Stahl kocht zart. Der „Winzerhof Stahl“ in Simmershofen.

Dies ist eine sehr bemerkenswerte kulinarische Geschichte. Christian Stahl ist eigentlich als ein äußerst dynamischer Winzer bekannt, der in wenigen Jahren das elterliche Weingut nicht nur enorm vergrößert, sondern auch qualitativ in völlig neue Regionen geführt hat. Außerdem ist das Weingut eine außergewöhnlich gern gebuchte Hochzeits-Location, weil es sich hier auf dem Dorf und in den rustikalen Räumlichkeiten besonders gut feiern lässt. Rund um die Entwicklung mit diesen immer auch kulinarischen Aktivitäten musste es natürlich auch zu Gedanken an ein eigenes Restaurant kommen. Und weil Christian Stahl als Winzer, der auch eine gute Beziehung zu vielen Spitzenrestaurants pflegt, viel herumkommt, und weil er ohnehin am Kochen interessiert war, entwickelte sich dieser Bereich ebenfalls überraschend gut. Über allem schwebt heute der Eindruck, dass hier jemand mit ebenso viel Talent wie Intelligenz und geschäftlichem Gespür konsequent seinen Weg geht.

Ich hatte schon vor einiger Zeit zum ersten Mal in der FAS über das Restaurant geschrieben und mich sehr darüber gewundert, welche Qualitäten hier auf den Tisch kamen. Mein Eindruck war, dass man hier durchaus Sterneniveau hat – manchmal auch so, dass es auch mehr als ein einzelner Stern sein dürfte. Wohlgemerkt: das Restaurant hatte vor Jahren noch sehr knappe Öffnungszeiten und war vielfach überhaupt noch nicht entdeckt worden. Als im Frühjahr 2024 dann der „Winzerhof Stahl“ einen Michelin-Stern bekam, war das für Kenner des Hauses einerseits keine Überraschung, andererseits aber eine große Freude. Ich war zu diesem Zeitpunkt in Südtirol, habe die Verleihung aber verfolgt und mir buchstäblich auf die Schenkel geschlagen vor Vergnügen. Man hatte diesen Geheimtipp entdeckt und völlig zu Recht mit einem Stern bewertet.

Christian Stahl musste dann den Weg zu mehr „richtigem Restaurant“ gehen, was bei Michelin auch eine bestimmte Anzahl von Öffnungstagen bedeutet. Heute bietet er ein Degustationsmenü von 9 Gängen an, die – naheliegend, aber ebenfalls ungewöhnlich – jeweils um einen Wein aus der Palette des Hauses komponiert sind. „Wir haben wirklich den Wein im Fokus und kochen so, dass Wein und Essen besonders gut zusammen passen“, sagt Stahl dazu.

Hier nun einige Gänge aus dem aktuellen Menü mit meinen Impressionen.

 

Birnbaumforelle, Kohlrabi, Kaviar

Schon bei diesem ersten Gang (nach den Snacks zu Beginn) wird ein wichtiges Merkmal dieser Küche klar. Christian Stahl arbeitet mit einer auffällig großen Sensibilität, die sich ganz nah am Produkt entwickelt und oft für ein extrem feines, klares und irgendwie sehr „gesund“ wirkendes Geschmacksbild sorgt. In diesem Falle gibt es roh marinierte Scheiben von der Forelle aus der Fischzucht Birnbaum, die mit hauchdünnen Scheiben Kohlrabi belegt sind. Obenauf kommt eine Nocke Kaviar und eine Blüte. Abgesehen von der mini-invasiven Produktbehandlung fällt nicht nur die exzellente Qualität des Fisches auf, sondern vor allem die Proportionen zwischen Kohlrabi und Fisch und Kaviar. Das Kohlrabi-Aroma bildet einen ganz dezenten Aromenfilm mit einem Minimum an vegetabiler Textur, was dann nicht nur dem Fisch den richtigen Platz lässt und natürlich keinerlei Probleme mit zu starken, kohligen Noten bringt, sondern auch dem Kaviar, der sich auf dieser Folie zu einer prächtigen Wirkung entfalten kann. Den Weg zur Wirkung über das Gegenteil von Verstärkung zu gehen, ist heutzutage sehr selten und wirkt ausgesprochen gut und sehr kulinarisch.

SHASAU, Möhre, Kürbis, Sanddorn

Der merkwürdige Titel geht auf das Autokennzeichen von Schwäbisch-Hall (SHA) und natürlich das Schwäbisch-hällische-Schwein zurück. Es wird hier in einer Art Carpaccio-Zustand wie sehr roher Schinken serviert und bekommt eine strikt jahreszeitliche Begleitung. Die Gemüsebehandlung hat hier immer ein ganz klares Spiel mit Säure, Frucht und einer zurückhaltenden Süße, die neben den Effekten im Detail overall Frisch und Präsenz erzeugen. „Frische“ und „Präsenz“ muss man ganz klar von einem säuerlichen Eindruck abgrenzen, wie er meist von gepickelten Zutaten her kommt. Im Detail ist die Begleitung wieder deshalb so strukturiert, weil sie in der Aromatik das Texturspiel zwischen Begleitung und Schwein nicht stören, sondern bereichern soll. Dieses Kunststück (und das ist es, weil hier feine, transparente Aromen im Spiel sind, deren Balance untereinander besonders viel Sorgfalt voraussetzt) ist nicht einfach. Es kommt im nächsten Gang beim Bries noch einmal in einer intensiveren Form vor.

