Rezept: Lamm, sensorisch differenziert begleitet
(Reg.-Nr. Brass 14, hier in der Originalfassung. Die Fassung für die ZEIT ist gekürzt)
Die Redaktion der ZEIT wollte also von bekannten nationalen und internationalen Kritikern ein Lieblingsrezept haben, das man auch regelmäßig gerne zu Hause macht. Ich möchte nicht darüber spekulieren, welche Erwartungen man dabei hatte. Tatsächlich sind die kochtechnischen Fähigkeiten von Kritikern sehr breit gestreut. Ex-Gault Millau-Chef Manfred Kohnke etwa war bekennender Nicht-Koch, Wolfram Siebeck besaß den Übermut, sogar Spitzenköche zu sich zum Essen einzuladen (sagen wir es so: das hat ihm nicht genutzt), und ich komme eigentlich aus der Praxis und bin zufällig Kritiker geworden.
Ich hatte allerdings zu dem Zeitpunkt, an dem ich Kritiker wurde, schon viele Jahre eine Art Privatstudium betrieben – etwas nach dem Motto: wenn es keine Hochschulen für Kochkunst gibt, dann arbeite ich trotzdem so, als ob es so etwas gäbe. Insofern habe ich dann für die ZEIT – aus meiner Sicht folgerichtig – ein Rezept genommen, in dem eine ganze Reihe spezifischer, sensorischer Aspekte eine Rolle spielen. Ich koche sehr viel, und das seit Jahrzehnten, und es geht immer um die Erforschung weitere Details (und dabei aber immer um „leckeres“ Essen, das schließlich immer auch präzise mit dem assoziativen Kontext spielen soll). Das will ich an diesem Rezept einmal erläutern. In der ZEIT war dafür natürlich kein Platz… Es handelt sich um ein Rezept aus einer Brasserie-Abteilung.
Lamm
Zutaten: 1 Lammrack mit Fettdecke, Butter, Olivenöl, Gewürzmischung Grande Caravan von Olivier Roellinger, 2 – 3 Knoblauchscheiben von einer ganzen Knolle, etwa 5-6 mm dick. – Zubereitung: Die Knoblauchscheiben in einer Pfanne mit Butter-Olivenmix kurz vorbraten. Dann das Fleisch ohne Salz und Pfeffer rundum kräftig anbraten. Entnehmen, kurz ruhen lassen und auf der Fleischseite mit der Gewürzmischung einreiben. Im Ofen (180° Ober-Unterhitze) auf 56° Kerntemperatur bringen. Danach unter einer Alu-Folie min. 15 Min. ruhen lassen.
Olivensauce
Zutaten: 10 gr. fein gehackte Schalotten, Olivenöl, 50 gr. Kalamata-Oliven ohne Kern, grob zerkleinert, 40 ml Sherry Amontillado, 70 ml trockener Weißwein, 160 ml Gemüsefond (Lacroix), 1EL Tomatenmark mit Basilikum, mildfruchtiges Olivenöl. – Zubereitung: Schalotten und Oliven in Olivenöl anschwitzen, mit Amontillado ablöschen, Wein und Fond angießen, Mark dazugeben und min. 30 Minuten leicht köchelnd reduzieren. Vor dem Servieren 2 EL Olivenöl unterrühren.
Geröstete Kartoffeln
Zutaten: pro Teller 3 kleine Grenaille-Kartoffeln, Salzwasser, Butter. – Zubereitung: Die Kartoffeln mit Schale in Salzwasser vorkochen. Zur Fertigstellung in der Pfanne der Lammgarung mit etwas aufschäumender Butter zu deutlicher Farbe nachrösten.
Zweierlei temperierte Kirschtomaten
Zutaten: pro Teller 4 kleine rote Kirschtomaten, 1 gelbe Kirschtomate, Olivenöl. – Zubereitung: Die gelben Kirschtomaten min. 2 Std. in den Kühlschrank legen. Die roten Kirschtomaten in einer Pfanne in Olivenöl erhitzen bis sie ganz knapp zu schmelzen beginnen und Bratspuren zeigen.
Gefüllte Spitzpaprika
Zutaten: Pro Teller 1 Spitze von roter Spitzpaprika von ca. 5 cm Länge, Salzwasser. Für die Füllung: eine halbe Packung Philadelphia-Frischkäse „klassisch“, 1 EL Milch, einige Spritzer Zitrone, 1 TL geräucherte Sojasauce. – Zubereitung: Die Paprikaspitzen in ca. 10 Minuten in Salzwasser garen. Unter kaltem Wasser abschrecken, bereithalten. Für die Crème die Zutaten mit einem Schneebesen aufschlagen bis sie eine homogene, „glatte“ Konsistenz erreicht haben. Zum Servieren in die Spitzen füllen.
Zum Anrichten:
Zutaten: Stücke (Nüsschen) von gebratenem Knoblauch von der Lammgarung, je Portion 1 Borettane-Zwiebel in Scheiben, pro Portion 1 Picandou aus dem Kühlschrank, Basilikum, Fleur de Sel. – Wie im Bild anrichten. Abschließend etwas Fleur de Sel über das Fleisch geben.
