Jan Hrdlicka/ Fabio Haebel/ Olaf Deharde: Gefundenes Fressen. Wilde Zutaten erkennen, sammeln, zubereiten. Brandstätter Verlag, Wien 2022, 240 S., geb. Hardcover/Ganzleinen, 35 Euro
Es kommt immer wieder einmal vor, dass mich angesichts eines Buches sozusagen „der Blues packt“. Muss das wirklich alles so sein? Müssten wir nicht viel weniger, aber dafür viel bessere Veröffentlichungen haben? Reicht es aus irgendetwas zu machen, das irgendwie gut schmeckt oder essbar ist, oder sollten wir nicht viel mehr nach den Dingen suchen, die echte Aha-Erlebnisse produzieren?
In den letzten Jahren haben sich in dieser Richtung leider ein paar wichtige Schwerpunkte verändert, und – was viel schlimmer ist – ein Publikum gefunden, dass sich eine Art neue kulinarische Dummheit auf die Fahnen geschrieben hat. Klar, man will das alte Zeugs nicht, von denen die Eltern oder Großeltern schwärmen, man hat da schließlich seine eigene Küche, die zwar aus allen Teilen der Welt zusammengeklaut ist, aber eben „geil“ schmeckt. Ich frage mich dann immer, wie bescheiden eigentlich da die Maßstäbe sind und wie wenig man eigentlich von den phantastischen Leistungen unserer besten Köche kennt (was nicht zwangsläufig die besten „Sterneköche“ meint). Von denen wiederum hört man wenig, weil sie es nach wie vor nur äußerst selten schaffen, sich einmal irgendwo zu betätigen, wo man ein neues und/oder großes Publikum erreichen könnte. Und so überlässt man das Feld wahrlich schwer in die Jahre und geradezu betagt kochenden „Starköchen“ jeder Provenienz oder BloggerInnen, die – noch viel schlimmer als es die Profis jemals gemacht haben – nur auf die Optik setzen, lieber ein neues kulinarisches Zeichensystem voller „politischer Correctness“ benutzen, als jemals irgendein gutes Gericht zu produzieren, das wirklich neuartig und voller Überzeugungskraft ist. Und weil das Publikum in großen Teilen anscheinend immer gepampert werden muss – also kulinarisch gesehen noch komplett windelpflichtig ist – nenne ich so etwas gerne betreutes Kochen für kulinarische Legastheniker.
Soweit der Blues.
Das Buch
Gleich zu Beginn kann man wieder nicht umhin, noch ein paar allgemeine Anmerkungen zu machen. Zuerst stolpert man über ein Tim Mälzer-Vorwort für seine Buddys, also die Autoren des Buches. Von Mälzer ist der Satz überliefert: „Wenn ich mein Zeug selber sammeln wollte, wäre ich Gärtner und nicht Koch“. Ganz nach dem Motto „Was stört mich mein Gerede von gestern“ setzt sich Mälzer nun für das Sammeln ein. Zitat: „Beim Lesen wirst du schnell feststellen, dass die Lust auf wilde Zutaten direkt vor deiner Haustüre beginnt…“usw. usf. – Punkt zwei ist, dass man dem Eindruck entgegentreten muss, hier handele es sich um Irgendetwas revolutionär Neues. Das Buch arbeitet sich an einem Thema ab, dass vor über 25 Jahren in Skandinavien begann, dass zur „Neuen skandinavischen Küche“ und zur „Nova Regio – Küche“ wurde und längst in vielen Details und umfassend durchdacht, präsentiert und in Rezepte gefasst wurde (und wird). Ich selber haben in verschiedenen meiner Bücher das Thema ausführlich dargestellt und ebenfalls Beispielrezepte geliefert – zum Beispiel ein Salat etc. mit den Ergebnissen eines Spaziergangs durch Wald und Flur. Der Ansatz ist also weder neu noch originell, wird aber in einer Art Szene-Verpackung abgeliefert, die irgendwie Bodenständigkeit, Jetztzeit, Natürlichkeit und Glaubwürdigkeit vermitteln soll. Da hat man sich beim ansonsten oft gut arbeitenden Brandstätter – Verlag wohl etwas verstiegen und die Maßstäbe verloren.
