Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat vor einigen Tagen seine Beobachtungen von über 100 Folgen diverser Kochsendungen veröffentlicht. Dabei hat man im Schnitt alle 50 Sekunden einen Hygienefehler festgestellt. Als Beispiele wurden das Abwischen von verschmutzten Händen an Geschirrtüchern genannt, das Salzen und Würzen mit den Fingern oder die mangelnde Reinigung von Schneidebrettern.
Im ersten Moment habe ich – ehrlich gesagt – ein wenig geschmunzelt. Wenn viele TV-Köche schon nicht besonders gut kochen: Vielleicht hilft dieser überraschende Nebenkriegsschauplatz ja zumindest, dass in Zukunft dort wenigstens handwerklich sauber gearbeitet wird.
Dann kam der Blick auf meine eigenen Videos und auf meine eigene Arbeit zu Hause und die klare Erkenntnis, dass meine Küche auch nicht gerade frei von hygienischen Kritikpunkten wäre.
Es ist angeraten, die Kritik des Bundesamtes (die weitreichende Folgen haben kann) einmal etwas genauer zu reflektieren. Es gibt da ein paar ziemlich gegensätzliche Punkte.
Hygiene in der Küche ist ein „Black-Box“-Phänomen
Im Grunde wissen wir wenig über die Hygiene, die in unseren professionellen Küchen herrscht. So lange die Küchen nicht öffentlich einsehbar sind, hat Hygiene vor allem etwas mit entsprechend automatisierten Verhaltensweisen der Köche und Verantwortungsbewußtsein zu tun.
Das Thema des Bundesinstitutes ist wieder einmal ein besonders deutsches
Konsumenten, Ernährungsberater und Wissenschaftler haben in Deutschland oft eine ausgesprochen technische, an Risiken orientierte Sicht auf das Essen. Es geht um giftige Inhaltsstoffe, um Suchtprobleme, Fehlernährung und Überernährung. Der lustbetonte, unbeschwerte Genuss aus Freude am Essen und Schmecken kommt oft gar nicht mehr vor. Häufig wird Essen auch wie ein Medikament instrumentalisiert – es gibt Heilversprechen von Super Food und Diäten für und gegen Alles und Jedes. Nichts gegen die Bewertung von Risiken. Aber wenn die Proportionen nicht stimmen, wenn – sagen wir: 95% technologischen Beschreibungen von Essen nur 5 % an Beschreibungen gegenüberstehen, die die vielen positiven Aspekte von Genuss ansprechen, läuft etwas falsch.
Wie viel Hygiene ist praktikabel?
Wie viel Hygiene ist eigentlich notwendig und praktikabel? Es ist keine Frage, dass z.B. rohes Geflügel und/oder Fleisch mit seiner möglicherweise gefährlichen Keimbelastung bis zur Garung nicht mit bloßen Händen berührt werden sollte. Es ist auch klar, dass es eine ganz saubere Trennung von Arbeiten in verschiedenen Küchenbereichen geben sollte. Aber – Fleur de Sel nicht mehr mit den Fingern dosieren? Keine Kräuterzweige auf den Teller legen? Soll man für jeden Wechsel zwischen Fleisch und Grünzeug und Fisch und allen möglichen Zubereitungen die Handschuhe wechseln?
Das Bundesinstitut berichtet von über 100.000 gemeldeten Krankheitsfällen aufgrund von mangelnder Lebensmittelhygiene. Ist das eine hohe Zahl? Bei geschätzten 50 Milliarden Mahlzeiten pro Jahr? Nein.
Ist also – bei im Prinzip durchaus sinnvoller Thematik – das Ganze vor allem ein guter PR-Effekt auf Kosten von Gastronomie und Kochkunst?
Viele TV-Köche haben in Sachen Hygiene eine spezielle Eigenart
Es hat sich bei vielen TV-Köchen etwas eingeschlichen. Vor allem Jamie Oliver, Tim Mälzer und andere besonders populäre Vertreter der Zunft arbeiten gerne mit einem vollen Körpereinsatz, der offensichtlich „locker“ wirken soll. Da wird viel mit den Händen gemacht, rumgematscht, weggeworfen, Chaos verursacht, kurz: das Gegenteil von „Laborküche“ praktiziert. Entstanden ist ein Bild vom Kochen, bei dem man auch gerne mit Freunden kocht, bei dem alle durcheinander und miteinander matschen. Es ist im Grunde eine Infantilisierung des Kochens.
In den TV-Sendungen sind eine ganze Reihe von Bewegungs-Manierismen zu beobachten. Köche scheinen sich z.B. in dem Moment, wo eine Kamera auf sie gerichtet ist, beim Anrichten tiefer über den Teller zu beugen und die Ellbogen weit auszufahren. Sie simulieren körperliche Intensität, wo eigentlich gar keine notwendig ist. Konzentriert und „labormäßig“ agierende Köche braucht in diesen Formaten kein Mensch.
Auch das Publikum ist nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung
Und die Botschaft kommt an. Das Image von kulinarischer Handarbeit, von Körpereinsatz auch einmal ohne Messer und Gabel, ist nach wie vor viel besser als das der Arbeit mit einer Pinzette. Über Michel Bras wurde einmal berichtet, bei ihm sähe es aus wie in einem Labor und die Köche würden wie Mediziner agieren. Was Naturkoch Bras für notwendig hielt, um mit seinen vielen empfindlichen Pflanzen und Blättern arbeiten zu können, kam bei einem bestimmten Publikum als überspannte Bastelei rüber. Und – es geht eben nicht nur um den Gegensatz von „Pinzettenessern“ und mit Pinzetten anrichtenden Köchen und dem „richtigen“ Essen, sondern eigentlich um eine grundsätzliche Haltung, die jede Präzision, Verfeinerung und Differenzierung beim Essen ablehnt.
Ist es nicht bizarr? Mangelnde Hygiene, der „lockere“ Umgang mit Lebensmitteln ist „in“, obwohl viele Leute, die so etwas schätzen, schon beim Ausnehmen eines Huhnes einen „Nervenzusammenbruch“ bekommen würden. Es ist eine verdrehte kulinarische Welt, in der es um alles, nur nicht tatsächlich um gutes Essen und eine präzise handwerkliche Zubereitung geht.
Mit dieser Hygiene-Sache haben wir alle zu tun. Mehr oder weniger direkt. Man sollte einfach etwas ordentlicher arbeiten. Oder, Gegenfrage an jene, die Essen nur noch technologisch zerfleddert sehen: Kann ein Vegetarier eigentlich noch im Wald Spazierengehen, wo er doch mit jedem Schritt eine Menge kleiner Lebewesen tötet?
Lieber Herr Dollase,
Sie sprechen mir aus der Seele. Dieses übertriebene Getue der Köche nervt wirklich. Dabei gibt es welche, die die von Ihnen treffend beschriebenen Eigenarten wirklich auf die Spitze treiben, andere halten sich da wohltuend zurück. Mich würde mal interessieren, wie viel eigene Persönlichkeit noch in den Köchen ist und in welchem Umfang die Marketing Manager sagen: Das mußt Du jetzt so oder so rüberbringen. Ich möchte ebenso wie Sie verfahren und keine Namen nennen, aber ich denke, wir haben die gleichen Köche im Kopf. Allerdings will ich auch nicht verhehlen, dass ich manche Kochsendung durchaus unterhaltsam finde.