwarte ich dann doch auch ein Rehfilet). Serviert wurde allerdings ein Ragout/Gulasch ähnliches Gericht. Antwort darauf: Achselzucken.

    Auch wenn mehr Gäste etwas sagen würden und dies auch begründen könnten, wird es den Chef eher weniger interessieren, da man sich auf den Auszeichungen und auf die zum größten Teil windige Berichterstattung von Journalisten, Kritiker usw. ausruht . Auch deshalb befinden wir uns u.a. in einer Art „Stillstand“.

    Auch die Frage nach dem Guide Michelin ist durchaus berechtigt: weshalb traut man sich solche Aussetzer an einem Abend zu? Nun, man weiß, dass NIEMAND von diesen Inspektoren/Testern im Hause ist. Doch gerade in diesem Top-Segment erwarte ich mindestens vier professionelle Besuche im Jahr, um überhaupt eine greifbare Aussage und Bewertung bringen zu können.

    Was den Menü-Umfang betrifft, bin ich schon der Meinung, dass diese gut austariert sind. Auch was das „a la Carte“ Angebot betrifft, gibt es genügend Restaurants, die das anbieten. Am Ende des Tages kann ich aber auch als Gast telefonisch anfragen und man wird hier eine passende Lösung erhalten.

    Amuse: so groß wie ein Hauptgang? Naja, man kann es auch übertreiben. Seltenst habe ich ein Menü genossen, wo es bei „ist gut“ angefangen hat und bei „ich will mehr davon“ aufgehört hat. Es ist ein Up & Down.

    Desserts: Nachholbedarf sehe ich – und das ist eigentlich witzig – in der Top-Gastronomie. Im 1* und 2** Sterne Segment habe ich schon oft tolle Dessert gehabt, was auch nicht „noch EIN Pfefferminzblättchen?“ unterstützt hätte.

    Bei Jan Hartwig hatte ich letztes Jahr quasi ein Dessert-Menü, welches wirklich „sehr gut“ war. Ich persönlich wünsche mir mehr Mut zu warmen und „stand alone“ Desserts. Hier gibt es ganz tolle Möglichkeiten.

    Abschluss: Gäste sollten viel mehr den Mund aufmachen, auch Kritiken, Berichte in Zeitungen etc. hinterfragen und sich weniger davon blenden lassen. Man lässt dann doch auch viel Geld in diesen Restaurants dort, um einfach die Dingen durch zu winken. Und evtl. auch mehr Abstand von den Guides nehmen.

    Beispiel: der Podcast von „fietegastro“ zum Thema objektive Kritik – Gault Millau Österreich.

    Mein Kommentar dazu: „Ich dachte immer, der Gault Millau ist ein Restaurantführer – also ein Buch für Gäste (das sind Menschen, die z.B. Restaurants besuchen und dort Geld ausgeben) und nicht ein Buch für Köche. Des Weiteren: wenn was zu schwer ist (damit sollte man ganz vorsichtig sein, vielleicht möchte der Chef das so), ist es eher unprofessionell von nem fehlenden Frische-Kick zu sprechen – hier erwarte ich ein klares Beispiel. Natürlich sollte viel mehr auf einem Wissens-Niveau kritisiert werden, denn das ständige durchwinken von Küchenleistungen bringt uns nur dahin, wo wir schon sind – seit ein paar Jahren im Stillstand.“

    Es gäbe noch ganz viel, was erwähnt gehört! Aber die Zeit halt…

    Antworten
    • Meine Güte, wie oft wollen Sie ihre Geschichte mit der Garnele und dem Darm aus der Überfahrt eigentlich noch verzapfen?
      Und waren Sie dann eigentlich an allen anderen Tischen und haben die Garnelen nach nicht entferntem Darm untersucht?

      Antworten
      • Und wenn Sie es in der Überfahrt ja so schlimm finden, warum gehen Sie denn da angeblich überhaupt so häufig hin? Masochistische Veranlagung?

