Benjamin Maerz: Heimat. Weite Welt. Matthaes Verlag, Stuttgart 2019. 240 Seiten, geb., 69,90 Euro
Wir kommen der Sache näher. Die Diskussionen um das, was eigentlich deutsche Regionalküche oder Traditionsküche ist, was vielleicht als „Heimatküche“ bezeichnet werden kann oder wie auch immer man das nennen will, reißen glücklicherweise nicht ab. Im Kern geht es dabei um verschiedene Aspekte. Einer ist – wie kürzlich beim Buch mit Andreas Rieger und Co. – die Freilegung und Entschlackung von Traditionsrezepten, also ihre Befreiung von allen möglichen Convenience-Einschränkungen. Für die Spitzenküche geht es vor allem darum, den Nachweis zu erbringen, dass selbstverständlich alle Rezepturen der deutschen Regional und/oder Traditionsküche Ausgangspunkt hervorragender Rezepte sein können. Am Ende des Weges, der sicherlich noch lang sein wird, steht dann vielleicht ein kulinarisches Selbstbewusstsein der Köche, das dem der Köche in anderen Ländern, in denen die Spitzenküche sehr viel näher an der Tradition und Region arbeitet, endlich einmal ähnelt.
Benjamin Maerz vom Restaurant Maerz im Hotel Rose in Bietigheim-Bissingen hat nun ein Buch vorgelegt, in dem er deutlich in Richtung regionaler und traditioneller Ressourcen geht. Dass er seine Küche als Kombination dieser Grundlage und Inspirationen aus aller Welt bezeichnet, sollte nicht überbetont werden (siehe unten). Maerz hat einen ungewöhnlichen Werdegang hinter sich, weil er – salopp gesprochen – nicht so sehr durch Arbeitszeiten bei berühmten Spitzenköchen „verbogen“ wurde. Nach seiner Ausbildung im elterlichen Restaurant mußte er wegen des Todes seines Vaters schon früh die Küche übernehmen (mit 22). Mit 25 bekam er dann den ersten Michelin-Stern. Dass er gleich mit seinem ersten Buch im Matthaes Verlag erscheint, ist ein gutes Zeichen für beide Seiten. Das Thema wird interessant behandelt und es ist ein Thema mit sehr viel Zukunft.
Das Buch
Das Buch hat 50 Rezepte und eine hier und da aufgelockerte Bebilderung mit Fotos aus Gegend, Betrieb und vom Koch nebst einigen entsprechenden Texten dazu. Die Gliederung erfolgt nicht nach Jahreszeiten, sondern nach Herkunft der Produkte, also: Stall & Hof, Garten & Beet, Wiese & Fel“, Fluss & See, Weinberg & Terroir und Weite Welt. Die Themen und Rezepturen werden dabei in einem Bereich zwischen moderner Spitzenküche, Avantgarde und durchaus klassischer Süffigkeit angegangen. Es geht also nicht primär um minimalistische Gerichte mit demonstrativ andersartigen Inhalten, sondern um ein intelligentes Spiel mit Produkten und Traditionen, mit lieb gewordenen Essgewohnheiten und ihrer oft überraschenden Weiterführung und Interpretation. Der „Nierenzapfen vom schwäbischen Rind“ etwa bekommt eine Vorgarung im Vakuum, ein Finish im Beefer, als Begleitung Zwiebeljus, Kopfsalatherzen, Zwiebelcreme und Perlzwiebeln und zur Abrundung Bronzefenchel, Blätter von rotem Senf, Verbeneblüten und Ringelblumen. Gemüse werden „ernst genommen“, etwa bei der Kombination von Kohlrabi mit Zitrusfruchtvinaigrette, Buchweizencreme und „Schwarzwald-Miso“. Die Karotte gibt es als Sorbet und Karottentatar, begleitet von Dill-Granité und Karottentrieben. Das „Schwäbische Umeboshi“ besteht aus den im Vakuum durchgezogenen Pflaumen plus Schmandkugeln, einer Pflaumenvinaigrette, einem Pflaumengel, Hafer-Crumbles und Pflaumensorbet – angerichtet mit Fichtensprossenpulver und Kräuterblättern. Der Griff auf die weite Welt ist also immer rückgekoppelt an den Fundus heimischer Ressourcen – auch bei der im ganzen servierten „Gartengurke mit schwäbischem Kimchi und Kohlgewächsen“. Das macht alles viel Sinn und wird mit einem angemessen komplexen Mix aus klassischer und moderner Kochtechnik realisiert. Hier noch ein paar Akkorde: „Saure Rädle – Gemmringheimer Süßkartoffel, Ackerrettich“, Lauchscheiben mit wilder Brokkoli und Senfsud, eine „Bratkartoffel mit Tee aus gerösteten Schalen und Meerrettich“, die nun wahrlich nicht wie eine Bratkartoffel aussieht, „Gebrannte Forelle – Höri Bülle (eine Zwiebelsorte), schwäbischer Dashi“ mit Forellenhaut, Höri-Bülle-Creme, gegartem Forellenkaviar und einem komplexen schwäbischen Dashi unter Verwendung von Gemüse, Schwein und Algen. Ebenfalls zu Wort kommt Bruder Christian Maerz, der sich um die Weine kümmert – mit einigen adäquaten Rezepten. Dazu kommen dann noch die üblichen Grundzubereitungen und weitere Informationen zu Lieferanten etc.
Fazit
Es macht Spaß, dieses Buch zu lesen, weil es endlich einmal so aussieht, als ob man sich mit großer Selbstverständlichkeit der Sache mit der deutschen Regionalität und Tradition widmen kann und ganz selbstverständlich sehr gute Rezepte dabei herauskommen. Das ist natürlich nicht selbstverständlich, sondern eine sehr gute Leistung eines jungen Kochs, der sich dem Thema erkennbar unvoreingenommener stellt als seine älteren Kollegen. Natürlich gibt es Spuren zurück zu den Pionieren dieser Küche – also zum Beispiel Wissler, Elverfeld, einigen Berlinern und anderen Pionieren in den Regionen. Das soll aber die Qualität dieses Buches nicht schmälern. Man wünscht sich so etwas von Köchen überall in Deutschland, mit Reflex auf die jeweiligen Regionen und mit der unübersehbaren Perspektive, die deutsche Spitzenküche weiter zu emanzipieren.
Wegen der vielen guten, in die Zukunft führenden Rezepte bekommt das Buch zwei grüne BB
Fotos © Matthaes Verlag