Jürgen Dollase: Als Du angefangen hast mit der Kochausbildung: was war damals „Luxus“ für Dich?
Ralf Bos: Wir haben damals in der Hotelküche nicht unbedingt für die „Upper class“ gekocht, sondern im Prinzip um allen Leuten zu gefallen. Aber es gab auch damals schon „Aussetzer“, bei denen der Küchenchef gesagt hat, dass wir jetzt etwas ganz Tolles machen. Und dann haben wir auf das Kalbsfilet „au four“ Trüffel gemacht. Wir hatten zwar noch nicht damit gearbeitet, wussten aber natürlich, dass das etwas ganz besonderes ist.
JD: Konntet ihr denn wenigstens probieren?
RB: Leider nicht, nicht bei den Trüffeln. Bei so teuren Produkten hat der Küchenchef genau aufgepasst. Wenn jemand aber einen Hummercocktail bestellt hat, konnten wir schon mal Reste probieren
JD: Bezug sich Luxus nur auf den Preis?
RB: Nein, es war mehr der Respekt davor. Die teuren Sachen waren selten und hatten einen ganz besonderen Geschmack. In diese Richtung ging das.
JD: Ging die Vorstellung von einem guten Produkt damals auch schon in Richtung besonders großer Fische oder ähnlicher Dinge?
RB: In der allerersten Zeit hier in Düsseldorf haben wir überhaupt keine Fische gesehen. Wir haben mit vorgeschnittenen Filets gearbeitet. Später in meiner Zeit auf Sylt, wo ich in wirklich guten Restaurants gearbeitet habe, haben wir ganze Heilbutte gekauft und sie selber filetiert. Wir haben uns die Adressen der Lieferanten untereinander zugeflüstert – so etwa nach dem Motto: Wenn das alle wissen, dann kriegen wir nachher keine so guten Fische mehr.
Das war noch in den 70er Jahren/Anfang der 80er Jahre. Da war die Haute Cuisine in Deutschland noch gar nicht richtig geboren. Es gab schon viele Restaurants mit Michelin-Sternen, aber das hatte noch nicht diese Bedeutung. Für uns waren die Varta-Hauben damals noch das Ding. Heute weiß kaum jemand, wieviel Varta-Hauben sein Restaurant hat, weil alle nur Richtung Michelin-Sternen sehen.
JD: Wie sieht das heute aus? Was empfindest Du als größter, berühmtester Feinkosthändler Deutschlands, als Spezialist für die besten Sachen ganz persönlich als Luxus?
RB: Ich habe natürlich mittlerweile sehr viel Erfahrung mit Lebensmitteln und Getränken. Mich kann man jetzt nicht mehr unbedingt mit einem Jahrgangschampagner oder mit einem besonderen Kaviar beglücken. Für mich ist das einfach schon Tagesgeschäft.
JD. Freddy Mercury singt in “Killer Queen” noch von einem Model, das immer eine Flasche Moet et Chandon mit sich führt. Das galt damals noch als Inbegriff von Luxus. Wenn Du schon beim Jahrgangschampagner eine gewisse Normalität empfindest: Wo geht es dann hin mit Deiner Luxusempfindung?
RB: Es ist so, wie das heute viele Leute empfinden. Mir wird immer klarer, dass der wahre Luxus ist, persönliche Freiheit, Zeit, gesunde Kinder, Familienleben zu haben, also das, was heute oft unter dem Zeitdruck oder unter finanziellem Druck eingeschränkt ist. Dass wir heute ganz allgemein auch in fortgeschrittenen Jahren noch meist gesund sind und viel machen können, das ist der große Luxus unserer Zeit. Bei mir speziell kommen auch noch Hobbys wie das Reisen dazu, also Trips in Gegenden, wo man normalerweise nicht unbedingt hinfährt und das in einer ganz individuellen Form.
JD: Das verstehe ich sehr gut. – Aber lass uns beim Kulinarischen bleiben. Wie siehst Du die nicht enden wollende Diskussion um kulinarischen Luxus in Form von teuren Produkten und Restaurants?
