Da ist er wieder, der kulinarische Sammelband aus dem „Ikarus“ in Salzburg, wo eine Band von ausgezeichneten Cover-Köchen seit nunmehr 15 Jahren Gerichte zeitgenössischer Köche präsentiert. Diese staunenswerte Institution hat sich also gehalten, und auch beim neuen Buch wird eher geklotzt, als gekleckert – zumindest was das großzügig gestaltete Buch angeht. Beim Inhalt muss man sich die Frage stellen, ob die Luft langsam etwas dünner wird. Es ist nicht so einfach, fast jeden Monat einen neuen Kreativstar aus dem Hut zu zaubern. Und so ist der erste Eindruck der Namensliste auch in diesem Jahr wieder etwas zwiespaltig. Hat man die ganz großen Namen schon weitgehend durch, oder gibt es echte Neuentdeckungen, die man dringend dem internationalen Publikum präsentieren muss? Wird das Programm vielleicht zwangsläufig – sagen wir: moderater modern, weil die Zeiten vorbei sind, in denen die Molekularküche oder die neue skandinavische Küche für die ganz großen neuen Bilder sorgte?
Das Buch
Zum Jubiläum gibt es erst einmal eine schöne Übersicht über das, was man hier geleistet hat. Dann aber geht es zügig an die Vorstellung der Protagonisten der letzten Saison – wie üblich großzügig in Szene gesetzt mit Texten, Fotos der Köche bei der Arbeit, einem Luxus-Porträt und jeweils fünf Gängen aus dem in Salzburg präsentierten Menü. Es gibt also Neues von Quique Dacosta (Denia, Spanien), Sidney Schutte (Amsterdam, Niederlande), Paolo Casagrande (Lasarte, Berasategui, Barcelona, Spanien), Gilad Peled (Gordon Ramsay, Bordeaux, Frankreich), Nick Bril (Antwerpen, Belgien), Mingoo Kang (Seoul, Südkorea), Johannes King (Rantum, Deutschland), Jari Vesivalo (Helsinki, Finnland), Sven Wassmer (Vals, Schweiz), Martin Klein und sein Ikarus-Team, Mats Vollmer (Malmö, Schweden) und David Kinch (Los Gatos, USA). Hier ein kleiner Blick auf einige Details. Quique Dacosta bleibt ein zuverlässiger Kreativer, vielleicht heute mehr auf den aromatischen als auf den optischen Teil konzentriert – zum Beispiel bei „Reis, Asche und Taube“ oder dem „Lebenden Wald im Nebel“.
Sidney Schutte ist die ehemalige rechte Hand von Jonnie Boer und nun mit „Librije’s Zusje“ in Amsterdam befasst. Er hat dort eine recht freie Hand und Boer hält große Stücke auf ihn („Blauer Hummer, Zitronengeranie, Entenzunge, Litchi“).
Paolo Casagrande ist ein weiterer „Stellvertreter“ (siehe oben), aber – wie auch die anderen Kollegen in seiner Position – heutzutage in einer kreativ eher selbständigen Position („Gegrillte Taube, Oliven, Galgant, Kapern, Karotte“).
Bei Gilad Peled kommt trotz britischem Chef der französische Einfluss weitgehend durch, was eine eher zurückhaltend moderne Küche bedeutet („Tatar vom Rinderfilet, Gillardeau-Auster, Kaviar, Oxalis“).
Nick Bril von „The Jane“ hatte mit Sergio Herman einen der vermutlich besten Lehrer, die es gibt und dessen schlanken, präzisen, aromenstarken Stil völlig verinnerlicht („Bluefin Tuna, Zeeland-Auster, Gurke, Kyoto-Zwiebel“).
Der Stil von Mingoo Kang vom „Mingles“ in Seoul dürfte vielen noch eher unbekannt sein. Er verdient mit dem Mix aus heimischen Traditionen und einer dezenten Öffnung gegenüber den Aromen der Welt große Beachtung („Gebackene Seezunge, Topinambur, Sticky Rice, Ginseng, Trüffel“).
Zu Johannes King braucht eigentlich nichts mehr zu sagen. Aber – mit den Jahren hat er eine Freiheit entwickelt, die dann doch wieder sehr interessante neue Aspekte zeigt („Fjordforelle, Kohlrabi, Krabbe, Katenschinken, Alge“ in einer feinen Komposition voller Transparenz).
Jari Vesivalo vom „Olo“ in Helsinki zeigt, dass die skandinavische Avantgarde natürlich auch in Helsinki angekommen ist („Fermentierter Sellerie, schwarze Zitrone, Hefebrot, Käse, Kaffee, Eierschwamm, Rentierherz“.
Ein Kollege aus Finnland sagte mir einmal vor zwei Jahren bei einem Essen in Kopenhagen, dass es in Finnland eine ganze Reihe von Köchen gäbe, die sozusagen auf dem Sprung stünden und in zwei, drei Jahren sicherlich für Aufsehen sorgen würden.
Mit Sven Wassmer aus Vals in der Schweiz gehört nun endlich auch in Schweizer Koch zur Garde der neuen Alpinköche („Alpine Dim-Sum, CH-Dashi, Trockenfleisch“).
Der Bandleader Martin Klein glänzt wie immer mit seiner souveränen, weltumspannenden Technik, zum Beispiel bei einer schönen Neufassung der „Rindsroulade“ auf der Basis von im Vakuum gegarten Wagyu-Beef.
Mit Mats Vollmers vom „Vollmers“ in Malmö wird die Linie schwedischer Minimalisten weiter fortgesetzt („Kalbsbries, Salat, Tatar, Wipfel“).
David Kinch vom „Manresa“ im kalifornischer Los Gatos schließlich fasst gewissermaßen die Welt der Moderne zusammen („Wolfsbarsch, Koji-Butter, weisser Trüffel“).
Fazit
Der große Vorteil ist, dass man die Rezepte aller Köche weltweit in deutscher Übersetzung studieren kann, und dass sie natürlich in Rezeptform noch purer den jeweiligen Koch repräsentieren als in der Umsetzung im „Ikarus“ (auch wenn das Team eine wirklich sensationelle Arbeit abliefert). Die Jahrbücher aus Salzburg sind eine Zierde für jede Sammlung und geben nach wie vor aktuelle Tendenzen rund um den Globus wieder.
Das Buch bekommt auch weiterhin 3 grüne BBB