Es ist Herbst, die Buchmesse ist gerade beendet und es sind endlich wieder eine ganze Reihe von guten Büchern auf den Markt gekommen. Für Höchstinteressierte wie mich sind und waren neue Bücher immer schon wie Frischluft. Bücher mit neuen Ideen sind für mich ganz ähnlich wie spannende Restaurantbesuche, ein Teil der kulinarischen Nahrung mit manchmal unmittelbaren Auswirkungen auf das tägliche Leben – sprich: die eigene Küche. Und – solche Neuigkeiten sind ein wichtiger Teil der internationalen Kommunikation über die Kochkunst. Auch die Verlage mussten im Lockdown sehr auf die Bremse treten und lockern sie nun wieder. Sehr erfreulich.
Heute geht es nach Frankreich. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass man bei aller Aufmerksamkeit in Richtung Skandinavien oder der weltweiten Nova Regio-Küche (der Begriff, der ja die Verbindung einer neu verstandenen Regionalität mit avantgardistischer Küche meint, passt besser denn je) unsere französischen Nachbarn nie vergessen sollte. Eine Nation, in der die Gastronomie einen solch hohen Stellenwert hat, besitzt natürlich auch eine junge Generation von Köchen, die hellwach das Geschehen verfolgen und mit ihrer spezifischen Professionalität immer zu großen Dingen in der Lage sind.
Das „Septime“ von Bertrand Grébaut und Théophile Pourriat gibt es nun schon seit 10 Jahren. Es war früh ein Geheimtipp und hat sich dann Stück für Stück weiter nach oben gearbeitet. In den „50 Best“ ist man im Moment auf Platz 24 (nach Platz 15 im Jahr 2019) und ist damit – wie Alain Passards „Arpège“ – fest etabliert. Vieles erinnert an Inaki Aizpitarte und sein „Chateaubriand“ (z.B. Platz 9 im Jahre 2011). Auch dieses Restaurant ist ein eher informelles Bistro mit einer sehr modernen Küche. Beim „Chateaubriand“ muss man auch daran erinnern, dass dessen hohe internationale Wertschätzung damals sehr viel Unverständnis auslöste. Tatsächlich war Aizpitarte hochaktuell, aber eben ein wenig zu früh für die noch eher traditionell orientierte französische Spitzenküchen-Szene. Kulinarisch und gastronomisch haben das „Septime“ und das „Chateaubriand“ jedenfalls deutliche Ähnlichkeiten.
Das „Septime“ ist mittlerweile nicht mehr das einzige Restaurant von Grébaut und Pourriat. Mit „La Cave“ haben sie ein kleines Weinrestaurant, mit dem „Clamato“ ein Restaurant, das auf Fisch und Meeresfrüchte spezialisiert ist (in Paris, quasi um die Ecke, bzw. im gleichen Haus) und mit „D‘Une Île“ 150 km außerhalb von Paris eine Art kleines Dorf, das sie in Guesthouses nebst Restaurant verwandelt haben. In allen Formaten bis hin zum Frühstück ist ihre kulinarische Handschrift klar zu erkennen. Hier der Titel des Buches:
Bertrand Grébaut/Théophile Pourriat: Septime. La Cave. Clamato. D’Une Île. Phaidon, London und New York 2021. 304 S., Hardcover, Leinenrücken, 34.99 Euro (in englischer Sprache)
Das Buch
Das gediegen aufgemachte Buch erinnert – wie mittlerweile international sehr verbreitet – ein wenig an ein Kunstbuch. Darüber sollte man einmal einen Satz verlieren. In Deutschland scheinen Kochbücher oft in der Hand von Verlagen und Redakteuren zu sein, die nichts mit der Kunstszene, mit edlen Coffeetable-Büchern usw. usf. zu tun haben, sondern eher in Richtung einer ästhetisch unzusammenhängenden Gestaltung, in Richtung einer typischen Kochbuch-Ästhetik gehen. Das merkt man dann oft auch an der Bedeutung, die den genuin photographischen oder textlichen Aspekten zugesprochen wird. Bei uns heißt es oft – verkürzt gesprochen – „nicht so viel Bilder, nicht so viel Text“ – und dass Ergebnis sind dann eben Supermarkt-compatible Bücher, die eher selten den Eindruck vermitteln, man habe es bei der Kochkunst mit einem komplexen ästhetischen Phänomen zu tun.
