Ralf Frenzel (Hrsg.): Die Kochlegende Harald Wohlfahrt. Tre Torri Verlag / Süddeutsche Zeitung Edition, Wiesbaden 2018/2019. Geb., 244 S., 39.90 Euro

Relativ kurze Zeit nach dem Ende seiner Arbeit in der „Schwarzwaldstube“ gibt es von Harald Wohlfahrt ein repräsentatives Kochbuch, das sein Schaffen noch einmal in seiner ganzen Breite zeigen soll. Normalerweise arbeiten Buchreihen von Köchen häufig mit Material, das in Jahren zusammengetragen wurde. Hier nun gibt es ein neues Buch, in dem Wohlfahrt zusammen mit Raphael Ianniello eine Auswahl seiner Gerichte noch einmal gekocht hat (Fotos: Tommas Bried). Es ist Teil der „Kochlegenden“ – Serie des Tre Torri-Verlages, in dem bisher Hans Haas und Marc Haeberlin gewürdigt wurden.

Das Buch
Von Harald Wohlfahrt gibt es kein Buch, das seine Arbeit ästhetisch überhöht und vor allem ein schönes Buch wäre – wie das seit Jahren bei vielen internationalen Spitzenköchen der Fall ist. In gewisser Hinsicht würde das vielleicht auch nicht zu diesem immer bodenständigen, stark handwerklich orientierten Koch passen. Insofern ist auch dieser Band nicht unbedingt eine Schönheit an Buch, sondern eher auf der funktionellen Seite. Nur die manchmal etwas arg feuilletonistisch bemühten Texte von Stefan Pegatzky weichen etwas davon ab. In ihrem Kern liefern diese Texte aber alle Basis-Informationen, die man zu Leben und Werk des Meisters braucht, so dass sich insgesamt eine aufschlussreiches Bild ergibt.

Nach der Einleitung und einem Gespräch mit Harald Wohlfahrt (Überschrift: „Das hat irgendwann auch Seele bekommen“) gibt es 35 Rezepte in den Kapiteln „Amuse Bouche und Vorspeisen“, Fisch, Krustentiere, Risotto“, Fleisch, Geflügel, Innereien und Wild“ und „Käse und Desserts“. Bei den Amuse Bouche werden natürlich einige der enorm differenziert gearbeiteten Dreier-Sets wie die „Variation von Meeresfischen“, die „Variation vom jungen Hauskaninchen“ oder der Viererset „Variation vom Kalbskopf“ vorgestellt, die seinerzeit neue Maßstäbe in der handwerklichen Perfektion und vor allem auch sensorischen Struktur setzten. Wegen des hohen Aufwandes brauchen die Rezepte im Buch meist 6 Seiten. Das gilt auch für die „Essenz von der Strauchtomate“, die eben nicht nur eine Essenz ist, sondern aus der Tomatenbouillon, dem Tomatenkompott, getrockneten Cocktailtomaten, weißem Tomatengelee, Pastateig, Brotchips, Rucolapesto, Ricotta-Rucola-Füllung, Ricotta-Rucola-Tortellini und der Gemüsegarnitur besteht. Leider sind die Rezepte nicht datiert, was bedauerlich ist, weil man so u.a. erkennen könnte, wie frühzeitig Wohlfahrt oft bestimmte Themen entwickelt hat.

Beim Fisch findet man den „Thunfisch mit asiatischen Aromen“ oder den „Bretonischen Hummer mit Ananas-Mango-Chutney“, den „Heilbutt auf gepickeltem Kürbisgemüse und Kokos-Chili-Schaum“ und – klassischer – den „Atlantiksteinbutt im Safran-Muschelsud“. Während die Vorspeisen hochdifferenzierte Feinarbeit mit vielen neuen Aspekten bieten und der Fisch ein wenig in die von Wohlfahrt geliebte, leicht süßlich begleitete Abteilung gehört, geht es beim Fleisch deutlich klassischer zu. Das Spektrum reicht von der „Bresse-Poulardenbrust aus dem Römertopf“ über eine „Ballotine von der Bresse-Poularde“ bis zum „Rinderfilet mit Bohnenallerlei“ oder dem „Limousin-Lamm mit Auberginen und Couscous“ in südfranzösisch-mediterraner Tradition oder dem „Rehrücken mit Innereien-Ragout“. Natürlich fehlen zwangsläufig eine ganze Reihe von Rezepten, die man sich hier gewünscht hätte, darunter durchaus solche, die noch wesentlicher als das Präsentierte erscheinen – etwa seine Austernterrine mit einer Runde von Muscheln und Meeresgetier oder manch komplett klassische Zubereitungen, die vielleicht keine neuen Erfindungen waren, aber in der Ausführung und im Detail zum Besten gehörten, was man international in diesem Fach bekommen konnte. Bei den Desserts darf man vielleicht sagen, dass sie nicht unbedingt Wohlfahrts Hobby sind, und er mit Pierre Lingelser als langjährigem Patissier eine deutliche Verstärkung im Hause hatte.