        Antworten
  2. Sehr gut auf den Punkt gebracht! Kritikpunkte und interessante Hinweise wurden in den Kommentaren schon benannt.
    Am Ende des Tages scheint es mir aber auch ein Problem der Gäste zu sein. Die Strategie vieler Köche ist klar: Sterne bringen Gäste. Daraus kann man zweierlei folgern: dem Guide wird unterstellt, die oben beschriebene Art von Küche besonders zu goutieren, und wir haben es (zumindest) in Deutschland mehrheitlich mit Statusessern in den Restaurants zu tun, die offensichtlich bereit sind, für eine Handvoll Sterne kritiklos nahezu alles zu konsumieren, was vor ihrem Mund stillhält.
    Die Statusesser wird man von den Restaurants nicht fernhalten können. Aber an dieser Stelle oder der FAS könnte bei besprochenen Restaurants auf genau diese Aspekte verstärkt eingegangen werden. Und beispielsweise könnte ein Koch, der in seinen Menüs drei destruktive Dessertgänge serviert, vielleicht deswegen mal nicht zum Koch des Jahres gewählt werden (auch wenn die anderen Gänge überragend sind).
    Zum Schluss eine Frage zu einem älteren Beitrag zur Vendôme. Sie wollten zu einem späteren Zeitpunkt auf dortige Probleme noch einmal eingehen. Ging es dabei um einige der in diesem Artikel beschriebenen oder folgt der Beitrag noch? Danke.

    Antworten
  3. Also lieber Herr Dollase,

    dass Sie tatsächlich so lange Bruce Springstein hören mussten, tut mir für Sie persönlich sehr leid, denn auch ich -noch etwas jünger und deshalb wohl mit besseren Ohren- hätte das wohl kaum ausgehalten!

    Andersherum muss ich sagen, dass ich in Deutschland eigentlich kein relevantes Restaurant kenne, dass dem Gast nicht die Auswahl zwischen sehr grossem und sehr kleinem Menü lassen würde. Ich finde diesen Umstand habe Sie doch etwas unterschlagen….Warum?

    Und…es ist natürlich auch viel nachhaltiger, diese scheinbar ärgerliche Ménünummer. Denn bei 30 Gästen und einem Menü mit wahlweise 5 bis 9 Gängen ist der Einkauf doch um einiges planbarer als bei 30 Gästen mit einem Menü und 15 à la Carte Gängen oder? Oder ist das egal und Lebensmittel verschwenden wird wieder scheissegal und wie steht es mit der Produktqualität dann so genau…auftauen und wieder einfrieren…wegschmeissen?

    Und zuletzt….ich bin ein Spargel und ess per se nicht so viel ….
    aber Dessert geht komischerweise immer! Auch bei Menschen die mit mir essen gehen…da geht Desserr auch immer.
    Also völlig konträr zu ihren Erfahrungen. Auch seltsam. Irgendwie.

    Ein schönes neues Jahr wünsche ich ihnen.

    Antworten
  4. Hier die sehr interessante Aussage von Roland Trettl.

    Im Februar eines jeden Jahres (2016) landen Chefkapitän Christoph Brand und seine „Fliegende Mannschaft“ in Kassel und werden sesshaft. In der großen „Workshop Küche“ fällt dann Deutschlands Kochprominenz ein und das Hauptquartier wird dann Restaurant.
    An diesem Abend war der Südtiroler Roland Trettl Gastkoch. Trettl ist nicht nur bekannt als ehemaliger Exécutive Chef im Restaurant Ikarus im Hangar-7 am Flughafen Salzburg, sondern war auch fast 20 Jahre rechte und linke Hand von Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann. Wer es bei diesem begnadeten Koch so lange aushält, muss selbst gut, ja sehr gut kochen können. Dieses Können stellte er an diesem Abend auch unter Beweis. Unterstütz von Christoph Brand und seinen „Fliegende Köchen“ wurde ein 5 Gang Menü plus Amuse-Bouche serviert.

