Plachutta oder der Fluch des Erfolges

Normalerweise schreibe ich in meinen Berichten aus den Restaurants wenig über Dinge, die mit dem Kulinarischen im engeren Sinne nichts zu tun haben. Mich interessiert das Essen, und darauf bin ich konzentriert. Soll ich mich aus der Konzentration bringen lassen, nur weil am Nebentisch jemand zu laut redet oder der Service nicht mitbekommt, dass mein Weinglas leer ist? Insofern möchte auch erst einmal aus dem Plachutta an der Wollzeile in Wien berichten, dass das Wiener Schnitzel groß und flach ist, die Panierung durch korrekte Garung mächtig souffliert und der Geschmack auch deshalb einigermaßen ausgewogen ist, weil sich die Röstnoten in Grenzen halten. Ich besuche solche Restaurants immer wieder einmal, weil ich mich über den Stand der Klassiker auf dem laufenden halten will. Das Wiener Schnitzel bei Plachutta hat mir also eher gut gefallen.

Wenn ich heute einmal auch auf andere Dinge eingehe, hat das seinen Grund darin, dass die enorme Popularität des Etablissements anscheinend dazu führt, dass wichtige Grundlagen einer guten Gastronomie gefährdet sind oder verloren gehen.

Wir sitzen also auf einem vergleichsweise guten Platz, den wir erst am Tage gebucht und um 21 Uhr abends bekommen haben, weil man mittlerweile abends anscheinend in Schichten von anderthalb Stunden die Plätze vergibt. Der knappe Zeitkorridor erzeugt natürlich einige Hektik. Kaum wird ein Tisch frei, erscheint ein Mitarbeiter und bemüht sich in großer Geschwindigkeit, den Tisch wieder neu einzudecken. Leider saßen wir in einem Raum, in dem ohnehin schon eine Zehner-Gruppe für einigen Trubel sorgte, der auch noch immer wieder vom Service mit Sprüchen aus dem tiefsten Keller gastronomischer Anmache angeheizt wurde. Das erinnerte dann schon mal an das Innere eines Kaffeefahrt-Busses (ich kann da nur auf Berichte anderer Leute zurückgreifen). Zusätzlich wurden nun – es ging mittlerweile auf 22 Uhr zu – direkt neben uns von mehreren Mitarbeitern des Hauses mehrere Tische für eine weitere Gruppe zusammengeschoben und zusätzliche Stühle durch das ganze Restaurant transportiert, was für eine wirklich störende Stimmung sorgte, zumal sich die Mitarbeiter eher so benahmen, wie sie das vielleicht tun, wenn noch keine Gäste im Restaurant sind.

Selbst das wäre mir vielleicht entgangen, wenn man nicht bei diesem Trubel Probleme mit dem Servieren des Tafelspitzes bekommen hätte. Erst auf Nachfrage kamen die Röstkartoffeln an den Tisch, nachdem man vorher schon das Servieren der Getränke längere Zeit vergessen hatte. Auf den hier zum Tafelspitz gehörenden Spinat warteten wir vergeblich. Er wurde nicht serviert. Ganz davon abgesehen war der Tafelspitz in einem eher bescheidenen Zustand. Das Fleisch war einigermaßen zart, hätte aber von einem halben oder ganzen Stündchen länger in der Brühe sicherlich profitiert. Dass man etwas mehr Wurzelgemüse in der Brühe servieren muss, um überhaupt einen entsprechenden Effekt zu haben, scheint in der Küche egal zu sein. Auch die Quarkzubereitung (mit Schnittlauch) scheint man nicht mehr wirklich abzuschmecken, und das Mark vom Markknochen im Servier-Topf dürfte ruhig etwas Aroma haben. Dieses Referenzprodukt war also keines, sondern ein wahrlich matter Abklatsch einer anscheinend durch den dauernden Massenbetrieb überforderten Küche.

Dafür durften wir uns über eine Gruppe männlicher Japaner im Studentenalter freuen, die anscheinend irgendjemand zu einem späten Pflichtbesuch ins Plachutta geschickt hatte. Dass es sich nicht um die Erfüllung eines kulinarischen Traumes der Gruppe handelte, demonstrierten sie in eher unasiatisch-penetrant wirkender Weise durch ständiges Herumlaufen und intensive Mediennutzung (um es einmal vornehm auszudrücken).

