Es ist eine gute Entwicklung, wenn zunehmend wirklich gute Köche auch in den Bereich von populären Büchern vordringen. Die Phase, in der jeder Verlag meinte, man müsse eine BloggerIn nach der anderen beschäftigen, sollte langsam zu Ende gehen, weil hier so gut wie nie Fortschritte erzielt werden, sondern sich eher Wahllosigkeit breit macht. Bei genauer Betrachtung bleibt von der kulinarischen Substanz vieler Bücher aus dieser Szene überhaupt nichts übrig, und wenn man einmal auf etwas stößt, das irgendwie passabel wirkt, ist es meist irgendwie „zusammengeklaut“. Dass viele solcher Kochbücher dann auch noch erfolgreich sind, beweist keineswegs das Gegenteil, sondern nur, dass es ein ausreichend unkundiges Publikum gibt, das so etwas mag und für gute Küche hält.
Aber auch die professionellen Köche sind da nicht zwingend alle besser. Um gute, klare, sinnvolle Rezepte zu produzieren, braucht man eine profunde Kenntnis des entsprechenden kommunikativen Prozesses. Irgendwelche Dinge zu immer neuen Salaten zusammenzuwürfeln, hat nichts mit Kochkunst zu tun. Und immer neue Varianten mittelmäßiger Ideen zu produzieren (wie das viele berühmte TV-Köche tun, denen oft schon seit Jahren nichts mehr einfällt) ist ebenfalls kein Gewinn. Gute Lehrer wissen, was sie erreichen können und erreichen wollen. Für Köche, die gute Bücher für ein breites Publikum schreiben wollen, bedeutet dies vor allem Augenmaß und eine klare Struktur. Und da kommt dann Paul Ivic vom „Tian“ (Wien und München) ins Spiel, der eben nicht nur ein beindruckend guter vegetarischer und veganer Koch ist, sondern auch vermitteln kann.
Natürlich müsste man im Grunde einen grundlegenderen Kurs fahren und die Sache von der absoluten Basis aus denken. Ich habe das in „Pur, präzise, sinnlich“ gemacht, wo ich das Konzept einer ganzheitlichen Gourmandise entworfen habe. Bei Büchern wie dem neuen von Paul Ivic spielen solche Gedanken eine Rolle, beschränken sich aber auf wenige plakative Sätze wie etwa auf dem Rücktitel, wo es heißt „Das Kochbuch, das die Welt auf kulinarischem Weg verbessert“. Man muss das in solchen Kochbüchern vielleicht nicht allzu hoch fahren und nicht in allen Details diskutieren. Sie bringen Praktisches, und das in einer guten Form. Das ist viel wert.
Das Buch
Äußerlich ist dieses Buch im „TV-Koch-schreibt-populäres-Kochbuch-Stil“ gehalten, also eher unaufwändig, kompakt, nicht zu groß, nicht zu viel Text usw. usf. „Restlos glücklich, oder der Versuch, die Welt auf kulinarischem Weg zu verbessern“ heißt es bescheidener als das obige Zitat zu Beginn des Buches. Was folgt, sind ein paar Seiten entsprechender Gedanken, dann geht es bereits an die ersten Rezepte. Der Aufbau ist eher thematisch als nach Produkten oder der Saison geordnet. Den Beginn macht das Kapitel „From Root to Leaf – Bodenschätze restlos genießen“. Es folgt „Mit Laib und Seele – Frische Ideen aus altem Brot“, dann „Sharing Chef’s Garden – Kleine Gerichte für große Familien“, „Haltbar machen – Vorfreuden für die Vorratskammer“ und „Basics – Von Pasta bis Gemüsefond“. Zwischengeschaltet sind „Reportagen“ zu den Themen „Saisonalität – Das Hier und Jetzt“, „Regionalität – Das Gute, es ist nah“ und „Kreislaufwirtschaft – Wenn Abfall Sinn ergibt“. Das Register am Schluß ist nach Saison geordnet, dann gibt es noch etwas zu seinem Restaurant „Tian“ und zum Team.