RB: Meine Einstellung zum Beispiel zu guten Restaurants ist eine sehr sinnliche, die in Richtung der handwerklichen Kunst geht. Ich kann mich da unglaublich freuen und kann die Vergänglichkeit, die einem solchen Kunstwerk oft nachgesagt wird, nicht nachvollziehen. Ich finde, dass die anderen kulturellen Veranstaltungen, für die man ähnlich viel bezahlen muss, nicht das an Kunstfertigkeit bieten, was ein exzellentes Menü bietet. Und vergänglich sind die Erlebnisse alle.
JD: Würdest Du zustimmen, wenn ich sage, dass die ganz besonderen kulinarischen Qualitäten oft von seltenen Voraussetzungen und ganz speziellen Zusammenstellungen abhängen?
RB: Du meinst wahrscheinlich das Talent. Man kann ja nicht alles lernen, soviel man sich auch anstrengt. Und wenn man dann ein richtiges Talent trifft, und das auch bemerkt und nicht ignoriert, sondern vielleicht sogar sucht, findet und in Hochform erlebt, dann ist das ohne Zweifel ein ganz besonderer kulinarischer Luxus.
JD: Dann wäre Luxus auch so etwas wie Einzigartigkeit, ein Zusammentreffen von bestimmten Qualitäten, die nicht unbedingt etwas mit dem Preis zu tun haben?
RB: Nein, auf gar keinen Fall. Sicher hat das eine Wertigkeit, gute Leute, gute Produkte, vielleicht auch eine passende Umgebung. Aber es müssen dann schon eine Reihe von Sachen zusammenkommen, um ein luxuriöses Erlebnis in diesem Sinne zu ergeben.
JD: Ist das Erlebnis Luxus etwas, das Seltenheit voraussetzt?
RB: Nein. Luxus wird vielleicht durch Seltenheit erhöht. Aber man kann auch luxuriöse Situationen immer wieder wiederholen und trotzdem jedes Mal als luxuriös empfinden.
JD: Das nutzt nicht ab?
RB: Ich glaube nicht. Es hat eine gewisse Gewöhnung, es wird dadurch aber nicht schlechter. Ich habe seit dreißig Jahren professionell mit Trüffeln zu tun. Da hat sich nichts abgenutzt. Ich liebe sie immer noch. Und ich stelle mir immer noch bei fast jedem Gericht vor, dass es mit Trüffeln noch besser schmecken würde.
Das machen wir auch zu Hause noch immer so und das wird sich wohl auch nie ändern.
JD: Gibt es einen Missbrauch von Luxus? Ich meine zum Beispiel Veranstaltungen bei denen mit Champagner und Kaviar nur so um sich geworfen wird, aber kein Mensch wirklich versteht und schätzt, um was es sich da handelt?
RB: Ja, das kommt vor. Man muss da unterscheiden, ob z.B. mit luxuriösen Produkten gezeigt wird, dass man seine Gäste schätzt, oder ob man nur demonstrieren will, dass man sich das leisten kann.
JD: Aber … Du machst auch damit Deine Geschäfte.
RB: (Schmunzelnd) Nein, ich arbeite nur für die gute Sache.
JD: Sehr gut. – Es gibt Luxus, der entsteht dadurch, dass die Produkte selten werden, wie etwa beim echten kaspischen Kaviar, den es quasi nicht mehr im Handel gibt. Es gibt Luxus, dass man die Arbeit von Leuten genießen kann, die über besondere Fähigkeiten verfügen und es entsteht Luxus, weil die Natur mitspielt – wie etwa bei bestimmten Wein-Jahrgängen. – Gibt es auch ganz andere Dinge, von denen Du sagst, das ist ein wunderbar luxuriöses Produkt, aber wir hatten es früher nie auf dem Schirm?
RB: Ja. Das hat sich durch die Globalisierung so ergeben, dass man etwa an Premium-Produkte herankommt, die früher nur lokal zu bekommen waren. Das Wagyu-Beef aus Japan gehört in jedem Falle dazu.
