So macht man das! Christian Bau feiert 25 Jahre „Bau-Stil“ in Victor’s Fine Dining in Perl/Nennig

(Ich bin gerade in Frankreich unterwegs, möchte diesen Termin und die Gratulation an Christian Bau und sein Team aber nicht versäumen…)

So ganz richtig ist der Titel „25 Jahre Bau-Stil“ eigentlich nicht. Ja, Christian Bau ist schon so lange in Perl/Nennig, aber – nein, seinen so überaus markanten, überaus populären und überaus stark kopierten Stil hat er erst später entwickelt. Ich erinnere mich an sehr intensive Gespräche nach Besuchen bei ihm zu frühen Zeiten, in denen es mehr und mehr darum ging, dass er nicht auf ewig als – sagen wir es salopp: Wohlfahrt-Kopie gelten konnte, zwar perfekt, aber eben nicht „Bau“. Das Thema dieser frühen Diskussionen in den frühen 2000er Jahren mag von heute aus irgendwie selbstverständlich klingen. Man darf aber nicht vergessen, dass Harald Wohlfahrt zu diesen Zeiten weithin als überragender Großmeister seiner Zunft galt und es überhaupt kein Makel war, genauso zu kochen wie er. Ich habe in den Diskussionen und den frühen Texten zu Christian Bau dann auch immer jene Gerichte, die eine eigene Handschrift trugen, versucht, etwas in den Vordergrund zu bringen. Als er dann nach seinem Japan-Besuch mit seinen neuen Ideen kam, war ich von der fundamentalen Qualität und Originalität dieser Dinge aber sehr überrascht. Da war ein Vulkan explodiert, da hatten sich im Hintergrund enorme Überlegungen und Qualitäten entwickelt, die dann gleich in einer Breite und Perfektion kamen, die bis dato ohne Vergleich war.

Ich möchte das Jubiläum mit einigen Texten feiern, die zeigen, wie früh Christian Bau aus heutiger Sicht mit seinen Ideen war und dass er sie in einer erheblichen Beständigkeit nebst immer wieder innovativen Schüben realisiert hat.

Den Anfang möchte ich mit dem Vorwort zum Buch „bau.stil“ von 2011 machen. Untertitel „Entwicklung einer kulinarischen Handschrift“. Das Buch hat damals Thomas Ruhl mit Christian Bau realisiert.

Vorwort Christian Bau-Buch, September 2011

Die höchst bemerkenswerte Entwicklung von Christian Bau zeigt uns eine Menge von Zusammenhängen, die die so überaus spannend gewordene kulinarische Landschaft in Deutschland seit einigen Jahren bestimmen. Bau war lange Jahre ein Musterschüler des klassischen Systems von Kochkunst, das jahrzehntelang die Spitzenküche in Europa dominiert hat. In diesem System gibt es klare Regeln. Man weiß, was gut schmeckt und zu welchen Köchen man gehen muß, um bestimmte Produkte in optimalen Zubereitungen zu bekommen. Man weiß als ambitionierter Koch selbstverständlich, welche „Stationen“ nach der Grundausbildung angestrebt werden müssen, um irgendwann einmal selber ein „Sternekoch“ zu werden. Und schließlich hat man das „System Michelin“ komplett verinnerlicht. Und das bedeutet, daß der dritte Michelin-Stern das höchste der Ziele für einen Koch ist und man sich automatisch an den Leistungen anderer Drei Sterne-Köche orientiert. Daß Christian Bau also als letzte Station vor Beginn seiner Selbständigkeit von 1993 bis 1998 bei Harald Wohlfahrt in der „Schwarzwaldstube“ im Hotel Traube Tonbach in Baiersbronn arbeitete, war absolut logisch. Und es ging konsequent weiter. Der erste und zweite Stern kamen schnell, und es stellte sich heraus, daß Bau sich zügig in die Nähe des Niveaus seines Meisters kochen konnte. Im Jahre 2003 gab es also zum Beispiel aufwendige Vorspeisen wie einen „Salat vom Kalbskopf, Kalbszunge und Kalbsbries mit Wurzelgemüse-Radieschen-Schnittlauch-Vinaigrette“ oder eine „Fasanenbrust im dünnen Speckmantel gebraten, Rosenkohlblätter, Pilzsauté, Wacholderjus“. Das hatte Substanz und Finesse, und der Weg zum dritten Stern war für den „Wohlfahrt-Schüler“ (wie er immer genannt wurde) frei. Als er den dritten Stern dann im Jahre 2005 bekam, war Christian Bau auf dem Höhepunkt seiner klassischen Phase. So weit, so gut.

