Im letzten Jahr gab es von „Opinionated About Dining“, dem Restaurant-Ranking, das seine Daten von interessierten Essern bekommt, ein paar Zahlen. Es gebe rund 6000 registrierte Teilnehmer/Voter, die rund 200.000 Stimmen abgeben. Im Schnitt sind das etwa 37 Restaurants, die jeder Voter bewertet – eine solide Zahl für interessierte Amateure, weil da natürlich schon eine schöne Summe an Kosten zusammenkommen kann. Wie dem auch sei: es gibt Leute, die eine solche Referenz für gut halten, weil die Zahl der Teilnehmer so hoch ist, und es gibt Leute, die dieses Voting und das damit verbundene Ranking überhaupt nicht interessiert, weil sie der Qualifizierung von Laien nur bedingt über den Weg trauen.
Und dann ist da noch eine Entwicklung hinzugekommen, die dem OAD-Ranking einen leicht veränderten Beigeschmack gibt. Steve Plotnicki, der Gründer von OAD, hat sich im Laufe der Jahre mehr und mehr darauf eingelassen, als Prominenter des internationalen Bewertungszirkus aufzutreten. Mittlerweile gibt es von ihm viele Bilder und vor allem auch viele Statements und – sagen wir: Meinungen zur Entwicklung bestimmter Küchen und zu den offensichtlich von ihm bevorzugten Küchen. So etwas kenne ich natürlich als Journalist sehr genau. Man ruft in den Wald hinein und stellt sich irgendwann die Frage, ob es denn aus dem Wald heraus auch entsprechende Echos gibt, oder – noch klarer formuliert – ob der journalistische Einsatz für bestimmte Restaurants vielleicht auch dazu führt, dass diese Restaurants in absehbarer Zeit besser bewertet werden. Im Falle Plotnicki gibt es dann immer wieder Parallelen zwischen seinen Favoriten und den Bewertungen in den Rankings. Er hat zum Beispiel das „Ernst“ und das „Sosein“ als positive Beispiele für eine eigenständige Entwicklung in Deutschland genannt und … sie sind auffällig gut platziert. Auch wenn mich das persönlich wegen des Stils sehr freut, muss man doch diese Zusammenhänge sehen und die Frage stellen, in wie weit die OAD-Rankings mittlerweile die „Plotnicki-Listen“ sind.
Mehrere Listen sind nicht unbedingt besser
Die Fraktionierung der Restaurantszene in verschiedene Bereiche hat gute und schlechte Gründe. Im Gault Millau wurden vor vielen Jahren einmal eine Zeit lang kreative Restaurants mit roten Bewertungen versehen und „normale“ mit schwarzen. Das ist durchaus nicht schlecht, weil es keine getrennten Rankings gab. Die Idee dahinter ist eine bessere Serviceleistung, weil man klarer macht, welche Stilistik den Gast erwartet und er auf diese Weise vielleicht besser dahin geführt wird, wo es ihm vermutlich gut gefällt. Bei OAD gibt es für Europa gleich 5 Listen, und zwar die „European Restaurants“ (womit die eher modernen, nicht „klassischen“ gemeint sind), „European Heritage“ (Restaurants mit traditioneller Küche), „European Classical“ (womit Küchen gemeint sind, die die klassisch-französische Küche als Basis haben), „European Gourmet Casual“ und „European Cheap Eats“. Zwei der Listen haben etwas mit den allseits mehr oder weniger bekannten Spitzenrestaurants zu tun, nämlich die „European Restaurants“ und die „European Classical“.
Auf den ersten Blick scheint die Aufteilung sinnvoll, weil man bei den moderneren Restaurants oft im aromatischen Bereich wie bei den Kochtechniken kaum noch Ähnlichkeiten zur klassisch-französischen Küche feststellen kann. Betrachtet man die Listen genauer, ergeben sich allerdings größere Ungenauigkeiten. Es beginnt schon bei der alten und neuen Nummer 1 der modernen Liste, Björn Frantzén aus Stockholm. Ausgerechnet dort habe ich Gerichte bekommen, die der französischen Klassik noch eine weitere Dimension hinzufügen und dabei auch noch durchaus klassisch schmecken (z.B. die Wachtel). Es gibt gleich eine ganze Reihe von Restaurants, die man vielleicht als zeitgenössisch, aber nicht als wirklich modern im Sinne von innovativ und wirklich anders schmeckend bezeichnen könnte.
Auch umgekehrt ergeben sich Fragen. Die „Classical“-Liste hat eine ganze Reihe von Restaurants/Köchen, die eher in die modernere Liste gehören, wie z.B. Pierre Gagnaire, Thierry Marx, Arnaud Donckele, Bras, Bon-Bon in Brüssel oder sogar das überaus kreative „Le Moissonnier“ in Köln usw. usf. Wer sich etwas auskennt, kann natürlich mit solchen Listen leben – auch wenn immer die Gefahr der Desinformation besteht. Und diese Gefahr ist besonders groß, weil nicht klar wird, wie denn nun eigentlich die Spitze der besten Restaurants aussieht. Die beiden genannten Listen nähren sich beide aus dem Topf der wegen der Bewertungen bei Michelin etc. üblicherweise als hervorragend bezeichneten Restaurants. Es sollte eine gemeinsame Liste geben, auch wenn man sich bei OAD anscheinend schwer tut, so etwas zu leisten. Die „speziellen“ Listen kann es ja dann immer noch geben.
Teilweise deutliche Veränderungen gegenüber 2019
Die neue Liste zeigt teilweise deutliche Veränderungen gegenüber 2019 – zumindest dann, wenn man sich die Verhältnisse der Länder ansieht.
