Ralf Bos macht sich auf den Weg zum vereinbarten Gesprächsort. Es wird ein langer Weg durch die Hallen der Fachmesse Intergastra. Lang vor allem, weil er nicht vom Fleck kommt. Mit seinen 1,90 überragt er den Menschenstrom. Das verschafft ihm einen guten Überblick, führt aber auch dazu, dass er schon von weitem zu sehen ist. Auf Schritt und Tritt begegnen ihm Kollegen, Kunden und Freunde. Grüße fliegen ihm zu. Er grüßt zurück, lächelt, manchmal lacht er. Bleibt mal hier, mal dort auf ein Schwätzchen stehen. Drei junge Kochstars wünschen ein Foto mit ihm; er stellt sich zwischen sie. Noch ein Foto. Mit dem dritten Klick sind dann alle zufrieden. Im Vorbeigehen auf Zuruf noch schnell eine Terminvereinbarung.
Ralf Bos‘ Aufmerksamkeit dreht wie ein Radar, in alle Richtungen, auch noch beim Gespräch. Es könnte ja vielleicht … Und tatsächlich! Da sitzt am Nebentisch doch der Restaurantkritiker. „Hallo! Ab morgen hast du bei mir Hausverbot.“ Der Kritiker dreht sich erschrocken um, dann lachen beide. Bos‘ gute Laune ist ansteckend. Also noch ein Schwätzchen. Ralf Bos, so scheint’s, wie er leibt und lebt! Dann ist er ganz beim Gespräch.
Trüffel-Papst, Buchautor, Sommelier, Food Researcher, Vortragsreisender, Herausgeber, Koch, Restaurantfachmann, Unternehmer, Philanthrop, – das sind nur einige von vielen Bezeichnungen, Rollen, Titeln, die wie Etiketten und Verdienste an ihm haften. Ralf Bos sieht‘s entspannt.
AUF WELTREISE FÜR GESCHMACKSERLEBNISSE
Die Welt des Ralf, wie ihn seine Freunde nennen, dreht sich um Delikatessen. Seine Neugierde, im Schlaraffenland immer wieder Neues zu entdecken, treibt ihn um den ganzen Globus. Im Frühjahr war er wieder einmal mehrere Wochen unterwegs. Die Stationen: Brasilien, Argentinien, Chile, Peru, Dubai, Australien, Neuseeland und Nordamerika. Die Agenda: Besuche bei Produzenten, Recherchen vor Ort zu neuen Produkten, Gespräche mit Lieferanten. Die Orte: Städte, Dörfer, ländliche Gegenden und sogar Wildnis – weit weg vom WorldWideWeb und außerhalb jeden Handynetzes – unerreichbar. Das klingt abenteuerlich. Ist es manchmal auch. Manche Delikatesse hat einen ungeahnten Weg hinter sich, bis sie es auf unsere Teller geschafft hat. Ein bisschen so war sein eigener Weg zum Delikatessenhändler.
EINE PALETTE KANADISCHER WILDREIS
Wie geht das, erst Tourmanager einer Rockband und jetzt erfolgreicher Delikatessenhändler? Bos wäre nicht Bos, würde er für ein Ziel alles andere ausblenden. Als der Düsseldorfer 1984 von Ralph Siegel als Tourmanager engagiert wurde, konnte der Absolvent der D.Speiser Hotelfachschule mit seinen 23 Lebensjahren als Koch und Restaurantfachmann bereits auf eine steile Karriere in Restaurants und Hotels an den Society-Hotspots Sylt und Davos verweisen. Als Tourmanager sah er sich damit konfrontiert, dass die Kommunikation zwischen dem an mehreren Orten zerstreuten Team umständlich und unzureichend war. Eine Lösung musste her. Mitte der achtziger Jahre, in Deutschland noch weitestgehend unbekannt, fand er sie in den USA: Anrufbeantworter. Sein unternehmerischer Sportsgeist war geweckt. Kurzerhand importierte er die Geräte auf eigene Rechnung. So ergab es sich, dass er nebenbei seine Handelsfirma für Elektronikwaren aufbaute. Eins kam zum anderen. Am Ende florierte der Elektrohandel so gut, dass er ihn nach fünf Jahren gewinnbringend verkaufte und mit seiner Frau nach Neuseeland umsiedelte.