Nicht gut, das Ganze. Es soll ja Gastronomen geben, die ihren Gästen etwas mehr Zeit und Ruhe gönnen, strikt auf kulinarische und gastronomische Qualität achten und nicht um jeden Preis auch noch dem letzten Euro an Einnahmen hinterher hecheln. Leider scheint die renommierte Wiener Gastronomenfamilie Plachutta im Moment nicht dazu zu gehören.

4 Gedanken zu „Plachutta oder der Fluch des Erfolges“

  1. Ich war vor ein paar Jahren mit meinem Sohn dort essen, wir saßen auf der Terrasse und der Abend war perfekt. Er hatte Tafelspitz, der von drei Kellnern am Tisch zelebriert wurde, ich das Wiener Schnitzel. Als ich den Wunsch äußerte, ein paar gute österreichische Rotweine zu probieren, bekam ich mehrere 0,1-Gläser und ein sehr angenehmes Gespräch mit einem weinkundigen Kellner. Klar, es war voll, aber der Service hat nicht drunter gelitten. Vielleicht habe wir einfach Glück gehabt.

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  2. Lieber Herr Dollase,
    wir waren vor 1,5 Jahren im Plachutta Wollzeile essen. Einiges von dem, was Sie beschreiben, ist auch uns widerfahren, allerdings hat die Essensqualität darunter nicht gelitten. Wir hatten am Tag zuvor für abends 19 Uhr im Wintergarten reserviert. Von Zeitkorridoren war nicht die Rede, allerdings war ich leicht befremdet, als man uns den Tisch für draußen nicht versprechen wollte! Ein Blick nach draußen, es war 16 Uhr, zeigte mir allerdings die Beliebtheit des Restaurants und des Wintergartens. Er war um diese Zeit noch halb voll!
    Wir bekamen den Platz draußen und wurden von zwei wirklich freundlichen Kellnern bedient, Wiener Schmäh inklusive! Das Essen, Wiener Schnitzel und Tafelspitz, die Vorspeisen habe ich vergessen, waren tadellos. Der Tafelspitz in zwei Gängen, wie es sich gehört.
    Zu den Parallelen: Neben uns saßen zwei junge Frauen, die mit ihren Tattoos und auffällig gefärbten Haaren so gar nicht in dieses bürgerliche Lokal passten. Sie waren bei unserer Ankunft schon so gut wie fertig, saßen dort aber bei einem Glas Wein noch mindestens eine Stunde völlig unbehelligt. Dann kam auch zu uns eine größere, wohl nicht angemeldete Gruppe, die der Geschäftsführer, wahrscheinlich der Sohn von Plachutta, wortreich unseren beiden Kellnern „aufgedrängte“. Die hatten so gar keine Lust Tische zusammenzustellen oder aus entfernten Ecken herbeizuholen. Der Service bei uns hat darunter aber nie gelitten. Im Gegenteil, die beiden waren immer für einen Spaß zu haben. So mancher Kellner in einem Münchener Bierkeller wäre unwirsch geworden, jetzt auch noch den Unterhalter für Gäste spielen zu müssen.
    Ich glaube Ihnen und den beiden Kommentaren sofort die geäußerte Kritik. Bei dem Gästeaufkommen muss logischerweise auch mal die Küchenleistung leiden. Auch der Service sicherlich, denn unseren beiden äußerst sympathischen und flotten Jungs könnten die Ausnahme sein. Derlei Kellner sind mir in Wien allerdings schön häufiger begegnet. In Deutschland noch sehr selten!
    Viele Grüße
    Frank Hidien

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  3. Lieber Herr Dollase,
    Ich kann Ihre Erfahrung nur bestätigen, allerdings war ich im letzten Jahr dort essen. Man freut sich darauf, beim „Plachutta“ zu essen und hat dann doch im Nachhinein das nachhaltige Gefühlt schnell-schnell durchgeschleust worden zu sein. Bei uns kam damals der Aperitif nach der Vorspeise.
    Viele Grüße
    Andreas Lange

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  4. Lieber Herr Dollase,
    traurig, aber wahr. Zumal „der“ Plachutta = Die gute Küche Teil 1 ein Referenzkochbuch für die österreichische Küche ist und praktisch unfehlbar. Als Exilösterreicherin in Berlin werde ich ganz oft gefragt, wo man denn gute österreichische Küche bekäme, sowohl in Berlin (wir gehen hier prinzipiell nicht österreichisch essen) als auch in Wien. Inzwischen muss ich leider beim Plachutta immer dazusagen, dass es „die volle Touri-Abzocke“ zu sein scheint. Schade!
    Liebe Grüße
    Dagmar Wollmann

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