Zuerst einmal muss es um den Begriff „erwarten“ gehen. Es kann bei Diskussionen um die Inhalte von Küche nie darum gehen, Vorschriften welcher Art auch immer aufzustellen. Wir sind hier nicht in einem Bereich, in dem es darum geht, eine bestimmte Küche zu machen und eine andere zu verurteilen – auch wenn solche Dinge in der Vergangenheit schon passiert sind, etwa als einmal vor einigen Jahren ein Restaurantführer die Verwendung bestimmter Produkte quasi bestrafte. Aber – es darf, kann und muss eine Diskussion darum geben, welche Art der Küche aus welchen Gründen für besser gehalten wird als eine andere. Die Gründe können vielfältig sein: Es kann um Kommerzialität gehen, um mehr Akzeptanz in künstlerisch-ästhetischer Sicht usw. usf. Die Diskussion etwa um die Bedeutung der regionalen Anbindung wird auf diese Weise zu einem Diskurs um Ideen, zu einem Werben für eine Verschiebung der Perspektive oder auch – von der „anderen“ Seite aus gesehen – um Beseitigung von Bedenken wegen der angeblich begrenzten Anzahl von Qualitätsprodukten in den jeweiligen Regionen.
Man kann diesen Diskurs energisch führen bis hin zu Argumenten, die den ein oder anderen Koch gewaltig aufregen dürften – zum Beispiel wenn man einmal das Mainstream-Problem etwas präziser diskutiert. Eines aber muss ganz klar sein: Wir sind hier in der Kochkunst, und die Kochkunst hat ihre handwerklichen Normen und Regeln. Diese Normen und Regeln können erweitert, aber nicht leichtfertig beiseite gelegt werden. Und das führt dazu, dass man vor einer hervorragenden Produktqualität und einer hervorragenden Zubereitung sitzt und das exakt so feststellen muss. Wenn etwas handwerklich hervorragend ist, ist es hervorragend – egal ob es stilistisch aus dem Mainstream-Bereich oder aus der Avantgarde kommt. Natürlich wird man die Qualitäten immer wieder reflektieren müssen, speziell im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer Technologien. Und – man wird sie auch im Zusammenhang mit der Entwicklung neuer ästhetischer/konzeptioneller Formen der Kochkunst diskutieren. Im Umkehrschluss muss aber auch gelten, dass eine schwache handwerkliche Qualität ebenso klar benannt wird und auch nicht dadurch besser wird, dass die Stilistik einer Küche vielleicht innovativ ist.
Insofern sollte man Erwartungen und Wünsche und Ideen formulieren, vielleicht auch darum werben, dass bestimmte Aspekte stärker in den Mittelpunkt gerückt werden, aber nicht den Eindruck erwecken, es ginge um eine komplette Verdrehung aller Werte der Kochkunst. Der Satz von „Relais et Chateaux“ -Vizepräsident Olivier Roellinger, dass es nicht Sinn der Sache sein kann, wenn man überall die gleiche Küche bekommt, ist eine solche Formulierung, ein solcher Wunsch. Die Aussage ist nachvollziehbar und bedenkenswert.
Was kann man in Sachen „Regionalität“ erwarten?
So gut wie jeder Koch kennt den Zwiespalt zwischen den Erwartungen der Gäste und seinen eigenen Vorstellungen. Bei sehr vielen Köchen führt das im Laufe der Zeit dazu, dass sie ihre privaten Vorstellungen von Kochkunst immer weiter vernachlässigen und schließlich nur noch den Gästen „nach dem Mund kochen“. Das ist meist verständlich, hält aber die Wirkung eines Restaurants für das Ganze oft stark in Grenzen. Viele dieser „Mainstream-Köche“ beklagen sich, dass sie in den Medien kaum noch Berücksichtigung finden und erleben damit das, was eine logische Folge ihrer Tätigkeit ist: Es gibt einfach wenig zu sagen, man ist in eine reine Funktionalität abgerutscht und kann dieses Programm so lange weiterführen, bis auch die Gäste fortbleiben. In dem Maße allerdings, in dem man Spezifisches installiert, wird man zum „Thema“ oder zu einem ganz besonderen Anlaufpunkt für Leute, die exakt dieses Spezifische lieben.