Nach nur drei Monaten – Ralf Bos wurde Vater – kehrte das Paar zurück nach Deutschland, noch unentschieden, welchen geschäftlichen Weg er künftig einschlagen wollte. Die Wahl lag zwischen dem ersten Fingernagelstudio in NRW – von ihm selbst gegründet –, dem Import von Stromnetz unabhängigen Laptops und dem Verkauf einer ganzen Palette kanadischen Wildreis‘. Da stellt sich berechtigt die Frage: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Es war die Vertriebserfahrung.
Das Rennen machte der Wildreis. Ralf hatte Kostproben an Kollegen in der gehobenen Gastronomie verschickt, sozusagen als Versuchsballon. Und das war es in der Tat, denn dieser Reis war bei den Küchenchefs völlig unbekannt, und das Probepäckchen lag ungeöffnet irgendwo in ihren Küchen herum. Bei seiner Nachfrage hörte er stets „Habt ihr nichts anderes?“ Das war 1989 und der Anstoß für die Gründung von BOS FOOD.
HERR BITTLINGMEIER AUS BAD ZWISCHENAHR
Was wie ein Sketch von Loriot klingt, war in Wirklichkeit der Startschuss für den Aufbau des Vertriebsnetzes. Ähnlich dem Garagenstart einer IT-Firma verfügten er und sein Mitgründer, Cousin Ralf Borkowsky, über wenig Kapital, dafür über umso mehr Markt- und Produktkenntnisse. Das Büro: ein Eckschreibtisch, ein Buch – genau gesagt, der Aral Schlemmeratlas, damals der Wegweiser zur gehobenen Gastronomie – und zwei Telefone. Los ging’s! „Ich erinnere mich noch genau an meinen ersten Telefonanruf “, sagt er und lacht „Ich begann im Alphabet bei Z – Bad Zwischenahr, Herr Bittlingmeier.“ Das Buch lag zwischen ihm und seinem Cousin, der beim Buchstaben A losgelegte. Gleichzeitig hatten beide ihr erstes Akquisitionsgespräch beendet. „Ich hatte 5 Kilo verkauft, und mein Cousin 2 Kilo. Das war ein gutes Omen für den Anfang.“ Ihr An- gebot hatte darin bestanden, den kanadischen – organisch gewachsenen – Wildreis zum Preis des amerikanischen – gezüchteten – zu verkaufen. Da von den gehobenen Gastronomen, wie sich schnell herausstellte, keiner den Unterschied kannte, war deren Neugierde geweckt und ein gutes Einstiegsthema gefunden. „Die Palette war bald weg und wir gingen dazu über, unser Sortiment zu erweitern, zunächst mit Basmatireis aus Indien, den auch niemand kannte! Dann mit zusätzlichen Reissorten. Es folgten Pui Linsen, Gewürze, Trüffel.“ Heute vertreibt Bos Food über 12.000 Produkte und zählt mit 33 Millionen Euro Umsatz in 2017 zu den größten Delikatesshandelsfirmen in Europa..
GENERATIONENWECHSEL BEI BOS FOOD
„Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Deshalb musste ich nie arbeiten“, lacht Bos wieder und setzt zufrieden hinzu „Es steht außer Zweifel, dass Bos Food in die nächste Generation übergeht“. Obwohl er sich als Vater mit Nachfolgeforderungen zurückgehalten und sei- nen Töchtern freien Lauf bei ihrer Berufswahl gelassen hatte, wählten alle drei Berufe, die sie ins Unternehmen einbringen wollten. Die erstgeborene Tochter ist Köchin, die mittlere Restaurantfachfrau mit Weinbergerfahrung und die jüngste studierte Marketing und Eventmanagement, die Ausbildung zur Sommelière hängte sie noch an. „Sie brauchen jetzt Verantwortung“, so der Vater Bos. „Die schütte ich aber nicht einfach über ihnen aus“, so der Unternehmer Bos. Das, was er nun erzählt, klingt nach einem fließenden Übergang zur nächsten Generation: Mit seinen wochenlangen Auslandsreisen führe er die Töchter wohl dosiert an ihre Verantwortung heran, denn „Weg ist weg, da bin ich nicht mal schnell zur Stelle, wenn’s schwierig wird.“ Er ziehe sich in diesen Phasen auf den Beobachterposten zurück und räumt schnell noch ein „Aber natürlich bin ich Auffangnetz, sollte es einmal wirklich kritisch werden.“ Nach seiner Rückkehr werde dann über die Schwierigkeiten gesprochen und Entscheidungen gemeinsam getroffen. Ralf Bos scheint das zu gelingen, was viele Familienunternehmer versäumen, eine rechtzeitige Übergabe an die nächste Generation. Dabei kann sich jeder davon überzeugen, der mit seinen Töchtern im Unternehmen zu tun hat: Sie sind mit Herzblut dabei.
