Lidl, Frankreich, Ostern: Wird die Gourmandise aldiisiert?

Es ist so gekommen, wie man das schon vor vielen Jahren vermuten konnte: ich habe schon früh geschrieben, dass die Discounter selbstverständlich auch gute Produkte und/oder Produkte anbieten werden, wie sie früher nur für Gourmets ein Thema waren. Voraussetzung ist nur, dass man damit ein gutes Geschäft machen kann. Wir kennen aus Deutschland die Lidl – „Deluxe“ – Produktlinie, in der meist vor den großen Ess-Feiertagen wie Weihnachten und Ostern eine ganze Reihe von – sagen wir: atypischen Discounter-Produkten von Carpaccio über diverse Käsesorten bis zu Parmigiano Reggiano und Macarons angeboten werden. Ich bin gerade in Frankreich und beobachte natürlich auch hier den Markt in allen Details. Dabei bin ich auf den Osterprospekt von Lidl getroffen, der präzise zeigt, was ein Discounter macht, wenn das Publikum ein Stück weiter „mitgeht“, als das bei uns der Fall ist. Das Angebot ist erstaunlich. Hier einige Impressionen und Preise:

– Austern, creuses, Nr. 3, Kilo 5,75 Euro, verkauft in den hier gebräuchlichen 2-Kilo-Gebinden für 11,49 Euro

– ganzes Lachsfilet ASC, Kilo 14,89 Euro

– Kabeljau-Rücken MSC 400 gr. 6,89 Euro

– 48 Schnecken, gefüllt 6,99 Euro

– 2 Cassoulets mit Jakobsmuscheln und Cremesauce auf Sauternes- Basis 3,99 Euro

– 2 Cassoulets Geflügel, Kalbsbries und Steinpilze 2,99 Euro

– Foie gras de Canard cru 500 gr. 17,99 Euro

– Bloc Foie gras mit Stücken 200 gr. 7,99 Euro

– 2 Jakobsmuscheln aus Saint-Brieuc, Muscadet-Cremesauce 5,99 Euro

– 1 kg Jakobsmuscheln, halb, mit Corail 15,99 Euro

– Gigot d’Agneau, Kilo 11,99 Euro

– Tagliatelle mit Sommertrüffeln 2,29 Euro

– mit Waldpilzen gefüllter Putenbraten 500 gr. 6,29 Euro

…und so weiter und so fort

 

Man könnte jetzt natürlich schnell alles zur Seite schieben und damit kommen, dass von dem Angebot nichts wirklich Spitzenqualität sei, sondern es den Discountern irgendwie immer wieder und in allen Bereichen gelingt, Produkte zu finden, die so aussehen oder schmecken „als ob“, dann aber nur insofern zuverlässig sind, dass ihnen immer ein Stück zu guter Qualität fehlt. Und weil das natürlich irgendwo stimmt, andererseits die ganze Sache aber trotzdem etwas „Demokratisierendes“ hat, möchte ich ein paar Aspekte diskutieren, die mir in diesem Zusammenhang eingefallen sind.

 

Ist auch ein schwaches Gourmetprodukt ein Gourmetprodukt?

Was bringen den Gourmets solche Produkte? Die Jakobsmuscheln kommen aus Peru und sind weit entfernt von jenen Exemplaren, die man direkt in einem bretonischen Hafen kauft, die noch ohne Gummis geschlossen bleiben und wenig später in der Pfanne eine wunderbare Butterkruste bekommen, weil sie nicht glasig sind, sondern schneeweiß, Stand haben, eine leichte Faser und eben bei der Garung nicht „reduzieren“. Was bekommt man von im Prinzip guten Produkten mit, wenn diese viele geschmackliche Fähigkeiten der „echten“ guten Produkte nicht haben? Muss man sich darüber freuen, dass Leute nun für wenig Geld Dinge probieren können, die sie sonst nie kaufen würden (wenn sie denn überhaupt wüssten, wo es sie gibt?). Bekommen sie eine Idee davon, wie Jakobsmuscheln schmecken? Eine Lammkeule? Foie gras? Trüffel oder was sonst noch alles? Leistet man am Ende bei den Discountern eine pädagogische Arbeit, weil man es zumindest probiert, allen Leuten etwas aus der großen, weiten Welt der Gourmandise zu vermitteln? Solche Aspekte sind nicht von der Hand zu weisen. Was die „relative“ Qualität angeht: genau so könnte ich als Spezialist den Freunden „normaler“ Sterneköche vielleicht damit kommen, dass der Fisch, den sie da essen, nun wirklich von Spitzenqualität noch meilenweit entfernt ist…

 

 

 

Das Tennis-Golf-Gourmandise-Problem, oder: Droht der Gourmandise die Aldiisierung?

