Neu: Kochbuch des Monats

Antoniewicz VegetarischEs wird bei EAT-DRINK-THINK die Auszeichnung „Kochbuch des Monats“ und einmal im Jahr auch die „Kochbücher des Jahres“ geben, dort dann in verschiedenen Kategorien und aufgeteilt in „national“ und „international“. Ich habe mich dazu entschlossen, die langjährige Arbeit für mein „FAZ – Esspapier“ in dieser Form fortzuführen und meine Kochbuch-Kenntnisse weiter zu nutzen.

Die Beschäftigung mit Kochbüchern führt leider in vielen Medien ein absolutes Schattendasein, obwohl der Markt riesig ist und die Konsumenten noch nie in ihrem Leben so viele Kochbücher zu Hause stehen hatten, wie heute. Bei EAT-DRINK-THINK werde ich versuchen, die Spreu vom Weizen zu trennen und transparent zu machen, für welchen Bedarf welcher Inhalt sinnvoll ist oder in welchen Büchern sich wirklich bemerkenswerte Ideen verbergen.
Um einen möglichst großen Nutzwert zu erzielen, versteht es sich von selber, dass Kochbücher sehr unterschiedlicher Art berücksichtigt werden. Es wird also um die ganze Bandbreite zwischen Vorschlägen für schnelle und einfach zu realisierende Küche über die Bücher populärer Autoren bis hin zu den Maßstäbe setzenden Veröffentlichungen der großen Könner des Metiers gehen. Dabei wird durchaus auch eine kritische Auseinandersetzung gesucht werden. Es macht keinen Sinn, ausschließlich nach guten Büchern zu suchen. Es gilt auch klar zu machen, warum Bücher schlecht sind – auch wenn sie vielleicht in großen Stückzahlen verkauft werden. So ist dann auch die Bewertung zu verstehen, die von 3 roten B (die schlechteste Kategorie) bis zu drei grünen B (die beste Kategorie) reicht.
Insofern soll die Kochbuchkritik hier auch den Verlagen ein Feedback geben, die schließlich die Schlüsselstelle zur Veröffentlichung sind und ein wichtiger Teil der kulinarischen Kommunikation. Sie können arbeiten wie Discounter, die nur das verkaufen, was billig ist und gut läuft. Sie können aber auch jederzeit einen wichtigen Beitrag zur kulinarischen Kultur leisten, vor allem dann, wenn es ihnen gelingt, den Spagat zwischen Qualität und Wirtschaftlichkeit durch besonderes Engagement und bestechende publizistische Leistungen zu schaffen.

Hier also das erste EAT-DRINK-THINK Kochbuch des Monats.

KOCHBUCH DES MONATS SEPTEMBER 2017:

Heiko Antoniewicz: Vegetarisch. Green Glamour. Matthaes Verlag, Stuttgart 2017. 252 S., Hardcover, 69.90 Euro

Informationen
Heiko Antoniewicz hat sich nach seiner aktiven Laufbahn als Restaurantkoch zum führenden deutschen Spezialisten für neue Kochtechniken und ihre kulinarischen Perspektiven entwickelt. Dabei steht die kreative Praxis immer an erster Stelle. Seine Bücher zeigen die Denkweise eines kreativen Profis, der angesichts von neuen Möglichkeiten sofort neue Zubereitungen und Gerichte assoziiert. Davon zeugen z.B. seine Bücher über die Vakuumgarung („Sous-Vide“, 2011 und 2014) und das Fermentieren („Fermentation“ 2015). Es geht aber nicht nur um neue technologische Wege, sondern auch um Produkte („Brot“, 2010) oder ganze Produktgruppen, auf die man aus verschiedenen Gründen eine neue Sicht entwickeln kann oder sollte. Sein neues Buch hat den eher nüchternen Titel „Vegetarisch“ und den sehr viel aussagekräftigeren Untertitel „Green Glamour“, der eigentlich der bessere Titel wäre, aber den ein oder anderen Leser vielleicht auf eine falsche Spur bringen könnte. Der Untertitel verweist auf einen unübersehbaren Zusammenhang. Eine große Anzahl von Leuten will vegetarische Küche und beschäftigt sich mit ihr. Dem gegenüber stehen aber nur sehr wenige gute Restaurants mit entwickelten vegetarischen Qualitäten. In der Regel müssen sich Freunde der Gemüseküche etc. damit begnügen, politisch korrekt zu essen, dabei aber nicht besonders viel Freude zu haben. Den Vorurteilen der „anderen“ Seite, das ganze Grünzeug könne man irgendwie nicht essen, weil es einfach nicht schmeckt, hat man jedenfalls wenig entgegenzusetzen. Deshalb „Green Glamour“, eine eigenständige Küche für Gemüse und Co., die verführerisch und überzeugend ist, nach der man sich buchstäblich die Finger leckt und die jeden Vergleich mit „normaler“ Küche aushält.