Nichtsdestotrotz ist und bleibt der Ansatz richtig und im Prinzip auch gut. Die Autoren ermitteln ihre Rezepte an einem „Rügen-Weekend“, schreiben einen „kleinen Wildpflanzen-Ratgeber“ und darüber, „warum Angeln echt Spaß macht und wie man damit anfangen kann“. Es geht um „Sommertage am Strand“ mit einem „kleinen Strand-Sammel-Guide und einer „sommerlichen Blattjagd“. Später folgt der „Pilzsammel-Guide“, etwas über „zeitgemässe Jagd“ und „Gams schön Lecker“, über den Weg vom „Lebewesen zum Lebensmittel“ und „eine Ode an die Quitte“.
Bei den Rezepten geht man nicht etwa – wie das bei der „Nova Regio – Küche“ der Fall ist – den Weg zu einer eigenen Ästhetik, sondern bemüht sich um die Integration der Fundstücke in Konventionelles. Was dabei herauskommt, ist qualitativ sehr unterschiedlich. In vielen Fällen geht es zum Beispiel eigentlich darum, ob man irgendein Kraut, das mit einem eher traditionellen Gericht in Verbindung gebracht wird, überhaupt durchschmeckt. „Brennessel-Käse-Küchlein“ klingt natürlich gut, bedeutet aber kaum, dass man etwas gemacht hat, bei dem das Aroma der Brennessel auch besonders klar zum Ausdruck kommt. Die Behauptung, das gefundene Miesmuscheln und Herzmuscheln ausgerechnet mit Chorizo harmonieren darf angesichts der Proportionen im Rezept glatt bezweifelt werden (wenn man denn überhaupt eine solche Idee sinnvoll finden kann…). Besser wird die Lage, wenn man sich näher an den Traditionen orientiert, also etwa bei der „Geflämmten Meerforelle ‚Grenobler Art‘“, beim „Fasan ‚au vin‘“ (wobei man aber wirklich nicht behaupten sollte, dass das vorgestellte Rezept eine Art „Uplift“ für einen Klassiker der Nouvelle Cuisine darstellt…) oder bei den „Wildschwein-Involtini“. Im grunde wirkt hier Vieles nicht besonders professionell, wobei die ganz guten Profis es schaffen, exzellente Arbeit abzuliefern, die dann trotzdem so wirkt, als ob man einem spontanen Akt beiwohnt. Hier ist einfach Vieles oberflächlich, banal, kulinarisch unreflektiert, manchmal fast laienhaft wirkend.
Fazit
Das Buch wird vermutlich einige Käufer finden, weil es mittlerweile bei uns leider auch für solche Bücher Käufer gibt. In einem Land wie Frankreich oder Spanien könnte ich mir eine solche Veröffentlichung nicht vorstellen, man würde dort schnell erkennen, dass hier nicht die kulinarische Zielsetzung den Kurs bestimmt, sondern offensichtlich die kommerzielle, dass hier auf kulinarisch ganz kleiner Flamme gearbeitet wird und dass man so etwas nicht dringend braucht.
Das Buch bekommt keinen Stern
Fotos: Olaf Deharde
Ich finde dass es ein tolles empfehlenswertes buch ist, was dem einen nicht gefällt muss bei dem anderen ja nicht auch so sein, ich finde dass buch richtig gut.
Nein, natürlich muss einem nichts missfallen, nur weil es einem anderen nicht gefällt; nur geht es hier weniger ums „Gefallen“ als um sachliche im Artikel geschilderte Gründe und dagegen müsste man dann schon Argumente finden. Dieses übliche „mir gefällts es aber“ ist da nicht hilfreich und auch kein Gegenargument.
Nachdem Herrn Mälzer laut „Bild“-Zeitung gerade wieder eine Pizza mißraten ist, erschließt sich doch hier erfreulicherweise eine Alternativkarriere als Gärtner. Spaß beiseite: Vielen Dank für die Entlarvung dieses Buchs.