Es gehört ja zu den Standards im Verhalten von Leuten, die sich für gutes Essen und gute Produkte interessieren, dass sie missionarisch sind und am liebsten die ganze Welt davon überzeugen wollen, wie toll das Alles ist. Was würden solche Leute eigentlich machen, wenn tatsächlich alle Anderen ebenfalls Gourmets würden? Wäre das wirklich in ihrem Sinne oder würden sie dann die distinguierende Wirkung ihres kulinarischen Verhaltens verlieren? Wir kennen das von Tennis und später vom Golf. Tennis war zu meiner Jugendzeit ein Thema für die Spitzen von Geld und Gesellschaft. Selbst der kleinste Tennisclub irgendwo in einem Stadtpark war der Treffpunkt von Ärzten, Firmeninhabern und den Spitzen der Politik. Meine Klassenkameraden aus den Arztfamilien spielten natürlich alle Tennis. Irgendwann kippte die Sache, und Tennis wurde tatsächlich so etwas wie Sport, wenig später dann auch noch Breitensport. Man wanderte zum Golf – bis auch der Golf zum prolligen Ereignis wurde, das vor allem Neureiche anzog, die immer noch der Meinung waren, das wäre etwas Besonderes.

Könnte so etwas auch bei der Gourmandise passieren? Könnte die Spitzenküche und vor allem die guten Produkte so populär werden, dass sich altgediente Gourmets mit Grauen von ihr abwenden, weil sie beim Einkauf am hervorragenden Käsestand auf dem Wochenmarkt auf Neu-Gourmets treffen, die von Tuten und Blasen aber nun wirklich überhaupt keine Ahnung haben? Droht der Gourmandise die Aldiisierung?

 

Bedient man da eigentlich die typische ALDI A6 – Kundschaft?

Es gibt ja den schönen, trockenen Scherz vom ALDI-A6, also einem Audi A 6, der zu den Fahrzeugen gehört, die auffällig oft auf Discounter-Parkplätzen gesichtet werden. Mittlerweile haben sich die Modelle geändert, das Prinzip aber nicht: es sind nicht gerade wenig Kunden, die mit ihren Autos Wohlstand signalisieren, beim Essen aber offensichtlich sparen. Sind die Gourmet-Serien der Discounter da das ideale Produkt? Die ALDI A 6 – Kundschaft gehört nämlich – ich weiß, wir sind hier nicht ganz im seriösen Bereich – gerne zu jenen Zeitgenossen, die überall so tun als ob, und damit natürlich auch gerne als Gourmets durchgehen. Mit Billigprodukten vom Discounter können sie da prächtig davon reden, das letzte Gigot wäre echt spitze gewesen, und man würde gerne zwischen durch einmal etwas Foie gras oder ein paar Jakobsmuscheln „snacken“.

Falls Sie diese Zeitgenossen nicht kennen: da gibt es noch ein typisches Szenario. Wir treffen immer wieder auf Leute, die ständig davon reden, welches Spitzenrestaurant sie demnächst besuchen wollen. Sie diskutieren dann auch gerne über Vor- und Nachteile. Das dauert. Die Zeit vergeht, und wenn man sie nach Monaten wiedertrifft, waren sie immer noch nirgendwo. „Maulhelden“ nannte man das früher einmaL…

Wenn sie dann trotzdem einmal in ein Gourmetrestaurant gehen, kann es gut passieren, dass sie ausgerechnet an diesem Tag eine Diät machen und nur einen Salat essen wollen… Alles Andere würde ja auch viel Geld kosten…

Dieses Lidl-Angebot hat von diesen Dingen eine Menge. Und trotzdem scheint es noch nicht ganz klar, wohin denn hier eigentlich die Reise geht.

