Solidarität

Zuerst einmal eine Anmerkung zu den neuen Gault Millau-Bewertungen. Ich möchte die Bewertungen und Tendenzen im Moment wegen der großen Probleme der Gastronomie nicht kommentieren, sondern die Einordnung auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Ich gratuliere allen Köchen und Gastronomen, die Anlass haben, sich über die Bewertungen zu freuen und wünsche Ihnen alles Gute.

Was die gegenwärtigen Schließungen angeht muss ich einmal vorsichtig darauf hinweisen, dass man Gründe für die Vermutung haben kann, dass das Alles noch sehr lange dauern kann. Im Frühjahr gab es noch Hotspots, die man lokalisieren und erfolgreich bekämpfen konnte. Dann kamen die Lockerungen des Sommers mit dem Effekt, dass man alles einmal gründlich „durchgerührt“ hat. Heute ist Corona überall. Es mögen noch ein paar besondere Hotspots existieren, tatsächlich gibt es eine Verbreitung in der Fläche, die eine Bekämpfung extrem schwierig bis unmöglich macht. Die Politiker und die Spezialisten werden das längst erkannt haben. Sie werden wissen, dass sie mit ihren Einschränkungen das Problem nur begrenzen, aber im Moment nicht wirklich auf einen Inzidenzwert von 50 zurückführen können. Dass man ratlos auf die Zahlen schaut, die trotz der massiven Einschränkungen auch für die Gastronomie nicht sinken wollen, hat mit dieser Unbeherrschbarkeit zu tun. Kann man so etwas zugeben? Kann man ein solches Eingeständnis TV-fähig machen? Wohl kaum. Wenn der Verlauf aber nicht mehr wirklich beherrschbar ist, weil sich buchstäblich in jeder Ecke Infektionsmöglichkeiten ergeben, gibt es nur einen Ausweg, nämlich die Hoffnung auf einen Impfstoff, der das Problem erledigt.

Wenn man mit einem solchen Szenario rechnet, können die Folgen für die Gastronomie absolut vernichtend sein. Im Moment gibt es hier und da erste Stimmen, die mit einer vollständigen Öffnung der Gastronomie irgendwann im Frühjahr rechnen. Hoffen sie so früh schon auf Wirkungen durch den Impfstoff? Alles deutet darauf hin, dass sich dessen Auswirkungen erst einmal ganz langsam zeigen werden – wenn denn überhaupt in einem absehbaren Zeitraum. Bis der Virus durch einen Impfstoff völlig unter Kontrolle ist, werden noch viele Monate ins Land gehen – um es einmal zurückhaltend zu formulieren. Weil man aber mit Hinblick auf das Gesundheitssystem die Sache im Zaum halten muss, wird man auch die Beschränkungen sehr, sehr lange aufrecht erhalten müssen. Für die Gastronomie würde das eine schiere Katastrophe sein. Und weil solche Entwicklungen ernsthaft zu befürchten sind, muss man sich Gedanken machen.

Bisher ist mein Eindruck aus vielen Gesprächen mit Köchen und Gastronomen, dass man keinen wirklichen Plan B in der Tasche hat. Man hofft und macht entweder Pause oder ein paar halbherzige Sache, unter anderem immer wieder auch deshalb, weil man meint, für Außer-Haus-Lieferungen nicht die gleiche Qualität wie im Restaurant realisieren zu können. An eine Situation, die zu mehrmonatigen Schließungen führt, scheint kaum jemand ernsthaft zu denken. Wenn man sich die Angebote ansieht, ist in vielen Fällen nicht zu erkennen, dass man sich ernsthaft Gedanken um eine mobile Fassung der eigenen Küche macht. Oft findet man Abgespecktes aller Art, Kopien von Systemgastronomie oder bürgerliche Küche, bei der noch nicht einmal der Versuch unternommen wird, über die alten Klischees hinauszukommen. Ich habe auch schon Stimmen gehört, die ganz einfach gesagt haben: „Wenn ich nicht mein Ding machen kann, lasse ich es lieber sein und höre auf.“ Ich habe seit März versucht, immer wieder für mehr Ideen zu werben und sich ernsthafte Überlegungen für längere Zeiträume des Lockdowns zu machen. Heute bitte ich dringend darum, in den Bemühungen nicht nachzulassen, nicht das Provisorium zu betrachten, sondern neue Formen zu entwickeln.