STICHWORT „HERZBLUT“
„Herzblut“ sagt er, „setzt den richtigen Menschen mit Herz und Empathie voraus. Wir betreiben bei Bos Food Trendforschung. Uns geht es nicht um die Steigerung von Quartalszahlen.“ Die Entscheidungen sind sehr persönliche und sollten sich im Rückblick auch nach zehn Jahren noch als richtig herausstellen. Seine Mitarbeiter seien hoch motiviert. Das setzt den richtigen Umgang mit Menschen, Toleranz und Weitsicht voraus. Deshalb fördert Bos bei seinen Mitarbeitern konsequent den Bezug zu den Produkten. „Das nimmt mit drei Verkostungen in der Woche schon mal sportliche Formen an.“
TASTY FRIDAY
Am Tasty-Friday wird ein Thema vertieft, zum Beispiel „Weshalb braucht es 26 verschiedene Soja-Saucen? Worin unterscheiden sie sich?“, und auf einem zehn Meter langen Tisch die zu verkostenden Muster aufgebaut. An diesem Tag spürt jeder Ralf Bos‘ Leidenschaft und Führungsstärke: sein umfassendes Wissen über Lebensmittel und Delikatessen, über Ihre Beschaffenheit, Herkunft, Verarbeitung, Konservierung, Geschmacksanalysen, Sensorik, Verkostungsmethoden, vieles davon von ihm mit jahrelanger Erfahrung bis ins letzte Detail erfasst, erkundet, und dabei ist er voller Geschichten. Jeder Mitarbeiter ist aufgefordert, seine Produktbewertungen in eine Liste einzutragen und nach der Spielregel mit einem einzigen Wort zusammenzufassen. Für den Mitarbeiter ist das zugleich ein Training. Er oder sie muss sich bewusstwerden, was das hervorstechende Merkmal des Produkts ist. Sozusagen mit der Schwarmintelligenz der zweihundert Köpfe und Herzen des Unternehmens wird in der ersten Runde über Hopp oder Top entschieden. Geht sie zugunsten des Produkts aus, stehen als nächstes die Herstellerpräsentationen, Spezifikationen, Analysedaten und so weiter an. Wenn am Ende der Lieferant auch noch zum Unternehmen passt, fällt die letzte Entscheidung, ob das Lebensmittel ins Sortiment aufgenommen wird. „Bei unserer Entscheidung müssen wir das Gefühl haben, dass in zehn Jahren jeder dieses Produkt haben will.“
So ein Tasty Friday lässt keinen Zweifel daran, wer im Unternehmen der Kopf, der Chef, ja, selbst darüber hinaus, ein Patriarch im guten Sinne ist.
Frage an Ralf Bos: Kann man Sie mit einem Butterbrot noch glücklich machen?
Antwort von Ralf Bos: Oh, ja. Butterbrot mit Leberwurst, dazu ein Riesling, zählen zu meinen Lieblingsspeisen.
Dazu sollte man wissen: Die Leberwurst bei BOS FOOD stammt vom Mangalitza Wollschwein und wird als Bretonische Leberpâté angeboten. Sie enthält 72 Prozent Schweinefleisch und 18 Prozent Leber. Mangalitzaschweine sind eine alte, heute selten zu findende Rasse, deren Fett äußerst cholesterinarm ist.
Ein Artikel von Iris Hüttner aus dem ENTRÉE Magazin
Fach-Journalistin (Reise, Kunst & Kultur, Gesundheit). Autorin. Herausgeberin.
PR-Consultant
www.artemedia.online