Regis Marcon: Eine Anekdote, Anmerkungen zu seinen Veröffentlichungen und ein besonders interessantes Buch

Es scheint mir einmal Zeit zu sein, etwas mehr über die Bücher von Regis und Jacques Marcon zu sagen. Irgendwie hat man diesen französischen Drei Sterne-Koch bei uns nicht richtig „auf dem Schirm“, obwohl er nicht nur wegen seiner guten familiären Situation sehr konstant arbeitet, sondern mittlerweile auch zu den Spitzenköchen gehören dürfte, die die meisten Kochbücher geschrieben haben. Dazu später mehr.

Weil ich hier immer gerne auch etwas zur kulinarischen Unterhaltung beitragen möchte, hätte ich da erst einmal eine kleine Anekdote. Bei einem frühen Besuch bei Marcon hatten wir mittags einen Tisch gebucht. Das Restaurant, das ja ein wenig jenseits der Haupttouristenströme liegt, war nicht besonders voll. Mir fielen schnell zwei Sachen auf. Erstens wirkte der Service so, als wäre er nicht ganz bei der Sache, und zweitens hörte man aus einem Nebenraum immer ziemlich viele und nicht unbedingt leise Stimmen. Das Essen war gut und hatte sehr gute, aber auch etwas schwächere Momente, was jetzt hier aber keine Rolle spielt. Irgendwann ging ich zur Toilette und konnte in den Nebenraum blicken. Ich sah dort u.a. den amtierenden Michelin-Chef, zwei seiner Vorgänger und…Paul Bocuse. Es war sofort klar, was das bedeutete: es ging um den dritten Stern für Regis Marcon. Als ich von der Toilette zurückkam, begegnete mir in dem eher dunklen Gang eine kleine, recht dicke Gestalt. Es war Paul Bocuse, den ich vorher noch nie persönlich getroffen hatte. Ich sprach ihn an und stellte mich vor, Jürgen Dollase, Critique Gastronomique, Frankfurter Allgemein Zeitung, Allemagne. Er schüttelte mir routiniert die Hand, murmelte etwas von „gute Zeitung, bekannte Zeitung, gute Sache, machen Sie so weiter“ oder so ähnlich und wirkte dabei unbedingt so, als ob er darauf wartete, dass ich ihn um ein Autogramm bitte, ein Foto mit ihm mache oder ihm Kinder zum Segnen hinhalte. In der nächsten Ausgabe des Guide Michelin bekam Regis Marcon gann seinen dritten Stern. Aber das nur am Rande. Diese ganze „Truppe“ habe ich übrigens später noch mehrmals an unterschiedlichen Stellen getroffen.

Regis Marcon hat sich früh auf Pilze spezialisiert, die man bei ihm in einer enormen Vielfalt und mit sehr gutem Geschmack probieren konnte und kann. Insoweit ist er auch bekannt geworden. Was weniger bekannt geworden ist, ist die Tatsache, dass er sehr kontinuierlich an seinem Imperium gearbeitet hat und das nicht zuletzt durch die günstige Fügung, einen Sohn zu haben, der problemlos in seine Fußstapfen tritt. Was kaum bekannt ist, ist die enorme Menge und Qualität der Publikationen aus dem Hause Marcon. Dabei geht man zunehmend systematisch vor. Neben den Kochbüchern zum Gourmetrestaurant begann schon 2013 eine Serie von populären, kleinen Büchern zu jahreszeitlicher Küche mit dem Band „Herbst“. Es folgte „Sommer“ im Jahr 2014, „Winter“ im Jahr 2014 und schließlich „Frühling“ im Jahr 2021. Parallel dazu begann eine Reihe von geradezu lexikalischer Qualität, die sich bestimmten Realien widmete. Den Anfang machte 2013 das Buch über Pilze (ich schreibe hier deutsche Titel, obwohl die Bücher leider bei uns bisher nicht übersetzt wurden). Es folgte „Kräuter“ in 2016, „Cerealien und Hülsenfrüchte“ in 2018, „Gemüse“ in 2020 und zuletzt „Früchte“ in 2022. Alle Bände sind im Großformat und über Amazon zu bekommen. Ich möchte hier wegen des interessanten Themas das Buch über Gemüse vorstellen:

 

Regis Marcon: Légumes. 65 Légumes, 110 Gestes Techniques, 110 Recettes. Éditions de La Martinière, Paris 2020. 432 S., geb., Hardcover, Großformat, ca. 45 Euro (in französischer Sprache) Fotos: Philippe Barret.

Man kann sich ja bei Büchern über einen begrenzten Ausschnitt aus dem kulinarischen Programm gerade von Spitzenköchen mit einem großen, über Jahre zusammengetragenen Programm immer fragen, ob so etwas nun ein wirkliches Themenbuch ist, oder ob man nur gesammelt hat. Schließlich sehen auch die vegetarischen Gerichte vieler Spitzenrestaurants oft ein wenig so aus, als ob man nur Fisch oder Fleisch weggelassen hätte. Bei Regis Marcon gibt es da Entwarnung. Nicht nur durch die frühe Affinität zu Pilzen, sondern allgemein durch eine frühe positive Gewichtung diverser (inklusive eher seltener) Gemüsesorten hat man hier ein entsprechendes Profil und Kenntnisse. Natürlich verfügt die Familie in ihrem ländlichen Bereich auch über entsprechend große Gartenanlagen.

