Pierre Marcolini, Chocolats

Der 53-jährige Belgier Pierre Marcolini zählt heute mit aktuell 31 Filialen weltweit zu den erfolgreichsten Chocolatiers. In Stil und Präsentation setzte er sich schon früh von seinen klassischen belgischen Konkurrenten (z.B. Mary, Wittamer, Galler, Neuhaus, Godiva oder Leonidas) ab, wandte sich eher Frankreich zu (z.B. seinem Lehrer Bernachon/Lyon) und entwickelte eine Art ultramodernes Boutique-Image. Im Angebot waren bald auch Kreationen der Saison, die ein wenig wie die neuen Arbeiten von Modeschöpfern vorgestellt wurden. Mit einer Mischung aus klassischen Chocolats und einer Ausweitung der Palette mit modernen Aromen fand er einen überzeugenden Weg, der ihm das traditionelle Publikum weitgehend erhielt, aber vor allem auch ein neues, internationales und oft junges Publikum erreichte.

Bevor ich bei dieser ersten Folge von Degustationen ins Detail gehe, möchte ich einige grundsätzliche Dinge ansprechen.

Punkt I: Der kleine Unterschied
Es gibt bei den Chocolats einen großen Unterschied zwischen frankophiler Gourmandise und der deutschen Feinschmeckerei. Ein ganz normaler französischer Gourmet hat auch eine Vorliebe für die Chocolats, jene kleinen Gebilde, die man bei uns gerne „Pralinen“ nennt. Das ist nicht weiter verwunderlich, weil die Chocolatiers in vielen französischen Städten zur kulinarischen Grundausstattung gehören und neben den reinen Spezialisten so gut wie jede Patisserie ihre eigenen Chocolats herstellt. Das Interesse an Chocolats ist dabei durchaus auch nicht vorwiegend weiblich, sondern – vor allem in der Spitze – oft ganz ähnlich strukturiert wie die Gemeinden der Weinfreunde. Der Pariser „Club des Croqueurs de Chocolat“ ist so ein Beispiel. Bei uns hält sich das Interesse noch deutlich in Grenzen und geht vor allem eher selten in die Details, also z.B. in Überlegungen zur Qualität der Kuvertüre oder zu sensorischen Details. Vielleicht sollte der komplette Gourmet immer Gourmet sein (wie Alain Ducasse das von sich regelmäßig sagt), also in allen Bereichen auf Differenzierung und Qualität achten.

Punkt II: „Chocolats“ haben etwas mit Schokolade zu tun
Ich möchte kurz zwei grundsätzliche Punkte diskutieren. Zuerst einmal deutet der französische Begriff „Chocolats“ (im Gegensatz zu „Tablettes de chocolat“, den Schokoladetafeln) darauf hin, dass Schokolade eine wichtige Rolle spielt. Dass das keine selbstverständliche Bemerkung ist, wird in dem Moment klar, wo man über die Proportionen nachdenkt. Wenn es also um die Qualität und Spezifität der Schokolade geht: Welchen Rang haben dann Chocolats, die z.B. einfach nur extrem süß sind und/oder nach einer Füllung schmecken, die das eigentliche Schokoladenaroma quasi völlig überlagert? Sollte es nicht immer um das Verhältnis zwischen Füllung und Kuvertüre gehen, gegebenenfalls also um eine Erweiterung und Interpretation des Schokoladenaromas? Sollten Chocolats, deren Grundstoff (Kakaobohnen) aus einer speziellen Region kommt, nicht auch eindeutig danach schmecken und von anderen unterschieden werden können?

Punkt III: Warum Größe zählt
Die belgischen Chocolats alter Art sind groß (wie heute auch noch viele Chocolats in der Schweiz) und süß und von einem süffig-mehrheitsfähigen Geschmack, der den Weg zu mehr Differenzierung quasi unmöglich macht. Pierre Marcolini hat seine Karriere ebenfalls mit recht großen Chocolats begonnen, dabei aber durch Verwendung besserer Grundstoffe und weniger Süße bessere Proportionen der Bestandteile erreicht. Einige dieser Grundformen sind heute noch im Programm, weil sie eben besonders gut oder markant waren. Dann hat Marcolini allerdings begonnen, die Chocolats rigoros zu verkleinern. In diesem Prozess sind ihm auch problematische Dinge unterlaufen. So hat er zum Beispiel ein wunderbares Karamell in Form einer Ente (es ist eine der wenigen von Anfang an verbliebenen Formen). In der ursprünglichen Form scheint die Proportion Füllung – Hülle anders gewesen zu sein, als dies heute in der verkleinerten Form der Fall ist. Gab es damals eine bestechend gute Proportion zwischen der hellbraunen Hülle und der flüssigen Karamell-Füllung, ist heute der Anteil der Hülle größer, damit die Karamellwirkung geringer und die Proportion anders. Hier ist die Verkleinerung kein Vorteil. Insofern spielt Größe durchaus eine Rolle – zumindest bei Chocolats, die eine expressive Füllung haben.