Der Aufruf muss auf der anderen Seite aber auch an die Gäste der avancierten Küche gehen. Ja, ich weiß, dass der ein oder andere etwas bestellt und dann gemerkt hat, dass die Leistungen eher selten ein bestechend gutes Niveau haben. Meine Erfahrungen sind bisher auch eher durchwachsen und selten so gut, dass man sich wirklich zufrieden zurücklehnt. Die Spitzenküche sollte allerdings nicht hinter das Niveau zurückfallen, das gute Caterer seit vielen Jahren realisieren können. Aber – trotz durchwachsener Erfahrungen und – bisher – wenig Glanz muss die Bitte an alle Freunde der guten Küche gehen, die Angebote der Restaurants viel häufiger zu nutzen. Ja, es geht auch um Solidarität, es geht darum, dass Küchen in Betrieb bleiben und wenigstens ein wirtschaftliches Gerüst erhalten bleibt. Und – ja – wenn es manchmal etwas teuer erscheint, sollte man sich vielleicht ein klein wenig die Kommentare ersparen, und wenn die Qualität nicht so ist, wie man sie aus dem Restaurant gewohnt ist, sollte man nicht gleich den Zugriff auf die Angebote einstellen. Man sollte Gutscheine erwerben und gerne auch verschenken, man sollte Spezialitäten in den Restaurants bestellen und einfach auf diese Weise auch eine Verbindung erhalten. Und wenn die Zeit ins Land geht, werden die Ideen sicherlich auch noch etwas zwingender werden.

Auch ich werde mich bemühen, die Angebote stärker zu nutzen, obwohl ich sie nicht unbedingt brauche, weil ich selber kochen kann. Die journalistische Begleitung auch dieser Formate wird natürlich erhalten bleiben.

Seien wir solidarisch. Gastronomen und Freunde der Gastronomie sitzen im gleichen Boot. Auch die Gäste müssen sich ein wenig anstrengen und mithelfen. Vielleicht gehen Sie auch einmal durch große Städte und die Viertel, in denen sonst von mittags bis Mitternacht gastronomischer Hochbetrieb ist. Sehen Sie sich an, wie das aussieht, wenn dieser enorm wichtige Kulturzweig ausstirbt.

P.S. Ich hoffe, dass meine pessimistischen Vermutungen nicht eintreffen. Denken Sie nicht taktisch. Denken Sie strategisch.

2 Gedanken zu „Solidarität“

  1. Ich gebe ihnen da vollkommen Recht.
    Vor vielen Jahren habe ich die Gastronomie und Sternehotellerie verlassen und bin in die private Wirtschaft gewechselt.

    Dem Gewerbe bis heute treu geblieben. Wenn wir uns anschauen wer wann geimpft werden soll und wieviele Dosen gekauft werden und das jede Person 2x geimpft werden muss ,dann werden noch viele Monate vergehen bis eine normale Lebensweise gibt.

    Meine heutigen Kunden aus der Großindutstrie und die Techkonzerne (google,Facebook und Co) rechnen mit einem Normalen Alltag ab Q4 2021 / Q1 2022.

    In den USA sind erste Planungen im Gespräch Hotel ,Urlaub und Restaurant besuche nur mit Impfnachweis durchzuführen.

    Mein letzter Besuch in Dubai hat mich mit 3 Personen in Kontakt gebracht die einen Testimpfstoff erhalten haben und dort alle Freiheiten geniessen dürfen mit dem digitalen Impfnachweis.
    Von 75000 im August 2020 geimpften werden im Sommer 2021 erste Ergebnisse der Herdenimmunität erwartet.

    Wir müssen noch alle eine lange Zeit zusammenstehen

    Antworten

Schreibe einen Kommentar