In der Zwischenzeit hatte sich international (und national) eine Menge getan – und zwar in künstlerischer wie in „formaler“ Hinsicht. Der dritte Stern bekam für eine ganze Reihe von Köchen in nur wenigen Jahren eine andere Funktion. Er blieb die höchste Ehrung, aber gleichzeitig wurde klar, daß man nicht mehr wie in früheren Zeiten nur noch davon reden konnte, wie wichtig es sei, Jahr für Jahr den Stern sozusagen zu verteidigen. Man bekam ihn nur, wenn die handwerkliche Dimension der Küche und ihre Zuverlässigkeit höchsten Ansprüchen genügte. Aber in künstlerischer Hinsicht begann sich die internationale Kochszene gründlich anders zu orientieren. Unter dem Druck der spanischen Kreativszene rund um Ferran Adrià begannen mehr und mehr Köche, einen individuellen Stil zu entwickeln. Der Guide Michelin kam plötzlich auch in Asien und Amerika auf den Markt, und es wurden Köche ausgezeichnet, die mit der klassisch-französisch fundierten Köche nicht mehr viel zu tun hatten. Christian Bau geriet unter Druck. Seine Höchstnoten waren unumstritten, aber irgendwie schlich sich auch bei ihm das Gefühl ein, daß das Leben eines großen Kochs auch etwas mit lebenslangen Entwicklungen und Veränderungen zu tun hatte. Es begann eine Phase, in der er immer wieder versuchte, neue Reize zu setzen, mehr auszuprobieren und andere Köche und ihre Küchen kennen zu lernen. Die Diskussionen drehten sich um die rasende Entwicklung der Kochkunst, die kritische Analyse der internationalen Szene und die zunehmend besondere Rolle der deutschen Köche. Denn auch das wurde immer klarer: die deutschen Spitzenköche der neuen Generation (für die ich im Jahre 2007 den Begriff der Neuen Deutschen Schule gefunden hatte) kamen langsam aber sicher in eine ideale Position mit vielen Vorteilen im internationalen Vergleich. Sie hatten sich – bei aller Wachheit gegenüber der internationalen Entwicklung – nicht von Experimenten fortreißen lassen, und sie hatten eine exzellente klassisch-handwerkliche Grundlage. Sie hatten mit der sensorisch komplett durchdachten strukturalistischen Küche sogar eine handwerkliche Entwicklung so weit fortgetrieben, daß man sich sogar deutlich von den „alten“ französischen Vorbildern unterscheiden konnte.