Insgesamt ist der Duktus eher bodenständig und kulinarisch fundiert. Die Distanz zu den weltanschaulich-veganen Gurus (oder Großirren – je nach Sehweise) ist also groß. Man findet früh gute Beispiele, etwa „Alles vom Blumenkohl“, wo Ivic das für vegetarische Gerichte hervorragend nutzbare Prinzip der Variation einsetzt. Es gibt „Blumenkohl im Ganzen“, „Salsa aus Blumenkohlblättern“, „Geschmorte Blumenkohlstiele“, „Salat von Blumenkohlröschen“, „Spinat von Blumenkohlgrün“ und ein „Veganes Blumenkohlpüree“ (unter Verwendung von ungesüßter Hafermilch). Im Prinzip sind die Gerichte aber eher kompakt – wenn auch nicht unbedingt simplifiziert. Ivic sorgt immer dafür, dass sich ein guter Geschmack sozusagen evident entwickelt und nicht nur gebetsmühlenhaft behauptet wird – wie das in vielen ähnlichen Büchern zu finden ist.
Mir gefallen zum Beispiel Rezepte wie die „Gemüsebeuschel mit Serviettenknödel“, eine variantenreich einzusetzende „Brotsuppe mit Croutons“, die „Schalottentaschen“ mit Kartoffelteig, Schalottenfüllung und Röstzwiebeln, „Alles von der Roten Bete“ (mit der Ivic besonders gut umgehen kann), ein „Erbsenbrot“, ein „Zwiebel-Dreierlei mit Heucreme“, oder „Sharing Chef’s Garden I“, mit „Gedünsteter Kohlrabi, Kohlrabispinat, Geschmorten Gurken mit Fenchelgrün, Geschmorten Champignons mit Brunnenkresse und gebratenem Rosenkohl. Besonders sinnvoll, weil immer noch nicht auch nur annähernd wieder verbreitet, sind natürlich die eingelegten Produkte. Es gibt eingelegte Rote Zwiebeln, eingelegte Tomaten, eingelegte Lauchwurzeln (ein wunderbares Teil vom Lauch, das man nie und nimmer wegwerfen sollte), Salzgemüse, Erbsenmehl, Salzzitrone, gepickelte Karotten usw., ohne dass allzu viel auf der Fermentierung herumgeritten wird.
Fazit
Es ist sinnvoll, ein solches Buch herauszubringen, weil nicht nur das Konzept Unterstützung verdient, sondern vor allem auch die handwerkliche Tendenz und damit auch das Geschmacksbild stimmt. Wegen der vermutlichen Zielgruppe muss man natürlich ein wenig kulinarisch-weltanschaulichen Zusammenhang produzieren, verläuft sich aber nicht in irgendwelchen Heilsversprechen. Man sollte sich allgemein klar machen, dass der Erfolg vegetarischer oder veganer Gerichte mittelfristig und erst recht langfristig vor allem über den guten Geschmack und die guten Ideen läuft. Die Zeit, in der das Etikett „Bio“ schon ausreicht, sollte langsam dem Ende entgegen gehen und einem substantiellen Vergnügen an Natur und Natürlichkeit Platz machen, in dem auch kulinarische Qualität eine große Rolle spielt. Das wäre für alle besser.
Das Buch bekommt 1 grünes B
Fotos © Brandstätter Verlag/Ingo Pertramer
Tut mir leid, aber die Schreibweise „eine BloggerIn“ funktioniert nicht und exkludiert die männliche Form. Das mag nicht schlimm scheinen, weil der Mainstream im wesentlichen peinlich genau darauf achtet, dass weibliche und LBGTQ explizit genannt werden; bei der männlichen Form ist das meist weniger wichtig. (Der alte weiße Mann war schließlich lang genug gemeint.) Es zeigt die Verlogenheit dieser Sprach“empfehlungen“. Es geht nicht um Inklusion aller.