Überlegungen/Details
Lammgarung:
Ich benutze hier ein irisches Lamm, frisch und vakuumiert – weshalb man es vor dem Einsatz sehr sorgfältig abwaschen und belüften sollte. Ich halbiere das Rack, um vier Enden mit Röstnoten zu bekommen und pariere so gut wie nichts. Die Garung ist nahe an dem, was ich einmal im wesentlichen vor vielen Jahren von Heinz Winkler erfahren habe. Das Fleisch wird vor dem Anbraten weder gesalzen noch gepfeffert (ich benutze ohnehin so gut wie kein Salz und Pfeffer, das grundsätzliche Salzen und Pfeffern ist ein Irrweg der Küche). Anbraten in einem Mix aus Butter (immer ungesalzen) und Olivenöl, rundum präzise kolorieren. Entnehmen und auf einem Rost ablegen. Die Kerntemperatur liegt dann meist in den tiefen oder mittleren 30ern. Sie spielt hier noch keine Rolle. Etwas ruhen lassen, dann mit der Gewürzmischung einreiben. Diese Roellinger-Mischung speziell für Lamm hat den großen Vorteil, dass sie enorm präzise das Lammaroma aufnimmt und am Ende kaum zu identifizieren ist, aber für einen hervorragenden Geschmack sorgt. Wenn das Fleisch dann in den auf 180° vorgeheizten Ofen kommt, ist es meist nur handwarm. Auf etwa 56° Kerntemperatur bringen (an der heißesten Stelle), dann entnehmen und leicht bedeckt mit Alu-Folie mindestens 10 Minuten ruhen lassen. Ich brate nicht nach, und setze auf eine natürliche Wärmeführung. Wenn man Zeit braucht, dann sollte man sie sich beim Ruhen nach dem Anbraten nehmen.
Warm-Kalt-Kontraste:
Die Redaktion der ZEIT kam dann mit Anmerkungen wie: „Das ist viel zu viel Frischkäse“. Man hat trotz Hinweisen von mir das Gericht und seine sensorische Struktur einfach nicht begriffen – vermutlich, weil man in diese Richtung noch nie gedacht hat. Dabei ist es gerade die sensorische Struktur von Gerichten, die am Ende auf dem Teller für die sensationellen Momente sorgt, die für einen Geschmack sorgt, den viele Leute rätselhaft fein und perfekt finden. – Der Picandou sollte bei diesem Gericht in ganz verschiedenen Kombinationen benutzt werden – vor allem mit dem warmen Fleisch, aber auch den warmen Tomaten, dem würzigen Knoblauch (wo er dann ein wenig wie die Verwendung von kalter Joghurt mit Gewürzen in Indien wirkt). – Warm-Kalt-Kontraste sorgen für zeitliche Verläufe beim Essen und damit für eine räumliche Wahrnehmung. Ist so etwas bei einem Gericht nicht strukturiert, entsteht – vor allem wenn viele Elemente am Start sind – oft ein regelrechtes sensorisches Chaos, das überhaupt nichts bringt. Im Umkehrschluß sorgt eine gute sensorische Struktur oft für eine sensationelle, rätselhafte Qualität. Ich habe meine Theorien dazu auch unter dem Einfluß der damals eben sagenumwoben präzisen Dreier- oder Vierer-Amuse Bouche von Harald Wohlfahrt entwickelt. Ich wollte unbedingt wissen, was deren enormen Reiz ausmacht (aber auch, warum das bei den Hauptgerichten nicht immer oder nicht im gleichen Ausmaß der Fall war).
Säurespiel:
In einer der französischen Zeitschriften, die ich bei meinem letzten Post vorgestellt habe, sagt Pierre Gagnaire, dass für ihn Säure in einem Gericht eine absolut unverzichtbare Rolle spielt und dass er eine ganze Sammlung von Essigen besitzt, die er gerne im Zusammenhang mit Fruchtsäure einsetzt. Das kann man nur bekräftigen, wobei die Vorstellungen von „Säure“ natürlich keineswegs dominant saure Elemente bedeuten. Auch Säure strukturiert das Geschmacksbild räumlich, weil sie nicht gleichzeitig mit anderen Dingen wahrgenommen wird, sondern ihren eigenen Platz im Geschmacksbild hat. In meinem Lammgericht haben wir eine eingebundene Säure in der warmen Vinaigrette, dann vor allem den Picandou, die in Balsamico eingelegten Borettane-Zwiebeln und den Frischkäse mit geräucherter Sojasauce (Foodconnect). Nicht zu vergessen die Säure der Tomaten, die ein wichtiges Bindeglied in dieser Komposition ist.
Spiel mit Röstnoten:
Die Röstnoten sind bei diesem Gericht verteilt. Das Lamm soll nicht zuviel bekommen, weil es sonst im Kern zu wenig Eigengeschmack entwickelt. Wie Robuchon vertrete ich die Ansicht, dass ein wirklich konzentriertes und gleichmäßiges Anbraten eine riesige Bedeutung für das Endprodukt hat. Die ganze hektische Anrösterei, wie sie uns vor allem vom TV her immer wieder vorgeführt wird, ist blanker Unsinn und ein purer Schaueffekt. Disziplin schafft hier viel mehr und – salopp gesprochen – Könner haben ihre Finger unter Kontrolle und praktizieren keinen wilden Aktionismus. Die Auslagerung der Röstnoten auf die Kartoffeln, die im Bratensatz nachgeröstet werden ist der eine Teil, der andere findet sich bei den sehr viel deutlicher angerösteten Knoblauchstückchen, die eben nicht nur der Aromatisierung dienen, sondern auf dem Teller auch selbst Aroma sind. Die kleinen Nüsschen, die man bei der Verwendung von Scheiben erhält, und die kleiner als die Zehen sind, haben die ideale Größe für einen Akkord. Man sollte übrigens immer darauf achten, dass Röstnoten eine Verlängerung im Produkt haben und nicht nur isoliert Brenneriges beitragen.
Soweit einmal ein paar mehr Details. Es gibt immer auch noch mehr.
Ganz herzlichen Dank für die ausführlichen und präzisen Erläuterungen, die auch für einen bemühten Küchendilettanten prima nachvollziehbar sind.