Und dann „explodierte“ Bau, und zwar in einer auch von mir kaum erwarteten Weise an einer kaum erwarteten Stelle. Er entdeckte eine stärkere Vorliebe für die japanische Küche, er besuchte Japan und er begann höchst interessante Rezepte zu entwickeln. Etwas später rief ich bei ihm an und fragte ihn, ob er nicht eine FAZ-Gourmetvision, also eines der speziell zusammengestellten und optimierten Menüs ausschließlich mit seinen neuen japanisch inspirierten Gerichten gestalten wolle. Bau sagt sofort zu – und wollte einen Tag später wieder absagen. Die Begründung: die Leute sollten nicht meinen, er würde nur noch „japanisch“ kochen. Als ich dann eine große Palette seiner neuen Gerichte probierte, war ich so fasziniert von der überragenden Qualität und Originalität, wie es mir nur ganz selten jemals passiert ist. Es war eine perfekte Mischung aus zwei Welten, wie sie nur gelingt, wenn jemand für bestimmte Geschmacksbilder ein echtes, bisher ungesehenes Talent hat. Bau navigiert sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch einen kulinarischen Mikrokosmos, den man in dieser Qualität und Spezifität in Europa noch nicht auf dem Teller hatte. Individuell, handwerklich perfekt und eben so, als hätte er seit Jahren nichts anderes gemacht. Und – gleichzeitig definiert er mit seiner Arbeit die asiatisch inspirierte Küche neu, weil er ihr ein gänzlich anderes Potential entlockt, als dies bei den immer wieder einmal aufflackernden Moden mit euro-asiatischer Küche der Fall ist. Zu den „Meeresfrüchten und Hamachi“, einer Assemblage roher und marinierter Elemente zwischen jodigen und vegetabilen Aromen habe ich dann geschrieben: „So etwas sollte man meditativ essen und darüber staunen, welche Vielfalt an sensorischen Informationen der Mensch registrieren kann.“ Die Gourmetvision wurde übrigens ein ganz großer Erfolg. Und – das Problem mit der Einseitigkeit seiner Küche existiert nun wirklich in keiner Weise. Man kann eher den Eindruck haben, als hätte er sich bei der Ausformulierung seiner japanisch inspirierten Gerichte noch einmal gesteigert und die Struktur seiner Küche noch ein Stück sensibler weiterentwickelt. Wie zum Beispiel bei seinem fabelhaften Gericht namens „Bretonische Artischocke – ‚Strukturen’, Kräutersalat, Jabugo Bellota, Parmesan“. Man muß vielleicht erst vom japanischen Purismus, vom Umgang mit rohen Materialien, von feinsten Nuancen bei der aromatischen und texturellen „Regie“ lernen, um ein solches, völlig europäisch angelegtes Gericht in dieser Qualität realisieren zu können. Das ist eben der Unterschied zwischen der traditionelleren Sehweise und einem modernen Meister wie Christian Bau. Die einen kochen uns vielleicht ein Lieblingsgericht. Bei Bau werden uns neue sinnliche Perspektiven eröffnet, die wir noch auf längere Zeit als ziemlich unendlich einstufen müssen.

Jürgen Dollase, September 2011

 

 

Das zweite Dokument stammt aus einer Phase vor der japanisch inspirierten Küche. Damals habe ich den Text zum „Koch des Jahres“ im FEINSCHMECKER geschrieben. Sie bekommen ihn hier in Manuskript-Form, also so, wie ich ihn geschrieben habe. Etwaige Unterschiede zum veröffentlichten Text sind darauf zurückzuführen.

 

Koch des Jahres 2005 im Feinschmecker: Christian Bau

„Spätestens mit 23 Jahren“, hat Alain Ducasse einmal gesagt, „ist es vollkommen klar, wer ein echter Spitzenkoch werden kann und wer nicht“. Das scheint Harald Wohlfahrt sich bei unserem Koch des Jahres auch gedacht zu haben. Ein Jahr war Christian Bau nach abgeschlossener Lehre erst Commis in der „Schwarzwaldstube“, da machte ihn der Meister direkt zu seinem Sous-Chef – mit 23 Jahren. – Mit Christian Bau ehrt der „Feinschmecker“ in diesem Jahr eines der größten kulinarischen Talente, das je in unseren Landen aufgewachsen ist. Der immer noch erst 34-jährige Koch von „Schloß Berg“ in Nennig im Saarland wirkt einerseits längst ausgereift und meisterlich, strebt aber ohne Wenn und Aber weiter nach oben. Schon bald nach der Eröffnung seines eigenen Restaurants auf Schloß Berg (1998) bekam er seinen ersten Stern (im Dezember 1998, schon ein Jahr später seinen zweiten. Nach einer Phase der Konsolidierung kann man sich heute des Eindrucks nicht erwehren, dass er zu neuerlichen Höhenflügen ansetzt. Wir werden darauf zurückkommen. – Ist ihm das nun alles so in die Wiege gelegt worden ? Mitnichten.