JD: Da möchte ich einmal kurz einhaken. Es gibt verschiedene Qualitätsstufen – je nach der Fettmarmorierung, und das fetteste ist das teuerste Fleisch. Es gibt aber Leute, die sagen, dass das fetteste zu fett ist und das beste eigentlich etwas unterhalb dieser Stufe zu finden ist
RB: Man muss natürlich die richtige Zubereitung wählen. Wenn man eine bestimmte Hitze wählt, sind bestimmte Qualitäten besser als andere. Bei großer Hitze braucht die Marmorierung nicht so stark zu sein. Bei wenig Hitze oder gar roh kann sie viel ausgeprägter sein.
JD: Es läßt sich also unter funktionalen Aspekten diskutieren.
RB: Als Europäer lieben wir die Textur beim Fleisch. Jeder hat seine Kindheitserinnerungen von unvergleichlich zartem Fleisch, das man mit dem Rücken des Messers schneiden konnte oder was von selber vom Knochen fiel. Aber – es gibt natürlich auch Sachen, die bei uns überhaupt nicht ankommen, in anderen Ländern aber sehr populär und luxuriös sind, wie etwa die Knorpelhaftigkeit mancher Stücke.
JD: … was uns zu der interessanten Feststellung bringt, dass Luxus zu wesentlichen Teilen kulturell bedingt sein kann…. Aber zurück zum klassischen Luxusprodukt. Wenn Foie gras, Trüffel und Co. für die klassisch-französische Küche Luxus waren: was ist in der modernen, kreativen Küche Luxus? Ist es zum Beispiel Luxus, in einem deutschen Spitzenrestaurant mit rohem Fisch allererster Güte arbeiten zu können?
RB: Es kann auch dazu führen, dass man ganz andere Produkte entwickelt, die es früher nie gab. Als ich jung war, gab es Weinessig, Branntweinessig und Essigessenz. Etwas anderes, wie etwa Apfelessig war schon eine regionale Spezialität, die gar nicht in den Handel kam.
JD: In Japan gibt es Fruchtbalsamessige von hervorragender Qualität und manchmal sehr hohen Preisen …
RB: Heute kann jeder Endverbraucher in seinem Supermarkt 30 verschiedene Sorten Essig kaufen.
JD: Wird der Luxus kulinarischer? Gibt es viel mehr Spitzenprodukte als früher?
RB: Natürlich. Die Globalisierung hat dazu geführt, dass wir sehr viel mehr Dinge auf dem Schirm haben. Aber es hat auch dazu geführt, dass Sachen, die vor 20 Jahren noch super-exotisch waren, zu Standard geworden sind. Zitronengras zum Beispiel. Ganz allgemein viele Sachen aus der asiatischen Küche. Das sind krasse Folgen der Globalisierung. Die neuen Produkte gehören in unsere Küche hinein wie andere vor 50 Jahren.
JD: Lass uns einen kleinen Aspekt angehen, der ein wenig historisch ist. Ich persönlich würde es heute als besonders luxuriös empfinden, wenn ich heute in einem Restaurant eine klassische Küche von absoluter Weltklasse bekäme. Warum? Weil es sie quasi nicht mehr gibt.
RB: Exakt dasselbe denke ich immer, wenn ich alte Speisekarten aus dem letzten Jahrhundert sehe und den enormen Aufwand, der damals getrieben wurde und irgendwo ein Essen bekomme, bei dem versucht wird, das nachzukochen. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass das heute wegen der besseren Produkte und der besseren Küchentechnik sogar noch gesteigert werden könnte. Wenn das mal in der Nähe stattfinden würde, fände ich das schon sehr gut. Manchmal freut man sich da schon über Kleinigkeiten, wenn zum Beispiel im „Phoenix“ hier in Düsseldorf wieder Crêpes Suzette am Tisch zubereitet werden. Ein wenig bin ich da natürlich sentimental veranlagt, weil das „meine“ Zeit war. Wir reden in diesem Zusammenhang auch von Leuten wie Franz Keller …
JD: …es könnte auch noch ausgeprägter sein, etwa wie es bei Ducloux in Tournus war, zu dem selbst Ducasse seine Mitarbeiter zu Studienzwecken schickte…
RB: Ich halte solche Konzepte wie den „Schwarzen Adler“ für sehr gut. Die sind auch immer ausgebucht, auch wenn sie etwas abseits liegen.
