Die Deutschen haben ein gewaltiges Problem. Sie setzen ihre Prioritäten falsch, und wenn es einen Zeitpunkt gibt, dieses Thema auf den Tisch zu bringen, dann ist es genau hier und heute. Um die Problematik differenziert zu betrachten, muss ich etwas ausholen.
Bis vor kurzem fuhr ich einen Nissan Micra aus dem wundervollen Jahr 1993. Ich habe diesen Wagen über zwei Ecken für weniger als 250 Euro gekauft. Ich kenne Leute, die teurere Staubsauger besitzen, aber das ist ein anderes Thema. Der Wagen hatte vier Räder (fünf sogar, wenn man das Ersatzrad im Kofferraum mitzählt), Gas, Bremse und Kupplung – alles, was ein Automobil haben sollte, wie ich finde. Zugegeben, er hat einen etwas schwankenden Verbrauch, was die Monatsplanung ab und zu etwas aus dem Ruder laufen ließ. An guten Tagen fuhr ich mit fünf Liter Benzin 100 Kilometer weit. Manchmal brauchte er eben auch zwölf Liter – und nicht einmal der Himmel weiß warum. Ich hatte vor meiner Garage den Motor bereits in allerhand Einzelteile zerlegt, konnte die Ursache aber nie ausfindig machen. Die Zentralverriegelung (ja, er hatte eine!) funktionierte nur von der Fahrertür aus. Damit konnte ich gut leben. Wenn ich links abbiegen wollte und dazu den Blinker betätige, konnte es sein, dass der linke Scheinwerfer mit blinkte, aber war sogar erfreulich zu sehen, denn dann wusste man, dass das kleine Glühbirnchen im Scheinwerfer nicht kaputt war. Die restliche Zeit (wenn der Blinker nicht betätigt wurde) blieb dieser Scheinwerfer nämlich dunkel und erweckte damit den Anschein, dass es doch defekt gewesen wäre.
Mit einer weiteren, kleinen Anekdote aus dem Alltag möchte ich dieses Thema beschließen. Ich war zu Besuch bei einem guten Freund und hatte den Nissan auf einem Parkplatz abgestellt. Als ich meine Aktentasche im Kofferraum verstauen wollte, verklemmte sich ein Stück des maroden Teppichs im Kofferraum mit dem Schließmechanismus. Die Heckklappe war sichtbar offen, so als hätte ich sie zu seicht zugeschlagen, ließ sich aber dennoch nicht öffnen. Da ich den Wagen ja nicht einfach so offen stehen lassen konnte, versuchte ich am Griff der Klappe zu ziehen, doch es bewegte sich wirklich nichts. Ich betätigte den Kofferraumhebel neben dem Fahrersitz (ein Wunderwerk der asiatischen Ingenieurskunst, wenn Sie mich fragen …) doch es tat sich ebenfalls nichts. Nach mindestens fünfzehn Minuten, in denen ich am Griff riss, mir durch den Bart strich, mich am Kopf kratzte, um dann wieder am Griff zu reißen, bis die Adern an meinen Schläfen vermutlich beunruhigend hervorgetreten sein mussten, wurde mir klar, dass ich eine andere Strategie ausprobieren musste. Ich klappte den Fahrersitz nach vorne, der sich nun gegen das Lenkrad lehnte, und tat das gleiche mit der Lehne der Rücksitzbank. Ich setzte mich gegen die Fahrtrichtung auf das umgeklappte Rückenteil und stemmte mich mit dem Rücken gegen die Lehne des Fahrersitzes. Ich betätigte nun mit der rechten Hand den Kofferraumhebel und versuchte ausgestreckt gegen die Heckklappe zu treten. Das gelang mir im Prinzip sehr gut, nur, dass auch diese Methode keinen Erfolg zeigte. Ich lag also auf dem Rücken, riss am Hebel und trat wie ein Entlaufener gegen die Heckklappe und schrie in Richtung des blauen Himmels. Nachdem die inneren Bleche der Heckklappe schon etwas verbogen waren und ich derweil jegliche Hemmungen verloren hatte, machte ich den siegbringenden Tritt und fühlte mich dabei, als hätte ich die Nationalmannschaft in das WM-Finale geschossen. Die Klappe schlug heftig auf und blieb geöffnet stehen. Ich hoffe bis heute, dass mich bei dieser Aktion niemand beobachtet hat. Sicher bin ich mir da allerdings nicht. Solche Dinge passieren, wenn man ein altes Auto fährt und es gibt nur wenig, was mich wirklich schockieren kann. Man lernt mit ziemlich vielen Dingen zurechtzukommen, wenn Sie mich fragen.
