Stephan, Michael und Wolfgang Otto: Alles über gutes Fleisch. Grundlagen, Praxis, Rezepte. Edition Michael Fischer, Igling 2020. 320 S., geb., Hardcover, 36 Euro

Vorbemerkung:
Das Buch ist quasi eine Neuausgabe des Buches „Meat Academy“ von Stephan Otto aus dem Jahre 2018. Warum es nun unter dem Titel „Alles über gutes Fleisch“ neu herausgebracht wird, mag an Dingen liegen, die ich weiter unten erläutert habe. Ich habe es 2018 nicht besprochen, halte die Besprechung heute aber für sinnvoll. Es passt deutlich besser in die Zeit als vor zwei Jahren.

In den letzten Jahren gab es nicht nur mehr Vegetarisches und Veganes, sondern – wie auf einer Waage, als ob es um einen Ausgleich ginge – auch erstaunlich viel über Fleisch. Die Fraktionen sind sozusagen profilierter geworden. Im Fleischsektor hieß das einerseits die Grill- und Dry-Aged-Welle mit einer Menge von Büchern, Zeitschriften und einer Art neuen Steakhouse-Kultur, andererseits aber auch scheinbar Gegenwind durch immer neue Fleischskandale. So etwas mag dem ein oder anderen Konsumenten kurzfristig den Geschmack verderben, schafft mittelfristig aber noch mehr Raum für eine neue Art der Fleischkultur. Statt Masse geht es mehr um Klasse, und damit ist man im Grunde erst einmal da angekommen, wo die Spitzenküche immer schon war: exzellente Produkte, die aber nicht unbedingt in Massen verzehrt werden. Ein Teil der aktuellen Fleischbücher ist dann auch entsprechend avanciert und nicht selten „kultig“ auf eine neue Zielgruppe bezogen.

Dieser Zweig der High-End-Fleischfans mag zwar eine interessante Entwicklung darstellen, taugt aber nicht unbedingt für eine Art von Konsum, der – sagen wir: einigermaßen in einer ökologischen und moralischen Balance ist und für größere Konsumentenschichten von Interesse sein kann. An dieser Stelle greift nun dieses Buch der Otto-Brüder von „Otto-Gourmet“, einer vor allem auf gutes Fleisch konzentrierten Firma mit angeschlossenem Laden/Restaurant („Männer Metzger“), Stand auf dem Carlsplatz in Düsseldorf und diversen Aktivitäten zur Propagierung/Schulung. Selbstverständlich will man nicht nur isoliert die Spitzenküche bedienen, sondern in einen größeren Markt vordringen. Dazu ist ein solches Buch natürlich hilfreich – vor allem wenn es gelingt, dem Kultigen mehr Bodenhaftung zu geben und zu zeigen, wie variantenreich man heutzutage mit dem Angebot umgehen kann. Dass dieses Buch direkt aus dem Handel kommt, kann insofern sogar ein Vorteil sein. Hier geht es doch erstaunlich klar um Überzeugung und erstaunlich wenig um überzogene Selbstdarstellung, die bei besonders kreativen Ansätzen schon mal eine sehr wichtige Rolle spielen kann.

