Die Diskussionen rund um die regionale Identität der deutschen Küche und Spitzenküche sind an einem zu erwartenden Punkt angekommen. Immer wieder stößt man auf Bemerkungen, die so tun, als wäre es nun endlich einmal Zeit, nicht mehr über Regionalküche oder ihre moderne Variante, die Nova-Regio-Küche zu reden. Vor allem eine Art saturierter Schicki-Micki-Journalismus braucht natürlich wieder eine neue Kuh, die man durchs Dorf treiben und als neuen Trend verkaufen kann. Aber – es grummelt immer auch ein wenig bei dem ein oder anderen Spitzenkoch, der sich und seine Küche anscheinend bedrängt sieht. Darum hier ein paar Anmerkungen zum Stand der Dinge.
Das Projekt Regionalisierung der deutschen Spitzenküche ist ein Projekt, das Jahre dauern wird
Man sollte die Bemühungen um eine bessere regionale Fundierung der deutschen Küche nicht als Modetrend sehen, sondern als eine dringend notwendige Korrektur eines Weges, der keine Zukunft hat. Die Anbindung an nationale und regionale Ressourcen (also von Produkten bis zu Rezepturen) ist das wichtigste Merkmal jeder gut entwickelten Küchenkultur. Nur sie schafft den Zusammenhang aller Beteiligten, nur sie kann ökologisch und gesellschaftlich wirklich fruchtbar wirken. Küche als globaler Supermarkt, in dem sich die Wohlhabenden einer Gesellschaft von Köchen ohne Konzept und Blick auf Zusammenhänge bekochen lassen, hat keine Perspektiven. Sie führt bestenfalls in eine elitäre Sackgasse. Der kulinarische Bewußtseinswandel ist längst im Gange, leidet aber in der Küche / Spitzenküche noch stark unter einem Mangel an kulinarischen Lösungen. Sie zu finden und kommerziell erfolgreich zu realisieren, wird noch längere Zeit dauern. Es geht schließlich darum, die Küche von einer langjährigen, weitgehend unreflektierten Abhängigkeit von anderen Küchenkulturen so zu emanzipieren, dass sie wieder ihren Platz in der Mitte unserer Gesellschaft findet.
Eine neue Regionalküche hat Glanz, wahlloser Mainstream nicht
Die immer wieder anzutreffenden Versuche, Regionalküche ausschließlich irgendwo in Brauhausnähe anzusiedeln und als wenig modern, schick oder hip darzustellen, zeugen von einer beträchtlichen Naivität. Niemand wird Bottura, Redzepi, Martinez, Bang, Boer und vielen anderen Kreativstars vorwerfen, sie würden mit ihrer konsequenten Auseinandersetzung mit den Produkten und Traditionen ihrer Länder keinen Glanz entfalten. Andererseits wird bei uns oft ein abgehobener Küchenstil gepflegt, dessen ganzer Widersinn sich vielleicht am besten entfaltet, wenn man ihn sich in anderen Ländern vorstellt. „Klassische Küche“ (was immer darunter verstanden wird) „mit asiatischen, südamerikanischen und deutschen Einflüssen“ ist nicht das, was man in selbstbewussten Metropolen kulinarisch relevanter Länder erwarten darf (und auf dem Lande schon gar nicht). Die hervorragenden Köche, die sich in Deutschland um eine Optimierung von Regionalküche, um Interpretationen oder Neufassungen bemühen, arbeiten am Puls der Zeit. Diejenigen, die sich wahllos bei allem bedienen, was gerade in Mode gekommen ist, nicht.
Gute Küche bleibt gute Küche.
Das Projekt Regionalisierung setzt auf Einsicht in größere Zusammenhänge, nicht auf Verunglimpfung anderer Küchen
Und trotzdem sollte es in den Regionen der kreativen Spitzenküche keinerlei Zwänge geben. Zensuren zu verteilen, kann nicht Sinn eines wirklich modernen Denkens sein. Gute Küche bleibt erst einmal gute Küche, auch wenn sie sich einer positiven Mitwirkung an größeren gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht stellt. Das Projekt Regionalisierung ist ein großes und sehr komplexes Projekt und die bisher sichtbaren Resultate sind noch nicht viel mehr als Einzelaktionen – auch dann, wenn sie exzellent sind. Die Kritik an bisweilen noch zu eng ausgelegter Regionalität, an noch zu wenig publikumswirksamen Gerichten, an Tendenzen zu elitärem Verhalten o.ä. sollte immer relativ und entspannt gesehen werden. Manch eine Aufregung in der Presse oder in den Restaurantführern erinnert da doch fatal an Zeiten, in denen nicht-gegenständliche Malerei als unmöglich angesehen wurde…
Wie oft in solchen Situationen sind übrigens die Kreativen sehr viel toleranter, als ihre Opponenten, wie immer lassen die Kreativen auch Platz für Anderes. Der Weg in die Zukunft führt über die Erkenntnis der Zusammenhänge und in der Küche im Projekt Regionalisierung vor allem über sehr viel mehr kreativen Input, als das bisher der Fall ist. Und an dieser Stelle wäre die Mitarbeit der besten Köche eine große Hilfe – auch wenn sie im Moment vielleicht teilweise noch meinen, es ginge gegen sie.