Auch wenn es obskur erscheint, möchte ich jetzt wieder die Brücke zu den „Deutschen“ schlagen. Zwei grundlegende Probleme gibt es hierzulande: Wir nehmen uns zu wenig Zeit für gute Gespräche und investieren unser Geld in die falschen Dinge. Viele meiner Bekannten geben ihr Geld für teure, protzige Autos mit gigantischen Alufelgen und allerhand Schnickschnack aus. Einparkhilfe, Rückfahrkamera aus acht Winkeln, ABS, ESP, automatische Scheibenwischer (Muss das wirklich sein? Ich meine, ich sitze doch hinterm Steuer!). Sicherlich, alles schöne Dinge. Aber am Ende komme ich doch auch nur von A nach B – oder sehe ich das falsch? Ich bin ein Pragmatiker und daher möchte ich ein kleines Gedankenexperiment aufstellen: Der Audi eines Bekannten kostet 42.000 Euro. Mein Nissan wie gesagt 250. Das Guthaben meines Bekannten ist erschöpft. Ich habe noch 41.750 Euro übrig. Eine Magnumflasche meines Lieblingscrémants, ein gutes Stück Trüffelsalami und ein französisches Baguette liegen bei ungefähr 50 Euro. Wenn ich mir diese Kombination mit meiner Freundin einmal in der Woche genehmige, habe ich gute sechzehn Jahre lang eine ganz fabelhafte Wochenendbeschäftigung, bevor mein Guthaben erschöpft ist. Ich kann Sie durch den Bildschirm mit dem Kopf schütteln sehen. Zugegeben, das Beispiel hinkt etwas. Wer möchte schon sechzehn Jahre lang den gleichen Crémant trinken, zumal man ja gar nicht weiß, wie sich die Jahrgänge bis dahin entwickelt haben? Dennoch unterstreicht es etwas, was mir wirklich auf der Seele brennt. Mich macht es traurig, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der sich die Leute gegenseitig mit ihren Blechkisten zu übertrumpfen versuchen, anstatt mit dem besten Schinken, dem leckersten Obstbrand und der besten Konfitüre zu prahlen.
Wenn man sein Ego schon mit irgendetwas aufpolieren will, warum nicht mit dem feinsten Rinderfett aus Bayern? Ich bin kein Freund von großspurigen Menschen, daher gibt es auch keine derartigen Leute in meinem direkten Umfeld. Menschen, für die die Kulinarik alles ist und der Genuss an oberster Stelle steht, gibt es zum Glück umso mehr. So ist es keine Seltenheit, dass man sich bei einem Glas (okay, vielleicht auch zwei oder drei …) Bordeaux zusammenfindet und sich über gute Adressen im Elsass, die neuen Jahrgänge des Lieblingswinzers oder den Fortschritt bei der Herstellung des diesjährigen Rumtopfes austauscht. Umso bedauerlicher ist es zu sehen, dass viele Menschen gar nicht mehr genießen können – sondern lediglich konsumieren. Doch eines möchte ich diesen Menschen sagen: Leichtmetallfelgen sind wertlos, das Sportfahrwerk nur Schall und Rauch. Reichtum lässt sich nämlich nicht in Hubraum oder PS messen. Reichtum ist ein voll gedeckter Tisch mit köstlicher Salami, feinem Gänse-Rillettes, gereiftem Käse, frischem Brot, einem großen, guten Glas Wein und vor allem mit Menschen, die dieses Geschenk zu schätzen wissen. Ich möchte, dass Sie es sich gemütlich machen und sich die Zeit nehmen für gute Gespräche.
Den dazu passenden Drink kreieren wir heute: Snug Chug
Der „Snug Chug“ – aus den englischen Wörtern „snug“ für „gemütlich“ und „chug“ für „etwas exen“ zusammengesetzt – hat eine vermeintlich ungewöhnliche Zutat.
Für den Kürbissaft, den wir für diesen Drink benötigen, nehmen wir das tiefgekühlte Kürbispüree von Boiron, lassen es zunächst auftauen und hängen es dann auf einem Microsieb ab. Sie haben nun einen relativ klaren Saft, der nur noch eine leicht orange Färbung aufweist, aber den vollen Geschmack von Kürbis mit sich bringt.
Sie geben alle Zutaten in einen Cobbler Shaker. Von einem Strainer lösen Sie die Drahtspirale und geben diese ebenfalls in den Shaker. Jetzt wird eine ganze Weile kräftig geschüttelt. Dieser Vorgang nennt sich „Dry Shake“, da er ohne Eis erfolgt und dafür sorgt, dass das Eiweiß aufgeschlagen wird.
Wenn der Cocktail schön schaumig aussieht, können Sie die Drahtspirale wieder entnehmen und an den Strainer zurückmontieren. Nun kommen Eiswürfel dazu und Sie schütteln so lange und so kräftig, bis das Metall beschlägt. Mit besagtem Strainer wird der Cocktail in ein Coupette Glas gegossen.
Mit diesen Gedanken schalte ich in meinem Büro den Bildschirm aus. Ich erinnere mich daran, wie oft ich mit diesem tapferen Gefährt von hier heimgefahren bin, mit meinen Einkäufen auf dem Beifahrersitz. Ich lächelte dem Q7 Fahrer, dem ich mit meiner alten Kiste zu langsam auf die Autobahn auffuhr, zu, während dieser seinem Ärger mit der Lichthupe Luft machte. Ich lächelte und wagte einen raschen Blick auf den Beifahrersitz, auf dem der Brie de Meaux, das französische Baguette und natürlich Aprikosensirup und Rum bereitliegen. Irgendwann zog ich vom Beschleunigungsstreifen auf die Autobahn. Und der Scheinwerfer blinkte wieder mit.
In diesem Sinne…
Der heilige Helge
Zutaten bei BOS FOOD zu bestellen: 3 cl Don Papa Rum, Art. Nr. 39884 • 1 cl Gölles Maschansker Apfel Brand, Art. Nr. 21121 • 2 cl Monin Aprikosensirup, Art. Nr. 13099 • 1 cl Limettensaft, Art. Nr. 26327 • 4cl Kürbissaft, Art. Nr. 39884 • 1 Barlöffel Sosa Albumina Eiweißpulver , Art. Nr. 22452