Salvador Dali: Die Diners mit Gala. Taschen-Verlag, Köln 2016.
324 Seiten, gebunden, Ganzleinen, 49,90 Euro
Etwas überraschend hat der TASCHEN-Verlag das Buch des spanischen Surrealisten Salvador Dali „Die Diners mit Gala“ wieder auf den Markt gebracht. Das opulente Werk erschien erstmals 1973 in französischer Sprache unter dem Titel „Les diners de Gala“, 1974 dann in deutscher Übersetzung. Dali (1904–1989) hat darin seine berühmten Galadiner mit seiner Frau und Muse Gala (1894–1982) festgehalten und ausgeschmückt. Kenner der kulinarischen Geschichte der letzten Jahrzehnte werden schon bei der Jahreszahl zusammenzucken. 1973, das war noch vor der großen Zeit der Nouvelle Cuisine, und wenn man dann liest, dass die Köche von „Lasserre“, „La Tour d’Argent“, „Maxim’s“ und vom „Bufett de la Gare de Lyon“ für den überwiegenden Teil der Rezepte verantwortlich zeichnen, könnte man dann so langsam abwinken. Der erste Blick ins Buch nach langen Jahren verstärkt erst einmal ein gewisses Vorurteil gegenüber einer Küche, die aus heutiger Sicht vorsintflutlich üppig und schwer wirkt und bei der noch wie im 19. Jahrhundert die Platten dekoriert und die Flusskrebse zu Bäumchen gestapelt werden. Und weil die Diskrepanz zu heute so groß ist, stellt man sich sehr schnell die Frage, ob eine solche Wiederveröffentlichung heute Sinn macht. Um es vorwegzunehmen: ja, sie macht Sinn.
Warum sich Salvador Dali und Ferran Adrià ähneln
Surrealisten sind oft sehr große Kreative, vor denen kaum ein Medium sicher ist. Ihnen fällt einfach immer etwas ein – zu jeder Form, zu jedem Wort, jeder Geste und jedem Bild. Sie sehen mehr, andere Zusammenhänge, immer ein wenig wie unter Drogen, auch wenn gar keine Drogen im Spiel sind. Bei Dali war immer klar, daß sich rund ums Essen nicht nur eine vielfältige Formensprache entwickeln kann, sondern daß Essen mit der Psyche des Menschen eine ausgesprochen komplexe Beziehung eingeht, voller Assoziationen und Verdrängungen, voller Überraschungen und oft von größter Sinnlichkeit. Die neuartigen kulinarischen Welten eines Ferran Adrià sehen völlig anders aus und sind doch von denen Dalis gar nicht so weit entfernt. Beide eint eine unstillbare Kreativität und das Ausreizen aller Dinge, die möglich oder unmöglich sind. Ist es ein Zufall, dass das Haus von Dali in Cadaqués gar nicht weit vom „El Bulli“ entfernt ist?
Fantasie und Provokation
Dali hat das Buch aufwändig gestaltet und dazu nicht nur seine eigenen, sondern alle möglichen Bilder zu kulinarischen Aspekten aus der Geschichte der phantastischen Malerei verwendet. Selbstverständlich ist auch sein inhaltlich vielleicht direktester Vorgänger, der niederländische Renaissance-Maler Hieronymus Bosch mit dabei. Die Kapitel tragen Namen wie „Herbstliche Kannibalismen“ (Überschrift zu Eiern und Meeresfrüchten), „Sodomisierte Zwischengerichte“ (Fleisch), „Weiche Uhren im Halbschlaf“ (Schweinefleisch) oder „Ich esse Gala“ (Aphrodisiaka). Kulinarisch geht es auf zweierlei Art in Grenzbereiche. Auf der Basis üppigster französischer Klassik und Schauplatten wie sie noch bis in die 70er Jahre üblich waren, finden sich immer wieder extreme Anrichteformen wie etwa ein mit Nudeln und Blumenkohl gefüllter Schuh auf einer Nudelplatte oder eigentümlich auf einer ganzen Stopfleber drapierte Froschschenkel. Andererseits interessieren Dali auch kulinarische Grenzbereiche – oder zumindest das, was man zu diesen Zeiten dafür hielt. Schnecken und Frösche gibt es reichlich, aber auch gefüllte Schwalben im Dampf, aromatisch Ungewöhnliches wie die junge Ente in Roquefort, Schweinebraten in Muscheln oder Ochsenschwanz mit Fischmilch. Kurz und gut: das Üppige hat oft auch etwas Ausschweifendes, und alles zusammen erinnert irgendwie an einen Mix aus niederländischen Stillleben des 17. Jahrhunderts und Bildern aus dem „Großen Fressen“, dem berühmten Film von Marco Ferreri mit u.a. Michel Piccoli und Marcello Maistroanni.
Wir sollten Dali wiederentdecken – wenigstens ein bisschen
In einer von Diäten, Functional Food, Vegetarischem und Veganem geprägten Zeit ist dieses Buch die reine kulinarische Anarchie und eine Art optisch-kulinarischer Overkill. Aber – die Freunde guten Essens werden sich auch heute noch in diesen Bildern und Gedanken wiedererkennen. Sie werden an spezielle Momente denken, in denen ihnen alles Mögliche einfällt, nur keine Diät, an besondere Umstände von spektakulären Essen, an besondere Qualitäten, an luxuriösen Überfluss und auch daran, dass Genuss immer auch viele körperliche Elemente hat. Daraus muss man jetzt nicht unbedingt eine große Retro-Philosophie entwickeln und die „Diners mit Gala“ für die einzig möglichen Hochämter des Genusses halten. Die Dosis macht es. Es kann aber eben auch zum entwickelten Genuss gehören, dass er manchmal nicht so richtig politisch korrekt ist.
Fazit: Ein höchst anregendes und amüsantes Buch, das Kenner der traditionellen Gourmetküche sehr viel Spaß machen wird und jüngeren Gourmets wie eine Art Retro-Fiction vorkommen wird: es wirkt mittlerweile völlig irre, stammt aber eben aus der Vergangenheit. Der Taschen-Verlag hatte hier eine prächtige Idee und erfreut mit einem außergewöhnlich bibliophilen Werk.
Bewertung: BB
Wurde seinerzeit in Bonn mit einer Sonderschau im Gebäude des Generlanzeigers vorgestellt.
Damals eine Sensation