Der Aufbau des Buches ist eher ungewöhnlich, obwohl man es beim Durchblättern für weitgehend „normal“ halten könnte. Es geht zuerst um die Vorgeschichte und Geschichte des „Septime“ und seiner beiden Gründer. Dann folgt eine Vorstellung der vier Restaurants und unter „Principles“ die Grundlagen für ihre Art der Küche und vor allem die überaus entspannte, zurückgenommene Bistro-Atmosphäre, die die beiden unbedingt propagieren. „Wild picking“ sagt etwas über die Ressourcen, dann kommt der erste von vier Blöcken mit „Typologie“, also wichtigen Aspekten ihrer Küche. Nummer 1 sind hier die „Infusionen“, später folgen das Einmachen, Food and Wine Pairing und die Saucen. So geht es durch verschiedene Aspekte ihrer Küche und ihres gastronomischen Konzeptes – immer unterbrochen/ergänzt durch Bilder der Rezepte. Die eigentlichen Rezepte finden sich auf rund 40 Seiten am Ende des Buches. Diese heute häufiger zu findende Praxis sorgt zwar für einige fast leere Blätter gegenüber den Rezeptfotos, ist aber unter Aspekten einer Gesamtästhetik verständlich.
Insgesamt hat man im „Septime“ seit Beginn 2.538 Rezepte entwickelt, von denen hier natürlich nur einige Dutzend abgedruckt sind. Man findet eine reduzierte, konzentrierte Küche im Duktus der Nova Regio – Moderne, nicht explizit vegetarisch, aber mit einem Gemüse-Pflanzen-Schwerpunkt und vor allem einem weitgehend unklassischen Aroma oder immer wieder neu interpretierten Aromen. Es gibt zum Beispiel Tacos von rohem Beef mit Nasturtium, Blüten und einer Pfeffer-Sabayon, Geräucherte und glasierte Jakobsmuscheln mit Senfsaat und einer Liebstöckel-Bearnaise, Karamellisierten Wirsing mit einer Butter von Madras-Curry, aufgeschlagenem Frischkäse, Schnittlauchöl und Sauerkraut-Salz, Freilaufendes Huhn mit Heu in einer Cocotte lutée gegart (also wie Baeckeoffa in einem mit Teig verschlossenen Bräter). Das Semifreddo bekommt eine Kräuterinfusion und wird von halbgetrockneten roten und schwarzen Beeren begleitet, die in Zucker und einem Wacholderöl gewälzt werden, es gibt eine Auberginen-Bouillabaisse mit Safran-Rouille und Seegras, Karamellisierte Baby-Karotten mit Sauce Armoricaine und fermentierten Kumquats oder Pork Chops mit Sauce Charcuterie.
Fazit
Man erfährt alles über das „Septime“ und seine Ableger, offen, down to earth, entspannt und unbedingt zukunftsweisend. Das Konzept ist in jeder Beziehung undogmatisch. Hier wird nichts inszeniert, nichts pompös überhöht, es ist eine No-Nonsense-Darstellung, die gerade deshalb bei vielen Lesern einen erheblichen Charme und ein sehr gutes kulinarisches Gefühl entwickeln dürfte. Ja, so kommt man zusammen, mit der Freiheit und den relativ begrenzten „Eintrittspreisen“ eines Bistros, informell, modern und genussorientiert, nicht mit klassischen Erwartungen oder Überschätzungen. Ein weiteres sehr gutes Buch in diesem Herbst, eine Küche mit Stil (siehe oben), aber auch einer klaren Individualität, die die französischen Spuren nie versteckt.
Das Buch bekommt 3 grüne BBB
Fotos © Alexander Guirkinger / Phaidon