Kalb, Kürbis, Estragon

Diese Kombination von ausgebackenem Bries mit krosser Kruste und einer Kürbisvariation ist ein ganz exzellentes Gericht. Es ist sozusagen das, was viele Köche versuchen, wenn sie Bries oder Kalbskopfpralinen o.ä ausbacken und dann mit anderen Texturen kombinieren, das aber nicht mit dem richtigen Effekt hinbekommen, weil die Proportionen nicht stimmen. Man beißt dann oft hinein, bekommt aber quasi nur Textur und keine Aromen mehr. Hier bei Christian Stahl herrscht Souveränität in allen Details, und das mit einem auffälligen Verzicht auf jede kontraproduktive Dekoration oder aromatische Forcierungen, die den Zusammenhang gefährden könnten. Die expressiv aussehende Kruste für das puristisch vorbereitete Bries, das in genau der richtigen Größe für diese Kruste eingesetzt ist, hat zwar eine expressiv-krosse Wirkung, die aber weder texturell (durch zu große Länge) noch aromatisch (durch zu intensive Röstnoten) Dominanz erreicht. Es stimmt einfach millimetergenau. Dazu kommen dann die weiteren Aromen, die als Variation rund um das Kürbisaroma wirken, also eine aromatische Konzentration darstellen und keine aromatischen Ablenkungen bringen. Diese enorm klar strukturierte Konzentration bei gleichzeitig virtuoser Texturregie ist sehr überzeugend und verweist auf ein Potential dieser Küche, das auch deutlich oberhalb des bisher einen Michelin-Sterns liegt.

Omble Chevalier, Schwarzwurzel, Haselnuss

Die Zartheit der Behandlung des Hauptproduktes fällt bei dieser Komposition ganz besonders auf, weil man den Fisch auch ohne Begleitung pur genießen kann. Der Fisch ist abermals extrem frisch und sehr präzise ganz knapp opaque gegart, was für den Omble Chevalier (Wandersaibling) eine ideale Garung ist. Die Hollandaise, besser: Mayonnaise mit Haselnussessig, dazu schafft wieder die oben genannte Leichtigkeit und mit ihrer Säure eher eine Frischeanmutung, als die von Fettigkeit. Man kann und könnte mit dieser Kombination schon vollständig zufrieden sein. Dann aber kommt der Begleit-„Apparat“, bei dem man – allein probiert – erst einmal den Eindruck hat, es handele sich wegen der klaren al dente-Garung für die Schwarzwurzel für ein Zuviel an Textur, für eine zu dominante Wirkung, die man auf keinen Fall mit dem zart-schmelzenden Fisch kombinieren könne. Hier nutzt Stahl das, was ich schon seit vielen Jahren (zuerst beschrieben im Zusammenhang mit einem Rezept von Tim Raue im Restaurant „44“ in Berlin) das „kontrastierende Prinzip“ nenne. Die Bezeichnung verweist auf den Effekt, dass man sehr große Temperaturkontraste im Mund nicht als Überlagerung o.ä. wahrnimmt, sondern dass man sie gleichzeitig wahrnimmt. Der Fisch und die Sauce schaffen einen klar definierten, schmelzenden Effekt, die krossen Elemente umspielen und schaffen eine ganz deutlich wahrzunehmende Räumlichkeit der Wahrnehmung. In der hier gezeigten Präzision und Konsequenz bekommt man so ein außergewöhnliches Esserlebnis.

Reh, Kartoffel, Steinpilz, Rosenkohl

Dieses Gericht ist natürlich ebenfalls gut – auch wenn schon die Optik eine gewisse Nähe zur bürgerlichen Küche (i.w.S.) oder zum Gourmet-Mainstream signalisiert. Es bleibt auch hier eine Garung für das Reh, die in ihrer Zartheit extrem fein ist. Es entsteht aber andererseits der Eindruck, dass die selbstbewußte Konzentration auf das Wesentliche, die die anderen Gerichte prägt, hier noch nicht in einer adäquaten Lösung vertreten ist.

Bisquit, Blaubeere, Vanille, Kaffee

Christian Stahl hat für dieses ebenfalls auffällig gute, sehr süffige und gleichzeitig sehr differenzierte Dessert das Tiramisu als Vorbild. Seine Interpretation gefällt deshalb so gut (und lässt aromatisch geradezu schmunzeln), weil sie das oft redundant wirkende Original quasi fraktioniert, die Aromen auseinanderzieht und vor allem die Texturen sehr viel breiter anlegt. Das macht Spaß und gibt einen süßen Abschluß, der in seiner Intensität im Vergleich zu den herzhaften Gerichten vielleicht überrascht, aber durch diesen Schritt nach den vorherigen Gängen einen Energie-Schub schafft. Dies ist kein Dessert, das man müde vom Essen und Wein eher „abwickelnd“ isst, sondern eine kleine Geschmacksbombe, die noch einmal richtig zündet.

 

Wegen dieser Qualitäten habe ich dann Christian Stahl vom „Winzerhof Stahl“ zum Aufsteiger/Newcomer des Jahres bei den Lieblingen der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gemacht. Bei der Gala am 25.1.2025 im großen Ballsaal von Schloß Bensberg wird Christian Stahl – wie alle Geehrten – einen Gang beisteuern.

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