Kochen und Kunst kommen sich immer wieder einmal näher – an verschiedenen Stellen zwischen Bildern und Konzepten. Und trotzdem kümmert sich die Kunstszene oft auffallend wenig um die Kochkunst. Die ART-Chefs haben die Antennen aber durchaus schon auch in diese Richtung gestellt. Um einmal etwas über den Stand der Dinge herauszufinden, haben sie mich besucht. Wir habe lange geredet und ich habe auch ein paar Sachen kulinarisch demonstriert.
Aus all dem ist eine schöne Geschichte geworden, die die ART-Redaktion jetzt auch zur Veröffentlichung auf www.eat-drink-think.de freigegeben hat. Hier kommt sie.
Die Spitzenküche setzt heute Themen – und verspricht ästhetische Grenzerfahrungen. Ist Kochen die neue Kunst? Ein Besuch bei Jürgen Dollase, dem Vordenker einer neuen Kulinarik
TEXT: RALF SCHLÜTER, PORTRÄT: HARTMUT NÄGELE
Die Revolution schmeckt zunächst nach Kartoffel. Nicht nach Pommes-Kartoffel oder Tiefkühlkartoffel, sondern sehr erdig und intensiv nach: Kartoffel. Eine säuerliche Note folgt, vermischt sich mit dem Kartoffelaroma, dann schmeckt man etwas Glitschiges, Salziges, man denkt an das weite und tiefe plötzlich wird es kleinteilig und unübersichtlich im Mund, ein weiteres, beinahe nasses Element mischt sich ein und macht alles kühler, fließender, das Mundgefühl kippt vollkommen ins Geleehafte, Uferlose, Undeutliche … was zum Teufel ist das?
Jürgen Dollase schaut zufrieden. Er bemerkt bei seinen Gästen die Irritation, das Suchen nach Aroma, das Erstaunen. Er hat ihnen ein kleines Häufchen zerdrückter Kartoffeln der Sorte »Charlotte« serviert, sehr geschmacksrein. Dazu ein paar Kugeln Forellenkaviar, etwas Tripmadam – und Mineralwasserwürfel! »Sie bestehen schlicht aus Mineralwasser, das mit Gelatine steif gemacht wurde«, erläutert der Gastgeber. »Und sie steuern dem Essen ausschließlich eine Textur und ein Aroma bei.« Fast triumphierend fasst er zusammen: »Man sucht den Geschmack, ab et ihn nicht!«
Zwei ART-Redakteure besuchen den bedeutendsten deutschen Gastrokritiker und Kochtheoretiker Jürgen Dollase zu Hause in einem Vorort von Mönchengladbach, um mehr über die Revolution des Essens zu erfahren. Sie manifestiert sich in diesem winzigen Detail, dem Mineralwasserwürfel: eigentlich ist er doch überflüssig, man schmeckt ihn nicht … und doch ist er sehr präsent, wichtig für das Gesamterlebnis, weil es eben nicht nur Aromen gibt. Sondern auch Texturen und Temperaturen. Warum sprechen wir immer nur davon, dass Zutaten gut zueinander passen? Es gibt Kontraste, Wechselwirkungen, Akkorde, Dissonanzen. Und es gibt eine Dramaturgie, die simpel sein kann wie bei einem Superhelden-Film oder komplex wie bei David Lynch.
Jürgen Dollase, 69, ist der Prophet einer neuen Küche, die den Geschmack endgültig überflüssig machen will. Geschmack in dem Sinne, dass man etwa Vorlieben hat. »Die meisten Menschen haben ja No-Gos beim Essen«, sagt er. »Die habe ich schon lange nicht mehr. Ich kann mir eigentlich alles in den Mund stecken.«
Dollase sagt das mit der ihm eigenen rheinischen Nonchalance, aber ernst ist es ihm trotzdem. Er träumt von einer Esskultur, die ausschließlich von der Neugier auf sensorische Nuancen geleitet ist. In der man Dinge »interessant« findet, vielleicht auch »sensationell«, aber nicht einfach »lecker«. Auch fast 50 Jahre nach der französischen Nouvelle Cuisine und 15 Jahre nach der Molekularküche Ferran Adriàs stehe die Kulinarik im Prinzip noch am Anfang: »Wir haben noch gar keine richtige Sprache für das Essen.«
An dieser Sprache arbeitet Dollase täglich. Neue Menüs der Spitzenküche zu testen, meist für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, ist nur sein Tagesgespräch größere Teil seiner Arbeit gilt einer »Theorie des Kochens«. Dollase hält Vorträge, spricht auf Kongressen; er entwickelt mit Spitzenköchen zusammen Menüs und schreibt programmatische Artikel für diverse Medien und Bücher mit Titeln wie Kulinarische Intelligenz.
