Javier Olleros/Amaranta Rodriguez: O Libro Culler de pau. Montagud Editores, Barcelona 2022. 336 S., geb., Hardcover, ca. 85 Euro (zweisprachig: spanisch – englisch) Fotos: Mikel Ponce
Und da ist wieder so ein spanisches Buch, bei dem man sich nur darüber wundern kann, mit wieviel Passion es angegangen wurde, und dass hier offensichtlich keine besonders einschränkenden Diskussionen mit dem Verlag geführt wurde. Bei Montagud Editores, die ja auch die „Libreria Gastronomica“ in Barcelona betreiben und das „Apicius“ – Magazin herausgeben, scheint man vor allem große Qualität produzieren zu wollen – ohne auf einen Massenmarkt zu schielen. Diese Art von Büchern sind eben für die maximal Interessierten, und diesen Markt kann man auch so bedienen, dass man Bücher produzierte, die alle maximal Interessierten dann auch kaufen… Wenn man da zu lange nach Kompromissen sucht, schwächt man seine Position (das gilt übrigens auch für allerlei andere Print- und TV-Medien).
Es traf dieses Mal Javier Olleros und seine Frau und Restaurantleiterin Amaranta Rodriguez, die das „Culler de Pau“ (übersetzt: Holzlöffel) gemeinsam betreiben. Das Haus hat mittlerweile 2 Michelin-Sterne und einen grünen Stern zusätzlich und einfach eine Menge zu bieten. Die Lage an der zerklüfteten galizischen Küste etwas nördlich von Vigo, ein ultramodernes Gebäude, eine extreme Landschaft und eine Küche – man ahnt es – die sich vorzugsweise mit dem befasst, was es hier gibt. Javier Olleros hat Stationen bei diversen einschlägig bekannten Avantgardisten (z.B. Aduriz, Noma) absolviert und seine Küche ist dann auch erkennbar von diesen Kreativen beeinflusst. Weil er aber auch noch seinen Vater als wichtigsten Einfluss nennt, kommt immer wieder auch Bodenständig-Regionales als Farbe dazu. Im „Culler de pau“ kostet übrigens das große Menü („Descuberta“) 170 Euro für 17 Gänge und die Weinbegleitung 70 Euro. Das 13-gängige Menü kostet 150 Euro, ein 6-gängiges 100 Euro.
Das Buch
Der große Unterschied zu vielen, sehr nüchternen Kochbüchern bei uns ist, dass in Spanien und unter der Regie von Montagud in den Büchern immer ein großer Zusammenhang aus Landschaft, Produkten und Personen ausgebreitet wird. In diesem Umfeld werden Koch und Küchenbrigade immer ein wenig so dargestellt, als ob hier irgendeine leicht geheimnisvolle Truppe mit überragenden Fähigkeiten am Werk wäre. Natürlich kann das Zutreffen. Aber – es wird auch eben ganz klar so inszeniert. Dazu gehört dann auch immer deutlich mehr Text als das bei uns üblich ist. Oder – ganz grob gesagt: unsere Köche werden oft wie Handwerker inszeniert, die Ihre Produkte aus dem Lieferwagen des Großhändlers beziehen und dann irgendwie mit vielen – sagen wir: nicht ganz taufrischen Ideen zusammenstellen. Hier in diesem Buch ist das wieder einmal deutlich anders.
Vor dem Inhalt noch eine Bemerkung zur Struktur des Buches. Man findet international mittlerweile häufig eine Aufteilung zwischen einem Hauptteil und einem Rezeptteil am Ende. In diesem Falle geht der bildergesättigte Hauptteil bis zur Seite 230. Es folgen dann weitere über 100 Seiten mit den Rezepten, und zwar ohne jedes Monitor-Foto der Gerichte. Das ist keine gute Lösung. Als „Ausgleich“ hat der Hauptteil aber dafür eine andere gute Lösung: den Bildern der Gerichte rechts steht links immer ein weiteres Bild mit dem Hauptprodukt gegenüber, das mehr oder weniger ausführlich erläutert bzw. in einen Zusammenhang gestellt wird.
