Neues Buch von einem Glücksfall

Der französische Autor Stéphane Reynaud ist so etwas wie ein Glücksfall. Auch wenn man noch nichts über seine Herkunft weiß, wird man schnell merken, dass seine Bücher genau jene Bodenständigkeit ausstrahlen, die nicht nur ein breites Publikum fasziniert, sondern auch Kenner und Könner der Materie. Das kommt nicht von ungefähr. Reynaud stammt aus einer Familie von Metzgern und Schweinezüchtern und hat damit allerbeste Voraussetzungen für eine Küche, die sich immer irgendwo zwischen den nicht nur von Franzosen so geliebten Formaten Bistro und Brasserie bewegt. – Vielleicht muss man eine solche Qualität noch etwas genauer beschreiben – vielleicht mit Vergleichen. Viele Bücher über Bistroküche etc. werden von Leuten geschrieben, die meinen, so etwas natürlich ganz locker zu beherrschen, weil sie vielleicht Gourmetkoch sind oder schon viele Bücher über viele verschiedenen Küchen geschrieben haben. Ich meine, dass man den Unterschied zwischen solchen Allerweltsautoren, denen Authentizität oft wenig bedeutet, und „in der Wolle gefärbten“ Kennern wie Stéphane Reynaud sofort erkennen kann. Und das ist nicht alles. Viele der schwachen Autoren verwässern allzu oft durch ihre Arbeit das Bild bestimmter Küchen, sie verfälschen und können – speziell dann, wenn es sich um sehr bekannte Autoren handelt – zu einem beträchtlichen Kulturverlust beitragen. Ich kenne zum Beispiel Bücher über die Pariser Bistro-Szene, bei denen man sich fragt, ob die AutorInnen wirklich in der gleichen Stadt waren, die man seit Jahrzehnten kennt.

Reynaud ist mittlerweile übrigens mit seinem Restaurant (er war vorher in Montreuil) mitten in Paris gelandet. Im „Oui, Mon General!“ im siebten Arrondissement gibt es dann auch Bistroküche, und das übrigens zu recht zivilen Preisen, bei denen man im Moment den Eindruck hat, als ob sie sogar unterhalb dessen liegen, was bei uns oft verlangt wird. Hier die Daten des Buches:

 

Stéphane Reynaud: Bistro, Bistro! Dorling Kindersley Verlag, München 2022. 480 S., geb., Hardcover. 39.95 Euro (deutsche Übersetzung: Wiebke Krabbe, Heinrich Degen)

Das Original ist in Frankreich unter dem Titel „Bistrotier“ bei den Éditions du Chêne/Hachette livre 2021 erschienen. Ich werde darauf noch zu sprechen kommen.

 

Das Buch

Der französische Titel „Bistrotier“ (also ca.: „Bistrobetreiber“) deutet schon auf die Struktur des Buches hin. Es beginnt mit dem, was man an der Theke essen kann, und zwar ab 7 Uhr morgens, mittags und abends (Service im Bistro ist von 7 Uhr bis 23.30 Uhr). Dann kommt die Abteilung Meeresfrüchte, die – wie viele Parisbesucher wissen – oft wie ein Aushängeschild für Bistros und Brasserien ist. Danach gibt es die Vorspeisen /Entrées, aufgeteilt in Terrinen und Co., Suppen, Eier, Gemüse, Fleisch und Fische aus Süßwasser und Salzwasser. Das Kapitel „Plat du Jour“ hat die Unterteilungen Klassiker, Geflügel und Fleisch. Es folgt das Kapitel mit Fischen und den großen Fleischstücken, in Frankreich üblicherweise „La Pièce du Boucher“ genannt. Während es diese Gerichte mittags und abends gibt, gibt es auch noch Gerichte, die den ganzen Tag serviert werden (wie etwa Burger oder Croque-Monsieur). Dem typisch-französischen Menüverständnis folgend findet man auch ein Kapitel über Käse (der hier als regelrechter Käsekeller geführt wird) und die Vitrine mit Desserts. Es ist also das ganz volle Programm, und es verwundert nicht, dass Reynaud solche Mengen von Rezepten zusammenbekommen hat.