Natürlich gibt es sie schon, die Praktiker und Pioniere dieser freien Küche, wie sie dem Avantgarde-Gourmet vorschwebt. Die Kartoffeldegustation mit Mineralwasserwürfeln ist ja bloß ein kleines Lehrstück für Laien; in viel größerem Stil wird die Revolution von einigen Spitzenköchen betrieben – derzeit vor allem von René Redzepi, dem Gründer des Kopenhagener Restaurants noma.
Seit Jahren zieht dieses Restaurant mit völlig irren Menüfolgen und hauptsächlich lokalen Produkten Avantgarde-Esser aus der ganzen Welt an. Es gibt, um mal ein paar Gänge aus einem typischen Menü zu zitieren: eine Pilzbrühe, getrunken aus einer ausgehöhlten Roten Bete; frittiertes Moos aus Nordschweden; Ulmenfrüchte mit einer Paste aus gerösteter Hefe; eine Blumen-Tarte auf knusprigem Seegras-Boden; eine Mahagoni-Muschel mit Getreide.
Kein Zweifel: Wer sich bewusst durch solche Menüs schmeckt, der macht eine Grenzerfahrung. Die eigene Ess-Sozialisation verliert an Bedeutung, man betritt Neuland, ist erfreut, geschockt, befremdet … sind das nicht Erfahrungen, für die eigentlich die Kunst zuständig ist? Ist nicht Avantgarde-Küche die neue Kunst? Erinnert der Restaurant-Name noma nur zufällig an MOMA?
Auch diese Frage kann eigentlich nur Jürgen Dollase beantworten. Seine Biografie weist ihn als Grenzgänger aus. Ursprünglich hat er Malerei studiert. Als junger Mann ging er in die Klasse des Informel-Malers Gerhard Hoehme an der Kunstakademie Düsseldorfer saß neben Joseph Beuys als studentischer Vertreter im Senat und beobachtete den Kommilitonen Jörg Immendorff dabei, wie der zum Maoisten wurde. Schließlich absolvierte er wie nebenbei eine steile, abrupt beendete Karriere als Rockmusiker: Als Keyboarder und Songschreiber der Mönchengladbacher Krautrock-Band Wallenstein brachte er in den siebziger Jahren etliche Alben heraus und hatte sogar so etwas wie einen Hit: Charline erreichte im Jahr 1979 Platz 17 der deutschen Charts.
Es war seine Frau Bärbel, die Dollase nach dem Ende von Wallenstein im Jahr 1982 animierte, sein bis dahin von Hamburgern und Pommes frites geprägtes Leben zu ändern. Als sie ihn einmal überredete, ein sehr gutes Restaurant zu besuchen, sei in seinem Kopf »ein Schalter umgelegt worden«. Heute ab-solvieren die beiden gemeinsam mit ihre Hündin Marie kulinarische Autotouren durch die Spitzenrestaurants Europas.
Dollases Biografie ist vielschichtig und unübersichtlich wie ein Gebirge; man steht staunend davor und fragt sich, wie in einem einzigen Leben so viel passieren konnte. Und ob nicht alles auch irgendwie miteinander zusammenhängt. »Von allen Gebieten, auf denen ich tätig war, bin ich in der Kulinarik sicher am weitesten gekommen«, sagt er. Sein Style (ergrautes Langhaar, offenes Hemd mit Kreuz-Kette) erzählt aber noch immer von den Wallenstein-Jahren, und die vielen, meist figurativen Gemälde, die im ganzen Haus hängen, halten die Verbindung zur Kunst aufrecht. »Ich habe nie aufgehört zu malen«, sagt Dollase.