In den genannten Zwiespalt eine Forderung wie die nach mehr Regionalität zu implantieren, ist dann schwierig, wenn man die Sache zu extrem sieht. Für ein eher klassisch orientiertes Gourmetrestaurant sind komplette Nova-Regio-Gerichte keine Alternative; nimmt man sie auf die Karte, sind Probleme mit den Gästen vorprogrammiert. Aber – wenn man hingeht und mit viel Augenmaß auf die regionalen Produkte und Traditionen reagiert, wird das kaum ein Problem sein, im Gegenteil. Wer in den Schwarzwald oder an die See fährt (oder wohin auch immer…), fährt auch in eine Gegend mit spezifischen Produkten und kulinarischen Traditionen. Diese Traditionen werden von den Gästen gesehen und meist auch geliebt. Sie in den besten Restaurants der Gegend optimiert oder interpretiert wiederzufinden, ist für sie eine wunderbare und hochinteressante Sache.
Die Erwartungen müssen zuerst einmal dahin gehen, dass Köche auf die Produkte und Traditionen überhaupt reagieren, dass ihre Speisekarten zeigen, dass sie bewusst in den Regionen leben, sie kennen und die Ressourcen kulinarisch reflektieren. Dazu braucht man weder seine Küche vollkommen zu ändern noch experimentell werden. Es reicht, wenn man sensibel wird und nicht den Koch-Automaten gibt, der außer Hummer und Steinbutt nichts von sich geben kann.
Man hat mir immer wieder gesagt, dass so etwas in bestimmten Regionen nicht möglich sei. Das mag auf den ersten Blick so aussehen, entspricht aber quasi nie der Wahrheit. Der Reflex auf regionale Ressourcen sollte für wirklich gute Köche kein Problem sein – macht aber etwas Arbeit. Der Lohn ist Spezifität, Profil, Identität, Bedienung von Erwartungen, die logisch sind und die verstanden werden. Dass so etwas keine Revolution sein muss, sondern ganz entspannt in die Arbeit eingeflochten werden kann, machen uns andere Länder vor. Fahren wir ins Burgund, um asiatische Küche zu essen? In die Bretagne um die Fische zu essen, die im chinesischen Meer gefangen werden? Nach Norwegen, um über den Unterschied zwischen toskanischen und südfranzösischen Olivenölen zu diskutieren?
Man hat manchmal den Eindruck, als ob es viele Köche gibt, die jeden Wunsch in Richtung verstärkter regionaler Aktivitäten bewusst als radikalen Akt missverstehen wollen. Dabei ist der Wunsch natürlich, logisch und ein Gewinn für alle Beteiligten – nicht zuletzt für eine Gastronomie, die nicht wie ein Baukasten wirkt, aus dem man – egal wo – immer etwas Ähnliches zusammenschraubt. Die Welt ist aber kein Märklin-Metallbaukasten oder ein Lego-System, sondern voller Individualität. Wollen viele Köche wirklich in der Masse untertauchen?
Man sollte die Diskussionen um Regionalität und um Nachhaltigkeit, die in den nächsten Jahren noch um ein Vielfaches zunehmen werden, entspannt und vor allem konkret angehen. Was wir brauchen, ist weniger eine wenig zielführende Diskussion als gute Beispiele. Eben: „die Schweinshaxe im Drei Sterne-Restaurant“, wie ich das seit vielen Jahren immer gerne nenne. Viele jüngere Köche arbeiten daran. Wir brauchen aber mehr Leuchttürme der Zunft und viel, viel mehr Ideen.