JD: Zum Schluss eine in diesen Hallen etwas revolutionäre Frage: Wie ist das mit dem Luxus der Einfachheit, die an Stellen, wo es nicht so sehr um Luxus geht, sehr gefeiert wird. Hast Du noch die Sensibilität, Dich über ein exzellentes Brot mit einer hervorragenden Butter und einem wunderbaren Salz darauf zu freuen?
RB: Da fragst Du natürlich genau den Richtigen. Ich als Brotfan lasse mir das Brot 400km weit schicken, habe die Normandie-Butter zum Standard erklärt…eigentlich ist das mein Hauptanliegen, also die Produkte, die man für das tägliche Leben braucht, in einer höheren Qualität anzubieten. Das kann eine Wurst sein, das wird demnächst auch das Gemüse sein. Im Augenblick ist der Standard dort noch die Ware aus Spanien, aus den riesigen Gewächshäusern, das weder viel Geschmack noch Vitamine noch Nährstoffe hat und für viel Umweltprobleme sorgt. Plötzlich wir aus ethischen Gründen weniger Fleisch gegessen und plötzlich müssen Küchenchefs anfangen, Fleisch durch Gemüse zu ersetzen. Und das funktioniert mit dem Zeug aus Spanien nicht.
JD: Eines meiner Lieblingsprodukte im einfachen Bereich ist die bretonische Sandmöhre, die so intensiv „nach Möhre“ schmeckt, dass man wirklich Spaß daran hat. Aber es geht auch um andere einfache Produkte, Wenn der französische Stand auf dem Carlsplatz in Düsseldorf Lyonnaiser Kochwurst hat, packt mich immer die Vorfreude, weil ich weiß, dass ich jetzt einen bestimmten Eintopf machen kann.
RB: Es muss uns klar sein, dass Tomate nicht gleich Tomate ist und Möhrte nicht gleich Möhre. So wie man beim Brot wählerisch geworden ist und lange nach den besten Produzenten sucht, muss man das auch bei allen anderen Produkten machen. Meine sehr optimistische Meinung ist, dass das Gemüse in den nächsten zwanzig Jahren den Status des Fleisches in der Gastronomie ersetzen wird. Heute ist es sehr einfach, mit Wagyu-Beef und Dry aged-Qualitäten anzugeben, mit Gemüse ist das viel schwieriger. Wenn es einmal klar wird, wie geil ein richtig gutes Gemüse schmeckt, wird die Zeit kommen, wo sich die ganze Produktion und der Handel mit Gemüse völlig verändern.
JD: Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es eine Sache gibt, die kaum ein Koch machen kann, nämlich um 11.30 Uhr nach draußen in den Garten zu gehen und die Gemüse knackfrisch zu ernten und zu verarbeiten. Eine Kirschtomate frisch vom Strauch kann einfach sensationell schmecken.
RB: Ja, das wäre eine gute Idee. Das Tauchen nach Hummer vor dem eigenen Restaurant wird hier zwar nie klappen, aber das Züchten von Gemüse und Kräutern wird sich weiter ausbreiten. Die Selbstversorger-Idee ist natürlich gut, aber hat auch ihre natürlichen Grenzen in der Saisonalität. Wie auch immer: die Beschaffung von sensationell guten Produkten im einfachen Bereich wird bestimmt die ganz große Herausforderung.
JD: … und dann eine sensible Bearbeitung der Produkte mit den exzellenten Spezialitäten wie den erwähnten Essigen, Ölen oder Gewürzen…
RB: … und dazu Garmethoden. Bei Fleisch und Fisch weiß man für jedes Stück gradgenau den richtigen Punkt. Bei Gemüse wissen wir noch gar nichts. Das gibt es aber auch für Gemüse, und das weiß keiner …
JD: Vielen Dank. Da sind wir vom alten glatt auf den neuen Luxus gekommen. Und der ist im Prinzip für alle erschwinglich …