Die neuen Daten des französischen Guide Michelin machen schnell die Runde um den Globus, aber es gibt kaum jemals mehr zu hören, als Namen und Überschriften. Ich möchte hier ein paar Dinge notieren, die mir in diesem Zusammenhang aufgefallen sind. Die Bocuse-Diskussion soll dabei erst einmal keine Rolle mehr spielen. – Die Live-Übertragung von der Preisverleihung habe ich übrigens nach einiger Zeit abgestellt. Ich war ein wenig irritiert von der – sagen wir: nicht sehr ausgeprägten Professionalität der Veranstaltung und diverser Protagonisten auf der Bühne. Manchmal ist es wie im richtigen Leben: es gibt Leute und Dinge und Zusammenhänge, die aus der Ferne gut und interessant wirken. Je näher man kommt, desto mehr verblassen sie… Hier also nun ein paar Impressionen:
Glenn Viel, „Oustau de Baumanière“, Baux-de-Provence
Was für eine Geschichte, und was für eine wirklich schwierige Situation für André Charial, den Besitzer und langjährigen Koch des Restaurants! Erinnern wir uns. Das Restaurant im Schatten des uralten Bergdorfs und Touristenmagnets Baux-de-Provence wurde 1945 von Raymond Thuilier gegründet und erlebte einen markanten, damals exorbitant schnellen Aufstieg, der Thuilier zu einem der bekanntesten französischen Köche machte. 1949 gab es den ersten Stern, 1952 den zweiten und bereits 1954 den dritten. Die nahe Mittelmeerküste, die 50er Jahre und der internationale Jet Set machten das in einem alten provencalischen Baueranwesen gelegene Restaurant zu einer weltbekannten Adresse. Seit 1973 arbeitete auch Thuiliers Enkel Jean-André Charial in der Küche und alles schien bestens arrangiert. 1990 aber verlor man den dritten Stern – noch zu Lebzeiten des damals schon 94-jährigen Raymond Thuilier. Charial hat es nie wieder geschafft, den dritten Stern zurückzuholen – weder allein, noch mit angestellten Köchen. Am Montag hat es dann mit dem seit 5 Jahren dort arbeitenden Glenn Viel schließlich geklappt. Dass Charial in Paris gleich mit auf die Bühne kam, ist mehr als verständlich.
Geschäftlich gab es im „Oustau“ allerdings seit langer Zeit keine Probleme. Als ich zum letzten Mal dort war, hatte ich den Eindruck, der einzige Nicht-Milliardär unter den Gästen zu sein. Ich habe noch nie solche Versammlungen von Reichen und Prominenten gesehen, wie dort – vielleicht „Petermanns Kunststuben“ in Küßnacht/Zürich einmal ausgenommen.
Christopher Coutanceau, La Rochelle
Vor einiger Zeit habe ich noch mit Mauro Colagreco über das Restaurant von Christopher Coutanceau gesprochen und ihn gefragt, was er denn von ihm halte. Mauro konnte nicht viel dazu sagen, weil er bei Vater Richard Coutanceau im Gourmetrestaurant gearbeitet hat, während Sohn Christopher zwar nach seiner Ausbildung nach La Rochelle zurückgekehrt war, aber für drei Jahre das „Le Vieux Port“ am wunderschönen Hafen des Ortes gemacht hat. Die Frage hatte aber auch etwas mit der Qualität zu tun, mit einer gewissen Unsicherheit, ob sich endlich einmal wieder ein hervorragendes Fischrestaurant mit drei Sternen schmücken könnte. Die Lage in Frankreich ist da nämlich gar nicht ganz so rosig, wie man das bei so viel Küstenlinie vermuten könnte. Oder: vielleicht war Olivier Roellinger so stark und dominant, dass sich für viele Beobachter die Qualität der Kollegen immer als eher relativ darstellt. Gerald Passedat hat da sicher seine großen Momente, und es gibt auch noch ein paar andere Namen. Aber – schaffen sie es, Roellinger zu ersetzen? Diese wahnsinnige Finesse selbst in minimalistischen Gerichten zu realisieren?
Christopher Coutanceau hat mit 41 Jahren eine Seltenheit geschafft, nämlich die Qualitäten des Vaters zu übertreffen bzw. die Anstrengungen des Hauses zu vollenden. Mit 22 kam er zurück nach La Rochelle, drei Jahre später holte ihn sein Vater in die Küche des Restaurants, 2007 trat Richard zurück und Christopher übernahm. 2008 bekam er seinen zweiten Stern und nun den dritten. Eine schöne Geschichte, bei der man einmal nicht zittern muss, ob der Sohn wenigstens das Niveau des Vaters schafft, bei der nicht Schwiegersöhne wieder abhandenkommen oder Söhne wegen Unfähigkeit wieder aus der Küche entfernt werden.
Kei Kobayashi
Mein erster Eindruck bei der Verkündung der drei Sterne für den 43-jährigen Kei Kobayashi war: „Jetzt hat sie es tatsächlich geschafft“. „Sie“ ist die japanische Journalistin Chihiro Masui, die seit Jahren größte Anstregungen unternimmt, die in Frankreich arbeitenden japanischen Köche zu fördern. Vor allem gelingt es ihr immer wieder, spektakuläre Bücher mit ihnen zu realisieren bzw. Verlage zu überreden, solche Bücher zu finanzieren. So ganz genau weiß man nie, was da so alles zusammenkommt. Ich habe das erste Buch von Kei Kobayashi hier auf www.eat-drink-think.de besprochen und vor ein paar Tagen auch das neue Buch. Wer die Szene in Frankreich kennt, wird wissen, dass die Bücher dort eine viel größere Bedeutung als bei uns haben. Wer ein großes, spektakuläres Buch hat, wird wahrgenommen. Und zwar von allen Beteiligten in der Szene.
Aber – es mag zwar viele japanische Köche geben, die in Frankreich die französische Küche gelernt haben und sich dort dann auch selbständig machen wollen, Kei Kobayashi hat aber ganz exzellente Voraussetzungen – und das nicht nur kulinarisch in engerem Sinne. Hier entsteht ein Popstar der Küche, der gleichzeitig richtig viel Substanz zu bieten hat. Seine Anfänge als Koch liegen in den Jahren 1993–1998 noch in Japan. Dann kam er nach Frankreich und war zum Beispiel in der „Auberge du Vieux Puits“ in Fontjoncouse (später 3 Sterne) und im „Cerf“ in Marlenheim im Elsaß (2 Sterne), bevor er von 2003 bis 2010 bei Alain Ducasse im „Plaza Athénée“ gearbeitet hat – teils unter Jean-Francois Piège, teils unter Christophe Moret. Das ist ein Pfund an Ausbildung und an Tiefe. 2011 eröffnete er dann das „Kei“. Dass er der erste Japaner auf französischem Boden mit drei Sternen ist, spielt kaum eine Rolle. Sein Stil ist oft kreativ, oft aber auch von klaren klassisch-französischen Geschmacksbildern geprägt und nur begrenzt japanisch inspiriert.