Bei den Rezepten wird schnell deutlich, dass Javier Olleros trotz aller Avantgarde-Kontakte eine klare regional-produktnahe Orientierung hat, die auch eine Menge geschmacklicher Achsen in die Tradition kennt. Wenn man so will könnte man sagen, dass er eine „leckere“ Avantgarde kocht (vielleicht im Gegensatz zu einer „demonstrativen“), die sehr vielen Gästen gut schmecken dürfte, weil es oft um klare Produktaromen geht. Dazu kommt ein gewisser Minimalismus der Kreationen, die dafür sorgen dürfte, dass die recht großen Menüs gut zu essen sein dürften. Es gib zum Beispiel „Unsere Muscheln und gepickelte Produkte“, eine Kombination mit dem prächtigen Angebot inklusive Percebes in der Gegend. Die Kräuter führen zum Beispiel zu einem zweiteiligen Gericht namens „Kultivierte und wilde Kräuter mit einer Creme von Meeresfrüchten und gepufftem Reis – Toast, Gartenkräuer, geräucherte Creme und eine dünne Scheibe von Rote Bete“. Die immer beliebter werdenden Salatherzen kommen hier mit einen Pilz-Tapenade und einigen Mikroaromen. Beim Ei aus heimischer Produktion mit Brot-Crumble und einer geräucherten Käsecreme wird die Tradition variiert. Der knapp gegarte St. Petersfisch wird von einer klassischen Zitrus-Caldeirada (also dem Fischeintopf der Gegend), Muscheln und Seegras-Escabeche begleitet. Bei den Gemüsen wird es besonders interessant und besonders minimalistisch – was natürlich nur mit allerbesten, frischen Grundprodukten aus den Gärten des Restaurants möglich ist. Es gibt zum Beispiel die Zucchini mit einer süßen Vinaigrette und Blüten, und die „Zarten Walnüsse“ sind ein minimalistisches Spiel mit sehr jungen, noch weichen Walnüssen (was man sonst meist nur bei Mandeln findet). Das „Tintenfisch-Sandwich“ ist natürlich keine grobe Snack-Angelegenheit, sondern vor allem ein Spiel mit der Textur von Toast, einem Minimum an Sauce, einem Zitronen-Schaum und schmalen Streifen von grünen Bohnen.
Womit man bei den Details der Rezepte wäre, die mal eher übersichtlich, mal avanciert sind und eine Menge von aktuellen Techniken benutzen. Das „Tintenfisch-Sandwich“ etwa besteht aus Streifen vom Tintenfisch, dem ebenfalls unter Mitwirkung von Tintenfisch getrocknetem Sandwich, einer Eigelb-Sauce, eine Zitronenluft, Streifen von grünen Bohnen, und Tintenfisch-Jus. Die kultivierten und wilden Kräuter entpuppen sich mitnichten als reine Assemblage, sondern bekommen jedes für sich detallierte Hinweise. Und weil man auch einen sehr guten japanischen Koch in der Brigade hat, wird aus dem St.Petersfisch mit in Molke eingelegter Goldbrasse „nach Sake Art“ eine „Reise nach Japan“ und ein umfangreiches Rezept mit u.a. einem Koji-Cake, Koji-Paste, shio-koji-Butter, Molke-Sake usw. usf.
Fazit
Die üppige Anlage des umfangreichen Buches ist die Hülle für eine weitere Variante der spanischen Avantgarde, die sich „auf der anderen Seite“ des Landes am Atlantik entwickelt. Die Küche von Olleros wirkt ähnlich „gesund“ wie die viele seiner Kollegen, die sich auf ganz bestimmte Regionen beziehen, also etwa Eneko Atxa oder Quique Dacosta. Bei uns gibt es solche, in sich recht komplex wirkende, und gleichzeitig traditionell verankert wie avantgardistisch wirkenden Küchen nach wie vor recht selten. Was wir haben, sieht dagegen noch eher nach Ansätzen aus – vielleicht mit der Ausnahme von Marco Müller. Der Grund ist nicht das Ausmaß an modernen Techniken (die sich bei uns bei einigen Restaurants finden), sondern das Ausmaß an Bezügen zu regionalen und traditionellen Bezügen. Aus dieser Feststellung ergibt sich dann auch gleich der Nutzen. Interessierte Leser sollten solche Bücher einmal wirklich von vorne bis hinten durcharbeiten und diese Denkweisen studieren. Ich finde zum Beispiel hier in der Leichtigkeit der Küche und der Transparenz der Geschmacksbilder eine strukturelle Ähnlichkeit zu einem der leider schon verstorbenen Großen, nämlich Jörg Wörther. Dessen Leichtigkeit war ebenfalls sensationell – und das selbst im aromatisch klassisch orientierten Bereich. Und – ob wir nun immer in die volle Umami-Sättigung fahren oder auch Zweige entwickeln, die sehr viel leichter sind, ist noch nicht ausdiskutiert. Ich meine, wir brauchen Beides.
Das Buch bekommt 2 grüne B