 

Marcolini aktuell
Die „Malline Découverte“ ist eine schöne Klappschachtel mit 33 Chocolats und einem Faltblatt, auf dem alle Chocolats abgebildet und kurz beschrieben sind. Die Degustationspackungen in dieser maximalen Größe haben jeweils ein Exemplar von jeder Sorte des Hauses Marcolini. Die Mischung ist eine „State-of-the-Art“ – Mischung mit einigen älteren Sorten (siehe oben) und eher selten neuen. In den letzten Jahren hat sich das Programm nicht mehr wesentlich geändert. Hier einige Notizen:

Animal Caramel („Karamellcreme mit Fleur de Sel-Kristallen, umhüllt von Milchschokolade“)
Eines der alten Teile mit der oben schon erwähnten, im klassischen Sinne hervorragend schmeckenden Karamellfüllung. Die Balance Kuvertüre – Füllung ist bei dieser Größe etwas zuungunsten der Füllung verschoben. Es schmeckt nach wie vor süffig, aber nicht mehr so elegant.

Calin Lait und Calin Fondant
Ein Praliné von Mandel und Schokolade auf der Basis von „Dentelles de Quimper“ (ein Biskuit), abgeschmeckt mit Madagaskar-Vanille, einmal mit einer Hülle von Milchschokolade, einmal mit dunkler Schokolade. Der Vanilleanteil ist begrenzt und deshalb gut. Hervorragend eine feine, krosse Schicht im Innern, die nur bei Marcolini so gut ist. Sie bringt eine prächtige, sehr feine Struktur in das Geschmacksbild – egal ob mit Milchschokolade oder dunkler Schokolade.

Mangue
Ein echter Mischakkord zwischen Frucht und Schokolade. Für Puristen also zu viel Mango, für Leute, die eher von „normalem“ Essen herkommen, ein perfekter Mischakkord mit einem neuen Aroma.

Praliné Cannelle
Sofort viel Textur von einem Mandel-Croustillant. Die Zimt-Infusion hat eine eher mittlere Produktqualität, die durch viel Süße außerdem an Substanz verliert. Weit entfernt von dem, was eine exzellente Zimtqualität im Mix mit Schokolade bringen kann.

Diverse Chocolats mit bestimmten Kakao-Provenienzen:
Équateur Grand cru, Brésil Grand cru, Madagascar Grand Cru, Venezuela Grand Cru
Marcolini steuert die unterschiedlichen Kakaosorten mit einer feinen, dezent schmelzenden Kuvertüre an, die nahtlos zur Füllung durchblendet und dann einen klaren Eindruck der Sorten ermöglicht. Für Puristen eine gute Lösung, für andere unter Umständen nicht plakativ genug.

Violette
Sehr deutlicher Veilchengeschmack, der etwas oberhalb eines Mischgeschmacks liegt, also auf keinen Fall so etwas wie eine Aromatisierung der Schokolade ist. Es wäre interessant zu wissen, wie diese Sorte mit einer etwas reduzierten Veilchennote schmecken würde.

Gingembre
Gut integriertes Ingwer-Aroma, also ein von Ingwer angereicherter, erweiterter Schokoladengeschmack. Es bleibt unklar, warum Marcolini bei den Aromen so unterschiedliche Balancen realisiert. Das gilt auch für Earl Grey (gut integriert) oder Fleur d’Orange (Mischaroma).

Fazit
Auch nach vielen Jahren bleibt Pierre Marcolini eine sichere Bank für eine mehrheitsfähige (also kommerziell gut verwertbare) oft sehr süffige Qualität, die mit ihren diversen („neuen“) Aromen Neueinsteiger jederzeit überzeugen kann. Puristen werden sich eher über die klassischeren Chocolats freuen, wobei die Kombinationen mit Karamell und jene mit den eingebauten, feinen Texturen die im Vergleich besten Qualitäten haben.

P.S. Ich habe schon in einigen Restaurants Chocolats von Marcolini als Petits Fours bekommen. Das Verhältnis zwischen solchen professionellen Chocolats und denen aus der Hand der Patissiers ist oft ganz klar: die Patissiers haben bisweilen gute, neuartige Ideen und auch schon einmal eine interessante, kreative Balance. Für Puristen und Freunde klassischer Chocolat-Akkorde haben sie allerdings meist wenig zu bieten.

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