Im Detail gibt es also alle Dinge, die man sich vorstellen kann, von den Croissants am Morgen bis zu Schokoladendesserts. Es ist müßig, hier größere Mengen von Gerichten aufzuzählen. Vielleicht sollte man aber auf einige Spezialitäten der authentischen Art verweisen, also zum Beispiel auf die Zubereitung der Meeresfrüchte oder die Innereienrezepte, die vermutlich nicht für jeden Touristen eine reine Freude sind, aber eben authentisch und ganz im Duktus eines traditionellen Bistros. Es beginnt mit dem Markknochen, dann kommt Lammhirn, Schweinsfuß, gegrillte Geflügelmägen, Schnecken oder Frösche. Das Programm beim Fleisch (und anderen Dingen) ist dabei nicht unbedingt ausführlich regional gefärbt, sondern – sagen wir: die klassisch-pariserische Sammlung. Der Fisch kommt also ein klein wenig mehr aus nördlichen Gefilden, und es gibt auch nicht zwangsläufig alle berühmten regionale Spezialitäten aus dem Elsaß oder dem Baskenland sondern nur ein paar der bekanntesten. Erstaunlich konsequent ist die Käseauswahl, und immer beeindruckend sind die großen Stücke beim Fleisch. Schmoren und andere längere Garungen haben eben in diesem Restaurantformat eine lange Tradition.

Die Darstellung ist knapp und konzentriert, meist mit Bild rechts und Rezept links, dazu ab und zu einige Kommentare und ab und zu Doppelseiten mit Gerichten. Es gibt auch einige weitere Bilder, insgesamt aber kein großes „Abfeiern“ weder des Kochs noch irgendeiner Bistro-Szenerie. Dafür hat jedes Rezept seine eigene Weinempfehlung, was allein schon eine Art Kursus über französische Weine aus allen möglichen Regionen ergibt. Die Rezeptqualität wirkt sehr gleichmäßig. Ab und zu gibt es ein paar Kleinigkeiten, die individualisiert erscheinen (wie etwa Sternanis zur Seezunge Müllerin), ansonsten sind die Rezepte kurz und produktnah und keineswegs mit endlosen Listen von Aromen bearbeitet. Natürlich wird man bei uns hier und da Probleme mit den Produkten bekommen, weil diese französischen Bistro-Rezepte natürlich auch komplett mit dem Angebot handwerklicher Erzeuger und Händler in Frankreich synchronisiert sind. Wer je ein gutes Rinderkotelett bei einem seriösen französischen Metzger gekauft hat, wird wissen, dass man die gleiche Ware bei uns oft nur mit Mühe findet.

 

Fazit

Ein sehr gutes Buch, das jedem Freund dieser Küche dringend zu empfehlen ist – egal ob Amateur oder Profi. Für Bistro-Köche immer zur Nachahmung empfohlen und natürlich auch immer offen für Änderungen und andere Kombinationen.

Wegen der überzeugenden Klarheit und Konsequenz und Nützlichkeit bekommt das Buch 2 grüne B

 

Zusätzliche Anmerkungen zur deutschen Übersetzung

Ich habe Ihnen einmal die beiden Rücktitel nebeneinander gelegt, damit Sie – nur am Beispiel des Titels – vergleichen können, wie weit die deutsche Übersetzung vom französischen Original abweicht und dass es da schon eine Menge von – sagen wir: Verfärbungen gibt. Im Buch finden sich diese Verfärbungen an vielen Stellen. Manchmal sind es Anpassungen, die man nachvollziehen kann, manchmal aber auch nicht. Diese Anpassungen wirken einerseits leicht populistisch, andererseits auch wie Zugeständnisse an unsere – man zögert mit dem Wort – Esskultur. Ich möchte einfach einmal darauf hinweisen.

Hier also die beiden Rückseiten:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Als Überschrift kam man mit der Eindeutschung von „Bistrotier“ nicht zurecht und hat etwas vom unteren Teil des französischen Rücktitels übernommen. Während mir „L’esprit Bistrotier à la maison“ allerdings gut „runtergeht“, stößt der „Bistro-Flair“ doch schon etwas auf. Genau das, also die Reduktion auf „Flair“ will man nicht. Bistro ist Leben, kulinarisches, aber kein Flair hier und Flair dort…sozusagen. – Die Übersetzung zu den Weinen hat ebenfalls den französischen Duktus kaum erfasst und banalisiert (ein Effekt, der im Buch immer wieder vorkommt, man meint immer, einen Hauch an Pädagogisierung für die dummen Leser zu verspüren, denen man natürlich das Buch massenhaft verkaufen will, und deshalb…usw. usf.). Aus den 9 Kapiteln hat man 10 Sonderthemen gemacht, die nur am Rande mit dem französischen Original übereinstimmen. Bei den Rezepten gibt es abermals die gerade erwähnten, populistischen Verfälschungen und Banalisierungen. Man hat willkürlich Dinge genommen, die im Original nicht zu finden sind, und dazu auch noch Formulierungen, die wieder komplett gegen den Strich gebürstet sind. Es steht dort einfach nichts von „..und natürlich verführerische Desserts“. Hat man da vielleicht eine Femininisierung des Textes im Sinn gehabt, weil „Bistro“ in Frankreich – sagen wir: vom Image her recht intensiv in männlicher Hand zu sein scheint?

Wie auch immer, ich wollte das nur einmal kurz anmerken.

 

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