In der zeitgenössischen Abteilung war Spanien 2019 mit 31 Nennungen weit vorne (ich beziehe mich auf die ersten 100, weil „weiter unten“ die Gefahr besteht, dass der Zufall regiert und die Punktzahlen nur noch sehr wenig voneinander abweichen). Es folgten Italien und Großbritannien mit 21, Frankreich mit 17 und Deutschland mit 12 Nennungen. In der Liste von 2020 liegt Spanien mit 20 knapp vor Italien mit 17, Frankreich mit 12, Großbritannien und Deutschland mit je 10 und Dänemark mit 9. Diese Proportionen haben – sagen wir: ganz offensichtlich auch touristische Gründe. Es massiert sich in Hauptstädten, die über eine oder mehrere große kulinarische Attraktionen verfügen, und großen Touristenattraktionen, und wer etwas „ab vom Schuss“ kocht, hat hier schlechtere Chancen. Vor allem Italien und Großbritannien scheinen auf diese Weise eine Menge Punkte zu bekommen.
Bei der „Classical“-Liste gibt es ebenfalls von 2019 auf 2020 eine deutliche Veränderung. 2019 führte dort Frankreich mit sage und schreibe 61 Nennungen in den Top 100 vor Italien mit 22, Großbritannien mit 14 und Deutschland mit 13. Danach gab es erst einmal eine Lücke, bevor die Schweiz mit 6 Nennungen auftauchte. Spanien hatte in der „klassischen“ Liste nur 5 Nennungen. In der neuen Liste hat Frankreich „nur“ noch 47 Nennungen vor Italien mit 12, Großbritannien und Deutschland mit je 9, der Schweiz mit 5 und Belgien mit 5. Angesichts dieser Zahlen muss man den Eindruck gewinnen, als ob die „Classical“-Liste so etwas wie eine Konzession an die Franzosen wäre, die ja in anderen Listen (etwa die „The Worlds 50 Best Restaurants“) deutlich distanziert werden (und sich deshalb mit “La Liste“ eine eigenes Ranking zusammenschrauben). Auch hier kann die Folgerung nur lauten, dass eine Gesamtliste nötig ist – aber die „Spartenlisten“ ruhig beibehalten werden könnten.
Die Deutschen können zufrieden sein
Dass die deutschen Köche ein klein wenig seltener gegenüber 2019 genannt werden, muss man nicht überbewerten. So etwas ist oft kein Trend, sondern entspricht sozusagen der statistischen Normalverteilung. Im kreativen Fach ist Christian Bau auf Platz 8 (2019: 14) der bestplatzierte deutsche Koch, was damit zusammenhängen kann, dass sein in Deutschland oft kopierter Stil nach außen moderner als bei uns wirkt, wo eben – siehe „Ernst“ auf Platz 10 (18), „Sosein“ auf Platz 43 (68) oder das „Essigbrätlein“ auf Platz 46 (64) auch deutlich andersartige Küchen existieren. Klaus Erfort (Vorjahr 20) ist nun bei den Klassikern auf Platz 13, Nakamura ist auf 23 gestiegen (35), Wissler auf 24 geblieben, gefolgt vom „Atelier“ auf 36 (35). Tim Raue ist gesunken (57 statt 35), Nobelhart und Schmutzig liegen auf 132, das Horvath auf 179 und Marco Müllers Aufstieg hat man in der Kürze der Zeit wohl noch nicht mitbekommen.
Im klassischen Lager liegt die „Schwarzwaldstube“ nun an der Spitze der deutschen Restaurants (5 statt 9), vor dem „Waldhotel Sonnora“ (7 statt 4), dem ins klassische Fach geschobenen Erfort (13), „Bareiss“ auf 18 (6) und „Aqua“ auf 22. Die vergleichsweise zurückhaltende Bewertung für das in den deutschen Rankings führende Restaurant von Sven Elverfeld hat mit Sicherheit etwas mit dessen Lage in Wolfsburg zu tun.
Anmerkung: Es gibt in den Listen oft mehrere Restaurants auf einem Platz, was die Gesamtzahl der Nennungen unter den Top 100 auf deutlich über 100 bringt. Diese Tatsache ist schon ein wenig bemerkenswert: Wenn viele Namen auf einem Platz stehen, deutet das darauf hin, dass das „Sample“ eher klein ist, also nicht sehr viele Stimmen eingegangen sind. In der „Classical“-Liste gibt es 7 Restaurants auf Rang 59 und gleich 18 (!) auf Rang 64. Die Statistiker werden sich da ihren Teil denken…
Bei den Europe Heritage ist Deutschland nur mit dem Plachutta in Wien vertreten, weder die Dorfstuben noch Kowalke pp., ich nehm die OAD gern als Spanien-Reiseführer, sonst in den Kategorien kaum ernstzunehmen.
Und dass das Ibai Nr. 1 gesetzt wird, kommt m.E. nur daher, dass jeder Tester stolz auf sich sein kann, weil er einen Tisch ergattert hat.
In der „2020 Europe Gourmet Casual“ dominiert Spanien bereits stark die vorderen Plätze ( unter den ersten 20 mit 13 Nennungen), aber in der „2020 Europe Heritage“ wird es fast grotesk: ausser zwei Lokalen aus Italien (18. und 20.) und einem Lokal aus Portugal (13.) belegen gleich 17 spanische Restaurants die ersten 20 Plätze.
Vielleicht wären nationale Listen (mit verschiedenen Umfängen, je nachdem) hier doch sinnvoller für den neugierigen Besucher, der sich hier Rat einholen will. Zumal ja viele dieser Lokale eine sehr produkteorientierte Küche anbieten und es mir persönlich schwerfallen würde, auf der Basis von völlig verschiedenen, regional typischen, aber für sich alle hervorragenden Produkten überhaupt eine Rangliste aufzustellen.