Der Aufbau des Buches ist jedenfalls durchaus eng an botanische Begriffe und Kenntnisse angelehnt. Marcon unterscheidet zwischen Gemüse mit Früchten, Blattgemüse, „Blütengemüse“ (wie etwa der Blumenkohl), Kräutern, Wurzelgemüse, Stängelgemüse, Knollengemüse, Trockengemüse, Zwiebelgemüse und Pilzen. Den Anfang machen dann erste, knappe Hinweise zum Umgang. Es gibt etwas zu den Farben, zur Garung, zur Konservierung, zu den Stücken, die man bei jedem Rezept bewusst wählen sollte, zu fermentiertem Gemüse und zu den Säften. Das eigentliche Buch beginnt auf Seite 30 mit der Vorstellung der Gemüsesorten. Auf Seite 158 folgen die „Gestes Techniques“ und auf Seite 184 beginnen die Rezepte.

Die Gemüsesorten werden jeweils auf zwei Seiten vorgestellt – rechts ein Bild, links die Beschreibung mit lateinischem Namen, der Nennung der Teile, die man essen kann, die geographische Herkunft weltweit, die Geschichte und das „Porträt“, eine Art kulinarische Einordnung/Beurteilung mit Bezug zu den Verwendungsmöglichkeiten. Ganz allgemein geht es hier um Hauptsorten mit ein paar Varianten und einigen Gemüsen aus aller Welt, Insgesamt sind es 65 Sorten. Die Abteilung Kochtechnik besteht durchweg aus Step-by-Step-Fotografien mit klassisch-französischen Grundlagen, einer gewissen Ausweitung in Richtung zeitgenössischer Techniken und ein wenig Japan. Der Rezeptteil ist unterteilt in Suppen und Consommés, Entrées und Salate, gemischte Zubereitungen, Gratins und gefüllte Zubereitungen, dann Beilagen, Eier, Reis, Pasta und Tartes, Fische und Krustentiere, Fleisch und Geflügel und schließlich Desserts.

Im Detail gibt es viele souverän gemachte und gut aussehende Gerichte, die schon auf den ersten Blick klar machen, dass es hier nicht um eines der Hunderten (oder Tausenden) BloggerInnen-etc. Bücher rund um Gemüse, Vegetarisches und Veganes geht, bei denen Profis regelmäßig das Grausen bekommen. Hier geht es – vor allem im Rezepttext erkennbar – um klar erarbeitete Qualitäten, ausgereift und immer mit Augenmaß für einen guten Geschmack. Da hat eben die geeiste Gurkencreme mit Minze auch ein wunderbares Stück Brot an der Seite, das im Akkord jeden Bissen zu einem Vergnügen machen dürfte. Die Karotten-Velouté mit Orange meint man schon häufiger gesehen zu haben, bekommt sie hier aber eben souveräner – u.a. mit der klassischen Kartoffelbindung anstelle von Butter oder Sahne und sensorisch gut definierten Einlagen. Es gibt eine Bavaroise von Paprika mit Piperade, Beignets von Zucchini mit Basilikum und Sarassou, die Radieschen in verschiedenen Formen mit einer Anchovisbutter, Aubergine nach Art eines Cordon-Bleu, Provencalische Gemüse mit einer wunderbbar elaborierten Füllung, ein sagenhaftes Gemüsetörtchen mit Trüffeln (was an den frühen Ducasse in Monaco erinnert), oder Disteln und Kastanien mit weißen Trüffeln oder auch karamellisierte Scheiben von der Lotuswurzel mit Nüssen. Wenn es heißt: „Den Garten probieren!“, bedeutet das hier kein Nebeneinander der Elemente plus Vinaigrette o.ä., sondern einen Mix aus verschiedenen warmen wie kalten wie gefüllten Elementen, die sich dann natürlich sensorisch sehr viel plastischer staffeln. Bei der „Persillade d’Oca du Pérou“ mit Filet von Makrele wird es recht modern, ohne an Souveränität zu verlieren, was auch für Fleischgerichte gilt, wie etwa die „Deklination von verschiedenen Bete-Sorten à l’orange mit Lyonaiser Kalbsleber.

 

Fazit

Als Beispiel aus der Reihe von großen Büchern zu kulinarischen Produktblöcken zeigt das Gemüse-Buch, dass die Meister ihres Faches auch dort Meister bleiben, wo sich längst diverse AutorInnen goldene Nasen verdient haben. Man wird bei der Lektüre solcher Bücher immer an das erinnert, was uns heute weithin als Gemüseküche und/oder vegetarische oder vegane Küche im wahrsten Sinne des Wortes verkauft wird. Man denkt daran, wie eine Allianz von – sagen wir: NeigungsköchInnen und JournalistInnen mit projektiver Banalität (i.e.: sie finden nur das gut, was ihrem eigenen kulinarischen Horizont entspricht) für eine völlig überproportionale Verbreitung von Schwachem sorgt und dabei völlig vergisst, was es längst gibt und was wirklich dazu ausgebildete und geeignete Spezialisten leisten können. Hier also ein Buch, das inspiriert und bei dem man lernen kann, in dem man den Produkten jene Sorgfalt angedeihen lässt, die sie verdienen und sie nicht als Kauvorlage mißhandelt – sozusagen.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Bilder im Buch von Philippe Barret

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