Das Buch
Heiko Antoniewicz hält sich nicht lange mit dem möglichen Umfeld einer vegetarischen und/oder veganen Küche auf. Es geht ihm um Konkretes, darum zu „begeistern statt zu irritieren“, im Detail z.B. auch darum, die Fleischesser bei den Aromen durch die Verwendung von Pilzen, Soja und Röstnoten mitzunehmen. Dass dabei der Begriff „vegetan“ als Mischung von „vegetarisch“ und „vegan“ vorgeschlagen wird, sollte man vielleicht nicht ganz so ernst nehmen. Schon eher, dass man eben auch bei der Verwendung von Milchprodukten und anderen tierischen Produkten wie Honig zurückhaltend vorgeht.
Das Buch beginnt den praktischen Teil mit einer Reihe von Löffelgerichten, mit deren Hilfe sich schnell demonstrieren und erkennen lässt, wie fein man in diesem Bereich arbeiten kann. Die Themen sind Alge, Erbse, Erdnuss, Linsen, Pilze, Reis, Sellerie, Spargel, Tomate und Traube, also das, was man noch aus dem eher konventionellen Bereich als „vegetarisch“ destillieren könnte. Das ändert sich im großen Hauptteil des Buches, „Vegetanes von A bis Z“ genannt, weitgehend, weil Antoniewicz hier mit vielen eher selten genutzten Produkten in einer ungeheuren Vielfalt von Zubereitungen arbeitet. Hier wird dann auch schnell klar, wie sehr die kreativen Spitzenköche Motor jeder kulinarischer Bewegung sind und dass ihre Einfälle den Weg in die Zukunft ebnen können. Ganz selbstverständlich wird auch klar, dass Antoniewicz mittlerweile einer der besten deutschen Köche ist und über ein Spektrum an kulinarischen Ausdrucksmöglichkeiten verfügt, wie kaum ein anderer seiner in Restaurants arbeitenden Kollegen.
Hier einige Rezepttitel/einige Kombinationen: „Algen, Steckrübe, Waldsauerampfer“, „Fingerkarotten, Butterschalotten, Rosensauce“, oder „Grünkohl, Nachtkerzen, Hanföl, Pfeffer“. Die selteneren oder neuartigen Produkte (wie etwa Puntarelle oder Glückskleerübchen) werden zwischen den klassisch abgebildeten und beschriebenen Rezepten immer wieder erläutert. Weitere Beispiele: die Kombualgen werden mit Tofueis und Gojibeeren kombiniert, Kopfsalat mit Verjus und Weintrauben, es gibt „Waldboden“ mit Lauchmarmelade und „wilder Wiese“ oder „Pastinake, Holzkohlesenf, Lorbeersud“. Der Blick auf die Details zeigt zum Beispiel beim Kopfsalat Romanasalatherzen mit Haselnussöl, dazu eine Jus von Kopfsalat mit Koriander, Korinthen mit Verjus, Trauben und Chili und Kerbel zur Abrundung. Der „Waldboden“ besteht aus Pumpernickel, kandierten Oliven, Steinpilzpulver und tasmanischem Pfeffer. Dazu kommt eine Kartoffelcreme mit Macis und hellem Essig, eine Lauchmarmelade mit Olivenöl, Chili, Korianderwurzel und Aromen, ein Lauchragout mit Noilly Prat, Butter, Sahne und Kartoffelwasser, eine Steinpilzvinaigrette mit Steinpilzöl, Rapsöl, Chardonnay-Essig und Steinpilzfond und als „Wiese“ Moos, Gundermann und Schafgarbe. Ein Zitat dazu: „Bei jedem Teller schaffen wir einen Referenzgeschmack, den jeder zuordnen kann. So werden die Gäste empfänglicher für neue Ideen und kulinarische Experimente.“ Abgerundet wird das Buch durch eine Reihe von Grundzubereitungen