Alles war mehr oder weniger Zufall. Geboren wurde Christian Bau am 14. Januar 1971 in Offenburg. Sein Vater arbeitete bei Burda in der Druckerei, seine Mutter hatte zwar Hotelfachfrau gelernt, wechselte dann aber zur Post. Bau selber bezeichnet sein Elternhaus als „schwierig“. Die Eltern trennten sich als er drei Jahre alt war, und der kleine Christian wuchs bei seiner Mutter auf. „Einen echten Vater habe ich nie gehabt“ erzählt Bau, man kennt diese Geschichten. Per Zufall und ohne konkrete, eigene Vorstellungen landete er 1987 mit 16 Jahren im Hotel „Sonne-Eintracht“ in Achern, dem ehemaligen Ausbildungsbetrieb seiner Mutter. Hier muß es irgendwie gefunkt haben, und zwar wirklich von der Sache her. Schon der Kochlehrling hatte nicht so sehr die bodenständige Küche im Sinn, sondern interessierte sich sofort „für die etwas spezielleren Sachen“, wie Bau das heute nennt. Und dann kam noch etwas anderes hinzu, was wohl letztlich ausschlaggebend für seine weitere Entwicklung war : seine Chefs und Kollegen wurden für ihn zu seiner neuen Familie. Hier erkannte man sein Talent und hier wurde er frühzeitig gefördert. Apropos Familie : Bau hat seine gleichaltrige Frau Yildiz, die in Istanbul geboren wurde, aber schon im Alter von 9 Monaten nach Deutschland kam, schon 1988 während ihrer Ausbildung zur Restaurantfachfrau in der „Sonne-Eintracht“ kennen gelernt. Seitdem hat man (bis auf die zeitweilige Trennung während seines Grundwehrdienstes von 1991 bis 1992) immer zusammen im gleichen Betrieb gearbeitet, einschließlich der Zeit in der „Schwarzwaldstube“. Seit 1996 sind die beiden auch verheiratet und haben zwei Kinder (Katharina-Sophie und Lisa-Marie). Yildiz Bau leitet heute den Service auf Schloß Berg. – Aber zurück zu seinen Lehrern. Bis auf den heutigen Tag hat er enge Beziehungen zu seinem ersten wichtigen Lehrer, Gutbert Fallert von der “Talmühle“ in Sasbachwalden (in der er 1991 arbeitete) und vor allem zu Harald Wohlfahrt, bei dem er von 1993 bis 1998 blieb (dazwischen lag der Wehrdienst und ein Jahr im „Le Canard“ in Offenburg).

Noch heute telefonieren die beiden „zwei- bis dreimal in der Woche“, reden aber nur zu einem kleinen Teil über das Essen, wobei Bau das Vorbild – und ein wenig wohl auch väterlichen Freund – nach wie vor siezt. Wohlfahrt ist der gute Freund, der Ratschläge in allen Lebenslagen gibt. Man redet natürlich auch ganz normal über Restaurants und interessante Dinge aus der Szene, wobei immer wieder der Meister seinem Schüler wertvolle Hinweise und Hilfen gibt. So löste sich ein zeitweiliges Problem im Sommeliersektor dadurch auf, dass Wohlfahrt seinen zweiten Mann aus der „Schwarzwaldstube“ sozusagen für Bau freigab. – Vielleicht wird es an dieser Stelle einmal Zeit, die landauf landab verbreitete Meinung zu kritisieren, Christian Bau sei eine „Wohlfahrt-Kopie“. Sollen wir etwa darüber diskutieren, welche Heerscharen von renommierten Köchen Witzigmann- oder Winkler-Gerichte übernommen haben, oder – aktueller – sich bei Adria und Blumenthal „inspirieren“ lassen ? Aus der Kopie wird keine gute Küche, dazu sind viel zu viele Details zu realisieren, die man nicht einfach nachmachen kann. Wirklich gute Küche kommt nur von wirklich guten Köchen. Wenn sie sich hier und da einmal in Gerichten realisiert, die eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Vorbild haben, sollte man eher einmal an die anderen Künste denken, wo die Meisterschüler der großen Künstler dann ein besonderer Glücksfall sind, wenn sich in ihnen die Qualität des Meisters mit neuen Ideen in die nächste Generation fortsetzt. Außerdem – kennen Sie die neueste Entwicklung bei Bau ?