    Interessant seine Küchenphilosophie. Kein Brot vorweg, keine Amuse-Bouche Orgie und das Hauptgericht als ersten Gang. Kennen gelernt hat er dies bei Susur Lee in Toronto. In seinem Buch „Serviert“ schreibt er auf Seite 183:

    Ich zitiere.
    Susur hat sich gedacht: Ich gebe meinen Gästen den größten Gang, wenn sie den größten Hunger haben und wenn der erste Hunger besiegt ist, machen wir den Genuss in allen Finessen weiter- und beenden das Menü vor dem Dessert mit einem leichten Salat.
    Ende des Zitates.

    Probleme dürfte es bei dieser Herangehensweise bei der Weinauswahl geben, wenn rotes Fleisch als Hauptgang serviert wird. Oder doch nicht?
    Trettl servierte als ersten Gang 3mal Reh mit Schalotten, Aubergine und Quinoa und als Wein einen 2015 Grüner Veltliner Stein, Kamptal DAC. Man kann feststellen, dass auch ein Weißwein, der eine gewisse frische und Pfeffrigkeit hat, gut zum Reh passt. Beim Fleisch muss ich allerdings eine kleine Einschränkung machen. Mir fehlte ein wenig die Würze, eine Meinung, die im Übrigen am Tisch geteilt wurde.

    Antworten
  5. Das Problem gibt es schon lange. Es hat uns zu sehr langen Pausen zwischen den Restaurantbesuchen veranlasst. Und wir sind auf gehobene Mittelklasse ausgewichen, wo man tatsächlich noch Köche findet, die leichte Vorspeisen können.
    Was mich aber auch noch stört: nicht nur geschmacklich wird man überlastet, optisch ebenfalls. Diese Landschaften auf den Tellern, fantastisch gestaltet, aber wo fängt man da an zu essen, was gehört zusammen? Wir picken immer Einzelelemente raus, um die zu erschmecken, aber ist das der Sinn der Sache? Es ist, mit Verlaub, anstrengend, und man ist doch zum Vergnügen da! Ich esse nicht gerne mit Gebrauchsanweisung, doch genau die bräuchte es hier.
    Wann wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass auch Schlichtes erstklassig sein kann und der Gast das schätzt?

    Antworten
  6. Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Nicht nur die Verdauungsprozesse laufen am Limit ( vielleicht auch eine Begleiterscheinung unseres Alters, Herr Dollase, früher war es für mich leichter), sondern das Hirn wird oft von der Aromen“über“falt gestresst. Interessant in diesem Zusammenhang, dass man im Tantris in der DNA-Abteilung die Schraube wieder zurückdreht.

    Antworten
  7. Vollkommen richtig. Mir scheint das alles allerdings ein nicht zuletzt „deutsches“ Problem zu sein – vor allem die extremen Verdichtungen und das „volle Power“ bei jedem Gang. Kürzlich in Kopenhagen z.B. habe ich die Menüs gänzlich anders erlebt, egal ob bei 6 oder 26 Gängen. Auch in Frankreich oder Italien wirken die Menüdramaturgien auf mich meist anders, stimmiger.

    Antworten
    • PS: Zum Apfelkuchen: auch das ist etwas, das man im Ausland viel eher bekommt. Im Écriture (zwei Sterne) in Hongkong etwa gab es nach einem dramaturgisch ungeheuer fein komponierten Menü ein kleines Stück fantastischer Kirsch-Tarte-Tatin mit Eis als Dessert; im Caprice (drei Sterne) geröstete Aprikosen mit Meringue und Vanillesauce – so etwas würde sich doch hierzulande (oder auch in Benelux) kein Zwei- oder Dreisterner trauen…
      Ein positives Beispiel aus unseren Breiten wäre die schlichte Palatschinke mit Marillenparfait im Mraz und Sohn. Aber sowas ist ja die Ausnahme. Viele Grüße!

      Antworten

Schreibe einen Kommentar