Diskussion
Das Buch besticht gleichzeitig durch die Menge an Ideen wie das Niveau der Zubereitungen, die in der Regel über klar und überschaubar formulierte Details verfügen. In dieser glücklichen Kombination von Kreativität und Blick auf die Verwendbarkeit der Ideen ist es für routinierte Privatköche ebenso gut zu nutzen wie für jede Art von Profis – bis hin zu den Avantgardisten der Nova-Regio-Küche. Das ist extrem selten und führt dann auch zu der Ehrung als unser erstes „Kochbuch des Monats“ wie zur Maximalnote. In der Gestaltung und Präsentation hält man sich zurück. Man gibt dem Thema und dem Inhalt den Vortritt und verzichtet auf jeden Starrummel, den es um Heiko Antoniewicz längst geben könnte. Er ist eben nicht mit hochgeklappten Ellenbogen beim Anrichten im Bild, sondern wirkt eher wie ein Guru, ein Mastermind, der gleichwohl nicht nur die Köpfe mit Ideen versorgt, sondern entspannt und konkret mit beiden Füßen auf dem Boden bleibt. Da macht sich jemand um die Kochkunst verdient, und das in aller Freiheit und mit schönen Bildern. Wieder – muss man sagen – ein hervorragendes Buch von Heiko Antoniewicz.

Das Buch bekommt 3 grüne BBB

1 Gedanke zu „Neu: Kochbuch des Monats“

  1. Es ist ja allgemein bekannt, dass der Autor alles feiert was Herr Antoniewicz so publiziert, allerdings stellen sich mir bei dieser Kritik doch einige konkrete Fragen. Z.B. ob der Autor auch nur ein Rezept aus diesem Buch selber nachgekocht hat. Wenn ja, welches?

    Ich habe mir dieses Buch gekauft, weil das Thema „vegetarische Küche jenseits von den allgegenwärtigen Käsespätzle“ mich sehr angesprochen hat. Allerdings ist dieses Buch nicht geeignet für die Alltagsküche. Selbst wenn man die Rezepte so abwandelt, dass sie weniger aufwändig sind, fehlen hier aus ernährungsphysiologischer Sicht wichtige Komponenten. Leguminosen werden so gut wie überhaupt nicht verwendet. Wie soll ein Mensch, der sich vegetarisch ernährt, bitte mit diesen Rezepten ausreichend mit Proteinen versorgt werden?

    Außerdem gibt es in diesem Buch, wie immer bei Antoniewicz (mir auch schon beim Buch zu Fermentation aufgefallen), etliche handwerkliche Fehler. Die Rezepte sind teilweise recht unverständlich. Das sollte bei einem Buch in diesem Preissegment einfach nicht vorkommen. Hier eine kleine Kostprobe, die sich beliebig weiterführen lässt:

    S. 119: Kürbis gebraten -> Was sind „Gewürze“? Welches Öl?
    S. 37: Waldsauerampfer -> Im Rezept selber nie erwähnt. Ist der Sauerklee gemeint?
    S. 113: Gojibeercreme: Spitzflasche? Was ist das? Ist Spritzflasche gemeint?
    S. 61: Kartoffeln, gekocht -> mit oder ohne Schale gekocht? D.h braucht man hier Salz- oder Pellkartoffeln?
    S. 61: frittierte Kartoffeln -> warum erst Stärke wegwaschen und dann Mondamin hinzufügen!?

    Eventuell ist das für Profiköche alles klar. Für mich sind das lauter Ungereimtheiten. Und diese gibt es fast in jedem Rezept. Teilweise sind auch die Zeitangaben extrem falsch (aus „Fermentation“:bitte mal versuchen weiße Bohnen bei 150 Grad in 45 Minuten im Ofen weich zu bekommen, selbst 24h eingeweichte).

    Einerseits werden sogar Salz und Gewürze aufs Gramm genau abgewogen und bei Flüssigkeiten steht dann wieder ein Hohlmaß. Warum nicht auch die Flüssigkeiten in Gramm angeben?

    Ich kann als Alternative „On vegetables“ von Jeremy Fox empfehlen. Auch tolle vegetarische Gerichte, die aber funktionieren und verständlich erklärt sind.

    Es ist aus meiner Sicht allgemein ein Problem in Kochbüchern, dass oft nur Handlungsanweisungen enthalten sind, aber nicht die Intention dahinter. So lernt man stur auswendig ohne zu verstehen was man eigentlich warum macht. Schöne Ausnahme hiervon: „Salz. Fett. Säure. Hitze: Die vier Elemente guten Kochens.“ von Samin Nosrat.

    Wenig zielführend ist aus meiner Sicht auch, dass oft sous-vide und mit Pacojet etc. gearbeitet wird bzw. überall seine eigenen Produkte (umami-Zeug, diverse Bindemittel) zum Einsatz kommen. Dass man anspruchsvolle Küche auch ohne Chemielabor und Fuhrpark machen kann hat eindrucksvoll Magnus Nilsson mit dem Buch „Fäviken“ bewiesen.

    Trotz aller Kritik bin ich natürlich wieder gespannt, was Herr Antoniewicz in seinem neuen Buch „Wald“ für Ideen präsentiert. Die Themen an sich sind jedesmal sehr interessant.

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