Bevor wir davon reden, ist aber ein Blick auf die wenigen Spitzenköche interessant, die Bau selber als wesentliche Erlebnisse (und Einflüsse) betrachtet. Neben Wohlfahrt sind dies Ducasse, der Girardet-Nachfolger Philippe Rochat aus Crissier/Schweiz und Bernard Pacaud vom „L’Ambroisie“ in Paris. Wollte man die wichtigste Gemeinsamkeit dieser vier charakterisieren, so spielt bei allen eine überragende Kochtechnik die Hauptrolle, die sich bis ins Detail erstreckt und nichts dem Zufall überlässt. Man ist der Moderne gegenüber aufgeschlossen, verfällt aber Dank eines gesunden, von hervorragendem Handwerk bestimmten Selbstverständnisses nicht in Hektik, wenn irgendwo etwas Neues erfunden wird. Christian Bau 2005 hat ohne Zweifel damit eine große Ähnlichkeit. Und Adria ? „Ich habe einmal 48 Sachen bei ihm gegessen. Davon waren 5 megagenial und 10 genial“. Der Rest beeindruckte Bau nicht.

Was also kann man ganz aktuell über seine Küche berichten ? Die wichtigste Entwicklung der letzten Monate ist die Abkehr von einigen Merkmalen, mit denen sich viele Köche in Deutschland selber im Wege stehen. „Ich habe den Portweingebrauch stark eingeschränkt“, beschreibt Bau eines dieser Merkmale. Vor allem aber finden sich nur noch Dinge auf dem Teller, die wirklich wesentlich sind. Die aufgeschäumten Sößchen in zweierlei Farben und austauschbarem Aroma sind verschwunden, und von tournierten Möhren oder anderen Deko-Elementen will Bau nichts mehr wissen. Typisch ist heute ein Gericht wie der „Sankt Petersfisch mit Coco-Bohnen à la nage und Olivenöl“. Der Fisch wird bei 60 Grad schonend in Olivenöl gegart, Bohnen, Garnelenscheiben und winzige Pulpos umspielen elegant die Fischtextur, die Nage hat eine auffallend gute Würze (Bau : „ich würze immer grenzwertig“, also sehr kräftig) und vor allem liegt über dem Teller ein wunderbarer Hauch von Olivenöl. Wir alle kennen Gerichte wie „Feines vom Blue Fine-Thunfisch mit Gewürzen, Wasabi-Rettich-Kresse“. Bau schafft es, diese Anordnung so zu optimieren, dass sie plötzlich eine geradezu klassische Qualität entwickelt. Der Grund dafür liegt in einer Denkweise, die letztlich auch in der Spitzengruppe unserer Köche die Spreu vom Weizen trennt. Hier gibt es dann keine übervollen Teller mit einer Unzahl von Elementen mehr, bei denen die Entscheidung über die Akkorde quasi dem Gast überlassen wird. Hier hat jede Zutat ihre wohlüberlegte Funktion, ist in sich perfekt und bildet wie ein Puzzle-Teil zusammen mit den anderen das kulinarische Bild. Auch die „Gegrillten Langustinen mit getrüffelten Kalbskopfgraupen und Jus Crustacé“ aus unserem Menü funktionieren nach diesem Prinzip. Die Kombination von Langustine und Kalbskopf allein könnte spröde und ein wenig fremd nebeneinander wirken. Durch die Graupen (mit ihrer den Langustinen recht ähnlichen Textur) als Katalysator wird alles wunderbar mundfüllend und schmeckt sehr harmonisch. Auffällig ist neuerdings bei Bau auch, dass er vielen Gerichten eine kleine aromatische Besonderheit mitgibt. Wenn man so will ist dies ein Weg zu mehr individuellem Profil über die hervorragende handwerkliche Substanz hinaus. Bei den Variationen vom Kalb ist es ein Kalbsjus mit Kaffee, das in keiner Weise verquer oder penetrant wirkt (und schon gar nicht „nach Kaffee“ schmeckt), sondern lediglich der Sauce einen ganz leicht herben Hintergrund verleiht. Beim Rehjus ist es Kakao und Piment d’Espelette, bei der Foie gras sind es verschieden Pfeffer oder beim Lamm ein Hauch von Brin d’Amour.