Die königsberger klöpse von tim raue sind natürlich ganz regional
Eine glasklare Darstellung, die die Sache hervorragend auf den Punkt bringt – Bravo!
Eine Irritation gab es dennoch: die abgebildeten Königsberger Klopse von Tim Raue. Wie kann ein Gericht, welches wahrlich durch „eine an asiatische Geschmacksbilder gewöhnte Jugendszene“ geprägt sein könnte, als Paradebeispiel für eine optimierte Regionalküche durchgehen?
Sehr geehrter, lieber Herr Dollase, ich finde es eigentlich immer mal wieder schade, dass Sie bei Ihren Bilder kaum angeben, was sie zeigen; gerade bei manchen Interieurs wüsste man ganz gerne manchmal, wo / was es ist.
Freundliche Grüße,
HS
Lieber Herr Dr. Sudeck,
auf Facebook, bei meinem Hinweis auf diesen Text, habe ich die Autoren genannt. Hier noch einmal im Detail: Das obere Bild ist der „Broiler“ von Andreas Rieger, dem ehemaligen Koch vom „Einsunternull“ in Berlin. Rieger kocht dort nicht mehr. Es folgt ein „Salat“ von Jonnie Boer von „De Librije“ in Zwolle, die Königsberger Klopse von Tim Raue aus dem ehemaligen „La Soupe populaire“ in Berlin und Sellerieknollen von Kobe Desramaults aus dem ehemaligen “ In de Wulf“ in Dranouter in Belgien.
Gruß JD
DANKE!
Vorsicht: Der größte Feind der guten Regionalküche ist die Regionale Dummheit!
In der Hochküche mit entsprechenden Gästen funktioniert schon eher. Meine Erfahrung nach 35 Jahren Erfahrung damit.
meines erachtens ist das fehlen von regionalität ein problem der gesamten deutschen küche und nicht nur im segment „hochküche“. polemisch könnte man das zb so formulieren: in der “ normalen gastro“ kommen die knödel von münchen bis münster aus dem packerl, der backfisch ist an der küste nicht frischer als im binnenland und viele tellergerichte mit zuviel fleisch und sosse und sättigungsbeilage sind in der ganzen brd nahezu ident. in den gastronomischen formaten darunter regieren döner, pizza und co; im „gehobenen „bereich dann mainstreamgourmet mit hummer und co aus frankreich, zeitgeistig-asiatisch ergänzt. diese entwicklung zeigt, dass regionalität in der deutschen küche keine rolle mehr spielt; zumindest kulinarisch. ein grossteil der esser hat die verbindung zu ihrer kulinarischen geographie, deren spezifischen produkten und zubereitungsarten schon längst gekappt. das führt natürlich dazu, dass regional interessante produkte gar nicht mehr wahrgenommen werden oder gar nicht mehr existieren und regionalrezepte nicht mehr rezipiert und angewendet werden. es fehlt der selbstverständliche umgang damit. das ist in anderen ländern durchaus anders; in österreich habe ich zb in sehr guten lokalen wie döllerer, steirereck, bei den geschwistern rauch, im ikra etc kaum bis gar nicht international beliebige und austauschbare mainstreamprodukte vorgefunden. es wurde sehr fundiert mit regional spezifischen produkten und zubereitungsarten gearbeitet. auch einfache gerichte wie schwarzbeernocken, bierfleisch etc hatten selbstverständlich und berechtigt ( weil einfach sehr gut ausgeführt) platz im menue. das setzt natürlich voraus, dass die küche in der lage ist, derartige vorgaben zu händeln, also weiss, wo veränderungen an produkten und rezepten optimierung bringen bzw wo beliebigkeit droht. es braucht aber auch gäste, die damit umgehen können, die über ein kulinarisches gedächtnis verfügen, das ihnen die einordnung und bewertung bestimmter gerichte erlaubt.