Auf die Frage angesprochen, ob Kochen eigentlich als Kunst betrachtet werden solle, weicht der Kritiker aus. »Kochen kann Kunst sein«, sagt er, und verweist auf die legendären Kreationen des italienischen Chefs Massimo Bottura, die sich auf Jackson Pollock und Lucio Fontana bezogen. Doch ist das nicht eher ein ästhetischer Verweis, ein Effekt, wenn Saucen auf dem Teller so hingespritzt sind wie die Drippings bei Pollock?
Seit etwa hundert Jahren versucht die bildende Kunst, sich vom Geschmack zu emanzipieren – ob wirklich erfolgreich, sei dahin gestellt. Kein Kurator würde einen Maler mit der Begründung ausstellen, dieser benutze schön viel Blau. In diesem Sinn, sagt Dollase, habe die Kochkunst ihre Moderne noch vor sich. Genauer: »Sie ist noch im Übergang von gegenständlicher Kunst zur impressionistischen. Die abstrakte Kunst ist eher noch in weiter Ferne.« Dollase vergleicht seine Überlegungen mit »Farbenlehren und ähnlichem in der Kunst oder mit Formenlehren in der Architektur«.
Aber da ist noch etwas anderes. Kunst, so hört man seit einigen Jahren immer wieder, sei vor allem dazu da, dem Betrachter eine Erfahrung zu verschaffen. Und wer wollte bestreiten, dass die Installationen von Ólafur ElÍasson oder die Performances von Marina Abramović weniger unergründliche Bilder erzeugen, als den Zuschauer in Erfahrungen involvieren? In diesem Sinne ist die experimentelle Spitzenküche längst Kunst. Nur dass dieses Grenzerlebnis eben über den Geschmackssinn vermittelt wird und eine inhaltliche Bedeutung kaum eine Rolle spielt.
Die beiden ART-Redakteure hatten jedenfalls ihr bewusstseinserweiterndes Erlebnis. Auf dem Teller lagen bei unserer Degustation noch zwei andere Variationen: einmal Charlotte-Kartoffeln mit Tapenade, Basilikumöl und Parmesan (eine salzige, eine saure Note) und einmal mit Butter, Staudensellerie und geraspeltem Elchfleisch, das die Dollases kürzlich aus Oslo mitgebracht hatten. Der Geschmack von Letzterem ist wirklich schwer zu beschreiben, vielleicht salzig-würzig, mit einer Note Geräuchertem? »Uns fehlen oft noch die Worte«, sagt Jürgen Dollase.
Das mag sein. Aber gut geschmeckt hat es außerdem. //
SPAGHETTI SIND DER FEIND! MODERNE KUNST UND KÜCHE
Hin und wieder haben Künstler versucht, den Geist des Modernismus an den Herd zu tragen: Der italienische Futurist Filippo Tommaso Marinetti veröffentlichte im Dezember 1930 das »Manifest der futuristischen Küche« und demonstrierte wenige Monate später in einer Turiner Taverne, was er darunter verstand: Hochexperimentelle Küche, die ohne Tagliatelle, Spaghetti oder Ähnliches auskam – die Pasta erschien Marinetti als Sinnbild der bürgerlichen, stagnierenden Gesellschaft. 14 Gänge wurden serviert, darunter so schöne Kreationen wie das sogenannte »Exaltierte Schwein: eine normale gekochte Salami wird präsentiert, eingetaucht in eine konzentrierte Lösung von Espresso-Kaffee und mit Eau de Cologne angerichtet.« Wie man weiß, konnte Marinettis Attacke die Liebe der Italiener (und der ganzen Welt) zur Pasta dann doch nicht erschüttern. Den nächsten größeren Versuch, Kochen als Kunst zu zeleberieren, startete Ende der sechziger Jahre der Schweizer Künstler Daniel Spoerri: Unter dem Schlagwort »Eat Art« benutzte er nicht nur Speisereste für seine Installationen, sondern betrieb in Düsseldorf auch jahrelang ein eigenes Lokal: Im »Restaurant der Sieben Sinne« führten Künstler wie Joseph Beuys und Dieter Roth Aktionen auf, die irgendwie mit Essen und Kochen zu tun hatten.
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Ein wirklich schöner und interessanter Artikel.
Warum verleidet der Autor das Lesevergnügen durch die nachlässige Orthographie?
Oder will er sich keinen Korrektor leisten?