Ganz offensichtlich hat Bau erkannt, dass der mittlerweile in die Jahre gekommene 90er-Jahre-Stil (s.oben) großer Teile der deutschen Spitzenküche beginnt, sich lähmend auf die Entwicklung der Küche auszuwirken. Viele können mittlerweile gut kochen. Aber bei Bau lässt sich (wie auch z.B. bei unserem Koch des Jahres 2004, Joachim Wissler) erkennen, wie es jetzt weitergehen kann : mit einer immer wieder aufs neue nötigen Besinnung auf handwerkliche Maximalstandards, mit mehr Präzision beim Aufbau der Gerichte und mit ernsthaften Versuchen, mehr Individualität zu gewinnen. Diese Dynamik hat Christian Bau zum richtigen Zeitpunkt entwickelt. Es deutet sich an, dass mehr und mehr Köche sich nicht mehr so sehr auf die verblassenden Lobeshymnen um das „deutsche Küchenwunder“ verlassen, sondern sich jetzt endlich ernsthaft bemühen, auch international zu anerkannten Großmeistern ihrer Zunft zu werden. – Und was hat Bau da so für Pläne ? Nun, ganz nach oben soll es hier schon gehen, und dafür setzen sich alle in diesem „Familienbetrieb“ (wie Bau die Funktionsweise seines Hauses beschreibt) ein. Da arbeiten alle Hand in Hand, der Chef ist ein kollegialer Chef, der „eben selber noch sehr jung ist“ und Schloß Berg als langfristiges Projekt sieht. Jede freie Minute gilt der Familie, die aber ohnehin im Moment (nach einem Brand in ihrem Zweitrestaurant und Wohnhaus im letzten Jahr) im eigenen Hotel wohnt. Christian Bau wirkt immer hellwach und hartnäckig auf der Suche nach dem weiteren Fortschritt. Aus diesem Holz werden große Köche geschnitzt.

 

 

Das dritte Dokument ist unveröffentlicht. Im Jahr 2009 habe ich Bau gebeten, für meine Serie „FAZ – Gourmetvision“ eine Folge zu realisieren. Bei dieser Aktion zur Förderung der kreativen Küche in Deutschland ging es um die Realisierung eines Menüs, das vorab zusammen mit dem Koch erarbeitet wurde.

Ich habe sehr viele Gerichte probiert und sie dann gemeinsam mit dem jeweiligen Koch zu einem Menü zusammengestellt. Es wurde dann ausführlich in meiner FAZ-Feuilleton-Kolumne „Geschmackssache“ vorgestellt.

Nachdem das Menü klar war, hat mir Bau eine umfangreichere Darstellung der Gerichte in einer Form geschickt, die ich immer „Escoffier-Notizen“ nenne (weil Escoffier viele seiner Gerichte ähnlich konzentriert beschrieben hat). Ich hatte dann genügend Übersicht über die Details, um darüber schreiben zu können. Die FAZ-Gourmetvision erschien übrigens unter dem Titel „Banzai, Herr Bau“.

 

FAZ – Gourmetvision, Christian Bau, 2009

Kleine Kulinarische Einstimmungen

japanisch inspiriertes Finger- und Knusper-Food

 

Taschenkrebs

mariniertes Taschenkrebsfleisch / Taschenkrebs in Kataifi Teigfäden gebacken / Dashigelée (Basis: Krustentiergelée) / gegrillte und marinierte Wassermelone / Wassermelonensorbet / Kimizu (japanische Mayonnaise mit Reisessig), / Korianderpesto / Algenkrokant

 

Meeresfrüchte & Hamachi

Sepia roh mariniert / Seegurke kurz in Oel pochiert / knackige Gurkenstreifen /

Sashimi von Hamachi / mariniertes Seegras / Sesamaioli /

Marinade aus Austern, Limone, Sake & Reisessig

 

Langoustine

Langoustine roh und `hohl ausgelöst´, gefüllt mit traditionellem Sushireis / Saiblingskaviar / Salicorne als Püree, leicht sautiert und als Beignet / Crème aus Langoustinencorail /

Ponzu-Air / parfumierter Tee von Langoustinen

 

Blue fin Tuna

Thunfisch als Tataki (auf der Grillplatte angebraten, mit einer Sojasauce eingepinselt, mit dem Bunsenbrenner karamellisiert) / kleine Gurkenwürfel mit Reisessigmarinade / Tosazu (Gelee aus Mirin, Sojasauce, Reisessig, Dashi, Sake) / gebackene Rock Chieves Kresse / feinste Ingwerstreifen.

