Ein kreativer Prozess ist etwas Merkwürdiges habe ich recht? Vielleicht irre ich mich aber auch und nur bei mir scheint er obskure Formen zu haben. Ich komme vom Hölzchen aufs Stöckchen. Und vom Stöckchen und aufs Streichholz, dann zur Zigarette und schließlich ende ich beim Marlboro Mann, der einsam und alleine durch die Prärie reitet. Come to Marlboro Country. Hier und heute soll es aber nicht um den einsamen Reiter in der Prärie des wilden Westens gehen, auch wenn das für mich persönlich sehr verlockend klingt.
Ich schreibe für mein Leben gerne – dessen sind Sie sich mittlerweile sicherlich bewusst, wobei ich eigentlich viel mehr Prosa als Kolumnen schreibe. Zurzeit bin ich in der gemütlichen Position, aus der reinen Freude an der Sache zu schreiben. Nach einem langen Jahr voller „interessanter“ Erfahrungen, steht mein erster Roman soweit, dass ich mich nur noch um die letzte Korrektur bemühen muss und die meisten unangenehmen Nebenbeschäftigungen wie Verlagsgründung, Urheberrecht und Buchpreisbindungsgesetz erst einmal wieder etwas zur Seite schieben kann. In der letzten Zeit konnte ich mich also wieder mehr meinem kreativen Prozess widmen und ein Zyklus von Novellen und Kurzgeschichten nimmt langsam Form an, obwohl dies – wie so vieles im Leben – gar nicht so geplant war.
Ich schreibe allerhand Geschichten nieder, Schicksale die mich beschäftigen, teilweise hergeleitet wie beim Stöckchen und dem Marlboro Mann. Es juckte mich schon immer in den Fingern, eine ganz klassische „Coming of Age“-Geschichte zu entwickeln – oder wie ich früher im Deutsch LK gesagt hätte: einen Entwicklungsroman.
Gibt es etwas, über das man mit einer groteskeren Faszination schreiben kann, als „Teenager“? Na klar, mit Sicherheit. Aber Sie wissen, worauf ich hinaus möchte, hab‘ ich recht?
Neulich, da traf ich mich mit einem alten Schulfreund, der nach langer Zeit eine Woche Heimaturlaub (so könnte man sagen) eingelegt hatte. Wie es der Zufall wollte, war ich ebenfalls in der alten Heimat, meinen Vater besuchen, um ihm bei einem seiner Projekte (Ja, ich weiß, was sie sagen möchten, der Apfel und der Stamm…) zur Hand zu gehen.
Nach getaner Arbeit wollte ich mich mit besagtem Freund – so wie früher immer – das ein oder andere Getränk in seinem Keller schnabulieren. Und wir reden hier nicht von Apfelsaft, falls Sie das denken.
Schon als ich mich auf den Weg machte, mit meiner Collegejacke an diesem bereits etwas milder zu werden scheinenden Winterabend, überkam mich ein außergewöhnliches Gefühl der Nostalgie. Es war wie früher, wenn ich mich zu ihm auf den Weg machte, und wir in seiner Kellerbar allerhand Obskuritäten zusammenrührten. Ich erinnere mich nicht recht, ob vielleicht nicht hier der Grundstein, für all das, was wir hier erleben, lieber Leser, gelegt worden ist.
Es war merkwürdig, den alten Weg zu ihm zu gehen. Dieselbe Stadt, dieselben Beine, die einen doch mittlerweile gänzlich anderen Menschen tragen. Viel hat sich in meiner alten Heimatstadt gar nicht verändert, wie ich bemerke. Noch immer führt eine Holzbrücke über die große vierspurige Straße, die Norden und Süden der Stadt zusammenhält. Einen Moment halte ich dort inne, lehne mich auf das Geländer, während mir eine Flut von Gedanken durch den Kopf geht. Ich kann meine alte Schule von hier aus sehen, sehe das Wohnhaus eines alten Freundes in der Ferne, zu dem ich leider – allen sozialen Medien zum Trotz – keinen Kontakt mehr habe. Und ganz nebenbei ist dieser Ausblick, den meine Augen in diesem Moment einfassen, das Cover des ersten Albums meiner damaligen Band. Ich erinnere mich an den diesigen und verregneten Tag, an dem ich es aufgenommen habe. Jedoch hatte ich keinen schwarzen Mantel an, keine rahmengenähten Schuhe (spießige Vernunftslatschen) und eine Brille auf der Nase. Damals hatte ich mich mit meinen wirren Haare und unendlich langen Koteletten auf den Weg gemacht, mit der Digitalkamera meines Vaters bewaffnet und das Foto geschossen, mit rot-schwarz karierten Vans und einer leichten Bundeswehrjacke, die keinerlei Kontrast zu dem dazugehörigen Aufnäher darstellte, der das Friedenssymbol mit dem Schriftzug „War is Expensive“ zeigte. Mann oh Mann.
Für unseren Cocktail brauchen wir als erstes die richtige Stimmung. Sonic Youth oder Darwin Deez wären das Richtige um sich einzugrooven. Wir nehmen einen Cobblershaker und füllen ihn mit Eiswürfeln. Dazu geben wir 3 cl Rum, 3 cl Amaretto, 5 cl Kirschsaft und 5 cl Cranberrysaft, sowie 1 cl Roses Lime Juice. Das Ganze shaken wir einige Sekunden lang kräftig und seihen es in einen mit Eiswürfeln gefüllten Red Solo Cup. Anschließend wird das Ganze mit einem Schuss Sodawasser aufgegossen.
Während ich mir diesen Drink genehmige, merke ich, wie ich plötzlich wieder bei einer Party im Keller meines Freundes sitze und wir das Jahr 2009 schreiben. Ich nippe an meinem Drink, während sich meine Sitznachbarn angeregt über die neusten Myspace Layouts unterhalten. Unser Bierhorizont reichte nur von 2,5 bis 5,0 – wenn Sie verstehen was ich meine – und diese Zahlen kann ich ebenfalls oft vernehmen, während grüne und schwarze Dosen mit derselben Aufschrift herumgehen.
Es liegt etwas besonderes in der Luft, der Geist der Vergangenheit, vielleicht auch eine ganz bestimmte Schwermut. Nostalgie im ursprünglichen Sinne, so könnte man sagen, der Schmerz und die Heimkehr.
Auch wenn ich weiß, dass früher, wenn man ein Teenager ist, ein besonderer Geist über einem schwebt, der langsam und gemächlich aus unserem Leben verschwindet, so kann ich mir doch vorstellen, dass man ihn noch einmal spüren kann. Wenn ich mit meinem Kumpel in seinem alten Partykeller sitze und über die alten Zeiten rede, dann lässt er sich vielleicht noch einmal spüren.
Auf vergangene Zeiten,
Der heilige Helge
Zutaten bei BOS FOOD zu bestellen: 3 cl Plantation Rum Barbados (Art. Nr. 32207) • 3 cl Amaretto • 5 cl Kirschsaft (Art. Nr. 27815) • 5 cl Cranberry (Art. Nr. 43515) • 1 cl Monin Lime Juice (Art. Nr. 12647) • Soda Wasser