Diskussion
Mit dem Blick auf die Einzelheiten der Rezepte kann auch deren Diskussion beginnen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass Harald Wohlfahrt mit seinen ungeheuer vielen Details und umfangreichen Zutatenlisten am Ende einer Entwicklung gestanden hat, die man sich kaum komplexer vorstellen kann. Man kann sich in diesem Zusammenhang auch vorstellen, dass er persönlich vielleicht irgendwo im Hinterkopf ebenfalls keine weitere Entwicklungsmöglichkeit gesehen hat und voll und ganz damit beschäftigt war, diese Komplexität überhaupt zu realisieren. Speziell seine Saucen und Fonds (Wohlfahrt: „Ohne Fonds gibt es keine gute Küche“) mögen für manche Esser „abgrundtief“ geschmeckt haben, liefern aber immer auch sehr stark verdichtete Aromen, die einen bestimmten geschmacklichen Stil repräsentieren. Trüffel, Madeira, Cognac, Weine und die typisch französische Gewürzpalette usw. werden in vielen Gerichten variiert und in sich perfektioniert. So etwas war lange Zeit der Mittelpunkt der Kochkunst – auch wenn die Kollegen in Frankreich bisweilen etwas andere Schwerpunkte hatten. Solche Stilelemente müssen aber auch immer die Frage aushalten, ob die Entfernung zum Produktgeschmack nicht manchmal zu groß wird und sich – bei aller internen Differenzierung – eine geschmackliche Vereinheitlichung einstellen kann, die man nicht einfach nur als „Stil“ bezeichnen kann.

Heute ist diese Küche vor allem in ihrer Aromatik nicht mehr der Mittelpunkt der Kochkunst, weil sich mittlerweile andere Schwerpunkte ergeben haben – hin zu vielen asiatischen Geschmacksbildern, hin zu puristischen Geschmacksbildern, die den möglichst unverfälschten Produktgeschmack in den Mittelpunkt stellen, auch hin zu Nova Regio – Geschmacksbildern, die mit der klassischen Küche kaum noch etwas zu tun haben – wenn überhaupt. Aber – Wohlfahrt mag zwar aromatisch mit einem Teil seiner Arbeit aus dem Zentrum gerückt sein und mit den süßlichen seiner Fisch-Kompositionen vielleicht einen Nebenweg beschritten haben, der keine große Zukunft hat. In seinen klassischen Elementen (die – siehe oben – leider hier nicht ganz so zentral gewürdigt wurden) und in seinen enorm erfindungsreichen Vorspeisen kann er nach wie vor Maßstäbe setzen. Seine oft perfekte sensorische Struktur wird auch heute noch selten erreicht. Mit ihrer Forderung an den Esser, sich auf Kleinformatiges, aber die geschmackliche Wahrnehmung wirklich in allen Aspekten Betreffendes einzulassen, hat er in undogmatischer Weise gezeigt, wohin die Küche für die wirklichen Feinst-Schmecker gehen kann.

Fazit
Das Buch ist – bei aller Konzentration auf die Funktionalität – natürlich sehr gut, obwohl man die Schwerpunkte anders hätte setzen können und damit das Gesamtbild durchaus etwas verändert hätte. Auch den Beschreibungen der Gerichte, die oft aus der Position einer eher älteren Gourmandise zu stammen scheinen, fehlt oft eine distanziertere Dimension, die nicht nur lobt und alles gut findet, sondern besser und mit mehr Verständnis für die weltweite Kochkunst einordnet. Vielleicht wäre dort ein Gespräch mit dem Meister zur Erläuterung der Gerichte hilfreicher gewesen.

Das Buch bekommt 2 grüne BB

Fotos © Tre Torri Verlag

Schreibe einen Kommentar