  1. à part: Japanische Essenz mit Ginger Ale (Inhalt: Reduktion aus Geflügelfond, Limonenblättern, Ingwer, Knoblauch, Zitronengras, aufgemixt mit Traubenkernöl und Ginger Ale),
  2. à part: Kräutersalat mit japanischen Gemüse-Pickles und Scheiben von frischer Abalone (Abalone mit Sake, Mirin und Kombualge 12-14 Stunden Vakuum-gegart)

 

Kalbsbries

rohes Kalbsherzbries scharf gebraten / Püree von Yamswurzeln / Yamswurzel frittiert und mariniert (Marinade aus Sojasauce, Sake, Reisessig, Mirin, Dashi) / heller Kalbsjus mit Sojasauce abgeschmeckt / Misocrème aus der ISI-Flasche (mit Butter & Ei) / Brotbrösel aus Panko knusprig angeröstet und mit schwarzem Knoblauch (durch Sieb gestrichen) aromatisiert

 

Bar de Ligne

auf der Haut kross gebraten / geräucherter Aal mit Teriyaki Sauce glasiert und über Holzkohle karamellisiert/ Crème aus Auberginen mit Misopaste abgeschmeckt / Gurkenringe mit Shisoblätter-Pesto / gebackene Okraschoten / Vinaigrette aus hausgemachter Ponzu

(mit verschiedenen Zitrusfrüchtesäften) mit Traubenkern-Distel-Sesamöl (mit Xanthan gebunden)

 

Bresse-Taube von Mièral

Brust zuerst bei Niedrigtemperatur gegart, danach kurz auf Holzkohle gegrillt / die Taubenkeulen bei milder Hitze in Öl konfiert, als Kompott mit Steam-Ingwer gepresst und in Knusperteig knusprig gebraten / die Taubenlebern mit Gänseleber als Flan gestockt / Brokkoli „Cous Cous“ / Taubenhaut gebrüht, getrocknet, mit einer Paste aus Maltose, Gewürzhonig und verschiedenen Pfeffersorten eingepinselt und karamellisiert / Karotten-Ingwer Püree / Taubenjus mit geräuchertem Tee (Hojicha), Kardamomkapseln und Koriander aromatisiert

 

Melone

Netzmelone im Sojamilchgelée / Melonenespuma / Koriander Baiser / marmoriertes Sojamilch-Meloneneis / Melonenkugeln / kleine Geleewürfel aus Sojamilch und Melone / Zitrusfrüchtezesten

 

Schokolade, Ingwer & Nashibirne

Canache aus Bitterschokolade mit Ingwer parfümiert / Ingwercrème / Knusperboden /

Nashibirne in hellem Sud pochiert / Ingwerlikörbonbons / Eiscrème von Pan-Dan-Blättern

 

 

Und nun gratuliere ich Christian Bau ganz herzlich zu den 25 Jahren, seinen überragenden Leistungen und seiner überragenden Konstanz.

So macht man das. Ich habe ihn auch früh zum FAZ „Koch des Jahres“ gewählt und – sozusagen vor kurzem – auch noch einmal für die beste Liefer-Performance zu Corona-Zeiten („Bau Box“). Beste Wünsche für die Zukunft – an Christian Bau, seine Familie und sein Team.

 

Credits für das Food-Foto und die kleinen Porträts: Wonge Bergmann/FAZ-Net (wo die gesamte Gourmetvision übrigens inklusive der Fotos online zu finden ist)

Credits großes Porträt: Kirchgasser Photography

2 Gedanken zu „So macht man das! Christian Bau feiert 25 Jahre „Bau-Stil“ in Victor’s Fine Dining in Perl/Nennig“

  1. Als Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum
    Ich habe eine kurze Frage
    Wir haben vor Jahren in Ihrem Restaurant vor Jahren ein Kochbuch mit blauen Umschlag gekauft
    Können Sie mir Bitte mitteilen wie das Buch heißt Ich würde sehr gerne 2 kaufen
    Es war ein tolles Rezept von einer gestopften Gänseleberpastete Parfait darin enthalten
    Ich bedanke mich im Voraus
    Gruß Ingrid

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