5 Gedanken zu „Lidl, Frankreich, Ostern: Wird die Gourmandise aldiisiert?“

  1. Der Kern dieser interessanten Beobachtung/Überlegung ist für mich das „als ob“. Oder, etwas lebenspraktischer: vom Optimum der handgetauchten etc. Jakobsmuschel ausgehend, zwei Dinge zu prüfen. Einmal, inwieweit man das Produkt bei Reduzierung der Qualität noch lebensmittelrechtlich als dieses Produkt bezeichnen darf. Das ist zumeist nur bei verarbeitenden Lebensmitteln sinnvoll. Wer etwa Revue passieren lässt, was er bislang alles unter „Blutwurst“ oder „Butter“ gegessen hat, wird das nachvollziehen können. Übrigens: die „Butter von Bauer Banse“, die ein Dreisternelokal hierzulande serviert, ist diesbezüglich ein ziemlicher Tiefpunkt …
    Das leitet zum zweiten Punkt der reinen Produktqualität über, in die sehr vieles einfließt. Hier ist am Ende nur auf den eigenen Geschmack, gewürzt mit Erfahrung, Sozialisation und Elastizität der Kreditkarte Verlass. In einem Sterneladen aß ich neulich, eingeschoben, Kaisergranat für 40 €. Da hätte „sogar ich“ einer TK-Rotgarnele bei der Garung durchaus mehr Aroma abgetrotzt.
    Nur – wenn man erst eintaucht in die Welt bewusster Genüsse, dann schadet es nicht, sich auch anhand womöglich schwächerer Beispiele überhaupt erst einmal eine Basis zu verschaffen. Hauptsache, man tut es! Niedrigschwellige Angebote bilden erstes Wissen, weiten das Spektrum und machen oft Neugierde auf mehr.

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  2. Gute Beobachtungen.

    Und mit dem Essen ist es wie mit dem Tennis: Was zu Beginn exklusiv ist, wird dann aufgrund der hohen Nachfrage immer günstiger produziert, immer breiter verkauft (so wurde der Lachs zum „Schwein des Meeres“). Und andere, knappe Produkte besetzen das Exklusivitätssegment.

    Und manchmal geht’s auch in die andere Richtung. So hat die Knappheit Hummer und Kaviar vom einfachen „Fischerfrass“ in ein Luxusprodukt verwandelt. Beim Kaviar hat gerade die Reise in die andere Richtung wieder angefangen, mit der Störzucht wachsen die Mengen, und werden noch viel weiter wachsen.

    Und manchmal ist billig schlechter, teuer besser. Manchmal durchläuft das identische Produkt diese Zyklen. Was zeigt, dass die Definition von „gut“ sehr kulturell geprägt und keineswegs absolut ist.

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  3. Meine bescheidene Erfahrung während eines verlängerten Osterurlaubs in Mecklenburg Vorpommern, auch die dort vorherrschende ALDI Audi A7 Kundschaft hatte keinerlei Interesse an diesen “Gourmet”-Angeboten, war fast Alles auf 25% des ursprünglichen Preises runtergesetzt. Im reichen Süddeutschland vielleicht anders. Denke in Zeiten hoher Energiepreise und Speiseölmangel wird man diese “Gourmetangebote” im Discounter nicht mehr so oft sehen. Und auch ihre “Maulhelden” werden bald in der Mehrheit sein.

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  4. Sehr geehrter Herr Dollase,
    ich bin ein steter, aber bisher schweigender Leser ihre Beiträge hier im Blog. Vielem was sie hier veröffentlichen, kann ich zustimmen, über recht vieles schüttele ich den Kopf, manchmal denke ich Dinge über ihre Beiträge, die nicht in die Öffentlichkeit gehören. Trotzdem eint uns das Interesse an guten Lebensmitteln und einem damit einhergehenden gut gemachten gastronomischen Angebot. Nun aber lese ich diesen Artikel und stehe wirklich so ratlos davor, dass ich ihn noch mal gelesen habe. Was wollen sie damit zum Ausdruck bringen? Das Mitmenschen mit nicht üppig gefülltem Geldbeutel auch teilhaben an den Produkten hochwertiger (Sterne) Küchen? Sehen sie die Gruppe der Liebhaber des „fine dining“ bedroht? Wenn ich ihre früheren Beiträge so lese, scheint ihnen doch gerade die hochwertige, regionale Küche ohne große Auszeichnungen besonders am Herzen zu liegen? Was würden wohl die an einem solchen Rezept beteiligten Köche, Händler, Erzeuger sagen (zum Beispiel slow food), wenn sie diese Preise von hochwertigen Produkten sehen? Ich habe da eine klar definierte Meinung (eher generell zu sehen), das Prinzip Discounter basiert für mich im wesentlichen auf stetigem Preisdruck auf alle Hersteller und Lieferanten. Handwerklich gute Produkte (das gilt gerade in Frankreich) können kaum in die Ansprüche eines Discounters passen, weder von der Menge, noch von der Produktqualität her gesehen. Augenfällig wird das momentan in den sich erweiternden Bio-Sortimenten der Discounter. Das Prinzip Bio und Nachhaltigkeit wird ad absurdum geführt, wenn in Mengen produziert wird, die ein Discounter benötigt. Und genauso wird es den Lieferanten oben genannter Produkte gehen, bei der nächsten Runde müssen sie günstiger liefern als bei der jetzigen und sind so automatisch im qualitativen Wettbewerb nach unten.

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