Das Buch
Der Text kommt ohne Umschweife zur Sache, und das – wenn auch kurz – auch mit aktuell wieder stärker diskutierten Themen wie „Verbrauch und gesundheitliche Aspekte“, der „guten Behandlung“ von Tieren und Themen wie „Schlachten und (kein) Stress“. Ansonsten geht es bei den „Grundlagen“ um alles, was man wissen muss – über die Produkte, den Einkauf und die Zubereitung. Ein sehr schön übersichtlicher und von routinierter Kenntnis genährter Abschnitt befasst sich mit einem der wichtigsten Aspekte dabei, den Garzeiten und Kerntemperaturen. Da zahlt sich aus, dass man im Restaurant und bei vielen Vorführungen (z.B. auf Institutionen wie der „CHEF-SACHE“) ein absolut zuverlässiges Know How erworben hat. Die Garzeiten sind dabei zwischen Sous Vide und konventionellen Garungen unterschieden und entsprechen einem Verständnis, das an der Spitzenküche orientiert ist (z.B. die Unterteilung zwischen Lammrücken mit rosa bei 60–62 °C und Lammkarree rosa bei 55 °C Kerntemperatur). Alle Angaben, etwa zu den verwendbaren Teilen der Tiere, sind kurz, knapp und nicht besonders experimentell gehalten. Da merkt man dann doch einen Unterschied zu den Cuts in anderen Ländern, die meist wesentlich vielfältiger sind, als das in Deutschland der Fall ist. Insofern muss man auch immer an das Grundkonzept des Buches denken und nicht daran, dass es an anderer Stelle alle möglichen experimentellen Garungen/Zubereitungen zu allen möglichen Teilen gibt (mir fällt da gerade ein Rezept mit Knorpeln beim spanischen Drei Sternekoch Quique Dacosta ein…).

Der eigentliche Grund, warum ich dieses Buch vorstellen möchte, ist der Blick auf die Bilder und Rezepte. Wenn ich neue Bücher bekomme, blättere ich sie erst einmal kurz durch und verschaffe mir einen allerersten, kurzen Überblick. Dabei fielen mir sofort die „gut schmeckenden“ Bilder und die Art der Rezepte auf. Die Beispielrezepte (Fotos: Manuela Rüther) sind zum Teil klassisch, zum größeren Teil aber auch von einer Art erprobten Moderne geprägt, also von jenem Teil der Moderne, der – wie die Klassik – mehrheitsfähig gut schmeckt. Das Kasseler etwa kommt Sous-Vide gegart mit einem aufwändigen Rahmsauerkraut und Weintrauben nebst Sirup. Das flache Flank-Steak mit ebenfalls süffig individualisierten Baked Beans und Prosciutto-Tomaten und der Kalbstafelspitz mit Kartoffelrisotto, grünen Bohnen, Rauchkäse und Parmesan. Es gibt ein wahrlich expressiv anzusehendes „Smoked Pulled Pork“, das wenig Zutaten braucht, aber eine intensiv überwachte Zubereitung. Für das Schweinekarree mit Artischocken und roten Zwiebeln bedient man sich der klassischen Niedrigtemperaturgarung und kombiniert die Iberico-Schweinebäckchen mit rheinischer Blutwurst und Apfel-Meerrettichschaum. Beim Geflügel gibt es u.a. eine „Taube in brennendem Heu“, einen Kapaun (da fehlen das Gewicht und die abgestimmten Zeiten, weil es den Kapaun eben auch in unterschiedlicher Grüße gibt und nicht nur in der von Otto-Gourmet verkauften), die Weihnachtsgans klassisch, aber auch die Keulen sehr fein in Sous Vide-Garung und mit asiatischen Gewürzen und Mandarinensalat.

Beim Lamm wünscht man sich vielleicht auch einmal eine andere Stilistik, bzw. einen Einfluss, der stärker die französischen Geschmackswelten nutzt. Die Lammkrone mit mediterranem Wildkräutersalat hat die vielleicht nicht ganz die nötige Anbindung zum Fleisch. Aber – das soll die schönen Bilder wie etwa beim Hirsch unter der Honigkruste mit Risotto von frischen Pilzen nicht schmälern.

Fazit
Das Buch ist gut und nützlich, weil es hilft, die anstehenden Aufgaben mit Präzision zu lösen. Es macht Spaß, weil sich häufig leicht inspirierte, leicht variierte Geschmacksbilder einstellen, die dem Genuss von Fleisch erfrischende Perspektiven abgewinnen. „Alles über gutes Fleisch“ ist also ein Arbeitsbuch, das mit Flecken in die Küche gehört und nicht auf den Coffeetable. So gesehen erfüllt dieses Konzept seine Funktion ganz ausgezeichnet.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Manuela Rüther / Edition Michael Fischer

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